3. ISO-Bundeskonferenz

Corona: Systemversagen und notwendige Gegenwehr


I. Die Covid-19-Pandemie ist Teil der Krisen des globalen Kapitalismus


Die weltweite Covid-19-Pandemie ist Teil der umfassenden und sich verschärfenden Krise des kapitalistischen Weltsystems. Diese Krise findet ihren Ausdruck unter anderem im Klimawandel, in Wirtschaftskrisen, in verschärfter Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft, in wachsender sozialer Ungleichheit, Kriegen, Flucht und humanitären Katastrophen.

Sie hängt unmittelbar mit dem Klimawandel und der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen zusammen. Das Vordringen des Menschen und der kapitalistischen Wirtschaft in die letzten natürlichen Lebensräume begünstigen das Entstehen vergleichbarer Viruspandemien („Zoonosen“).

Die Generationen nach dem Zweiten Weltkrieg wuchsen in der Überzeugung auf: „Die Seuchen haben wir besiegt / können wir besiegen.“ Diese Überzeugung wird gerade erschüttert. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) weist darauf hin, dass weitere Pandemien drohen. Solange die Ursachen für das Überspringen von Viren von Tieren auf Menschen nicht beseitigt sind, wird das auch so bleiben. Der herrschende Umgang mit der Pandemie hat die Kluft zwischen reich und arm drastisch vertieft, in vielen Bereichen der Arbeitswelt verschärfen sich die Ausbeutungsbedingungen. Solidarische Lösungen und sozialistische Antworten auf diese globalen Herausforderungen dürfen nicht im nationalen Rahmen stehen bleiben, sondern müssen international sein. Zugleich gilt es jedoch im eigenen Land Alternativen zur herrschenden Politik zu entwickeln.


II. Die Politik der Regierung Merkel/Scholz nützt dem Kapital


Ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie lautet die nüchterne Bilanz der Regierungspolitik zu Corona:


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Die Regierenden haben die schlimmen Auswirkungen der Pandemie zu verantworten. Jahrelang wurden die Warnungen der Wissenschaft und selbst der WHO vor dem möglichen Ausbruch einer solchen Epidemie nicht ernstgenommen. Es wurden keine Vorkehrungen getroffen, ausreichend Masken, Beatmungsgeräte, Krankenhausbetten insbesondere in der Intensivmedizin zur Verfügung zu stellen und in Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen sowie in den Gesundheitsämtern Personal aufzustocken. Im Gegenteil wurde seit Jahren die immer stärker ökonomisierte „Gesundheitspolitik“ noch mehr dem Diktat der Zahlen unterworfen und damit Kostensenkungen und Privatisierungen zu Lasten einer ganzheitlichen Gesundheitsversorgung Tür und Tor geöffnet. Dieser Raubbau am öffentlichen Gesundheitssystem hat unnötig viele Menschenleben gekostet.

Dass der erste Lockdown im März 2020 halbwegs erfolgreich war, lag maßgeblich daran, dass die Lieferketten unterbrochen waren und wurden, weil das Virus in China noch tobte und vielerorts deshalb nicht produziert werden konnte und sollte. So hat sich die Automobilindustrie in Deutschland den sowieso für das Jahr 2020 erwarteten Absatzrückgang mit staatlichem Kurzarbeitergeld „gegenfinanzieren“ lassen. Das globale Bruttoinlandsprodukt ist damals so stark eingebrochen wie seit den 1920er Jahren nicht. Die Regierenden wollen unter allen Umständen verhindern, dass sich dies wiederholt. In der letzten Wirtschaftskrise, der sogenannten „Finanzkrise“, hatten sie gelernt, dass eine gewisse staatliche Unterstützung vor allem der exportorientierten Wirtschaftsbereiche während einer konjunkturellen Abschwächung bessere internationale Konkurrenzpositionen bedeutet, wenn der nächste Aufschwung kommt.

Deshalb hat es trotz der Kenntnis der Gefahren einer zweiten Welle im Herbst auch nur einen „Lockdown light“ gegeben mit der Folge, dass die Fallzahlen dramatisch gestiegen sind. Dadurch ist eine bedrohliche Situation entstanden, der exponentielle Anstieg hat Mutationen des Virus begünstigt, die weitaus ansteckender sind. Die Zahl der Toten ist Stand Anfang März auf rund 71 000 gestiegen, die Spätfolgen auch für jüngere Erkrankte sind teilweise erheblich und erst ansatzweise bekannt, die Dauer der Immunisierung durch Krankheit unklar.

