COP26 eröffnet den kapitalistischen Brandstiftern den globalen Markt zum Zündeln. Den Schaden hat die Bevölkerung.
Daniel Tanuro
Die Konferenz von Glasgow (COP26) hätte folgende Prioritäten haben müssen:
die Zusage der „entwickelten“ Länder zu konkretisieren, ab 2020 mindestens 100 Milliarden Dollar pro Jahr zum Grünen Klimafonds beizutragen, um dem Globalen Süden bei der Bewältigung der Klimafolgen zu helfen; [1]
diese Länder zu zwingen, die finanziellen Mittel aufzubringen, um die enormen „Verluste und Schäden“, die durch die Erwärmung verursacht werden, zu decken, insbesondere in den „am wenigsten entwickelten Ländern“ und den kleinen Inselstaaten;
„die Klimaziele der Regierungen zu verschärfen“, um das von der COP21 (Paris 2015) beschlossene Ziel zu erreichen: „den Temperaturanstieg im Vergleich zur vorindustriellen Zeit weit unter 2 °C zu halten und gleichzeitig die Anstrengungen fortzusetzen, um 1,5 °C nicht zu überschreiten“.
Die Ergebnisse sind eindeutig: Auf dem Papier präzisiert Glasgow das widersprüchliche Ziel von Paris, indem es dieses verschärft (1,5 °C ist jetzt das Ziel), und verweist auf die Verantwortung fossiler Brennstoffe; aber in der Praxis hat sich die Konferenz nichts einfallen lassen, um die Katastrophe zu stoppen. „Ein Schritt in die richtige Richtung“, sagten einige. Das Gegenteil ist der Fall: Ganz benebelt von der neoliberalen Wiederbelebung nach Covid und ihren geostrategischen Rivalitäten haben die Herren der Welt entschieden:
die Zusage von 100 Milliarden für den Grünen Klimafonds zu verschieben; den Ausgleich von „Verlusten und Schäden“ abzulehnen;
den fossilen Brennstoffen fast vollständig freien Raum zu lassen;
die Klimastabilisierung als Markt für „CO2-Kompensationen“ und Technologien zu betrachten;
diesen Markt mit einem globalen Mechanismus für den Austausch von „Verschmutzungsrechten“ auszustatten;
last but not least, die Verwaltung dieses Marktes der Finanzwelt anzuvertrauen, also den Reichen … deren Investitionen und Lebensweise die wesentliche Ursache der globalen Erwärmung sind.
Der IPCC-Sonderbericht zu 1,5 °C (2019) hat die unabdingbare Notwendigkeit aufgezeigt, unter 1,5 °C zu bleiben. Die Gefahren der Erwärmung waren unterschätzt worden. Bei mehr als 1,5 °C drohen Kaskaden positiver Rückkopplungen, die die Erde in einen „Backofenplaneten“ verwandeln würden. [2] Dies hätte verheerende Folgen (unter anderem einen Anstieg des Meeresspiegels um 13 Meter oder mehr). Nun ist aber die durchschnittliche Oberflächentemperatur im Vergleich zur vorindustriellen Zeit bereits um 1,1 bis 1,2 °C gestiegen. Beim gegenwärtigen Tempo wird die 1,5°C-Grenze gegen 2030 überschritten … Fazit: Die globalen „Netto-Emissionen“ von CO2 müssen bis 2030 um mindestens 50 % und bis 2050 um 100 % sinken und in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts negativ werden.
Dieser Bericht schlug wie eine Bombe ein. Die führenden Kreise der Kapitalistenklasse können nicht mehr den Kopf in den Sand stecken. Auch die mit geringem Verstand müssen zugeben, dass die Erwärmung so weit gehen kann, dass sie ihr System gefährdet. Vor diesem Hintergrund konnte sogar eine von Neoliberalen wie Boris Johnson getragene kapitalistische Politik, die behauptet, „sich auf die beste Wissenschaft zu stützen“, die Widersprüchlichkeit des Pariser Abkommens nicht glaubwürdig aufrechterhalten … Der Vorschlag des britischen COP26-Präsidiums, die 1,5°C-Grenze zum alleinigen Ziel zu machen, wurde von der Konferenz angenommen.
Der Weltklimarat (IPCC) ist ganz deutlich: Die Verbrennung fossiler Energieträger spielt eine Schlüsselrolle bei der globalen Erwärmung. Deshalb war die Schockwelle des 1,5°C-Berichts auch bei der Internationalen Energieagentur (IAE) zu spüren. 2021 veröffentlichte sie einen Bericht, der klar sagt, dass für die „CO2-Neutralität“ im Jahr 2050 sehr kurzfristig drastische Maßnahmenerforderlich sind: ab 2021 ein Verbot der Weiterentwicklung neuer Öl- und Gasfelder, der Eröffnung neuer Kohlebergwerke, des Ausbaus bestehender Kohlebergwerke und der Genehmigung des Baus neuer Kohlekraftwerke; Verzicht auf Kohlenutzung ab 2030 in „entwickelten“ Volkswirtschaften und Stilllegung aller Kohle- und Brennstoffkraftwerke ab 2040 weltweit … [3]
Auch dieser Bericht schlug wie eine Bombe ein. Die Agentur hatte immer die Vision eines sehr allmählichen „Übergangs“ entwickelt. Hier plädierte sie plötzlich für eine radikale Wende in Richtung eines „grünen Kapitalismus“, der um erneuerbare Energien organisiert ist. So wie er die Widersprüchlichkeit von Paris nicht aufrechterhalten konnte, konnte der Glasgower Gipfel auch die Verantwortung der fossilen Energien nicht länger bestreiten. Auf Druck des Energiesektors und der Hauptnutzer hatten alle COPs seit 1992 das Thema gemieden! Dieses Schweigen war nicht mehr länger aufrechtzuerhalten. Die britische Präsidentschaft hat den Delegierten einen Erklärungsentwurf vorgelegt, in dem alle Seiten aufgefordert werden, „den Kohleausstieg und das Ende der Subventionen für fossile Energien zu beschleunigen“. Wir zeigen später, wie dieser Text neutralisiert wurde, aber die Erwähnung der fossilen Energien blieb in der endgültigen Fassung erhalten.
