Klima

Zwei Kehrseiten einer Medaille

Anders als die Berichte des Weltklimarats IPCC vom 23. Juni 2021 und nachfolgend vom 9. August, die wegen der Dringlichkeit der dort enthaltenen Warnungen breite Beachtung fanden, werden die Berichte des Weltbiodiversitätsrates IPBES leider kaum wahrgenommen.

Ökologiekommission der NPA

So haben die Medien den ersten gemeinsamen Bericht dieser beiden Institutionen, der im Dezember 2020 gemeinsam erstellt und am 10. Juni 2021 veröffentlicht worden ist, nur beiläufig erwähnt. Dies ist umso bedauerlicher, als darin zum ersten Mal offiziell die Zusammenhänge zwischen der Klimakrise und dem drastischen Rückgang der Biodiversität offengelegt worden sind, auch wenn zahlreiche Fachleute davor schon seit Jahren gewarnt haben. Endlich wird anerkannt, dass nicht nur die Klimakrise die Biodiversität beeinträchtigt, sondern umgekehrt diese auch erhebliche Auswirkungen auf die Bekämpfung der Klimakrise hat.

Nebenbei bemerkt haben nicht nur die Medien wenig darüber berichtet, sondern auch das französische Umweltministerium scheint die Bedeutung dieses gemeinsamen Berichts nicht verstanden zu haben. Daher ist nur eine (streng vertrauliche) englische Version verfügbar und auf der Website des Ministeriums wird man sie vergeblich suchen. Weitere Informationen dazu finden sich auf der IPBES-Website: „Biodiversity and climate change“

Auch wenn sich am Anfang des Berichts der Warnhinweis befindet, dass das Dokument nicht offiziell von den beiden Gremien validiert worden sei, stellt dies seine wissenschaftliche Gültigkeit nicht in Frage. Er wurde von 60 Forscher*innen verfasst, die je zur Hälfte vom IPCC (Klimatolog*innen) und vom IPBES (Fachleute für Biodiversität) stammen. Dass er nicht „validiert“ ist, liegt daran, dass die UN-Mitgliedstaaten, die die beiden Gremien kontrollieren, ihn nicht unterzeichnet haben.

Positiv daran ist, dass an zahlreichen Stellen der wechselseitige Zusammenhang zwischen Klimakrise und Krise der Biodiversität hervorgehoben wird: Die Klimakrise beschleunigt das Artensterben und das Artensterben beschleunigt wiederum die Klimakrise und beeinträchtigt die Fähigkeit der Menschheit, diese zu kontrollieren.

Dabei kann es auch zu widersprüchlichen Maßnahmen kommen: Maßnahmen zur Eindämmung der Klimakrise mögen zunächst positiv erscheinen, verändern aber die Artenvielfalt und wären daher langfristig negativ. Ein Beispiel hierfür ist die künstliche Aufforstung – eine Sackgasse sowohl in ihrer Wirkung als CO2-Senke als auch wegen ihrer negativen Auswirkungen auf die Biodiversität. Umgekehrt gilt dies jedoch nicht: Maßnahmen, die die Artenvielfalt verbessern können, sind immer positiv für das Klima. Die Komplexität der Interaktionen und mangelnde Kenntnisse können zu übergroßem Optimismus oder Pessimismus führen. Insofern verweist der Bericht darauf, dass Vorhersagen über den Klimawandel mit sehr großen Unsicherheiten behaftet sind.

Die Zielerklärungen für den Biodiversitätsschutz für 2020 – die sog. „Aichi-Ziele“ – sind nicht umgesetzt worden und die Förderung von Naturschutzgebieten ist zwar notwendig, reicht aber nicht aus. Die Maßnahmen, die allein auf die Natur und den Erhalt der Biodiversität abzielen, sind für sich nicht ausreichend und müssen mit Maßnahmen kombiniert werden, die den CO2-Ausstoß begrenzen.

Der Bericht betont die möglichen negativen Auswirkungen bei der Herstellung von erneuerbarer Energie durch Windkraft oder Solarsysteme auf die Biodiversität, die Ineffizienz von Kompensationsmaßnahmen für den CO2-Ausstoss, die Dringlichkeit, die Entwaldung, Überdüngung und Überfischung zu stoppen und die Nachfrage nach Fleisch- und Milchprodukten zu reduzieren.

