USA

„Rekordprofite bedeuten Rekordverträge“

Der Gewerkschaft UAW gelang es, in einem 45-tägigen Streik die drei großen US-Autokonzerne niederzuringen. Eine klassenkämpferische Strömung hatte auf eine neuartige Streiktaktik und eine aktive Rolle der Mitgliedschaft gesetzt.

Dianne Feeley

Da die Großen Drei [GM, Stellantis (Chrysler), Ford] in den letzten zehn Jahren eine Viertelbillion Dollar gescheffelt haben, stellte die United Auto Workers (UAW) in ihrer diesjährigen Kampagne für einen neuen Tarifvertrag die Unternehmergier in den Mittelpunkt. Die drei Unternehmen ihrerseits, die im ersten Halbjahr 2023 alleine 21 Milliarden US-Dollar verdient hatten, hatten sich auf eine Lohnerhöhung eingestellt, machten jedoch deutlich, dass die für die Markteinführung von Elektrofahrzeugen notwendige Umstrukturierung wenig Geld übrigließe.

Aber die neu gewählte Reformführung erklärte „Rekordprofite bedeuten Rekordverträge“ und skizzierte mutig 10 Forderungen:

Diese Forderungen, die von der Mitgliedschaft kommen, kehren nicht nur die Jahre der Ungleichheit am Arbeitsplatz um, die sich in den Tarifvertrag eingeschlichen haben, sondern unterstreichen auch das Recht der Autoarbeiter, ein Leben außerhalb der Arbeit zu führen. Obwohl es nicht ausgesprochen ist, wenn der Lohn erhöht und Überstunden gekürzt werden, verringern sich die Drohungen von Werksschließungen. Selbst wenn Werke geschlossen werden, endet die unternehmerische Verantwortung gegenüber der Belegschaft und der größeren Gemeinschaft nicht.

Bei der Vorbereitung der Verhandlungen im Jahr 2023 verstanden die Reformer:innen, dass für einen guten Vertrag die Mitgliedschaft eine aktive Rolle spielen muss. Unternehmen waren bereit, die Löhne um 9–10 % zu erhöhen, aber nur wenig mehr. Sie hätten gerne die massiven Zugeständnisse der Gewerkschaft aus dem letzten Jahrzehnt fortgeschrieben, aber unter Druck könnten die Unternehmen vielleicht die derzeitigen Leiharbeiter:innen in Vollzeit übernehmen.

Es gab auch einen zweiten Grund. Im Laufe der Jahre hatte die Führung unter der Kontrolle des Verwaltungsausschusses (AC) die Erwartungen der Arbeiter:innen an das, was möglich war, gesenkt. Es stellte sich heraus, dass sie nicht nur zustimmten, dass Autoarbeiter:innen Opfer bringen mussten, um die Anlagen am Laufen zu halten, sondern dass einige der Spitzenfunktionäre – darunter zwei Präsidenten – Bestechungsgelder angenommen hatten, Schmiergelder von Lieferanten erhielten und UAW-Gelder stahlen, um ihren Lebensstil aufzubessern. Mehr als ein Dutzend Funktionäre kamen ins Gefängnis und ein staatlicher Aufseher war ernannt worden, um die Gewerkschaft zu überwachen. Wie würde sich die Gewerkschaft von der Korruption und den vierzig Jahren nicht endender Zugeständnisse erholen?

Die Reformer:innen hätten die alte Führung nicht verdrängen können, ohne die Enthüllung der massiven Korruption von Spitzenfunktionären. Aber als das passierte, konnte Unite All Workers for Democracy (UAWD) Direktwahlen durchsetzen und gewann dann die Hälfte der Sitze im Hauptvorstand (IEB).


Wie es zum Sieg der Reformer:innen kam


Es ist eine lange Geschichte, wie eine kleine Strömung – United All Workers for Democracy (UAWD) – eine Änderung im Statut der UAW durchsetzte, die Direktwahlen vorsah, dann eine Kampagne zur Besetzung der Spitzenplätze durchführte und alle von ihr unterstützten sieben Kandidaten durchbrachte, einschließlich der Präsidentschaft. Ohne ein Reformführungsteam, das die alte Garde ersetzt, hätten wir den Weg der Zugeständnisse fortgesetzt.