Im Pariser Abkommen klafft eine große Lücke zwischen dem Ziel („den Temperaturanstieg deutlich unter … zu halten“) und den nationalen Klimaplänen oder „national festgelegten Beiträgen“ (NDC). Auf Basis dieser NDC prognostizierte das IPCC einen Temperaturanstieg von etwa 3,5 °C im Jahr 2100. Um die Lücke (zwischen dem erklärten Ziel und den dafür beschlossenen Mitteln) zu schließen, hatte die COP21 das Prinzip einer Überprüfung alle fünf Jahre angenommen, um „die nationalen Zielsetzungen (NDC) zu verschärfen“.
Im September 2020 wurde die zu schließende Lücke zur Reduktion aller Gase auf 23 bis 27 Gt CO2-Äquivalente geschätzt. [4] Sie muss vor 2030 geschlossen werden, um unter 1,5 °C zu bleiben. Deshalb müssen wir die weltweiten Emissionen halbieren. Da der Gipfel 2020 abgesagt wurde (Pandemie), beschließen die Regierungen, mit Blick auf Glasgow eine neue Anstrengung zu unternehmen, die „Zielsetzungen zu verschärfen“. Ergebnis: eine zusätzliche Reduzierung um 3,3-4,7 Gt. Das sind kaum 15 bis 17 % des Erforderlichen … Auf dieser Grundlage prognostiziert das Wissenschaftsnetzwerk „Climate Action Tracker“ eine Erwärmung von +2,4 °C (Bandbreite: von +1,9 bis +3 °C). [5]
Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), überbrachte der COP die zehn Kernbotschaften des aktuellen Stands der Wissenschaft. Die erste ist, dass allein die globalen CO2-Emissionen bis 2030 jedes Jahr um 2 Gigatonnen pro Jahr (5 %) sinken müssen, um eine Chance von eins zu zwei zu haben, und um 4 Gt/y (10 %), um eine Zwei-Drittel-Chance zu haben, um unter 1,5 °C zu bleiben. Eine ähnliche Reduktion ist für Methan und Lachgas erforderlich. Dies ist natürlich bei einer fünfjährigen Überprüfungsrate der NDC nicht zu erwarten. Glasgow beschließt daher, auf jährlichen Rhythmus umzustellen. Aus der Ferne betrachtet scheint dies wenigstens eine geringe Erfolgsaussicht zu bieten. Aus der Nähe betrachtet ist es aber eine Illusion.
Erstens: Die Klimagerechtigkeit muss berücksichtigt werden. Die Reduzierungen um 5 % oder 10 % sind globale Ziele, die angepasst werden müssen, um den „differenzierten Verantwortlichkeiten“ der Länder Rechnung zu tragen. Rockström präsentierte die neueste Einschätzung in diesem Bereich: Das reichste Prozent der Weltbevölkerung muss seine Emissionen durch dreißig teilen, die ärmsten 50 % können sie mit drei multiplizieren. Dort sehen wir sehr deutlich, dass das Klima eine Klassenfrage ist, ein großes Thema im Konflikt zwischen der besitzenden Minderheit und der besitzlosen Mehrheit.
Zweitens: Eine Reduktion von 2 oder 4 Gt/y mag mathematisch linear sein, in wirtschaftlicher, sozialer und politischer Hinsicht ist sie jedoch keineswegs linear. Je mehr man erklärt, die Emissionen reduzieren zu wollen (oder es zu versuchen) und je kürzer der Zeitrahmen ist, desto mehr kollidiert die Emissionsreduzierung mit den kapitalistischen Erfordernissen des Wachstums und des Profits. Das ist sehr konkret: Im Energiesektor bremst das Kapitalseine Investitionen im fossilen Bereich, um das Ausmaß an „stranded assets“ (verlorene Aktiva) zu begrenzen. Da fossile Energien mehr als 80 % des Bedarfs decken, wird auf die Spitze der Energieproduktion wahrscheinlich eine Spitze der Nachfrage folgen. In der Zwischenzeit steigen die Preise. [6] Das ist gut für Unternehmen mit fossilen Energien, aber es heizt die Inflation an, vereitelt die Wiederbelebung nach der Covid-Pandemie und belastet die einfache Bevölkerung schwer. Diese kann kämpfen oder den Rechtspopulisten ihre Stimme geben. Beide Optionen beeinträchtigen die Stabilität. Um die Preise zu senken und Engpässe zu vermeiden, wäre eine Wiederankurbelung der fossilen Produktion erforderlich. China hat dies bei der Kohle getan, und Biden hat Saudi-Arabien und Russland (ohne Erfolg) gebeten, es beim Öl zu tun. Aber die Wiederankurbelung der Produktion fossiler Energien bedeutet einen Wiederanstieg der Emissionen … Es ist die Quadratur des Kreises.
COP21 Foto: UNclimatechange |
China und die USA haben auf der COP eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht. Sie wird nichts nützen, um aus dieser Sackgasse herauszukommen. Sie soll vor allem Eindruck schinden. Die beiden Großmächte haben ein Interesse daran, gemeinsam als Garanten für die Stabilität der Welt und ihres Klimas aufzutreten. Vielleicht versuchen sie, bei einem Teilaspekt der Klimapolitik (den Methanemissionen?) zusammenzuarbeiten. Aber die zugrunde liegenden Spannungen sind sehr stark und tendieren dazu, die Konflikte zu vertiefen. In den USA hängt die demokratische Mehrheit an einem seidenen Faden: an Manchin, einem treuen Freund der Kohle. [7] Die Republikaner haben die Gouverneurswahl in Virginia gewonnen, hoffen, die Zwischenwahlen zu gewinnen, und führen eine Kampagne gegen steigende Kraftstoffpreise. Ihr Sieg würde vieles ändern! In China hängt die Stabilität der Bürokratie vom Fortschritt des durchschnittlichen Lebensstandards einerseits und von der nationalistischen Begeisterung andererseits ab. Die Wiederbelebung der Kohleförderung verhindert nicht den Anstieg der Ölpreise. Es gibt viele Gründe dafür, dass Peking sich weiter auf sich selbst zurückzieht, wobei es seine Pläne zur Rückgewinnung Taiwans beschleunigt. All dies bewirkt eine instabile Lage.