Doch die Regierenden, die es nicht geschafft haben, die zweite Welle zu unterbrechen, hören jetzt nicht mehr auf die Wissenschaftler*innen, die fordern, den Lockdown zu verschärfen, damit Kontakte wieder nachverfolgt werden können, sondern auf die Bosse, die von solchen Maßnahmen nichts wissen wollen und selbst die Rückkehr zum Homeoffice zu einem unzumutbaren Eingriff in ihre Herrschaftsbefugnisse erklären.


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Die ganze Strategie der Regierenden bestand und besteht darin, den zwischenmenschlichen Kontakt im Freizeit- und Konsumbereich zu unterbinden, damit das Virus sich nicht ausbreitet, bis ausreichende Impfungen das Problem scheinbar gelöst haben. Die Arbeitswelt blieb und bleibt von diesen Maßnahmen weitgehend unberührt. Die Regierenden geben sich weder die Mittel, um sich ein genaues, flächendeckendes Bild vom Infektionsgeschehen zu machen, noch handeln sie vorbeugend, um Hotspots zu isolieren und auf diese Weise die Verbreitung des Virus wirksam zu bekämpfen. Dazu müssten sie die Infrastruktur – nicht nur im Gesundheitswesen, sondern auch im Bereich der Mobilität und der Gewerbeaufsicht –, die unter dem neoliberalen Diktat geschrumpft worden ist, wieder massiv ausbauen.

Doch dem stehen die Interessen vor allem der großen Konzerne und der Interessenverbände der Wirtschaft entgegen. Die Regierenden tun deshalb alles und haben alles getan, um auch nach Ausbruch der Pandemie an den offenkundig gewordenen Defiziten des Gesundheitssystems und anderen Teilen der öffentlichen Infrastruktur und Daseinsvorsorge nichts ändern zu müssen. Eine Abkehr von der Ausrichtung des öffentlichen Gesundheitswesens an betriebswirtschaftlicher Rationalität fand und findet nicht statt, das System der Fallpauschalen wird nicht in Frage gestellt, die Privatisierung von Krankenhäusern geht munter weiter. Im Jahr 2020 wurden 20 Krankenhäuser in Deutschland geschlossen – während der Pandemie.


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Nicht einmal ihr erklärtes Ziel, die Risikogruppen vorrangig und besonders zu schützen, konnten die Regierenden erreichen. In den Alten- und Pflegeheimen setzt sich das Sterben an Corona ungemindert fort. Die über viele Monate durch Besuchsverbote erzwungene Isolation der Alten und Pflegebedürftigen markiert einen gesellschaftlichen Tiefpunkt. Die Hoffnung, die halbherzigen Maßnahmen werden ausreichen, um über die Runden zu kommen, bis ein Impfstoff zur Verfügung steht, erweist sich als trügerisch. Impfstoffe wurden tatsächlich mit beträchtlichen staatlichen Subventionen entwickelt, doch stehen sie bei weitem nicht in dem Maße zur Verfügung, dass die vorgesehenen Impfpläne eingehalten werden könnten.

Ob die Impfkampagnen unter diesen Bedingungen wirklich dauerhaft eine „Herdenimmunität“ erreichen, ist nicht sicher. Es ist unklar, wie lange die Impfung hält und wie die Mutationen des Virus auf sie wirken. Zudem ist höchst unsicher, ob die Bevölkerungen in den Ländern des globalen Südens überhaupt mit Impfstoff versorgt werden. Die Impfkampagnen werden noch eine ganze Weile von Eindämmungsmaßnahmen begleitet sein müssen, wenn die Verbreitung des Virus tatsächlich gestoppt werden soll.