 

Joe Biden unterstützt UAW-Streikende

Foto: The White House, 2023

Der Ende der 1940er Jahre von Walter Reuther gebildete Verwaltungsausschuss (Administration Caucus, AC) kontrollierte die Führungspositionen der Gewerkschaft von der obersten Ebene bis hinunter zu den Ortsverbänden. Trotz einer ursprünglich sozialdemokratischen Vorstellung von der Rolle der UAW trug ihre Rücksichtslosigkeit im Umgang mit jeder Infragestellung ihrer Autorität zum Aufbau einer Bürokratie bei, die ihre Rolle darin sah, die Konzerne am Laufen zu halten.

Seit den 1970er Jahren hat der AC Verträge ausgehandelt, die Zugeständnisse an die Unternehmen enthielten. Dies bedeutete, der Mitgliedschaft zu erklären, warum es unmöglich sei, bessere Arbeitsbedingungen, Löhne und Sozialleistungen zu erreichen. Einige Funktionäre behaupteten, dass nach der Erholung der Wirtschaft diese Zugeständnisse wieder zurückgeholt würden, aber diese Fehleinschätzung der unaufhörlichen Forderung des Kapitalismus nach billigeren Arbeitskräften bedeutete eine ständige Umstrukturierung der Branche, eine Intensivierung der Arbeit und eine größere Arbeitsplatzunsicherheit.

Typischerweise begannen Verhandlungen damit, dass der UAW-Präsident den Vorstandsvorsitzenden der Detroiter Großen Drei die Hand schüttelte. Über den Verlauf der Verhandlungen wurde die Mitgliedschaft nicht informiert. Irgendwann nahm die UAW vielleicht ein Unternehmen ins Visier. Wenn die Verhandlungen ins Stocken gerieten und zu einem Streik führten, meldeten sich die Arbeiter:innen als Streikposten und wurden angewiesen, nicht mit der Presse zu sprechen, da dies die Verhandlungen gefährden könnte. Sogar die Presseabteilung der UAW war angewiesen worden, auf Nachfrage mit „kein Kommentar“ zu antworten.

Es gab schon immer eine alternative Vision innerhalb der UAW. Sie wurde jedoch durch die Macht eines tief verwurzelten AC marginalisiert. Die wohl erfolgreichste war die New-Directions-Bewegung der 1980er und frühen 1990er Jahre. Unter der Leitung von Jerry Tucker konnte sie gute Verträge erkämpfen, indem sie „Dienst nach Vorschrift“ einsetzte. Aber der Erfolg des stellvertretenden Regionsvorsitzenden bedrohte die Kompromiss-Linie des AC; der bemühte sich, die Bewegung zu zerschlagen – und es ist ihm gelungen.

Die wenigen New-Direction-Aktivist:innen, die überlebten, kämpften gegen den Verkauf ihrer Teilewerke durch die Detroiter Großen Drei. Damit sollten die Werke besser kontrolliert und die Belegschaft reduziert werden. So könnte man Preis- und Qualitätsvorgaben nicht nur für das Produkt, sondern auch für die Arbeiter:innen diktieren und auch beobachten, wie die UAW-Führung auf die Forderung nach Stufenlöhnen reagieren würde. Wir ahnten kaum, dass die oberste AC-Führung sich nicht nur entschieden hatte, den Konzernen Jobs anzubieten, sondern auch, dass sie einen Lebensstil wie Unternehmensmanager entwickeln und bestechlich sein könnten. Als die Korruption aufgedeckt wurde, golften diese Arbeiterführer wochenlang in teuren Hotels und rauchten Zigarren für 2000 $.

Da sowohl das Unternehmen als auch die oberste UAW-Führung für ein Ja als Weg zur Rettung von Arbeitsplätzen warben, stimmten viele Arbeiter:innen widerwillig mit Ja. Im Werk von American Axle in Detroit (Ortsgruppe 235), in dem ich gearbeitet habe, gelang es uns, mit Nein zu stimmen. Aber wir waren nicht in der Lage, die Arbeiter:innen in den anderen Werken des Unternehmens zu erreichen, vor allem, weil eine Flüsterkampagne behauptete, wir hätten sichere Arbeitsplätze und seien daher egoistisch, das Stufenlohnsystem abzulehnen.