Wie immer wir das Problem wenden, stoßen wir auf die Unmöglichkeit der kapitalistischen Energiewende: Man kann nicht gleichzeitig eine zu 80 % fossile Wachstumswirtschaft wiederbeleben, fossile durch erneuerbare Energien ersetzen und die Emissionen kurzfristig drastisch reduzieren. Das ist physikalisch unmöglich. Entweder wird die Produktion reduziert, um die Wende erfolgreich zu gestalten, oder man opfert die Wende dem Wachstum des BIP. Denn: „Ein Kapitalismus ohne Wachstum ist ein Widerspruch in sich.“ (Schumpeter) Fazit: Der Widerspruch ist unlösbar, außer durch eine revolutionäre Systemveränderung. Solange diese historische Möglichkeit nicht zu einer konkreten Möglichkeit wird, wird sich dieser Widerspruch zunehmend belastend auf die Versuche der Emissionsreduktion auswirken.
Jeder Kapitalist versucht, die Anstrengungen auf seine Konkurrenten und auf die Arbeiter*innen abzuwälzen. Jede Kapitalistenklasse nutzt ihren Staat, um diese Bemühungen auf rivalisierende Staaten und die einfache Bevölkerung abzuladen. Und die am stärksten umweltverschmutzenden Staaten sind die imperialistischen Staaten, die die ärmsten beherrschen. Folglich wird sich die Öko-/Klimakrise mit ernsthaften wirtschaftlichen, sozialen und politischen (auch militärischen) Erschütterungen verbinden, und zwar um folgende Achsen: 1) Vertiefung der sozialen Spannungen, die zu einer verschärften Legitimitätskrise der Herrschenden, zu politischer Instabilität und zu einer verstärkten Tendenz in Richtung Autoritarismus führt; 2) neokoloniale Politik der zunehmenden Brutalität gegenüber den Völkern des Südens, vor allem gegen Migrant*innen und insbesondere Frauen; 3) verschärfte Rivalität zwischen Kapitalisten und zwischen kapitalistischen Staaten; und insbesondere 4) wachsende geostrategische Spannungen zwischen den USA und China. Zu glauben, dass ein solcher Kontext für eine jährliche Verschärfung der Klimaabkommen förderlich wäre, um der Herausforderung gerecht zu werden, heißt an den Weihnachtsmann zu glauben.
Dieser Punkt ist wichtig: Es gibt keine strukturelle Lösung ohne eine weltweite Verringerung von Produktion, Konsum und Verkehr unter Achtung der sozialen Gerechtigkeit. Es gilt unbedingt, „weniger zu produzieren, weniger zu transportieren, weniger zu konsumieren und mehr zu teilen“ sowie Wohlstand und notwendige Arbeitszeit zu teilen. [8] Eine kapitalistische Regulierungspolitik mit einer stärkeren Rolle des Staates ist daher keine Alternative zur Krise. Gleichzeitig könnte sie die Schwierigkeiten mindern. Aber hier gibt es einen zweiten Widerspruch: Das Kapital will diese Politik nicht.
Ein Beispiel für eine wirksame Regulierung lieferte das Montrealer Protokoll zum Schutz der Ozonschicht. 1987 unterzeichnet und zwei Jahre später in Kraft getreten, organisierte es das Ende der Produktion und Verwendung von FCKW (Fluorchlorkohlenwasserstoffen), verabschiedete einen Zeitplan und schuf einen (von den reichen Ländern bereitgestellten) globalen Fonds zur Unterstützung des Südens. [9] Zwanzig Jahre später waren die Emissionen um rund 80 % gesunken, und die Weltorganisation für Meteorologie stellte fest, dass der Wiederaufbau der Ozonschicht in der Stratosphäre klar erkennbar begonnen hat.
Dieser Präzedenzfall könnte Vorbild für eine entsprechende Politik im Klimabereich sein. Zumal es sozusagen einen Präzedenzfall im Präzedenzfall gibt: 1996 in Kigali hatten die Vertragsparteien des Ozonprotokolls beschlossen, auch H-FKW (teilhalogenierte Fluorkohlenwasserstoffe) zu eliminieren. Nach Montreal hatten diese H-FKW die FCKW ersetzt. Sie zerstören die Ozonschicht nicht, haben aber wie FCKW einen mehr als tausendmal höheren Strahlungsantrieb [10] als CO2. Die erhöhten H-FKW-Emissionen drohten, den Klimavorteil, der eine indirekte Auswirkung des Ozonschichtprotokolls war, zunichtezumachen. Mit der Entscheidung, die Nutzung von H-FKW zu beenden, machten die Regierungen die Erholung der Ozonschicht mit dem Kampf gegen den Klimawandel vereinbar. Die Auswirkungen auf die globale Erwärmung sind nicht riesig: Bis 2050 wird Kigali die Treibhausgasemissionen im Vergleich zu den Prognosen um 90 Gt CO2eq reduziert haben, was den Emissionen von zwei Jahren entspricht. Aber zwei Jahre sind wichtig, wenn sich jedes Jahr die Wahrscheinlichkeit erhöht, von einer Katastrophe in einen Kataklysmus zu kippen. [11]
Mit der gleichen Methode könnte man die Methanemissionen schnell reduzieren. Der Treibhauseffekt dieses Gases ist viel stärker als der von CO2 [12] und wir emittieren immer mehr davon. Die Reduzierung der Emissionen aus Ökosystemen, Landwirtschaft (insbesondere Reisfeldern) und Viehzucht lässt sich nicht mit einem Federstrich lösen. Aber das Verhindern von Leckagen aus Gasnetz, Ölquellen und Kohlebergwerken ist relativ einfach, erfordert keine strukturellen Änderungen an den Produktionsanlagen und könnte die Erwärmung um 0,5 °C im Vergleich zu den Projektionen reduzieren. Ein technologischer Durchbruch ist nicht erforderlich; es müssten lediglich die Unternehmen zu den notwendigen Investitionen gezwungen werden. Doch genau hier drückt der Schuh: Man darf Kapitalisten nicht zwingen, man kann sie nur durch Marktmechanismen ermuntern. Diese neoliberale Lehrmeinung ist im Pariser Abkommen verankert. Wir werden sehen, dass Glasgow mehr denn je ausschließt, davon abzuweichen.