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Die Pandemie trifft auf eine Klassengesellschaft. Da keine Maßnahmen ergriffen werden, den sozial Schwächeren in einer solchen Situation besonders unter die Arme zu greifen, verschärft die Pandemie die soziale Ungleichheit. Die wirtschaftlich Hauptleidtragenden sind die prekär Beschäftigten, die Beschäftigten in und am Rande der sogenannten „Schwarzarbeit“, die Scheinselbständigen und auch die regulär Beschäftigten in den Kleinbetrieben von Gastronomie, Einzelhandel, Hotellerie, Logistik und im Kulturbereich. Den Eigentümer*innen von Kleinbetrieben und Solo-Selbständigen verspricht die Regierung zumindest gewisse Geldmittel zur Überbrückung – in eine ungewisse Zukunft. Andere Bedürftige wie Student*innen, Alleinerziehende, Leistungsbeziehende, Flüchtlinge haben bisher von den versprochenen Hilfen im Gegensatz zu den großen Unternehmen wenig bis nichts erhalten.

Aber auch gesundheitlich trifft es Menschen mit geringen Einkommen und solche, die von staatlicher Unterstützung abhängig sind, härter als jene, die in großzügigen Wohnungen leben. Die „kleinen Leute“ können oft die Auflagen zum Schutz ihrer Person nicht erfüllen und leben und wohnen unter Bedingungen, die ihnen das geforderte „Social Distancing“ und Zuhausebleiben erschweren und unerträglich machen. Und diejenigen, die in „systemrelevanten“ Berufen arbeiten, sind doppelt und dreifach gefordert und überfordert. Das Gerede über Anerkennung verdeckt, dass Entlastung, Personalaufstockung, Arbeitszeitverkürzung und Lohnerhöhung in der öffentlichen Debatte kaum und in der Wirklichkeit nicht stattfinden. Viele haben die Prämien auch nicht bekommen.

Besonders betroffen sind Kinder und Jugendliche. In Schulen und Kitas hätten die Länderregierungen in den Sommermonaten 2020 genug Zeit gehabt, Lüftungsanlagen einzubauen, zusätzliche Schulräume und mehr Personal für kleinere Klassen herzustellen. Einigen Orts bedurfte es der Androhung von Streikaktionen, bevor sich eine Schulleitung oder Kultusbürokratie bewegt hat. Viele Einschränkungen, die derzeit die Kinder und Jugendlichen treffen, wären dann nicht erforderlich gewesen. Stattdessen wird in Kauf genommen, dass ein ganzer Jahrgang von Kindern und Jugendlichen unter den Verboten von Sport und Freizeit leidet, psychische Auffälligkeiten, Gewalt in der Familie, Lerndefizite, sogenannt „asoziales Verhaltens“ als Schäden bleiben. Und auch hier trifft es die Menschen unterschiedlich, abhängig von ihrer übrigen Lebenssituation.

Die Bundesregierung hält sich viel auf die Milliarden zugute, die sie Betrieben bereitgestellt hat, um Einnahmeverluste zu kompensieren (vornehmlich Kredite). Doch die großzügig ausgegossenen Geldmittel kommen bei den Hauptleidtragenden nicht an. Die Vermögen der 119 Milliardär*innen in Deutschland sind hingegen seit Ausbruch der Pandemie im März 2020 um 20 Prozent gestiegen. Unternehmen in der Informations- und Medizintechnik, in der Pharmaindustrie und im Internethandel verdienen mit Corona eine goldene Nase.


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Gelegenheit macht Diebe!

Die Industrie nutzt die derzeitigen coronabedingten Mobilisierungshemmnisse, um sozialpolitische Errungenschaften zurückzudrehen und langgehegte Angriffe auf Arbeitnehmerrechte zu erneuern. So fordert Gesamtmetall, das System der Tarifverträge auszuhöhlen, die Alterssicherung abzuschaffen, endlich die Arbeitszeit für alle Unternehmen „richtig zu flexibilisieren“, die Mütterrente, die Rente mit 63 und die Parität bei der Krankenversicherung rückgängig zu machen, Planungs- und Genehmigungsverfahren für Investitionen deutlich zu verkürzen und auf eine weitere Verschärfung der Klimaschutzziele zu verzichten. Die Konjunkturprogramme der Bundesregierung sollen dazu dienen, die Binnennachfrage nach Industrieprodukten anzukurbeln, statt die öffentliche Infrastruktur auszubauen.