Im Umfeld der Insolvenz von GM und Chrysler im Jahr 2009 bildeten sich oppositionelle Strömungen um die Entscheidung der UAW-Führung, die Unternehmensforderung nach Bundesmitteln bedingungslos zu unterstützen. Die Gruppe fuhr in einem Konvoi nach Washington, um eine Pressekonferenz abzuhalten, auf der gefordert wurde, Steuergelder für mögliche Rettungspakete an Bedingungen zu knüpfen. Die erste war, dass die Konzerne sich auf die Produktion für den öffentlichen Nahverkehr konzentrieren sollten. Zweitens sollte nicht verlangt werden, dass Beschäftigte ihr Streikrecht opfern oder ihren Inflationsausgleich COLA ruhen lassen, da sie an der Entscheidungsfindung des Unternehmens nicht beteiligt sind. Diese Forderungen wurden vom Tisch gefegt.

Der Auto Worker Caravan (AWC) setzte die Tradition früherer Strömungen fort, den tatsächlich ausgehandelten, gelesenen und analysierten Vertrag in die Hände zu bekommen.

Als die UAW-Verhandlungsführer:innen eine vorläufige Einigung erzielten, erstellten sie eine Broschüre, in der die „Höhepunkte“ dargelegt wurden. Reformkreise, einschließlich dem AWC, gelang es ihrerseits, den tatsächlichen Vertrag aufzuspüren, ihn zu lesen und dann eine Broschüre zu erstellen, in dem seine „Tiefpunkte“ zusammengefasst wurden. Schließlich konnte AWC den gesamten Vertrag auf ihrer Website veröffentlichen. Erst danach hat die UAW-Führung den Vertrag endlich online gestellt.

UAW im Streik

Foto: Lance Cheung, 2021

 

Einige der AWC-Aktivist:innen beschlossen, sich auf die Änderung des Gewerkschaftsstatuts zu konzentrieren, um ihre Spitzenfunktionäre direkt zu wählen, und Unite All Workers for Democracy (UAWD) wurde gegründet. Sie organisierten eine Kampagne, um die Anforderungen zu erfüllen, einen außerordentlichen Gewerkschaftstag einzuberufen, um diese Statutenänderung vorzunehmen, aber die Zeit dafür war zu knapp. Gerade als sie sich auf einen Neustart ihrer Kampagne vorbereiteten, begannen die Bundesstaatsanwälte, Anklage gegen mehrere UAW-Funktionäre zu erheben; der Hauptvorstand (IEB) war gezwungen, einen staatlichen Aufseher zu akzeptieren, der für die Untersuchung von Korruption zuständig war und dazu beitrug, die Kontrolle der Mitglieder über ihre gewählte Führung einzuführen. Die UAWD forderte ein Referendum über den Ablauf der IEB-Wahlen, erhielt die Zustimmung für dieses Referendum und die entsprechende Statutenänderung.

Die UAWD organisierte eine Kampagne, um die Hälfte der Sitze im Hauptvorstand (IEB) der UAW zu belegen; tatsächlich konnte sie alle sieben gewinnen. Als letzter zum Gewinner erklärt wurde Shawn Fain, der das Amt des Präsidenten mit nur 600 Stimmen Vorsprung gewann. Er wurde weniger als eine Woche vor der Eröffnung der UAW-Tarifkonferenz vereidigt. Der Slogan der Reformer:innen – ihr Versprechen – lautete: „Keine Zugeständnisse, keine Korruption, keine Stufenlöhne.“ Mit der Wahl eines unabhängigen Kandidaten hatte der neue IEB die Chance, dieses Versprechen einzulösen.