In der Presse wurde viel über ein „Methan-Abkommen“ gesprochen. Auf der COP versprachen mehr als 100 Länder, ihre Emissionen bis 2030 um 30 % zu reduzieren. Wäre dies der Fall, würde die Erwärmung im Jahr 2050 im Vergleich zu den Projektionen um 0,2 °C geringer ausfallen (weniger als die Hälfte des Potenzials …). Aber das ist nur eine Absichtserklärung. Es gibt keine Quoten pro Land, keine Finanzierungsfonds für die Länder des Südens, keine Sanktionen bei Nichteinhaltung … Die USA, die EU und Kanada scheinen bereit zu sein, zu handeln, das ist wahr, und wir verstehen warum: Abgesehen von den Trumps beginnen die kapitalistischen Führungskräfte in Panik zu geraten. Die Begrenzung von Methan ist ein ziemlich einfaches Mittel. Aber bis dahin fließt noch viel Wasser den Rhein hinunter: China und Russland haben den Glasgower Text nicht unterzeichnet. Wir verstehen auch warum: Sie sind zwei große Emittenten. Ihre Abwesenheit wird offensichtlich als Vorwand für Kapitalisten in anderen Ländern dienen, um Widerstand zu leisten. Infolgedessen ist es zweifelhaft, dass ihnen irgendetwas aufgezwungen wird. Stattdessen wird man mit Anreizen und Steuern operieren, in der Hoffnung, dass die Investitionskosten unter den Preis des eingesparten Gases sinken werden. Die einfache Bevölkerung wird die Rechnung bezahlen.
Bei der Entwaldung gibt es das gleiche Dilemma. Dies wäre eine weitere Möglichkeit, einen Teil der seit Rio (1992) verschwendeten Zeit zurückzugewinnen, ohne die Struktur des Produktionsapparats zu beeinträchtigen. In Glasgow verpflichteten sich 131 Länder, 12 Milliarden US-Dollar in ein Global Forest Finance Pledge (Globale Finanzierung des Schutzes der Wälder, GFFP) zu investieren. Ziel: Bis 2030 „den Waldverlust stoppen und umkehren“. Diese Zusage sieht aus wie zwei Wassertropfen gegenüber dem einen Tropfen, der 2014 in New York vereinbart wurde: Ende der Entwaldung im Jahr 2030, 50 % Reduktion im Jahr 2020. In den Jahren 2015–2017 stiegen die Entwaldungsraten um 41 %! Einige freuen sich, weil das GFFP von Brasilien und Russland unterzeichnet wurde und so mehr als 90 % der Wälder der Erde betroffen sind. Aber das ist keine Garantie für Wirksamkeit. Vor allem auch nicht für Gerechtigkeit für die indigenen Völker (deren Rechte und Verdienste im GFFP nachdrücklich anerkannt werden – aber nur in Worten).
In Bezug auf die Wirksamkeit ist zu beachten, dass der Ausdruck „Waldverlust stoppen und umkehren“ (to halt and reverse forest loss) nicht so eindeutig ist, wie er klingt. Für einige ist das Abholzen eines Waldes kein „Waldverlust“, wenn das Grundstück später nicht für andere Wirtschaftszweige genutzt wird. Seltsame Dialektik: Man kann einen Wald ohne „Waldverlust“ abholzen, wenn er in industrieller Monokultur „CO2-Gutschriften“, Pellets, Holzkohle oder Palmöl produzieren soll. Das ist Indonesiens Interpretation. Hier befindet sich eines der drei großen Tropenwaldgebiete. Dieses wird nach und nach abgeholzt, um Palmen zu pflanzen. Es gab ein Moratorium, aber zwei Monate vor der COP weigerte sich Jakarta, es zu verlängern. Die indonesische Vertreterin in Glasgow unterschrieb „Waldverlust stoppen“ und sagte dann folgendes: „Indonesien zu zwingen, bis 2030 einen Stopp der Entwaldung zu erreichen, ist eindeutig unangemessen und unfair“, denn „die Entwicklung darf nicht im Namen von CO2-Emissionen oder Entwaldung gestoppt werden“. Waldverlust stoppen, ja – Entwaldung stoppen, nein … Wenn es um indigene Völker geht, spricht der Fall Brasilien für sich: Müssen wir wirklich erklären, warum die Unterzeichnung des GFFP durch den Faschisten Bolsonaro, der dem Amazonas-Regenwald und den dort lebenden Völkern den Krieg erklärte, absolut unglaubwürdig ist? [13]
Der Himmel der COP war gespickt mit Vereinbarungen dieser Art: zum Ausstieg aus der Kohle, zu Elektroautos, zum Stopp von ausländischen Investitionen in fossile Energieträger oder zum Stopp von Investitionen in fossile Energieträger auf nationalem Territorium. Einige Länder haben sogar stolz ihre Absicht angekündigt, ihre Verteidigung grüner zu machen, um „ihren ökologischen Fußabdruck, insbesondere im Energiebereich, zu verringern“. Manchmal ist es schade, dass Lächerlichkeit nicht tötet – anders als Armeen.
