Die Massenbewegung der Solidarität mit der Bevölkerung von Gaza und Palästina weltweit wird als antisemitisch abgestempelt und ist Repressionen ausgesetzt, sowohl kollektiv durch das Verbot von Palästina-Solidaritätsorganisationen als auch gegen Einzelpersonen, darunter viele Akademiker:innen, die entlassen wurden, weil sie den israelischen Völkermord in Gaza verurteilten.
Dave Kellaway
Einer der letzten Fälle dreht sich um das große Glastonbury-Musikfestival in Großbritannien. Die pro-palästinensische Rap-Gruppe Kneecap aus Belfast wurde bereits stigmatisiert, indem sie vom Livestream der BBC von der Veranstaltung ausgeschlossen wurde. Das Duo Bob Vylan [1] war jedoch auf dem Livestream zu sehen, so dass ihr Ruf „Death to the IDF“ (Tod der israelischen Armee), der von der Menge aufgenommen wurde, live übertragen wurde. [2] Dies hat für große Aufregung gesorgt, mit Forderungen nach der Entlassung des BBC-Vorsitzenden, polizeilichen Ermittlungen und Anfragen im Parlament. Währenddessen geht der Völkermord weiter und löst weit weniger Verurteilungen aus.
![]() Bob Vylan Von links: Bobbie und Bobby Vylan (Foto: IthakaDarinPappas) |
Die Daily Mail, die BBC, Kulturministerin Lisa Nandy und die meisten Mainstream-Medien haben Maßnahmen gegen den Musiker Bobby Vylan wegen antisemitischer Hassrede gefordert, weil er den berüchtigten Ruf „Tod der IDF“ (Israelische Armee) angestimmt hat. Tatsächlich lügt die Mail und verleumdet Vylan auf ihrer Titelseite, indem sie behauptet, er habe zum Tod von Israelis aufgerufen.
Die Behauptung, die Parole „Tod der IDF“ sei antisemitisch, ist selbst antisemitisch im Sinne von mindestens zwei der in der IHRA-Arbeitsdefinition des Antisemitismus aufgeführten Beispiele für Antisemitismus. Darin heißt es, dass Folgendes als antisemitisch betrachtet wird:
Das Verantwortlichmachen der Jüdinnen und Juden als Volk für tatsächliches oder unterstelltes Fehlverhalten einzelner Jüdinnen und Juden, einzelner jüdischer Gruppen oder sogar von Nichtjüdinnen und Nichtjuden.
Das kollektive Verantwortlichmachen von Jüdinnen und Juden für Handlungen des Staates Israel.
Bob Vylan hat nie unterstellt, dass Juden als Volk für das Fehlverhalten der IDF verantwortlich seien oder dass Juden kollektiv für die Handlungen des Staates Israel verantwortlich seien. Hätte er „Tod den Juden“ oder „Israelis“ gerufen, wäre eine Grenze überschritten worden. Das tat er nicht.
Viele Jüdinnen und Juden außerhalb Israels sind der Meinung, dass die IDF das jüdische Volk in keiner Weise repräsentiert, da sie Hunderte von Menschen erschießt, die an den vom Militär kontrollierten Lebensmittelverteilungsstellen für Lebensmittel anstehen, und durch ihre Bombenangriffe Zehntausende von Kindern tötet. Eine Minderheit jüdischer Menschen innerhalb Israels lehnt das Vorgehen der IDF ebenfalls ab. Jüdische Menschen, die gegen den Völkermord sind, lehnen es vehement ab, dass sie in irgendeiner Weise für das verantwortlich gemacht werden, was die IDF im Gazastreifen und im Westjordanland tut. Sie sagen: Nicht in unserem Namen.
In seiner gesamten Geschichte hat sich der israelische Staat als Synonym für die jüdische Religion, Gesellschaft und Kultur dargestellt. Folglich wird jede Kritik an seinem Handeln automatisch als antisemitisch definiert. Nur weil fast alle Mitglieder der IDF jüdischen Glaubens sind, ist sie noch lange keine jüdische Körperschaft. Die meisten US-Soldat:innen identifizieren sich wahrscheinlich mit der christlichen Religion und Kultur, aber die massenhafte Opposition gegen ihre Aktionen in der ganzen Welt, von Vietnam bis Irak, hat sie niemals als christlich verstanden. Als Regierungen und Medien den Aufruf zur Vernichtung der ISIS unterstützten, behauptete niemand, dies sei islamfeindlich, nur weil die Mitglieder der ISIS fast immer islamischen Glaubens sind.