Was er jedoch sorgfältig vermeidet, ist, den Widerspruch aufzuzeigen zwischen den Zielen in Hinblick auf Klima und Artenvielfalt und der Beibehaltung des ungleichen Gesellschaftssystems. Die Frage der Atomkraft (und ihrer Gefahren für die Artenvielfalt) wird dabei völlig außer Acht gelassen, obwohl sie uns von vielen Staaten als „die“ Antwort auf die Klimakrise präsentiert wird. Zudem ist das Dokument voll von Geschwurbel und Wiederholungen, denen es an wissenschaftlicher Solidität mangelt, was zweifellos dazu führt, dass viele sich das Papier gar nicht erst durchlesen, zumal die Regierungen daraus bedacht sind, dass es nicht übersetzt und allgemein verständlich wird. Aber wahrscheinlich haben die Wissenschaftler*innen damit versucht, die staatliche Zensur zu vermeiden!


Die konkreten Aussagen


Unter den verschiedenen Ursachen für den Rückgang der Artenvielfalt (Landnutzungsänderung, intensive Ausbeutung der Ressourcen, Umweltverschmutzung, invasive Arten) steht die globale Erwärmung an erster Stelle.

Der Bericht stellt weiterhin fest, dass „sich die Lebensbedingungen selbst bei 1,5 °C so stark verändern werden, dass einige Organismen nicht mehr in der Lage sind, sich anzupassen“. Einige Ökosysteme sind stärker bedroht als andere, wie z. B. Korallenriffe, und einige Arten sind stärker gefährdet als andere, etwa diejenigen, die in der Nähe der Pole leben, wo die Auswirkungen der globalen Erwärmung drei- bis fünfmal stärker sind als auf dem Rest des Planeten.

Klimawandel führt zu Waldsterben, vermehrtem Schädlingsbefall, Zunahme von Bränden (wie in diesem Sommer an den Megabränden mitten in Europa eindrucksvoll zu sehen war) und dem Auftauen des Permafrosts, das zu einer vermehrten Zersetzung organischer Stoffe führt und die Existenz von Ökosystemen der Tundra und Moore bedroht. Zudem zur Erwärmung der Meere, was eine Verringerung des gelösten Sauerstoffs zur Folge und erhebliche Auswirkungen auf viele Meeresarten hat. Eine globale Erwärmung von 2 °C zeigt sich am Verlust von Korallenriffen durch Versauerung. In 200 Jahren haben wir mehr für das Verschwinden dieses Ökosystems getan als in den 300 Millionen Jahren davor. Und diese Riffe sind das Äquivalent auf Meeresebene zu den tropischen Wäldern.

Bei all dem wird es mehr Verlierer als Gewinner geben. Die Arten wandern nicht oder nur sehr wenig, sondern es sind die Populationen, die durch natürliche Selektion ihr Verbreitungsgebiet verändern. Und es ist sehr schwierig und langwierig, neue Territorien einzunehmen.

Natürlich gibt es Arten, die (vorübergehend!) gewinnen. Einige dehnen ihr Verbreitungsgebiet nach Norden aus, kompensieren aber nicht immer damit den Verlust von Gebieten weiter südlich. Andere überwintern weiter nördlich (wie der Weißstorch oder die Rauchschwalbe in Frankreich) oder wandern weniger weit. Einige ändern ihre Wanderroute, um der Wüstenbildung weiter südlich auszuweichen. Ein Beispiel dafür ist eine kleine europäische Vogelart, die Mönchsgrasmücke, deren Population es (in 30 Jahren!) geschafft hat, afrikanische Winterquartiere durch Gebiete in Westeuropa zu ersetzen.

Die meisten jedoch verlieren dabei. Die im Norden beheimateten Arten sind rückläufig. In den Bergen versuchen Arten wie der Apollofalter in größere Höhen auszuweichen. Eine österreichische Studie zeigt das Verschwinden von Hochgebirgspflanzen (Relikten aus der Eiszeit). In den Alpen lässt sich ein Vogel, das Alpenschneehuhn, 100 m höher beobachten als noch vor 10 Jahren. Auch zeitliche Verschiebungen bereiten Probleme, wie z. B. beim Trauerschnäpper, einem nördlichen Sperlingsvogel, der seit Tausenden von Jahren zur selben Zeit zurückkehrt, aber seine Brut nicht mehr aufziehen kann, weil die Beutetiere (Insekten) aufgrund der Erwärmung ihren Schwarmhöhepunkt um mehrere Wochen vorverlegt haben. Die Seevogelkolonien werden immer unfruchtbarer, da die Beute nach Norden gewandert ist.

Die nördliche Tundra verschwindet und mit ihr die zahlreichen Arten, die sich an sie angepasst hatten, wie der Polarfuchs, der im ungewohnten Wettstreit mit dem Rotfuchs unterliegt, der in sein Gebiet eindringt. Manche Arten fallen neuen Parasiten zum Opfer, wie z. B. Amphibien und Bienen, an die sie sich nicht rechtzeitig anpassen können.