All diese „Vereinbarungen“ sind leere Versprechungen. Ohne verbindlichen Charakter, ohne konkrete Maßnahmen, ohne Zusagen Land für Land, ohne Sanktionen bei Nichteinhaltung. Wozu dienen sie? Ein Teil der Antwort ist, dass Regierungen das Rampenlicht der COP nutzen, um sich selbst ein grünes Image zu geben und ihre öffentliche Meinung zu erfreuen, ohne die Interessen der Kapitalisten zu beeinträchtigen … [14] Aber das weist auf eine tiefere Erklärung hin: Leere Versprechungen entsprechen der neoliberalen Ideologie, die letztlich nur einen Entscheidungsträger kennt: den Markt, also den Profit, also eine Minderheit von Aktionären.
Vancouver, 27.09.2019 Foto: Chris Yakimov |
Die Schwierigkeiten der Verabschiedung des Glasgower Abkommens über Kohle und andere fossile Energien sind sehr aufschlussreich. Erste Version (inspiriert vom IEA-Bericht!): Die COP „fordert die Parteien auf, den Kohleausstieg und das Ende der Subventionen für fossile Brennstoffe zu beschleunigen“. Völlig unerträglicher Gestank staatlicher Zwänge … Zweite Version: Die COP „ruft die Parteien auf, die Entwicklung, den Einsatz und die Verbreitung von Technologien sowie die Annahme von Strategien für den Übergang zu CO2-armen Energiesystemen zu beschleunigen, unter anderem durch Erhöhung des Anteils der sauberen Stromerzeugung und Beschleunigung des Ausstiegs aus der Stromerzeugung aus ungeminderter Kohle [15] sowie den Ausstieg aus ineffizienten Subventionen für fossile Brennstoffe“ (eigene Übersetzung). Die Luft wird atembar, aber es wird immer noch von einem „Ausstieg“ aus der Kohle und einem „Ausstieg“ aus den Subventionen für fossile Energien gesprochen. Dritte Version: Nach einer Intervention der indischen Delegation während der Ratifizierungssitzung des Textes wird „durch Beschleunigung des Ausstiegs“ ersetzt durch „durch Beschleunigung der Bemühungen um eine Reduzierung“.
Die Rolle der Modi-Regierung muss verurteilt werden. Aber es ist offensichtlich, dass Indien nicht nur für die gesamte Kohlewelt, sondern auch für die gesamte fossile Welt gehandelt hat, [16] und mit der Unterstützung aller kapitalistischen Haudegen der globalen Marktwirtschaft. Sie waren auf der COP sehr zahlreich vertreten, um sicherzustellen, dass sich die Konferenz, wie ein bedeutender finnischer Unternehmer sagte, „auf grünes Wachstum statt auf Regulierung, Begrenzung und Besteuerung konzentriert“. [17]
Technisch gesehen ist der Artikel über fossile Energien nicht sehr präzise. „Emissionsminderung“ ist ein vager Begriff. Laut OECD „bezieht sich die Minderung auf eine angewandte Technologie oder eine getroffene Maßnahme zur Verringerung der Verschmutzung und/oder ihrer Auswirkungen auf die Umwelt“. Laut G7 bezieht sich „Stromerzeugung aus ungeminderter Kohle auf die Verwendung von Kohle, die nicht durch Technologien zur Reduzierung der CO2-Emissionen, wie z. B. CO2-Abscheidung mit -Verwendung und -Speicherung, gemindert (sic!) ist“. [18] Diese Definitionen können Kapitalisten größere Möglichkeiten eröffnen, da die geologische Speicherung von CO2 (CCS) sehr teuer ist. Einerseits Abscheidung und -Verwendung (CCU), bei der CO2 aus fossilen Kraftwerken in anderen Industrien zur Herstellung von Gütern verwendet wird. Wo das Gas dann irgendwann entweicht … manchmal sehr schnell (z. B. bei Sprudelgetränken). Andererseits wenn die Regierungen die Aufnahme von CO2 durch Wälder als Emissionsreduktion betrachten (wir werden später sehen, dass die USA und die EU genau diese Verknüpfung machen!), dann könnte die Reduzierung einfach darin bestehen, … Bäume zu pflanzen.
Politisch ist die Botschaft jedoch klar. Im Wesentlichen sagen die Energiemagnaten den Regierungen und den Menschen:
Hören Sie auf, vom Ausstieg aus fossilen Energien zu träumen; was zählt, ist die Entwicklung „grüner“ Technologien;
Beteiligen Sie sich nicht daran, uns zu hindern, unsere Kohlebergwerke auszubeuten und neue zu eröffnen; wir sind bereits sehr gut darin, Systeme zur Reduzierung der CO2-Emissionen anzunehmen;
Beteiligen Sie sich nicht daran, uns einen Mindestanteil der zu „reduzierenden“ Emissionen oder eine bestimmte Reduktionsmethode vorzuschreiben;
Wenn Sie fossile Subventionen wirklich abbauen wollen, streichen Sie „ineffiziente“ Subventionen, die nicht zur Erzeugung von Mehrwert beitragen. [19]
Dies ist die Botschaft, die „unsere“ Regierungen in Glasgow ratifiziert haben, ohne dass sie zu ihrem endgültigen Inhalt konsultiert wurden. Das ist ein echter Gewaltstreich der Fossilkräfte.
Die souveräne Macht des Marktes – also des Profits, also der Aktionäre – drückt sich nicht nur in den „Vereinbarungen“ aus, sondern auch im Ansturm der Regierungen auf das Ziel der „CO2-Neutralität im Jahr 2050“ („Netto-Null-Emission“). Europäische Union, USA, Südafrika, Brasilien, Russland, Japan, Saudi-Arabien …: Alle gingen mit ihrer jeweiligen „Strategie“ dorthin. Je näher Glasgow rückte, desto mehr Versprechungen von „Netto-Null-Emission im Jahr 2050“ tauchten auf … und immer mehr dieser Zusagen ersetzten im Grunde kurzfristige Emissionsreduktionen durch hypothetische langfristige Kohlenstoffabsorptionen. Während sie laut schrien, dass sie „CO2-Neutralität“ für 2050 anstreben, [20] gaben einige Regierungen unveränderte Klimaziele (NDC) oder sogar niedrigere als 2015 an! [21] Alles ist gut, um vom Thema abzulenken.
