Resolution des 17. Weltkongresses der IV. Internationale
Inhalt
I. Eine neue imperialistische Galaxie
II. Chronische geopolitische Instabilität
III. Globalisierung und Krise der Regierbarkeit
IV. Die neuen (Proto-), (Sub-) Imperialismen
V. Neue extreme Rechte, neue Faschismen
VI. Autoritäre Regime, demokratische Forderungen und Solidarität
VII. Kapitalistische Expansion und Klimakrise
VIII. Eine Welt permanenter Kriege
IX. Die Grenzen der Supermacht
X. Internationalismus versus Lagerdenken
XI. Humanitäre Krise
XII. Ein globalisierter Klassenkrieg
Die nachfolgenden „Thesen“ erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder vollständige Schlussfolgerungen. Sie sollen vor allem einen kollektiven internationalen Reflexionsprozess anstoßen. Sie bauen oft auf bereits geteilten Argumenten auf, versuchen aber, die Diskussion über deren Schlussfolgerungen weiter voranzubringen. Dafür „verdichten“ sie – auch auf die Gefahr hin, komplexe Realitäten zu sehr zu vereinfachen – laufende Entwicklungen, um das Neue besser hervorheben.
Diese Veränderungen sind tiefgreifend, können widersprüchliche Aspekte aufweisen und haben Konsequenzen in allen Bereichen. Wir erleben nicht die geordnete Etablierung eines neuen stabilen Modus internationaler Herrschaft. Die Herrschaft des globalisierten Kapitals fördert die Instabilität. Die Entwicklung der Kräfteverhältnisse zwischen den Mächten war nicht im Voraus bekannt und bleibt Gegenstand intensiver Konflikte, deren Ausgang nicht vorhersehbar ist. Auf der anderen Seite ist es möglich, den in den 1990er Jahren eingeleiteten Zeitenwechsel einzuschätzen und die gegenwärtigen Dynamiken und ihre politische Bedeutung zu analysieren.
Als Erstes gilt es festzustellen, dass sich die heutige geopolitische Lage stark von der zu Beginn des 20. Jahrhunderts oder der Jahre 1950-1980 unterscheidet. Ein Vierteljahrhundert nach dem Zusammenbruch der UdSSR und dem Aufstieg der kapitalistischen Globalisierung ist die Dynamik der Konflikte zwischen den Mächten beispiellos und hat besonders gefährliche Folgen. In groben Zügen:
Die gegenwärtige Situation ist weitgehend durch den Konflikt zwischen der etablierten Hauptmacht USA und der aufstrebenden kapitalistischen Macht Chinas geprägt, die Zutritt zur ersten Liga verlangt. Dieser Konflikt wird auf allen Kontinenten und in allen Bereichen ausgetragen: wirtschaftlich, finanziell und monetär, diplomatisch, geostrategisch (Kontrolle von Ressourcen und Verkehrswegen), um die Führung in internationalen Institutionen usw.
Was die militärischen Spannungen angeht, kristallisiert sich der Konflikt zwischen den USA und China in Ostasien heraus. Peking konnte seit 2013 seine Präsenz im Südchinesischen Meer sichern. Washington nutzt die Korea-Krise, um die Initiative zurückzugewinnen. Um die US-Hegemonie zu bekräftigen, zögert Donald Trump nicht, mit einer nuklearen Intervention zu drohen. Erstmals seit vielen Jahrzehnten ist der Einsatz von Atomwaffen eine reale Gefahr, und die USA tragen die Hauptverantwortung. Sie tragen auch die Verantwortung für das Wiederaufleben des Wettrüstens. Die Installation von Thaad-Raketenabwehrsystemen in Südkorea neutralisiert tatsächlich weitgehend die Nuklearkapazität Chinas, das im Gegenzug die Stationierung einer Flotte strategischer U-Boote plant.
Dieser Neustart des Wettrüstens reicht vom Bau neuer Flugzeugträger und U-Boot-Flotten bis zur „Modernisierung“ des Atomarsenals durch Länder wie die Vereinigten Staaten und Frankreich, die versuchen, sie im Rahmen lokaler Konflikte einsatzfähig und politisch akzeptabel zu machen.
