Sudan

Was wird aus dem Sudan angesichts des Machtkampfs der Generäle

Der Beginn des Bürgerkriegs zwischen den Generälen des alten Regimes forderte Tausende von verwundeten und Hunderte von toten Zivilist*innen und verursachte den Beginn einer katastrophalen humanitären Krise ohnegleichen. Doch die revolutionäre Bewegung ist nicht gebrochen.

Ali Taha

 

Solidarität mit der Revolution im Sudan

Berlin, 2019. Foto: Hossam el-Hamalawy

Wir erleben gerade den Zusammenbruch des Gesundheitssystems, Stromausfälle und Nahrungsmittel- und Wasserknappheit. Parallel zu dieser Tragödie müssen wir die grotesken Erklärungen der kriegführenden Generäle Burhan und Hemedti ertragen, die beide behaupten, dass sie mit diesem Krieg das Projekt des Übergangs zu einem demokratischen zivilen Regime verfolgen!

Einige Analysen behaupten, dass der Grund für den Ausbruch des gegenwärtigen Krieges in der Meinungsverschiedenheit zwischen den beiden Generälen über die Länge der Übergangszeit liege, in der Hemedtis Truppen in die Armee von Burhan–Baschir integriert werden sollen (Hemedti sagt zehn und Burhan sagt zwei Jahre), die in eine Sackgasse geführt habe. Diese Meinungsverschiedenheit ist natürlich real, aber die Frage der Integration liegt seit der Ära von Baschir auf dem Tisch; die wichtigste Frage ist also, warum diese Meinungsverschiedenheiten jetzt zu einem heftigen Krieg zwischen den beiden Parteien führen.

Wie konnte es so weit kommen? Es kann hilfreich sein, sich an die Etappen zu erinnern, die die sudanesische Revolution seit ihrem Beginn im Dezember 2018 durchlaufen hat.

Der Ausbruch der sudanesischen Revolution im Dezember 2018 war zweifellos das wichtigste Ereignis in unserer Region seit den arabischen Revolutionen von 2011. Millionen von Sudanes*innen gingen auf die Straße und bedrohten nicht nur Baschirs kriminelles Regime, sondern wandten sich auch gegen das konterrevolutionäre Lager, das ihn unterstützte, insbesondere Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten und natürlich Israel. Die Richtung der sudanesischen Revolution war von Anfang an klar. Erstens handelte es sich um eine Revolte gegen die neoliberale Politik und die systematische Plünderung der Reichtümer des Sudan durch das Regime von Baschir; der direkte Auslöser der Revolution war der Anstieg der Lebensmittel- und Kraftstoffpreise. Zweitens ging es darum, die militärisch-islamische Diktatur von Baschir zu stürzen und eine demokratische Alternative aufzubauen, die wirklich die Forderungen und Bestrebungen des sudanesischen Volkes widerspiegelt. Drittens wollte man der grausamen Unterdrückung und Ungleichheit entgegentreten, denen die Regionen des Sudan außerhalb von Khartum ausgesetzt waren, wobei das Regime von Baschir ihren Reichtum zugunsten eines Bündnisses von Militärs, Geschäftsleuten und ihren Partnern am Golf plünderte, während es gleichzeitig die Bewohner*innen dieser Regionen hungern ließ, sie aber auch unterdrückte und Kriege und Massaker gegen sie auf religiöser und ethnischer Grundlage führte.


Besonderheiten der sudanesischen Revolution


Was die sudanesische Revolution von den Revolutionen 2011 unterscheidet, ist der außergewöhnliche Grad des Bewusstseins und der Organisation der Massen. Der Sudanesische Berufsverband [inoffizieller Gewerkschaftsbund] spielte eine führende Rolle bei Mobilisierungen und der Organisierung von Streiks. Viel wichtiger noch: die Bildung und Koordination von Widerstandskomitees in allen sudanesischen Städten, nicht nur für die Mobilisierung, sondern auch für die grundlegende demokratische Koordination und Diskussion von Entscheidungen. Baschirs Generäle begannen vom ersten Moment an, die Konterrevolution in eklatanter Zusammenarbeit mit dem ägyptischen Regime auf der einen Seite und den Führern der Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabiens auf der anderen Seite zu planen. Sie stützten sich natürlich auf das ägyptische Modell der Konterrevolution. Der erste Schritt bestand darin, die traditionelle reformistische Opposition (bürgerliche Parteien wie Umma, den Kongress und einen breiten Teil der reformistischen Linken) zu absorbieren und sie von den rebellischen Massen auf Plätzen und Straßen zu trennen. Nach der Vertreibung Baschirs begann unter dem wachsenden Druck der Massen der Dialog zwischen den Generälen Baschirs, die ihn abgesetzt hatten (er wurde im April 2019 gestürzt), und den „Kräften für Freiheit und Wandel“ (hauptsächlich Mitglieder traditioneller nicht islamistischer Parteien). Der Plan der Generäle war einfach und klar: Einen Übergangszeitraum zu vereinbaren, in dem der Sudan von einem gemischten zivilen und militärischen Übergangsrat (gebildet im August 2019) regiert würde. Darin würden die Form, die Einzelheiten und die Etappen des Übergangs zu einem zivilen Regime durch eine neue Verfassung, freie und direkte Wahlen, die Rückkehr der Armee in ihre Kasernen und ihren endgültigen Austritt aus der politischen Sphäre verhandelt.