Die Vereinigung Climate Action Tracker (CAT) hat hier Klarheit geschaffen, indem sie näher auf die tatsächlich durchgeführten Klimapolitiken, die Anpassungen der NDC, die Zusagen auf der COP und die Strategien zur „CO2-Neutralität 2050“ eingeht. [22] Am Anfang dieses Artikels schreiben wir: Basierend auf der durchgeführten Politik wird der durchschnittliche Temperaturanstieg bis 2100 2,7 °C betragen (Bandbreite: von +2 bis +3,6 °C). Die Bilanz verbessert sich nicht durch das Hinzufügen von „Netto-Null“-Vereinbarungen und -Strategien, im Gegenteil. Insgesamt „hat kein Land genügend kurzfristige Maßnahmen ergriffen, um sich auf den Weg zu Netto-Null zu begeben“.
Diese allgemeine Schlussfolgerung stellt sich wie folgt dar:
mit den Zielen für 2030, unter Annahme ihrer Verwirklichung, beträgt die Projektion +2,4 °C (Bandbreite: von +1,9 bis +3 °C);
mit den Zielen für 2030 und den während der COP gemachten Zusagen, unter Annahme ihrer Verwirklichung, beträgt die Projektion +2,1 °C (Bandbreite: +1,7 bis +2,6 °C);
mit der zusätzlichen Zusage der „CO2-Neutralität“ im Jahr 2050 („optimistisches Szenario“ laut Bericht) beträgt die Prognose +1,8 °C (Bandbreite von +1,5 bis +2,4 °C). „Dieses Szenario ist mit dem Pariser Abkommen nicht vereinbar“, weil es „eine Erwärmung um +2,4 °C nicht ausschließt“.
Climate Action Tracker hat sich mit Strategien zur „Neutralität im Jahr 2050“ genauer beschäftigt. [23] Die Forscher*innen wählten zehn Parameter und verwendeten einen Farbcode (von gut bis schlecht: grün, orange, rot). Fazit: die Strategien Chiles, Costa Ricas, der Europäischen Union und des Vereinigten Königreichs sind „akzeptabel“; die von Deutschland, Kanada, USA und Südkorea sind „durchschnittlich“; diejenigen von Japan, China, Australien und Neuseeland sind „mäßig“; alle anderen sind „ungenügend“ (insbesondere Brasilien, Südafrika, Russland, Saudi-Arabien …). Es ist klar, dass die Mehrheit der Regierungen auf den „Netto-Null-CO2“-Zug aufgesprungen ist, um sich grün zu malen und in Glasgow unbemerkt zu bleiben.
Die Bewertung der Strategien der Industrieländer und Chinas soll näher betrachtet werden. Bei zwei Parametern schreibt die EU rote Zahlen: keine Klarheit bei der Verpflichtung zu Gerechtigkeit und keine Unterscheidung zwischen Absorptionen und Reduzierung von Emissionen. Deutschland liegt zweimal im Orange und dreimal im Rot: sein „Netto-Null“ bezieht nicht die Emissionen des internationalen Luft- und Seeverkehrs ein und schließt „CO2-Kompensationen“ außerhalb der Landesgrenzen nicht aus. Dieselben Punkte sind für die USA rot, wobei dort auch noch Absorption und Reduktion verschmelzen und es ihrem Bekenntnis zur Gerechtigkeit an Klarheit mangelt (niemand kann aus seiner Haut!). Was China betrifft, so ist es bei 6 Parametern im Roten und bei 3 anderen im Orange.
Diese Analyse bestätigt voll und ganz die Kritik von Ökosozialist*innen und anderen Aktiven: Soweit sie nicht ganz fehlen oder völlig hohl sind, sind „Netto-Null-CO2 im Jahr 2050“-Strategien unvollständig und bestenfalls deutlich verzerrt. All dieses Blabla über „Netto-Null-CO2“ hat nur dazu beigetragen, die meisten der 19 bis 23 Gt CO2eq, deren Beseitigung in den nächsten acht Jahren über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit entscheiden wird, die 1,5 °C-Grenze zusätzlicher Erwärmung nicht (zu sehr) zu überschreiten, auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben. Es ist eindeutig ein Betrug und die Ursache dieses Betrugs ist kristallklar: Es geht darum, jeden Zwang, jede Regulierung, jede Planung zu vermeiden.
Im 5. Sachstandsbericht des IPCC heißt es ausdrücklich: „Die Klimamodelle gehen von voll funktionsfähigen Märkten und wettbewerbsorientiertem Marktverhalten aus“. [24] Diese Annahme wiederum setzt die Schaffung eines mit Marktinstrumenten ausgestatteten Marktes voraus. Im Paris-Abkommen war im Artikel 6 das Prinzip eines „Neuen Marktmechanismus“ aufgenommen worden, um die Mechanismen des Kyoto-Protokolls abzulösen. Eine ganze Reihe interkapitalistischer Konflikte verhinderte die Verwirklichung dieses Prinzips auf der COP25 (Madrid), die an dieser Frage scheiterte. Aber Halleluja, Glasgow hat eine Vereinbarung erreicht. Alle Seiten (Staaten, Regionen, Unternehmen) können Umweltverschmutzungsrechte austauschen. Diese können überall auf der Welt durch „saubere“ Investitionen, Baumpflanzungen, Erhaltung bestehender Wälder, CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) oder -Verwendung (CCU) erzeugt werden.