Reformgruppe mit neuer Strategie


Die neue UAW-Führung der Reformer:innen musste aus der apathischen Dynamik ausbrechen, die den Prozess der Tarifverhandlungen bisher prägte. Es begann mit der Organisation einer Kampagne für den Tarifvertrag. Das ermutigte die Mitglieder, sich anzumelden. Wöchentliche Textnachrichten und E-Mails betonten zunächst die Rentabilität der Detroiter Großen Drei und unterstrichen, wie viel die Konzernchefs verdienen. Die 10 Forderungen wurden als Grundlage der Tarifverhandlungen vorgestellt und es wurde dargestellt, was die Mitglieder tun könnten. Sie übernahmen einige der organisatorischen Vorbereitungen, die die Teamsters for a Democratic Union (TDU) bei ihren jüngsten Tarifverhandlungen mit UPS verwendet hatten; es gab Aufrufe, mittwochs rote T-Shirts zu tragen, 10-minütige Treffen mit Kollegen zu organisieren und Streikpostenketten einzuüben.

Am Eröffnungstag der Verhandlungen ging Präsident Fain zu Werken von Ford, GM und Stellantis und schüttelte den Arbeitern [statt den Vorstandsvorsitzenden] die Hand. Dies war ein dramatischer Bruch mit der bisherigen Praxis. Es stellte dar, wie wichtig die Rolle der Mitglieder sein musste, wenn die Verhandlungen erfolgreich sein sollten.

Jede Woche hielt Fain 20-minütige Live-Meetings auf Facebook ab. Er informierte die Mitglieder über die Organisierungsbemühungen und Streiks bei verschiedenen UAW-Ortsgruppen im ganzen Land und kam dann zu den Verhandlungen mit den Großen Drei. Jeweils am Ende seines Facebook-Auftritts antwortete er auf Kommentare oder Fragen, die Mitglieder im Chat geschrieben hatten. In einer Woche berichtete Fain über das Konzept von Stellantis, in dem es hieß, das Unternehmen habe das Recht, 18 Werke während der Laufzeit des Vertrags zu schließen. Dann warf er es in den Mülleimer und sagte: „Da gehört es hin.“

Diese Geste veranschaulichte die aggressive Strategie der Gewerkschaft. Fain hatte die Rentabilität aller drei Unternehmen hervorgehoben und darauf hingewiesen, dass das Geld in Aktienrückkäufe investiert und die Boni der Vorstandsvorsitzenden um 40 % erhöht wurden. Gleichzeitig mussten die Arbeiter:innen von einer Lohnzahlung zur nächsten leben. Es kann sechs oder acht Jahre dauern, bis Zeitarbeiter:innen dauerhaft beschäftigt werden. Wenn sie dann Vollzeitbeschäftigte sind, würden sie die höchste Lohnstufe nach acht Jahren erreichen, aber ohne jemals eine Gesundheitsversorgung im Ruhestand oder eine Rente zu erhalten. Dann gab es die hochprofitablen Ersatzteilvertriebstöchter der Unternehmen, bei denen die Arbeiter:innen mit einem niedrigeren Lohn beginnen als die Montagearbeiter.

Als Industriegewerkschaft fordert die UAW in ihrem Statut die Anhebung der niedrigsten Löhne auf das Niveau der besser Entlohnten. Als in den Verträgen mit den Großen Drei zweistufige Löhne eingeführt wurden, fühlten sich selbst diejenigen, die auf Empfehlung der AC-Führung widerwillig dafür gestimmt hatten, unwohl, neben neu eingestellten Mitarbeitern zu arbeiten, die niedrigere Löhne und weniger Sozialleistungen erhielten. Bei jedem weiteren Vertrag sagten die Arbeiter, dass ein Ende der Stufenlöhne ihre wichtigste Forderung sei – aber das, wovon sie hofften, dass es ein befristetes Zugeständnis sei, wurde zum Standard.

Fünf der 10 Forderungen [für die Tarifrunde] richteten sich gegen die Stufen und waren, wie die Wiederherstellung von COLA und die Erhöhung der Renten, Versuche, das Verlorene zurückzugewinnen. Bei den anderen drei Themen – Überstunden, Werksschließungen und Schutz vor Entlassungen – geht es um die kontinuierliche Intensivierung der Arbeit und die Umstrukturierung der Branche, die die Arbeiter:innen im Stich lässt. Obwohl die Arbeitskosten nur noch 4–5 % der gesamten Fahrzeugkosten ausmachen (von früher 7–8 %), konzentrieren sich die Unternehmen auf diesen Bereich. Während die Unternehmen behaupten, dass sie Geld in die Batterieforschung und -technologie investieren müssen, besteht die UAW auf ihrem Recht, das zurückzugewinnen, was von vielen Arbeitern als vorübergehendes „Opfer“ betrachtet wurde. Darüber hinaus stellen ihre Forderungen das Recht des Managements in Frage, die Ungleichheit zu vertiefen.