 

Opfer des Kliamwandels: Polarfuchs

Foto: Quartl

Die Koevolution zwischen den Arten ist gestört: Mit dem Anstieg des CO2 wachsen die Pflanzen schneller, aber der für die Proteinsynthese erforderliche Stickstoffgehalt nimmt ab. Eine Folge davon ist, dass weniger Raupen wachsen, was wiederum zu einem Rückgang der Vögel führt.

Der Klimawandel beschleunigt den Verlust der Artenvielfalt, da er zu rasch fortschreitet und die Arten nicht die Zeit haben, sich an so rasche Veränderungen anzupassen.

Auf die negativen Auswirkungen des Klimawandels auf die Biodiversität wird zwar schon seit Jahren hingewiesen, aber wir erkennen erst allmählich, dass der Rückgang der Artenvielfalt wiederum negative Auswirkungen auf das Klima hat.

Diese Erkenntnis hat die Autor*innen des gemeinsamen Berichts von IPBES und IPCC dazu veranlasst, hervorzuheben, wie wichtig es ist, die Zerstörung der CO2-speichernden Ökosysteme zu stoppen, insbesondere „der Wälder, Feuchtgebiete, Torfmoore, Weiden, Savannen, Mangroven und tiefen Gewässer“. Sie schätzen, dass die Verringerung der Entwaldung die weltweiten anthropogenen CO2-Emissionen um 10 % reduzieren könnte. Sie weisen auch darauf hin, wie wichtig die Wiederherstellung der geschädigten Ökosysteme ist, als „eine der billigsten und am einfachsten umzusetzenden Lösungen“. Damit könnten „wieder Lebensräume für Tiere und Pflanzen geschaffen, die Überschwemmungen eingedämmt, die Bodenerosion begrenzt und die Bestäubung ermöglicht werden“.

Die Autor*innen stellen fest, dass eine tiefgreifende Reform der Landwirtschaft durch eine Umstellung auf ökologische Land- und Forstwirtschaft mit einer Diversifizierung der Pflanzen- und Baumarten dringend erforderlich ist, um sowohl den Klimawandel als auch die Erosion der Artenvielfalt zu bekämpfen. Sie wenden sich gegen die Anpflanzung exotischer Baumarten, die als Rettung für das Klima präsentiert werden, obwohl sie empfindlicher auf den Klimawandel und die Schädlinge reagieren und sich äußerst negativ auf die Artenvielfalt auswirken.

Sie kritisieren die Bioenergie als Sackgasse, die bei gleichbleibendem Energieverbrauch die Biodiversität opfert und Flächen zu Lasten des Nahrungsmittelbedarfs der Bevölkerung umwidmet.


Was folgt daraus?


Der Erhalt der Artenvielfalt ist eines der besten Mittel, damit wir besser auf die globale Klimaerwärmung reagieren können. Denn dabei muss bedacht werden, dass die natürliche Umwelt 50 bis 60 % der von der Menschheit erzeugten Treibhausgase absorbiert. Das beste System zur CO2-Speicherung ist die Biodiversität und nicht die technologischen Wahnvorstellungen einer künstlichen CO2-Abscheidung, die von Zauberlehrlingen angepriesen werden, die vor allem von den damit verbundenen Profiten träumen.

Es ist ein Teufelskreis: „Die globale Erwärmung führt zum Verlust der Artenvielfalt, was wiederum die globale Erwärmung verschärft.“ Dies schränkt die Möglichkeiten des Menschen ein, sich gegen deren Auswirkungen zu wehren (siehe das Verschwinden der Mangroven und die Funktion der Korallen beim natürlichen Schutz der Küsten vor Stürmen).

Wir müssen auch den Verlust der Waldflächen berücksichtigen: Es sind nur noch 54 % des prähistorischen Niveaus seit der Jungsteinzeit erhalten.

Notabene hat der Verlust der Artenvielfalt erhebliche Auswirkungen auf die Anpassungsfähigkeit der menschlichen Bevölkerung. Das Instrumentarium, das der Menschheit zur Verfügung steht, um zu reagieren, wird immer kleiner. Jüngste wissenschaftliche Arbeiten weisen auf einen Zusammenhang zwischen dem Verlust der Artenvielfalt und der Beeinträchtigung ökologischer Maßnahmen (Biomasseproduktion, Kompostierungs-/Recyclingkapazität) hin. Für die Menschen wichtig sind die Auswirkungen auf die Ernteerträge, die Holzproduktion, die Resistenz gegen Krankheitserreger in der Landwirtschaft, die biologische Schädlingsbekämpfung durch natürliche Feinde und die natürliche Bestäubung. Bekanntlich beruhen 50 % der Weltwirtschaft auf funktionierenden Ökosystemen. Es sind sogar 100 %, wenn man die Chemie der Atmosphäre, den Kohlenstoff- und Wasserkreislauf, den Nährstoffkreislauf und die Bodenbildung hinzurechnet.