Das dicke Ende wird erst noch kommen – die vollen ökonomischen Auswirkungen der Lockdowns. Trotz Kurzarbeitergeld lag die Zahl der Erwerbslosen im November um eine halbe Million über der des Vorjahrs. Es wird erwartet, dass es wieder eine Pleitewelle geben wird und dass mit der Zahl der Insolvenzen auch die Kapitalkonzentration erneut steigt. Automobilkonzerne nutzen die Gunst der Stunde, um mehrfach gegebene Zusagen in Bezug auf Arbeitsplatzsicherungen zu brechen und sogar mit der Stilllegung von Werken zu drohen.

Wer wird das bezahlen?

Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die Regierenden die Milliarden, die sie so großzügig vorwiegend an Großunternehmen ausgeschüttet hat, von den Prekären und den abhängig Beschäftigten wieder zurückverlangen. Es kursieren bereits Vorschläge, die extreme Verschuldung über eine höhere Inflation (Enteignung der Kleinsparer und Hypothekenschuldner) bzw. die Schuldenbremse relativ kurzfristig wieder zum obersten Gebot zu erklären. Diesen Plänen muss der schärfste Widerstand entgegengesetzt werden, denn sie würden bedeuten, dass die abhängig Beschäftigten, die Leistungsbeziehenden und Rentner*innen doppelt und dreifach wegen der Pandemie zur Kasse gebeten werden.


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Die Regierenden verbreiten die Zuversicht, es sei nur noch eine kurze Durststrecke zu überwinden. Wenn einmal der Impfstoff da sei, würde sich die Lage normalisieren und wir könnten zu Vor-Corona- Zeiten zurückkehren. Das ist eine Irreführung. Die WHO warnt, dies sei nicht die letzte Pandemie. Die Welt müsse aus den Fehlern, die bei Corona gemacht worden seien, lernen. Allzu lange habe sie lediglich in einem „Kreislauf von Nachlässigkeit und Panik“ gehandelt.

Andere Wissenschaftler*innen schlagen wegen des Artensterbens Alarm („1 Million Arten in den kommenden Jahrzehnten vom Aussterben bedroht“) und verweisen auf den Zusammenhang zwischen dem Artensterben und der Häufung von Pandemien. Dies wiederum hat seine Ursachen in der Unterwerfung natürlicher Lebensräume unter die Bedürfnisse der einer profitorientierten Landwirtschaft und einer fortgesetzten Zersiedelung und Urbanisierung – Mechanismen, die auch die Klimakatastrophe anheizen.

Diese Zusammenhänge werden von der Politik der Regierenden in der Praxis komplett ignoriert, wie man am Beispiel der fleischverarbeitenden Industrie sehen kann. Aber auch die vorherrschende Diskussion in der Gesellschaft behandelt die Pandemie häufig als ein isoliertes Geschehen und lenken die Aufmerksamkeit zu wenig auf die wahren Ursachen der Pandemie: die globale kapitalistische Produktionsweise mit ihrer Verwertungslogik.


III. Demokratische Selbstorganisation statt autoritärer Staat


In der Gesellschaft und auch unter Linken ist eine Debatte entbrannt, wie weit die Bewegungsfreiheit des Einzelnen zur Bekämpfung der Pandemie eingeschränkt werden darf. Auch jenseits von Corona- Leugner*innen stellen Menschen – je nachdem, wie sie von den Corona-Maßnahmen betroffen sind – wahlweise den Aspekt der Freiheitsberaubung oder den Aspekt des Gesundheitsschutzes in den Vordergrund. Dazu stellen wir fest:


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Es liegt in der Natur einer Seuchenbekämpfung, dass – nach Maßgabe des Erregers und des Kenntnisstands über seine Verbreitung – mehr oder weniger Kontaktbeschränkungen erforderlich sind, um die Verbreitung eines Virus zu unterbrechen, solange es keine Impfstoffe und keine Medikamente dagegen gibt. Die besondere Schwierigkeit bei den Corona-Viren ist, dass man es Menschen nicht ansieht und sie es selbst oftmals gar nicht merken, dass sie infiziert sind und das Virus weitergeben können. Die Maßnahmen können sich also nicht allein nach dem Augenschein richten. Regelmäßiges, flächendeckendes und kostenloses Testen, vor allem dort, wo größere Menschenmengen aufeinandertreffen, ist zwingend als Sofortmaßnahme, um die Kontrolle über das Geschehen zu behalten.