Russland hat weder die Basis noch die wirtschaftlichen oder finanziellen Mittel Chinas. Dafür verfügt es über das zweitgrößte Nukleararsenal der Welt (einschließlich einer Flotte strategischer U-Boote), ein wichtiger Vorteil im allgemeinen Klima der Militarisierung des Planeten, der in einen permanenten Kriegszustand versetzt wird. Obwohl sein Aktionsfeld enger ist als das Pekings, spielt Moskau eine entscheidende Rolle in Syrien, wo es nicht mehr umgangen werden kann. Sein Einfluss wächst insbesondere im Nahen Osten und in Osteuropa, und die Beziehungen zum Westblock werden konfliktreicher.
Diese neue Situation weist auf tiefgreifende Veränderungen hin. Neben der Herausbildung des neuen (proto-)chinesischen oder russischen Imperialismus (siehe Kapitel IV) stellen wir insbesondere fest:
Eine Diversifizierung des Status der traditionellen Imperialismen: „Supermacht“ USA; Scheitern der Bildung eines integrierten europäischen Imperialismus; „Reduktion“ des französischen und des britischen Imperialismus; militärisch „zahnlose“ Imperialismen (vor allem Deutschland, aber auch Spanien gegenüber Lateinamerika); weiterhin untergeordnete Stellung des japanischen Imperialismus (Japan verfügt zwar über eine starke Armee, besitzt aber weder Atomwaffen noch Flugzeugträger); Krisen des sozialen Zerfalls in manchen westlichen Ländern (Griechenland), die historisch zum imperialistischen Bereich gehören …
Wichtige Veränderungen in der internationalen Arbeitsteilung, mit der „Finanzialisierung“ der Wirtschaft [Dominanz der Finanzmärkte], der Deindustrialisierung vieler westlicher und insbesondere europäischer Länder, einer neuen Konzentration der globalen Warenproduktion insbesondere auf Asien – wobei die Vereinigten Staaten, Deutschland und Japan weiterhin bedeutende Industriemächte sind.
Eine ungleiche Entwicklung jedes Imperialismus, der jeweils in gewissen Bereichen Stärken und in anderen Schwächen aufweist. Die Hierarchie der imperialistischen Staaten ist heute folglich schwieriger feststellbar als in der Vergangenheit. Die Vereinigten Staaten sind natürlich noch immer die Nummer eins; sie sind die Einzigen, die in fast allen Bereichen den Anspruch auf eine Vormachtstellung erheben können, auch wenn in wirtschaftlicher Hinsicht sie einen relativen Niedergang erleben und die Begrenztheit ihrer Weltmachtstellung hinnehmen müssen.
Die Charakterisierung der neuen Mächte (China, Russland) ist also nicht die einzige Frage, die sich stellt. Wir müssen auch erneut den sich wandelnden Status der traditionellen Imperialismen – und die imperialistische Ordnung in ihrer Gesamtheit – besser evaluieren. Klassische Begriffe wie die von „Zentrum“ und „Peripherie“, „Norden“ und „Süden“ müssen angesichts der wachsenden Diversifizierung innerhalb jedes einzelnen dieser geopolitischen Räume angepasst werden.
Als Zweites gilt es festzuhalten, dass die kapitalistische Globalisierung international zu keiner stabilen „neuen Ordnung“ geführt hat, ganz im Gegenteil.
Es gibt einen dominanten imperialistischen Block, den man, da er um die Achse Nordamerika/Europäische Union strukturiert ist, als „atlantischen Block“ bezeichnen könnte – sofern man den Begriff geostrategisch und nicht geografisch versteht: Denn dazu gehören auch Australien, Neuseeland und Japan. Es ist ein hierarchischer Block unter US-amerikanischer Hegemonie. Die NATO ist sein bevorzugter permanenter bewaffneter Arm. Deren Aufstellung an der europäischen Grenze der „russischen Einflusszone“ zeigt, dass ihre ursprüngliche Funktion nichts an Aktualität eingebüßt, zumal diese Grenze wieder zur Konfliktzone geworden ist.