Infolgedessen beschränkten sich die wöchentlichen Aktualisierungen nicht auf Verhandlungen mit nur einem Unternehmen. Auch dies brach mit der Tradition, sich auf ein Unternehmen zu konzentrieren, um einen Vertrag durchzusetzen, der zu einem Muster für die beiden anderen werden sollte. Manchmal führte dies zu einem Streik bei dem einen herausgesuchten Unternehmen.

 

Shawn Fain

Foto: 42-BRT, 2023

Als sich das Ende der Laufzeit des alten Vertrages näherte, machte Fain deutlich, dass die Frist nicht verlängert werde. Arbeiter, Experten und Medien fragten sich, ob die UAW gegen alle drei losschlagen werde. Mit 825 Millionen US-Dollar in der Streikkasse hätte die UAW einen einmonatigen Streik überstehen können (wobei jeder Streikende Anspruch auf 500 US-Dollar plus Gesundheitsversorgung hat).

Nur zwei Stunden vor Mitternacht enthüllte Fain die innovative Strategie, bei jedem der drei Unternehmen ein Werk anzugreifen. Dies schonte nicht nur die finanziellen Ressourcen der UAW, sondern gab den Verhandlungsteams auch die Möglichkeit, den Arbeitskampf im Wochenrhythmus zu eskalieren, und ließ die Unternehmen raten, welches Werk wohl als nächstes bestreikt werden könnte.

Als 13 000 UAW-Arbeiter:innen zum Streik aufgerufen wurden, skizzierte Fain die „Stand Up“ -Strategie, die sowohl diejenigen im Streik als auch diejenigen, die bereit waren, bei Bedarf hinauszugehen, vereinte. Diejenigen, die unter einem ausgelaufenen Tarifvertrag arbeiteten, wurden darin bestärkt, freiwillige Überstunden abzulehnen und Vorgesetzte zu beobachten, die versuchen könnten, Änderungen vorzunehmen, die gegen die Regeln verstoßen. Diejenigen, die noch nicht streikten, sollten sich weiterhin organisieren, mittwochs rote T-Shirts tragen, mit ihren Kollegen diskutieren und sich den Streikposten anschließen.

Jede Woche gab Fain einen Live-Bericht auf Facebook, um zu berichten, wo die Verhandlungen standen. Am Ende der ersten Woche gab Ford positive Antworten auf einige der Forderungen: Zustimmung, die derzeitigen Leiharbeiter:innen nach 90 Arbeitstagen dauerhaft zu beschäftigen, COLA wiederzubeleben und bis zu zwei Jahre Löhne und Sozialleistungen zu garantieren, wenn ein Werk geschlossen und die Arbeiter:innen entlassen werden. Aufgrund dieses Fortschritts entschied sich die UAW, nur die Vertriebsstandorte von Stellantis und GM zu bestreiken. Diese 38 Standorte sind auf 21 Bundesstaaten verteilt, was es den Arbeiter:inen und anderen aus den Städten erlaubt, sich den Streikposten anzuschließen. Einige Streikende organisierten spontan Konvois von einem bestreikten Standort zum nächsten. In der folgenden Woche vernetzten sich die Konvois über Regionen hinweg.

Als der Streik in die dritte Woche ging, machte Stellantis ein Angebot und wurde „begnadigt“. Bei einem GM-Montagewerk in Lansing, Michigan, und einer Ford-Montage in der Nähe von Chicago streikten insgesamt 25 000 UAW-Arbeiter:innen und einige hundert weitere wurden wegen des Streiks arbeitslos.