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Einfache Verhaltensregeln, systematische Aufklärung der Bevölkerung, Gerechtigkeit, häufige Kommunikation der Behörden und das Setzen auf die Einsicht der Bevölkerung erhöhen die Akzeptanz von einschränkenden Maßnahmen. Länder wie Japan haben gute Erfahrungen mit drei einfachen Regeln gemacht: „Meide geschlossene, schlecht gelüftete Räume; stark besuchte, öffentliche Räume; alle Umgebungen, wo Menschen eng aufeinandertreffen.“ Auf diese Weise konnten die Kontakte um 70 Prozent reduziert und das Seuchengeschehen unterbrochen werden. Die Regeln wurden von allen befolgt, obwohl die Regierung keinen Lockdown verhängt hat. Es geht also auch anders, wenn dafür gesorgt wird, dass die Bevölkerung mitziehen kann.


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Eine Pandemie ist immer eine Ausnahmesituation – und es steht zu befürchten, dass mit der wachsenden Zerstörung der Umwelt und daraus resultierenden ökologischen Katastrophen solche Ausnahmesituationen zunehmen werden. Einige sprechen davon, dass wir auf dem Weg in einen „Katastrophen- Kapitalismus“ sind. Auf diesem Weg ist die Gefahr einer autoritären Wendung des Staates groß,und autoritär heißt hier nicht unbedingt autoritär-fürsorglich. Im Gegenteil: Wir erleben, dass in Brasilien, in Indien oder unter Trump in den USA autoritäres Staatsgebaren mit einer ausgesprochenen Bagatellisierung der Pandemie einhergeht.

Es gibt jedoch einen Unterschied zwischen einer anti-viralen und einer politischen Ausnahmesituation. Was wir in Deutschland erleben, ist eine anti-virale Ausnahmesituation, die von den Regierenden – frei nach dem Motto „Gelegenheit macht Diebe“ – dazu genutzt wird, die parlamentarische Kontrolle auszuhebeln und sich auf Vorrat Befugnisse für nicht eindeutig definierte Situationen gewähren zu lassen, die dann bei ganz anderen Gelegenheiten genutzt werden können.


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Es gehört zu unserer grundsätzlichen Kritik an diesem Staat, dass er das grundgesetzlich verankerte Sozialstaatsgebot nicht beachtet. Das Ausmaß der notwendigen Einschränkung sozialer Kontakte, also der Bewegungsfreiheit der Bevölkerung, ist jedoch keine naturgegebene Konstante, sondern hängt immer davon ab, wie gut die öffentliche Infrastruktur ausgebaut ist. Die Pandemie führt uns vor Augen, was der jahrzehntelange Abbau des Sozialstaats im Ernstfall für Folgen hat. Die Herrschenden denken in der Krise aber gar nicht daran, ihn wieder herzustellen, sondern verhängen lieber einen wenig effektiven Ausnahmezustand, als regelmäßige wöchentliche Berichte über das Infektionsgeschehen zur Pflicht zu machen. Statt die Infrastruktur auszubauen, wird sie selbst dort lahmgelegt, wo es nicht notwendig ist, vor allem in den Bereichen Verkehr, Kultur, Freizeit, Bildung und Ausbildung. Die Bewältigung der Pandemie wird individualisiert, demokratische Grundrechte werden beschnitten, Aufgaben der Daseinsvorsorge auf die Frauen abgewälzt, die in ihren Möglichkeiten einer selbstbestimmten gesellschaftlichen Teilhabe zurückgedrängt.


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Als flächendeckendes Geschehen kann eine Pandemie nicht allein mit Selbsthilfemaßnahmen der Bevölkerung bekämpft werden. Sie erfordert flächendeckende Maßnahmen der Isolierung, wobei deren Zuschnitt sich nicht an Staatsgrenzen hält. Jeder Versuch, nationalstaatliche Argumente ins Feld zu führen – etwa für oder gegen Grenzschließungen – führt deshalb am Problem vorbei und läuft letztlich darauf hinaus, gegen die Pandemiebekämpfung Argumente ins Feld zu führen, die damit nichts zu tun haben. Je klarer abgegrenzt die Verbreitungsmöglichkeiten des Virus sind, desto einfacher ist seine Bekämpfung.