Die NATO wollte sich weiter im Osten ausbreiten, war aber nicht sehr erfolgreich. Die Nahostkrise zeigt, dass die Organisation kein operativer Rahmen ist, um sich überall durchzusetzen. Mit dem regionalen Stützpfeiler Türkei bestehen intensive Spannungen. Für jedes operative Einsatzgebiet mussten neue Bündnisse mit Regimes geschmiedet werden, die sich gegenseitig feindlich gegenüberstehen, wie Saudi-Arabien und Iran. Der militärische Beitrag ihrer europäischen Mitglieder ist marginal; diese Situation war Anlass für Donald Trumps Angriffe auf die Organisation zu Beginn seiner Amtszeit.
In ideologischer Hinsicht erleben die herrschenden Klassen eine Legitimationskrise, sind häufig mit schweren institutionellen Disfunktionalitäten konfrontiert – sie verlieren die Kontrolle über Wahlprozesse auch in Schlüsselländern wie den Vereinigten Staaten (Wahl von Trump) und Großbritannien (Brexit).
Die Ursachen der gegenwärtigen chronischen Krise sind mannigfaltig.
Die imperialistischen Staaten haben nach wie vor die Aufgabe, günstige Bedingungen für die Kapitalakkumulation zu schaffen, doch das globalisierte Kapital operiert ihnen gegenüber unabhängiger als in der Vergangenheit. Diese Abkopplung hat dazu beigetragen, die alten nahezu exklusiven Einflusszonen der traditionellen Imperialismen in der Welt durchlässig zu machen (allerdings in geringerem Maße in Lateinamerika). Die enorme Mobilität des Kapitals hat verheerende Folgen für die gesellschaftlichen Gleichgewichte, was die Möglichkeit der Staaten, stabilisierend einzugreifen, untergräbt.
Die kapitalistische Globalisierung, die Finanzialisierung [Finanzmarktdominanz] und die zunehmende Internationalisierung der Produktionsketten ziehen auch die Fähigkeit der Staaten in Mitleidenschaft, Wirtschaftspolitiken umzusetzen.
Das beispiellose Ausmaß der Finanzialisierung, die Entwicklung von sogenanntem „fiktiven“ Kapital, die dem modernen Kapitalismus eigen ist, hat in den letzten Jahren erhebliche Ausmaße angenommen. Das führt zu einer stärkeren Ablösung von Produktionsverfahren, ohne dass die Verbindung ganz aufgelöst worden wäre, während sich die Verbindung von ursprünglichem Kreditgeber und ursprünglichem Kreditnehmer lockert. Die Finanzialisierung hat das kapitalistische Wachstum gestützt, aber ihre übermäßige Entwicklung spitzt die Widersprüche zu.
Das Schuldensystem operiert mittlerweile im Norden wie im Süden. Es ist ein zentrales Mittel der vom Kapital über die Gesellschaften ausgeübten Diktatur und spielt, wie der Fall Griechenlands zeigt, eine unmittelbar politische Rolle in der Aufrechterhaltung der neoliberalen Ordnung: Die Staatsverschuldung wird als Vorwand benutzt, um soziale Eroberungen rückgängig zu machen und öffentliche Dienstleistungen abzubauen, um Staaten zu zwingen, auf die Ausübung ihrer Souveränität zu verzichten. Zusammen mit den Freihandelsabkommen hindert es Regierungen daran, eine alternative Politik umzusetzen, die einen Ausweg aus der sozialen Krise bieten würde.
Die Binnenverschuldung der Länder des Südens wächst stark zugunsten des lokalen Kapitals in den Händen einer Bourgeoisie, die Komprador-Charakter behält. Die Staatsverschuldung entwickelt sich nicht nur in externer Form, im Rahmen der Herrschaftsverhältnisse des Nordens zum Süden oder des Zentrums zur Peripherie. Sie wird auch von der Kapitalistenklasse der beherrschten Länder als Instrument der Akkumulation und Herrschaft verwendet.