Es gab natürlich eine breite Ablehnung der Idee, dass Baschirs Generäle weiterhin unter der Schirmherrschaft des Übergangsrates regieren würden, zumal vereinbart wurde, dass Burhan und sein Stellvertreter Hemedti an der Spitze des Rates stehen würden. Aber die traditionellen bürgerlichen Parteien und ihre Elemente der „Kräfte der Freiheit und des Wandels“ ignorierten die Wut der Straße und forderten die Massen auf, die Demonstrationen und Streiks einzustellen, zur Arbeit zurückzukehren und den zivilen Kräften zu vertrauen, die mit dem Militär in ihrem Namen verhandeln sollten. Natürlich ist der Dialog nicht um ein Jota vorangekommen und hat sich in einen Dialog für den Dialog verwandelt. Das Bündnis „Kräfte der Freiheit und des Wandels“ zerfiel und Hamdok wurde zum Premierminister einer technokratischen Regierung ernannt, die nichts anderes war als eine „zivile“ Fassade der Macht der Generäle. Die Straße lehnte das ab, was hinter verschlossenen Türen geschah, und erhöhte den Druck auf die neue Form der alten Macht trotz blutiger Repressionswellen. Die Widerstandskomitees blieben lebendig und effektiv in der Mobilisierung und Organisierung.


Übergang wohin?


Nicht anders als zu erwarten: Die Periode des „Übergangsrates“ war keine Übergangsperiode zur Demokratie und zu einem demokratischen zivilen Regime, wie es die Generäle versprochen und die „Kräfte der Freiheit und des Wandels“ es behauptet hatten, sondern eine Übergangsperiode zurück zum Ausgangspunkt. Im Vorfeld der Übertragung der Führung des Rates an die Zivilbevölkerung organisierten die Generäle im Oktober 2021 einen Militärputsch, der dem Militär die absolute Macht zurückgab und die „Kräfte der Freiheit und des Wandels“ erneut spaltete, wobei Teile sich gegen den zweiten Putsch aussprachen. Wieder einmal gingen die Massen zu Millionen auf die Straße, lehnten den Staatsstreich ab und erneuerten die Forderungen der sudanesischen Revolution. Wiederum hat die Armee mit blutiger Repression geantwortet. Mit anderen Worten, die sudanesische Straße erlaubte es der Armee nicht, sich an der Macht zu stabilisieren. Ihr stehen nur noch Gewehre, gepanzerte Fahrzeuge und Tränengas zur Verfügung. Während der Putsch den Dialog mit den zivilen Kräften zugunsten des Militärs beendet hat, ist der Ausgang des Kampfes zwischen der sudanesischen Revolution und dem Militär noch nicht entschieden.

Was in Ägypten funktioniert hat, ist im Sudan noch nicht gelungen. In Ägypten war das Militär in der Lage, einerseits die zivilen Kräfte zu absorbieren und sie gegen die Muslimbruderschaft einzusetzen, und andererseits die revolutionäre Bewegung zu unterdrücken. Im Fall Sudan gelang der Armee der erste Schritt, doch die sudanesischen Massen hindern sie immer noch am zweiten Schritt. Aber auch die sudanesischen Massen waren bislang nicht in der Lage, die Waage zu ihren Gunsten zu kippen, trotz der Entschlossenheit, der Organisation und des Bewusstseins von Tausenden von Widerstandskomitees. Trotz der Fähigkeit dieser Basiskomitees, einen außergewöhnlichen demokratischen politischen und gesellschaftlichen Dialog zu organisieren, gibt es eine enorme Krise wegen des Fehlens einer politischen Kraft, die in der Lage wäre, die Aktivitäten der Widerstandskomitees zu führen und zu vereinen und den endgültigen Angriff auf die Macht des Militärs und seiner Verbündeten zu organisieren.