Mehr als das normale gesellschaftliche Geschehen erfordern Katastrophen Verwaltungseinheiten (sprich: eine staatliche Organisation des menschlichen Zusammenlebens), die in der Lage sind, großflächig Bestimmungen durchzusetzen. Es macht aber einen großen Unterschied, in wessen Interesse welche Maßnahmen umgesetzt werden und ob ein Staat Maßnahmen, die zum Teil schwere Einschränkungen der Freiheits- und Grundrechte beinhalten, einfach verfügt – oder ob er sie im Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern und gestützt auf ihre Eigeninitiative umsetzt. Daran erweist sich der Klassencharakter des Staates.


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Der bürgerliche Staat hat grundsätzlich eine doppelte Funktion zu erfüllen: Er hat den Verwertungsprozess des Kapitals aufrechtzuerhalten und er hat für die Reproduktionsfähigkeit der Arbeitskraft zu sorgen. In den letzteren Bereich fallen grundsätzliche Aufgaben der Gesundheitspolitik, mithin auch die Bekämpfung einer Pandemie. Beides geschieht im Interesse des Kapitals. Die sich daraus ergebenden Ansprüche stehen allerdings manchmal in Widerspruch zueinander. In der Corona-Politik der Regierenden kommt diese Widersprüchlichkeit deutlich zum Ausdruck, wenn gegen Menschen als Konsument*innen oder Freizeitaktive harte Maßnahmen ergriffen werden, die vielfach nicht nachvollziehbar sind, dieselben aber andererseits gezwungen sind, sich am Arbeitsplatz dem Virus uneingeschränkt auszusetzen. Es ist falsch zu sagen, die Regierung verfolge nicht das Ziel, die Pandemie zu bekämpfen. Sie tut es halt nur auf die Art und nur in dem Maße, wie sie den Gesundheitsschutz mit dem Profitinteresse übereinbringt. In dem dissonanten Chor der durchaus unterschiedlichen Kapitalinteressen setzten sich die Lautesten, sprich die mächtigsten und einflussreichsten durch – im Moment sieht das nach den Großkonzernen der Export- und sonstwie international ausgerichteten Wirtschaftsunternehmen aus.


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Aus diesen Gründen kann die Bekämpfung der Pandemie nicht den Regierenden überlassen bleiben. Vielmehr sollte überall, wo dies möglich ist, die demokratische Selbstorganisation und Eigeninitiative der Arbeiter*innenklasse initiiert und unterstützt werden. Gerade am Arbeitsplatz ist es erforderlich, dass Belegschaften selber die Kontrolle über das Seuchengeschehen gewinnen. Die bestehenden Gesetze über den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz bieten dafür durchaus eine Handhabe, allerdings bedeutet das häufig auch einen Konflikt mit Geschäftsleitungen, die keine Neigung zeigen, in den Schutz der Belegschaften zu investieren. Für Gewerkschaften und Betriebsräte muss dies jedoch ein zentrales Kampffeld sein. Aufgrund ihrer sozialpartnerschaftlichen und staatstragenden Orientierung, verstehen und nutzen der DGB und die Führungen der Einzelgewerkschaften den Gesundheitsschutz nicht als ein Feld des Klassenkampfes. Sie tragen damit zur weiteren ideologischen Entwaffnung der abhängig Beschäftigten bei.

In Wohnblocks können Mieter*innen Gesundheitsinitiativen ergreifen. Kinder und Jugendliche können mit Lehrer*innen und Erzieher*innen und Eltern Konzepte für den Fortgang der überlebenswichtigen Institutionen erarbeiten.

In der Kommune und im Stadtteil können die Menschen sich darüber verständigen, wie unter Einhaltung eines optimalen Gesundheitsschutzes, Freizeit, soziales Leben und Sport wieder aufgenommen werden können.

Ganz wichtig ist, dass die Öffentlichkeit systematischer über das Seuchengeschehen informiert wird und ggf. Zustände skandalisiert werden. Alle wissenschaftlichen Erkenntnisse sollen zeitnah und verständlich und umfassend verbreitet werden. Damit würde auch der Entwicklung entgegengewirkt, dass der Unmut in der Bevölkerung über das „Corona-Management“ von Corona-Leugner*innen und der extremen Rechten ausgenutzt wird.