Die Krise 2007-2008 hatte in vielen Ländern des Südens nicht die gleichen verheerenden Auswirkungen wie im Norden. Diese Länder sind relativ geschützt durch die Anhäufung von Devisen, die durch die 2003 einsetzende Phase steigender Rohstoffpreise ermöglicht wurde – und durch das weiterhin historisch niedrige Zinsniveau. Seit 2008 ist die Staatsverschuldung jedoch weltweit um 50 % gestiegen, begünstigt durch einen trotz der Krise unveränderten Zugang zu Krediten und im Norden durch die Vergesellschaftung der Verluste der Privatbanken. In dieser Situation wird eine neue große Finanzkrise gewaltsame Auswirkungen auf den ganzen Planeten haben.
Durch eine aggressive Politik der Kreditvergabe unter der Bedingung des Zugangs zu Rohstoffen ist China neben den traditionellen Imperialismen, internationalen Finanzinstitutionen und dem Finanzgroßkapital zu den Hauptgläubigern von Staatsschulden aufgestiegen. Es könnte im Krisenfall die Zahlungsschwierigkeiten der Schuldnerstaaten nutzen, um sich deren Vermögen beschleunigt anzueignen und so seinen Anspruch, eine imperialistische Großmacht zu werden, stärken.
Ein regelrechter „Währungskrieg“ (Devisen) findet statt – eine der Facetten innerimperialistischer Konflikte, da über den Zugriff auf eine Währung Kontrollzonen festlegt werden.
Früher waren die geopolitischen Bündnisse durch den Ost-West-Konflikt einerseits und den Konflikt zwischen China und der Sowjetunion andererseits „erstarrt“; heute sind sie fließender und ungewisser geworden.
Das Aufflammen revolutionärer Prozesse und der darauf folgenden Konterrevolutionen im arabischen Raum hat dazu beigetragen, dass in einem weiten Gebiet, das vom Nahen Osten bis in die Sahelzone und darüber hinaus in einen Teil Afrikas südlich des Sahel reicht, eine unkontrollierbare Lage entstanden ist.
Nach dem Zusammenbruch der UdSSR verhielten sich die Bourgeoisien und die (traditionellen) imperialistischen Staaten in einer ersten Phase sehr offensiv, mit der Durchdringung der Märkte im Osten, der Intervention in Afghanistan (2001) und im Irak (2003) … Seither verzettelten sie sich militärisch und es kamen die Finanzkrise, der Aufstieg neuer Mächte, die Revolutionen im arabischen Raum … was alles zu einem Verlust an geopolitischer Initiative und Kontrolle führte: Washington reagiert heute eher auf Notfälle, als zu planen, wie es seine Ordnung durchsetzen kann.
Vor diesem Hintergrund bleiben die Regionalmächte wichtig: Türkei, Iran, Saudi-Arabien, Israel, Ägypten, Algerien … Südafrika, Brasilien, Indien, Südkorea… Obwohl sie im weltweiten Herrschaftssystem unter US-Hegemonie eine untergeordnete Rolle spielen, treiben sie zusätzlich zu ihrer Rolle als regionale Gendarmen (wie Brasilien in Haiti) auch ihr eigenes Spiel (siehe Kapitel IV).
Die Finanzkrisen 1997-1998 und 2007-2008 legten die der kapitalistischen Globalisierung innewohnenden Widersprüche frei und hatten erhebliche Auswirkungen auf politischer Ebene (Delegitimierung des Herrschaftssystems), auf sozialer Ebene (mit ausgesprochener Härte in den direkt betroffenen Ländern) und strukturell, insbesondere mit der Schuldenexplosion. Sie bilden den Hintergrund für die großen Demokratiebewegungen, die einige Jahre später aufkamen (Besetzung von Plätzen), aber auch für offen reaktionäre, antidemokratische Entwicklungen, die von der großen Furcht vor dem „Mittelstand“ genährt werden (siehe z. B. Thailand).
In Verbindung mit der Umweltkrise und den massiven Bevölkerungsbewegungen bringt die strukturelle Instabilität der globalisierten Ordnung neue Formen von Armut hervor, die fortschrittliche Organisationen dazu zwingen, ihre Politik anzupassen.