Die Zionisten freuen sichNach Eklat: Hamburg, Stuttgart und Köln sagen Bob-Vylan-Auftritte abNach dem Eklat bei einem britischen Festival mit israelfeindlichen und antisemitischen Aussagen sind mehrere geplante Auftritte des Punk-Duos Bob Vylan in Deutschland abgesagt worden Jüdische Allgemeine, 7.7.2025 |
In der Erklärung von Bob Vylan nach dem Aufsehen, das sie erregt haben, wird dieser Punkt mit Nachdruck betont:
„Wir sind nicht für den Tod von Juden, Arabern oder irgendeiner anderen Ethnie oder Gruppe von Menschen“, schrieb das Duo am Dienstag in einem Beitrag auf Instagram. „Wir sind für die Zerschlagung einer gewalttätigen Militärmaschinerie – einer Maschine, deren eigene Soldaten angewiesen wurden, ‚unnötige tödliche Gewalt’ gegen unschuldige Zivilisten anzuwenden, die auf Hilfe warten. Einer Maschine, die einen Großteil des Gazastreifens zerstört hat.“
Vylan hat sicherlich gute Gründe, die Daily Mail und andere, die ihn des Antisemitismus beschuldigen, zu verklagen.
Wenn man gegen eine völkermörderische Besatzung kämpft, bei der täglich Hunderte von Familienangehörigen, Freunden und Nachbarn bombardiert und getötet werden, ist es eine gerechte, menschliche und logische Reaktion, die Niederlage und sogar den Tod der Soldaten zu fordern, die einen töten. So wird die offizielle Ideologie während des Zweiten Weltkriegs gegen die deutsche Armee argumentiert haben. Es war ein Krieg – auf Leben und Tod – gegen das deutsche Volk, der nicht immer als Krieg gegen die Nazis oder Faschisten definiert wurde. Als Mensch mit schwarzer Hautfarbe, der sich des Kolonialismus und dessen gewaltsamer Unterdrückung bewusst ist, brachte Vylan seine Solidarität mit dem gerechten Widerstand des palästinensischen Volkes gegen seine Besatzer zum Ausdruck.
„Tod der“ als Parole hat auch einen politischen, metaphorischen Sinn: Wir wollen die Niederlage dieser brutalen Armee, wir wollen, dass das aufhört. Sie kann mit Appellen an Israelis kombiniert werden, den Dienst zu verweigern. Wenn Iraner:innen „Tod den Amerikanern“ skandieren, würden sie im Allgemeinen antworten, dass sie nicht die gewöhnlichen Amerikaner hassen, sondern ihre imperialistische Regierung und Armee.
Im Allgemeinen haben das Establishment und die Regierungen akzeptiert, dass der künstlerische und kulturelle Kontext für das, was als extreme Äußerung gilt, sich von einer Straßendemonstration oder einer politischen Versammlung unterscheidet. John Betjeman forderte in seinem Vorkriegsgedicht, Slough zu bombardieren, weil dort seiner Meinung nach all das zerstört wurde, was für ihn eine Art britisches Ideal war. Bob Dylan feiert in seinem Lied „Masters of War“ den Tod der Kriegstreiber
And I hope that you die
And your death will come soon
I’ll follow your casket
By the pale afternoon
And I’ll watch while you’re lowered
Down to your deathbed
And I’ll stand over your grave
‘Til I’m sure that you’re dead [3]
Ich kann mich nicht erinnern, dass irgendjemand gefordert hätte, Dylan wegen Hassreden strafrechtlich zu verfolgen.
Ob sich die Palästina-Solidaritätsbewegung eine solche Parole zu eigen machen sollte, ist eine ganz andere Frage. Eine solche Parole ist für die große Mehrheit der Menschen weniger klar und verständlich. Der politische Sinn eines gerechtfertigten Widerstands gegen die Besatzung ist viel weniger zugänglich.