Aber der Verlust der Biodiversität führt auch zum Verlust der Anpassungsfähigkeit und möglichen Optionen. Eine ausgestorbene Spezies, die dank der Interaktion mit anderen existierte, könnte der Schlüssel zum Überleben der menschlichen Spezies angesichts der gravierenden Veränderungen in der Biosphäre (ob vom Menschen verursacht oder nicht) sein. Neuere Arbeiten zeigen, dass ein enger Zusammenhang zwischen der Anzahl der Pflanzenarten, der Produktivität und der Nachhaltigkeit des Ökosystems und seiner Fähigkeit zur Erholung besteht.

Die Krise der Artenvielfalt und die Klimakrise liefern den Rahmen für unser Leben. Zugleich ist es aber auch eine Gelegenheit, die Menschheit für ein anderes Gesellschaftssystem einzunehmen. Früher war der Gedanke an eine andere Gesellschaft mit der Hoffnung auf ein besseres Leben für die Mehrheit der Menschen verbunden. Heute ist eine andere Gesellschaft die einzige Möglichkeit für uns alle, um überleben zu können.

      
Mehr dazu
Daniel Tanuro: COP26: Eine neoliberale Verherrlichung, die internationale Nr. 1/2022 (Januar/Februar 2022) (Online-Vorabdruck)
Daniel Tanuro: COP26: Genug Blablabla, nur Kämpfen lohnt sich, die internationale Nr. 6/2021 (November/Dezember 2021) (nur online)
 

Aber ist es vielleicht schon zu spät und wir sollten uns besser in Demut üben? Unser Glück ist, dass wir eigentlich recht wenig wissen! Wir sind immer wieder überrascht, wie sich Arten weiterentwickeln und Ökosysteme erholen können. Die Artenvielfalt von morgen wird anders aussehen, aber wenn wir schnell handeln, kann sie sich wieder erholen. Was das Klima betrifft, so ist es komplexer, weil es hier Verzögerungseffekte gibt (die besser dokumentiert sind als bei den sehr komplexen Ökosystemen). Aber wir wissen nicht alles über die erheblichen Wechselwirkungen zwischen der Artenvielfalt und den physikalisch-chemischen Systemen, die das Klima bestimmen. Sicher hingegen ist, dass die Eindämmung der Krise der Biodiversität ein patenter Hebel zur Eindämmung der Klimakrise wäre. Wir können die Klimakrise nicht allein aufhalten. Wir brauchen Verbündete – eben die anderen Arten, die genauso gefährdet sind wie wir und die bereits reagieren, um mit der Klimakrise fertig zu werden.

Kein Forscherteam ist heute dazu in der Lage, einen Point of no Return für die Menschheit zu prognostizieren. Wir haben also keine 10 oder 12 Jahre Zeit, um zu handeln, wie wir allzu oft in der Presse lesen. Wir haben keine Sekunde zu verlieren, um in unserem Alltag zu reagieren, in unserem Verhalten und indem wir die politisch und wirtschaftlich Mächtigen stürzen. Je früher wir handeln, desto besser stehen unsere Chancen, die Krise der Artenvielfalt und die Klimakrise zu stoppen.

Der Klimawandel und der Verlust der Artenvielfalt müssen gemeinsam bekämpft werden. Beide nehmen zu und ihre Auswirkungen sind kumulativ. Da sie einige Ursachen gemein haben, hängt unsere Fähigkeit zur Eindämmung und Anpassung von beiden ab.

Wer die Klimakrise aufhalten will, muss die Artenvielfalt erhalten. Maßnahmen zur deren Erhaltung bedeuten zugleich, die Klimakrise einzudämmen oder zumindest besser zu bewältigen.

Vielleicht sollten wir daran erinnern, dass der erste IPBES-Bericht von 2019 besagt, dass der Wandel nur möglich ist „wenn die wirtschaftlichen, sozialen, politischen und technologischen Gegebenheiten transformiert werden“. Darin werden „grundlegende Reformen der globalen Finanz- und Wirtschaftssysteme“ zugunsten einer „nachhaltigen Wirtschaft“ gefordert. Die konkreten Adressaten waren die industrielle Landwirtschaft und Fischerei, die Forstwirtschaft und der Bergbau. Kurz gesagt: der Kapitalismus.

Übersetzung: MiWe

Aus l’anticapitaliste la revue 129 vom Oktober 2021



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