FridaysForFuture-Demonstration in Berlin, 20.09.2019 Foto: Stefan Müller |
Zu den zu lösenden Konflikten: Wie kann verhindert werden, dass Emissionsrechte doppelt gezählt werden (vom Verkäufer und vom Käufer)? Werden die im Rahmen von Kyoto generierten Rechte in das neue System umwandelbar sein (die Mehrheit dieser Rechte entspricht nicht wirklichen Emissionsreduktionen)? Wird der Handel mit Rechten besteuert, um den Ländern des globalen Südens zu helfen, die „Verluste und Schäden“, die sie durch die globale Erwärmung erleiden, zu bewältigen? [25] Es fehlt der Platz, um all dies im Detail zu untersuchen. Ganz allgemein „schaffen die Mechanismen von Artikel 6 so viele wirksame Taschenspielertricks, dass sie jede noch vorhandene Möglichkeit beseitigen könnten, die Welt auf den 1,5 °C-Pfad zu bringen.“ [26] Die Beschlüsse der COP reichen möglicherweise nicht aus, um Doppelzählungen zu vermeiden. Der Kompromiss zu den alten Rechten – die 2013 und danach erzeugten können gewandelt werden – ist ein Sieg für die Heißlufthändler („Heiße Luft“, gefälschte Reduktionen). Vor allem im Brasilien von Bolsonaro gibt es viel davon.
In einem nächsten Schritt wird die Liste der sauberen Beteiligungen erstellt, mit denen Rechte generiert werden. Die Liste der Europäischen Union („Taxonomie“ im COP-Jargon) wird bis Ende des Jahres 2021 festgelegt. Es geht dabei um viel: Die „Taxonomie“ wird den Weg für grüne Finanzen ebnen. Offene Frage: Wird Atomkraft dabei sein? Sie als „nachhaltige Energie“ zu definieren, wäre absoluter Unsinn. Das einzig Nachhaltige an dieser Technologie ist der Abfall, mit dem niemand etwas anzufangen weiß. Er wird die Umwelt für Zehntausende von Jahren oder länger verschmutzen. Aber … der Markt ist fantastisch. China beispielsweise plant den Bau von 150 Reaktoren. Aus kapitalistischer Sicht, die alles auf den Kopf stellt (wie Marx sagte), wäre es der absolute Unsinn, sich diesen Jackpot entgehen zu lassen‚ eine Quelle für „nachhaltige“ Profite. Angeführt von Frankreich setzen sich zehn Länder für die Aufnahme der Atomenergie in die Taxonomie ein. Fünf andere sind dagegen, darunter Deutschland. Wer wird gewinnen? Spannung bis zum Schluss … [27]
Der Höhepunkt dieser kriminellen Logik ist erreicht, wenn wir uns dem Thema „Klimafinanzierung“ nähern. Sie hat zwei Komponenten: öffentliche und private Gelder. Erstere gliedern sich wiederum in zwei Unterabschnitte: Grüner Klimafonds und Entschädigungen für „Verluste und Schäden“. Auf der COP war das Ganze Thema eines Plenartages: Welcome to the Finance Day (Willkommen zum Finanztag)!
In Bezug auf den Grünen Klimafonds sagte der Schatzkanzler (britischer Finanzminister) im Grunde Folgendes: OK, der Norden hat seine Zusagen gebrochen. Das tut uns leid. Aber wir sind bei 80 Milliarden, wir werden ab 2023 die Hundert erreichen, dann werden wir das Ziel übertreffen und das wird den Mangel der Vorjahre ausgleichen. Dieser Gentleman hat nicht gesagt, dass im Grünen Klimafonds nur 20 Milliarden Spenden sind. Der Rest sind Kredite. Das Abkommen verspricht eine Verdoppelung der Finanzierung für die Anpassung an die Erwärmung ab 2025, jedoch ohne Garantien. Ein Ausschuss der Vereinten Nationen wird nächstes Jahr über die Fortschritte in Richtung 100 Milliarden Dollar/Jahr berichten … Festzuhalten ist vor allem, dass dem Süden eine neue Verschuldungsspirale droht.
Noch viel brisanter ist die Frage nach „Verlusten und Schäden“. Nehmen wir als Beispiel Somalia. Es hat zu 0,00026 % zum historischen Klimawandels beigetragen … leidet aber unter wiederholten Dürren, die eindeutig auf die globale Erwärmung zurückzuführen sind. Im Jahr 2020 litten 2,9 Millionen Menschen unter schwerer Ernährungsunsicherheit. Die internationale Hilfe ist völlig unzureichend. Kenia, Äthiopien, Sudan und Uganda erleben dieselbe Tragödie. [28] Wer zahlt? Und wer wird für die kommenden Katastrophen zahlen? Die NGO „Christian Aid“ schätzt, dass der Klimawandel bei unveränderter Politik dazu führen wird, dass das BIP der ärmsten Länder bis 2050 um 19,6 % und bis 2100 um 63,9 % im Jahresdurchschnitt sinken wird. Bei einer Begrenzung auf 1,5 °C wären diese Zahlen immer noch 13,1 % bzw. 33,1 %. Die Verlust- und Schadensrechnung wird schnell auf mehrere Billionen steigen. Das Prinzip der Finanzierung durch reiche Länder ist in der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen verankert, aber imperialistische Regierungen weigern sich, es zu respektieren.