Über Bob VylanSie bündeln den Spirit und die Energie einiger Genres, die in ihrer Heimatstadt London in ganz unterschiedlichen Jahrzehnten hervorgebracht wurden: Siebziger-Punk-Ethos trifft auf Grime, massiver Gitarrennachdruck auf sozialkritische Klartext-Raps, DIY-Haltung und Spoken-Word-Feingefühl. Auch wenn ihr Bandname womöglich andere Assoziationen weckt, haben Bob Vylan aus London mit ihren unmissverständlichen Anti-Establishment-Ansagen in den letzten Jahren immer mehr Menschen wachgerüttelt. Im Herbst exportiert das UK-Duo seinen explosiven Sound ein weiteres Mal nach Deutschland, wenn Bob Vylan im Rahmen der "Humble As The Sun UK / EU Tour" auch für vier Konzerte nach Deutschland kommt. Karsten Jahnke, 2024 |
Eine erfolgreiche Strategie der palästinensischen Solidarität erfordert nicht, dass wir die Menschen vom Recht auf bewaffneten Widerstand oder gar von der militärischen Niederlage der israelischen Armee überzeugen. Viel wichtiger sind Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen (BDS) sowie eine Änderung der Politik unserer eigenen Regierung.
Während des Vietnamkriegs gab es in der Solidaritätsbewegung in den USA eine Debatte darüber, ob die Hauptparole „Victory to the NLF“ (Sieg der Nationalen Befreiungsarmee) oder „Bring the Troops Home now“ (Bringt unsere Soldaten nach Hause zurück) lauten sollte. Die zweite Parole wurde angenommen, und es war eine richtige Entscheidung.
Bobby Vylan hat für seine Aktion in Glastonbury teuer bezahlt. Trump hat dafür gesorgt, dass die US-Tournee seiner Band blockiert wird, und ihr Agent hat sie fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Hoffentlich können sie ihre Arbeit fortsetzen. Wie bei Kneecap haben die Angriffe auf nur noch mehr Interesse und Unterstützung für seinen Standpunkt – und seine Band – geweckt.
Im Jahr 2003 versuchte Josh Richards, ein Flugzeug auf einem Stützpunkt der US-Luftwaffe in Brand zu setzen. Der Anwalt, der ihn vor Gericht verteidigte, betonte, dass seine Aktion legitim und notwendig war, um einen Angriffskrieg gegen den Irak zu verhindern. Er beschränkte sich nicht darauf zu sagen, dass Richards kein Terrorist sei; er ging noch weiter – bestand darauf, dass sein Mandant kein Krimineller sei. Der Anwalt war Keir Starmer (der heutige Premierminister).
Frauen, die vor Greenham Common für den Frieden demonstrierten, ketteten sich an den Toren des US-Stützpunkts fest und kletterten auf die Raketensilos. Selbst die damalige Premierministerin Margaret Thatcher hat nie versucht, sie als Terroristen zu bezeichnen. Die gesamte Geschichte der Gewerkschaftsbewegung, von den Ludditen bis zu den Streikenden in Taff Vale, beinhaltete Elemente der Sachbeschädigung. Man könnte argumentieren, dass einige Aktionen der Suffragetten wie Brandstiftung oder das Einschlagen von Fenstern schlimmer waren als das, was Palestine Action getan hat. Es gibt bereits Gesetze, die gewaltlose Sachbeschädigung unter Strafe stellen. Die Strafen sind bereits härter geworden, so bei den Elbit 13, die lange Haftstrafen verbüßen.
Das wirklich Ironische daran ist, dass Yvette Cooper wahrscheinlich frühere Mitglieder der Labour-Partei und der Gewerkschaften als Terroristen bezeichnen müsste, wenn sie konsequent sein wollte.
Palestine Action organisiert gewaltfreie direkte Aktionen, die sich vor allem gegen militärische Ziele oder die Rüstungsindustrie richten. Vor kurzem drangen zwei ihrer Aktivisten in den Luftwaffenstützpunkt Brize Norton ein und beschmierten Kampfjets mit roter Farbe. Die Tatsache, dass sie unentdeckt ein- und ausgehen konnten, erklärt die heftige Reaktion von Leuten wie Innenministerin Yvette Cooper.
Da sie nach dem Chaos über das Wohlfahrtsgesetz ohnehin nervöser als sonst war, kombinierte Cooper das Verbot der Palestine Action mit dem des Maniacs Murder Cult, einer weißen rassistischen, neonazistischen Organisation und der russischen imperialen Bewegung, einer weißen rassistischen, ethno-nationalistischen Organisation. Nur 26 stimmten dagegen – nicht einmal die gesamte Socialist Campaign Group der Labour-Linken und ehemaliger Labour-Abgeordneten.