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Als im ersten Lockdown durchschimmerte, dass das große Rad der globalen Ausbeutung von Mensch und Natur auch plötzlich angehalten werden kann, da konnten wir erleben, „was alles möglich wird“, wenn der Markt nicht mehr alles ist. Es war ein bisschen, wie wenn große gesellschaftliche und politische Umbrüche sich vom Joch des Alten befreien: Der Lockdown wurde zu Anfang von vielen Menschen auch positiv erlebt, als große Entschleunigung, ein anderes Zeitgefühl, ein Innehalten und Wiederentdecken vernachlässigter Verhaltensweisen, eine Umkehrung von Werten (etwa: was ist „systemrelevant“?) … Dieses Fenster für einige hat sich ganz schnell wieder geschlossen, für viele haben Existenzängste alles andere überdeckt. Das Diktat der Kapitalverwertung hat sich wieder vollumfänglich durchgesetzt. Eine Alternative zum herrschenden System soll nicht als machbar erscheinen. Die Aussicht sollte aber nicht verlorengehen – für einen kurzen Augenblick hat die Utopie durchs Fenster geschaut.


IV. Gemeinsam und solidarisch gegen Corona und Kapital



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Eine grundlegende Kurskorrektur in der offiziellen Corona-Politik ist dringend erforderlich. Weil die Fallzahlen seit Monaten stagnieren, ist wieder von Lockerungen die Rede. Dabei sind weitaus aggressivere Mutationen des Virus dabei, die Oberhand zu gewinnen – mit bislang noch unabsehbaren Folgen. Wissenschaftler sagen: die Inzidenz müsse dauerhaft auf einen Wert nahe der 7-Tage- Inzidenz/10:100 000 Einwohner*innen heruntergedrückt werden, bevor man sagen kann: Das Virus hat sich ausgetobt.

Der Aufruf #Zero Covid, der von den europäischen Regierungen einen radikalen Strategiewechsel mit dem Ziel fordert, die Pandemie zu beendigen, kommt deshalb zur rechten Zeit. Zu Recht fordert er, dass das Infektionsgeschehen am Arbeitsplatz in den Mittelpunkt gerückt werden muss: Pflege- und Altenheime stehen hier nach wie vor an oberster Stelle, aber auch die Logistik und das produzierende Gewerbe. Hier ist die oberste Aufgabe, die Belegschaften und ihre Interessenvertretungen zu ermächtigen, dass sie selber sich eine Kontrolle über die Ausbreitung des Virus verschaffen und Hotspots öffentlich machen.

Die ISO unterstützt den Aufruf, insbesondere durch:


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Die folgenden Maßnahmen halten wir unmittelbar zur Bekämpfung der Pandemie notwendig:

Die Bundesregierung muss die Aufnahme der Flüchtlinge genehmigen, die sich zur Zeit in den Lagern in Griechenland und an der EU-Außengrenze in Bosnien-Herzegowina unter erbärmlichsten Bedingungen aufhalten und keine Möglichkeiten haben, sich vor der Pandemie zu schützen.


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Darüber hinaus halten wir es für notwendig, die Hebel dort anzusetzen, wo Menschen für die Bekämpfung der Ursachen der Pandemie mobilisiert werden können. Wir schlagen einen gesellschaftlichen Aktionsplan um folgende Forderungen vor:

      
Mehr dazu
Manuel Kellner: „Menschen gewinnen, die sehen, dass unsere Arbeit nützlich ist“, die internationale Nr. 3/2021 (Mai/Juni 2021) (nur online)
Die Pandemie als Teil der multiplen Krise verstehen, die internationale Nr. 3/2021 (Mai/Juni 2021) (nur online)
Einleitung zum Resolutionsentwurf „Die Pandemie als Teil der multiplen Krise verstehen“, die internationale Nr. 3/2021 (Mai/Juni 2021) (nur online)
 

Trotz der Beschränkungen: Wir müssen aktiv werden.

Gesundheits- und Arbeitsschutz in den Betrieben selbst in die Hand nehmen.

Gegen Privatisierung und Ökonomisierung konsequent vorgehen.

Bilden wir eine starke soziale Front gegen Abbau demokratischer Rechte, gegen Gewerkschaftsbekämpfung, Entlassungen und Spardiktate!

Angenommen mit 53 Ja-Stimmen, 6 Nein-Stimmen, 12 Enthaltungen



Dieser Artikel erschien in der Online-Ausgabe von die internationale Nr. 3/2021 (Mai/Juni 2021) (nur online). | Startseite | Impressum | Datenschutz