      
Mehr dazu
Qiddam: Was steckt hinter dem Kampf der Generäle?, die internationale Nr. 4/2023 (Juli/August 2023) (nur online)
Luiza Toscane: Weder Sieger noch Besiegte, die internationale Nr. 3/2023 (Mai/Juni 2023) (nur online). Auch bei intersoz.org
Paul Martial: Konflikt zwischen Putschisten im Sudan, die internationale Nr. 3/2023 (Mai/Juni 2023) (nur online)
Joshua Craze: Schüsse in Khartum, intersoz.org (23.04.2023)
Muzan Alneel: Das Volk organisiert sich, um sein Existenzrecht zu verteidigen, die internationale Nr. 4/2022 (Juli/August 2022). Auch bei intersoz.org
 

Die Unfähigkeit der Generäle, die Schlacht trotz der brutalen Unterdrückung und der Massaker zu ihren Gunsten zu entscheiden, und die Unfähigkeit der sudanesischen Massen, ihrerseits die Schlacht zu gewinnen, führten zu einem Zustand der Lähmung, der den Weg für den gegenwärtigen Krieg ebnete. Es gibt natürlich noch andere Faktoren, die zu diesem Krieg geführt haben, und zwar wirtschaftliche Faktoren auf beiden Seiten: Hemedti kontrolliert nicht nur die wichtigsten Goldminen im Sudan, sondern hat auch riesige Vermögen gemacht, indem er seine Streitkräfte als Söldner in Libyen und im Jemen für seine Verbündeten vom Golf eingesetzt hat. Auf der anderen Seite stellen ihm die europäischen Länder große Geldsummen zur Verfügung, um die „illegale“ Einwanderung auf den europäischen Kontinent zu verhindern. Burhan seinerseits kontrolliert auch ein riesiges Wirtschaftsimperium, insbesondere in der Landwirtschaft, wo das Golfkapital an riesigen Farmen beteiligt ist. Auf regionaler Ebene gibt es auch die Bereitschaft zu Allianzen in der Region und zu Veränderungen bei den Positionen der großen regionalen Mächte wie Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Israel sowie der untergeordneten Mächte wie Ägypten (Änderung der Beziehungen zu Israel, zum Iran und zum Ausstieg aus den Bürgerkriegen im Jemen und in Libyen). Alle diese Kräfte haben Interessen im Sudan, natürlich alle mit der Armee, aber einige mit Hemedtis Flügel und andere mit dem von Burhan.

Auf globaler Ebene gibt es auch geostrategische Konflikte, die sich in den aktuellen Kämpfen im Sudan widerspiegeln – die abnehmende Rolle der USA auf dem afrikanischen Kontinent, die stärker werdenden Rollen Chinas und Russlands und die aktuellen Spannungen zwischen dem Westen und Russland wegen der Ukraine und zwischen Amerika und China auf fast allen Gebieten –, die alle zur Möglichkeit einer Eskalation des Machtkampfes im Sudan beitragen. Aber zurück zum Sudan selbst, der der wichtigste Kontext ist, um den andauernden Krieg zu verstehen. Das Problem für das Militär ist bislang seine Unfähigkeit, die sudanesische Revolution zu unterdrücken. Andererseits war die sudanesische Revolution nicht in der Lage, den Konflikt zu ihren Gunsten zu lösen. Wir wissen nicht, wann der Krieg enden wird und welcher der beiden kriminellen Generäle siegen wird. Es ist sicher, dass das Militärregime auf allen Ebenen schwächer sein und seine Legitimität verloren haben wird, insbesondere aufgrund der zivilen Opfer und der katastrophalen humanitären Situation, die durch den Kampf um die Macht verursacht wurde. Darüber hinaus erleben wir einen erneuten Aufschwung der Widerstandskomitees, die eine inspirierende Rolle dabei spielen, Zivilist*innen zu helfen, Nahrungsmittel zu verteilen, medizinische Hilfe zu leisten und sich untereinander zu koordinieren, um Zivilist*innen zu schützen. Wir sehen auch, wie Ärzt*innen sich organisieren, um Patient*innen zu retten, und wie Elektriker*innen und Wasserwerker*innen eingreifen, um die durch Bombardierung und Zerstörung ausgefallenen Anlagen wieder in Betrieb zu nehmen.

Daher wird das Militär aus diesem Krieg viel schwächer hervorgehen, als es vorher war, während die Widerstandskomitees und die sudanesische Revolution im Allgemeinen stärker und widerstandsfähiger sein werden. Aber die Aufgabe bleibt – wie wir aus der ägyptischen Erfahrung wissen – groß und sehr schwierig: Wie schließen sich die Widerstandskomitees und die Arbeiter*innen- und Berufsorganisationen zusammen, um die nächste Welle der Revolution vorzubereiten? Wie wird das Dilemma der revolutionären politischen Organisation gelöst? All diese Fragen können nur die sudanesischen Revolutionär*innen beantworten, die uns immer wieder mit ihrer Festigkeit, ihrer Widerstandsfähigkeit und ihren organisatorischen Fähigkeiten beeindrucken.

Quelle: revsoc.me
Übersetzung aus dem Arabischen ins Französische: Luiza Toscane
Übersetzung aus dem Französischen: B. Mertens



Dieser Artikel erschien in der Online-Ausgabe von die internationale Nr. 4/2023 (Juli/August 2023) (nur online). | Startseite | Impressum | Datenschutz