Diese Strategie, mit einer minimalen Zahl an bestreikten Betrieben zu beginnen, bedeutet, dass Unternehmen sich jede Woche bewegen müssen oder ihre Standorte geraten ins Visier. Als sich der Streik geografisch ausweitete, solidarisierten sich mehr Gewerkschaften und gesellschaftliche Gruppen – darunter sogar Präsident Joe Biden.

Als erster US-Präsident, der jemals eine Streikpostenkette besuchte, erklärte Biden, dass die Forderungen der Arbeiter:innen gerecht seien. Das bedeutete auch, dass die Biden-Regierung nicht versuchen konnte, ein Ende des Streiks auszuhandeln, sondern außen vor bleiben musste.

Als Trump versuchte, die Streikenden zu unterstützen, sich aber gegen ihre Führung stellte, wies Shain darauf hin, dass auch er nur ein weiterer Milliardär sei – einer aus der Klasse, die sich den Forderungen der Arbeiter:innen entgegenstellt. Anstatt nach Michigan zu kommen, um sich an der Streikpostenkette zu beteiligen, hielt Trump eine Kundgebung an einem nicht gewerkschaftlich organisierten Teilewerk ab, wo die Presse keine Streikenden unter denen finden konnte, die „Autoarbeiter für Trump“-T-Shirts trugen. Sie fanden zwei Autoarbeiter, die Trump-Unterstützer waren, aber selbst sie stimmten nicht mit Trumps Ansichten über die Streikstrategie der UAW überein.

      
Mehr dazu
Dan La Botz: Autostreiks in den USA, die internationale Nr. 1/2024 (Januar/Februar 2024)
Dianne Feeley: Automobilarbeiter gegen die Krise, Inprekorr Nr. 458/459 (Januar/Februar 2010) (nur online)
Lee Sustar: Die Arbeiterbewegung: Notstand und Zeichen der Erneuerung, Inprekorr Nr. 394/395 (September/Oktober 2004)
Alan Jacobson: Mehrheit bei den Teamsters kippt, Inprekorr Nr. 325 (November 1998)
Kim Moody: Lehren aus dem GM-Streik, Inprekorr Nr. 325 (November 1998)
 

Die Strategie, die Großen Drei anzugreifen, setzt Unternehmen auf den heißen Stuhl, denn sie müssen ständig auf die Forderungen der UAW reagieren. Sie ist auch transparent, da die wöchentlichen Updates zeigen, was verhandelt wird und sogar, was erreicht wird. Und sie ermutigt die Mitglieder, den Druck aufrechtzuerhalten, egal ob sie mit einem abgelaufenen Vertrag arbeiten und das Management im Auge behalten oder sich an den Streikposten beteiligen.

Gewerkschaften, gesellschaftliche und politische Organisationen schlossen sich den Streikposten zu jeder Tages- und Nachtzeit an. Sie brachten Essen, Musik und, als das Wetter kalt wurde, Holz für die Feuertonnen. Insbesondere beteiligten sich Ortsgruppen der DSA [Democratic Socialists of America, eine sozialdemokratische bis linkssozialistische Organisation in den USA] im ganzen Land regelmäßig an den Streikpostenketten und leisteten materielle Hilfe.

Als Bill Ford die UAW-Arbeiter:innen im Werk Rouge von Ford anflehte, ihre Zukunft mit dem Unternehmen und im Wettbewerb mit ausländischen Unternehmen zu sehen, in denen die Belegschaft nicht gewerkschaftlich organisiert ist, antwortete Fain, dass diese nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeiter:innen unsere Brüder und Schwestern seien – und ihnen der Beitritt zu Gewerkschaften offen steht. Fain wies auch darauf hin, dass es bei dem Streik nicht nur um die UAW geht, sondern um das breitere Bedürfnis nach einem Ende der Ungleichheit.

26. Oktober 2023
Dianne Feeley ist pensionierte Automobilarbeiterin und aktiv im Autoworker Caravan, einer gewerkschaftlichen Basisgruppe, und Redakteurin von Against the Current.
Quelle: International Viewpoint
Übersetzung und [Anmerkungen]: Björn Mertens



Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 1/2024 (Januar/Februar 2024). | Startseite | Impressum | Datenschutz