Es gab jedoch eine gewisse Gegenreaktion. Palestine Action hat eine einstweilige Verfügung erreicht, die den Prozess verzögert, und es wird unmittelbar eine Anhörung dazu stattfinden. In zwei getrennten Briefen an Innenministerin Yvette Cooper sagten die Rechtsanwaltsgruppe Network for Police Monitoring (Netpol) und die Haldane Society of Socialist Lawyers, dass ein Verbot der Gruppe einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen würde. Der Brief der Netpol-Anwälte, der exklusiv mit dem Guardian geteilt wurde, wurde von 266 Anwälten und Rechtswissenschaftlern unterzeichnet, darunter 11 Kronanwälten und 11 Juraprofessoren. Darin wird festgestellt:
„Den Terrorism Act zu nutzen, um Palestine Action direkte Aktionen zu verbieten, wäre ein Missbrauch dieser Gesetzgebung und ein Eingriff in das Recht zu protestieren. Der Missbrauch der Terrorismusgesetzgebung auf diese Weise gegen eine Protestgruppe schafft einen gefährlichen Präzedenzfall, bedroht unsere demokratischen Freiheiten und wäre ein schrecklicher Schlag gegen unsere bürgerlichen Freiheiten.“
Zu den Unterzeichnern des Briefes der Haldane Society, der Cooper vor der Abstimmung der Abgeordneten am Mittwoch übergeben wurde, gehören die Kronanwälte Michael Mansfield und Imran Khan – die die Familie von Stephen Lawrence und die Opfer des Brandes im Grenfell Tower vertraten – und der Labour-Oberhausabgeordnete und Kronanwalt John Hendy.
Er wurde von Tausenden von Menschen unterzeichnet, darunter die Politiker:innen Caroline Lucas, Jeremy Corbyn und John McDonnell, die Schauspieler:innen Adeel Akhtar und Juliet Stevenson, Lehrer:innen und Priester.
In dem Brief heißt es: „Es [ein Verbot] würde viele gewöhnliche Mitglieder der Öffentlichkeit angreifbar machen – zum Beispiel würde das einfache Tragen eines T-Shirts mit der Aufschrift ‚Ich unterstütze Palestine Action’ als Verstoß gegen das Verbot angesehen und es müssten Maßnahmen ergriffen werden.“
Auch Vertreter der Vereinten Nationen haben die Maßnahme verurteilt. Sogar der ehemalige Labour-Justizminister Lord Falconer hatte gesagt, dass es ein falscher Schritt wäre, sie als Terroristen zu bezeichnen.
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Einmal als terroristisch eingestuft, könnte die Maßnahme verwendet werden, um die Solidaritätsbewegung und die radikale Linke zu untergraben. Websites könnten geschlossen, führende Mitglieder strafrechtlich verfolgt und hohe Geldstrafen verhängt werden. Offensichtlich ist die Regierung besorgt, dass die palästinensische Solidaritätsbewegung, anstatt sich im Laufe der Zeit abzuschwächen, stattdessen stark bleibt und sich immer mehr in der britischen Gesellschaft verankert. Die Wähler:innen haben bereits gezeigt, dass sie wegen der Labour-Politik zu Palästina grün, unabhängig oder weiter links wählen werden. Der Kneecap-Auftritt in Glastonbury wurde von der BBC gesperrt, aber der Live-Stream, der von einer Frau heldenhaft in der brennenden Hitze aufgenommen wurde, wurde über 1,5 Millionen Mal angesehen. Labour ist dabei, eine ganze Generation fortschrittlich denkender Menschen zu verlieren.
Wir können das Schlusswort der politisch aktiven Schauspielerin Juliet Stevenson überlassen:
„Die Definition von Terrorismus, wie sie im Terrorismusgesetz von 2000 festgelegt ist, ist klar und beinhaltet ‚schwere Sachbeschädigung’. Stellt das Aufsprühen von roter Farbe auf Metall eine schwere Sachbeschädigung dar? Während Innenministerin Yvette Cooper das Sprühen von roter Farbe auf Flugzeuge verurteilt, scheint sie auf das Verspritzen von rotem Blut auf die Zeltwände von Gaza nicht annähernd gleichwertig zu reagieren.“
03. Juli 2025 |
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