Die wundersame Lösung soll aus privater Finanzierung kommen. Mark Carney, ehemals Goldman Sachs, ehemaliger Direktor der Bank of England und ehemals Vorsitzender des Finanzstabilitätsrats der G20, wurde von den Vereinten Nationen zum „Sondergesandten“ für die Klimafinanzierung ernannt. Kurz vor der COP hat er in der Glasgow Finance Alliance for Net Zero (GFanz) mehrere Vertreter der „Green Finance“ zusammengeführt. Die GFanz wird von 19 Vorstandsvorsitzenden großer Finanzunternehmen geleitet, darunter Brian Moynihan von der Bank of America, Larry Fink von BlackRock, Jane Fraser von Citigroup, Noel Quinn von HSBC, Ana Botín von Santander und Amanda Blanc von Aviva. Ihr Zweck besteht darin, „ein von Fachleuten geleitetes Forum für Finanzunternehmen zur Zusammenarbeit bei substanziellen und übergreifenden Fragen zu bieten, das die Ausrichtung der Finanzierungsaktivitäten auf Netto-Null beschleunigt und die Bemühungen aller Unternehmen, Organisationen und Länder unterstützt, um die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen“. [29]
Auf der COP war GFanz der große Star des „Finance Day“. Das Konsortium ist 130 000 Milliarden Dollar schwer. Überschwänglich versuchte der Schatzkanzler, alle zu bluffen, indem er diese „historische Mauer des Kapitals“ verherrlichte, die bereit sei, zur Rettung des Planeten und seines Klimas herbeizueilen. Übersetzung: bereit zur Finanzierung, „sauberer“ Investitionen, sauberer Kohle, grünen Wasserstoffs, Baumpflanzungen, Erhalt bestehender Wälder, CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) oder -Verwendung (CCU). Alle Formen von Greenwashing sind willkommen, solange es sich auszahlt. Denn die Bedingungen sind ganz klar: „Dafür brauchen Anleger genauso viel Klarheit wie bei traditionellen finanziellen Gewinn- und Verlustkennzahlen.“ [30] Arme, versucht für Investoren attraktiv zu sein …
Die NGO „Reclaim Finance“ hat diesen Geldgebern ihre grüne Maske abgerissen. Kurz: Die Referenz des GFanz (die „Race to Zero“-Kriterien der UNO) erwähnt keine fossilen Energien; Allianzmitglieder sind nicht verpflichtet, ihre indirekten Emissionen (sogenannte „Scope 3“-Emissionen, die ca. 88 % der Emissionen aus dem Sektor fossiler Brennstoffe ausmachen) zu reduzieren; keine Verpflichtung zu absoluten Reduktionen, relative Reduktionen (Verringerung der CO2-Intensität) reichen aus; keiner der Partner von GFanz verbietet oder beschränkt die Nutzung von Verrechnungsmöglichkeiten; Mitte Oktober 2021 legten 34 der 58 Mitglieder der Asset Owner Alliance (einer der Bestandteile von GFanz) keinerlei Beschränkungen für Investitionen in fossile Energien fest …
Einige Monate vor der COP21 eröffnete François Hollande den Unternehmensklimagipfel in Paris mit den Worten: „Die Unternehmen sind von wesentlicher Bedeutung, weil sie es sind, die durch die eingegangenen Verpflichtungen die notwendigen Änderungen umsetzen: Energieeffizienz, Ausbau erneuerbarer Energien, die Möglichkeit, mit einer Mobilität zu reisen, die keine Energie [sic!] verbraucht, Energiespeicherung, Bauweise von Wohnungen, Organisation von Städten, aber auch die Beteiligung an der Transformation und Anpassung von Entwicklungsländern.“
Wir können hier nur die Interpretation dieser Erklärung in „Zu spät, um pessimistisch zu sein“ kopieren: „Geliebte Kapitalisten, wir Politiker bieten euch den Planeten, die Städte und die Wälder, die Böden und die Ozeane, wir bieten euch sogar den Markt für die Anpassung der Länder des Südens an die Katastrophe, die Ihr ihnen bereitet. Alles für Euch, greift zu: Das ist die Botschaft“. [31]
Aus Sicht des Kapitals wäre es falsch zu sagen, dass die COP26 nur „blablabla“ war. Sie war vielmehr eine monströse Verherrlichung des Neoliberalismus. Dieser Gipfel hat einen bedeutenden Schritt auf dem Weg zur vollständigen Kommodifizierung der Erde, ihrer Ökosysteme und ihrer Bewohner gemacht. Für den Profit der Finanzwelt und auf Kosten der Menschen.
Die politisch Verantwortlichen erkennen dies alles (oder fast alles): die Dringlichkeit ist maximal, das Risiko ist unermesslich, es gibt keinen Moment zu verlieren. Und doch wird von COP zu COP trotz Aufklärung durch „die beste Wissenschaft“ die Zeit verschwendet, die noch bleibt, um reagieren zu können, und der Marsch in den Abgrund wird beschleunigt. Diese abartige, halluzinierende und erschreckende Realität entspringt weder der Dummheit des einen oder anderen Verantwortlichen noch der Verschwörung okkulter Mächte: Sie stammt aus den grundlegenden Gesetzen des Kapitalismus, und diese Gesetze verderben auch die „beste Wissenschaft“. Basierend auf der Konkurrenz um Profit zwingt diese Produktionsweise Millionen von Kapitalisten unter Androhung des wirtschaftlichen Todes, jeden Moment Millionen von Investitionsentscheidungen zu treffen, die darauf abzielen, die Produktivität der Arbeit durch Maschinen zu steigern. Der Rückgang der Profitrate, der daraus tendenziell resultiert, wird durch eine Steigerung der Masse der produzierten Güter, eine Zunahme der Ausbeutung der Arbeitskraft und eine Zunahme der Ausbeutung anderer natürlicher Ressourcen ausgeglichen. Dieses System funktioniert wie ein unkontrollierter Automat. Wie eine Wolke den Regen, trägt es nicht nur den Krieg in sich, wie Jaurès sagte, sondern auch ein unbegrenztes Entwicklungspotential, ein unbegrenztes Anwachsen von Ungleichheiten und eine unbegrenzte Verschlimmerung der ökologischen Zerstörung.
Es muss energisch wiederholt werden: Es besteht ein unüberwindlicher Gegensatz zwischen der Fortsetzung dieses Systems und dem Schutz des Planeten als einer für das Leben und die Menschheit günstigen Umwelt. Daher muss man, wie Lenin vor dem Ausbruch des Krieges 1914, beginnen, unabhängig von den Machtverhältnissen eine klare Diagnose zu wagen: Die Situation ist „objektiv revolutionär“. Mit der COP von Glasgow beginnt ein kurzer Zeitraum immer dringenderer Warnungen: Entweder wird die Konvergenz der sozialen Mobilisierungen es ermöglichen, die enorme Kluft zwischen dieser objektiven Situation und dem Bewusstseinsniveau der Ausgebeuteten und Unterdrückten (dem „subjektiven Faktor“) zu überbrücken, oder der Automat wird uns immer tiefer in eine Barbarei beispiellosen Ausmaßes treiben.
17.11.2021 Daniel Tanuro ist Agrarwissenschaftler, Ökosozialist und Mitglied von Gauche Anticapitaliste / SAP Antikapitalisten, der belgischen Sektion der Vierten Internationale. |
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