Die imperialistischen Bourgeoisien gedachten den Zusammenbruch des Sowjetblocks und die Öffnung Chinas zum Kapitalismus zu nutzen, um einen globalen Markt mit einheitlichen Regeln zu schaffen, in dem sie ihr Kapital nach Gutdünken investieren können. Die kapitalistische Globalisierung hatte zwangsläufig tiefgreifende Folgen – die zudem durch Entwicklungen verschärft wurden, die die imperialistischen Bourgeoisien in ihrer Euphorie nicht voraussehen wollten.
Tatsächlich bedeutete dieses Projekt Folgendes:
Die gewählten Institutionen (Parlamente, Regierungen …) werden ihrer Entscheidungsmacht in grundlegenden Fragen enthoben und dazu gezwungen, in ihrer Gesetzgebung Beschlüsse nachzuvollziehen, die anderenorts getroffen wurden: in der WTO, internationalen Freihandelsabkommen, den Institutionen der Europäischen Union etc. Der klassischen bürgerlichen Demokratie wurde damit der Todesstoß verpasst – auf ideologischer Ebene drückt sich dies in der Bezugnahme auf die „Gouvernanz“ [Regierungsführung] statt auf die Demokratie aus.
Die aus der spezifischen Geschichte der Länder und Regionen hervorgegangenen „passenden Formen“ bürgerlicher Herrschaft (historische Kompromisse europäischer Art, Populismus lateinamerikanischer Prägung, staatlicher Dirigismus asiatischer Prägung, Klientelwirtschaft mit Umverteilungsfunktion verschiedener Prägung …) werden im Namen des höher gewichteten Rechts auf „Wettbewerb“ als illegal erklärt. Faktisch errichten alle die ihren Interessen jeweils angepassten Beziehungen zum Weltmarkt, was die freie Entfaltung des imperialistischen Kapitals hemmt.
Das gemeine Recht wird dem Recht der Unternehmen untergeordnet, denen der Staat auf Kosten des Rechts der Bevölkerung auf Gesundheit, eine gesunde Umwelt und einen gesicherten Lebensstandard die bei einer Investition erhofften Gewinne zu sichern hat. Das ist einer der Knackpunkte der neuen Freihandelsverträge, die die aus den großen internationalen Institutionen wie WTO, IWF und Weltbank bestehende Struktur ergänzen.
Eine endlose Spirale der Zerstörung sozialer Rechte. Die traditionellen imperialistischen Demokratien haben die Schwäche der Arbeiterbewegung und ihre Krise in den Ländern des sogenannten Zentrums gut eingeschätzt. Unter Berufung auf die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt haben sie sie für eine anhaltende, systematische Offensive genutzt, mit dem Ziel, die insbesondere in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg erkämpften kollektiven Rechte zu zerstören. Dabei streben sie keinen neuen, ihnen gewogeneren „Gesellschaftsvertrag“ an, sondern wollen mit solchen Abkommen generell Schluss machen und sich die potenziell gewinnträchtigen Sektoren des öffentlichen Dienstes, auf die sie bislang keinen Zugriff haben, wie Gesundheitswesen, Bildung, Rentensysteme, Transportwesen etc., unter den Nagel reißen.
Ein massiver Prozess der Enteignung der Ausgebeuteten und Unterdrückten durch die Privatisierung der öffentlichen Dienstleistungen und die Zunahme der privaten Verschuldung bringt sie in immer mehr Fällen in eine Situation, die an das Schicksal der einfachen Menschen im Europa des 19. Jahrhunderts erinnert. Nach dem Platzen der Immobilienblasen in Japan (1990), den USA (2006-2007), Irland und Island (2008) und Spanien (2009) wurden zig Millionen Haushalte der einfachen Bevölkerung aus ihren Wohnungen vertrieben. In Griechenland haben die Banken im Rahmen des dritten Memorandums von 2015 freie Hand, Familien aus ihren Wohnungen zu werfen, die nicht in der Lage sind, ihre Hypothekenschulden zu begleichen.
Von den Vereinigten Staaten bis Chile, vom Vereinigten Königreich bis Südafrika wurden die Kosten für das Hochschulstudium durch die neoliberale Politik erhöht, die Dutzende Millionen junger Menschen aus der einfachen Bevölkerung zwang, sich in dramatischem Ausmaß zu verschulden. Dies ist ein wichtiger Wendepunkt nach der Erweiterung des Zugangs zur Universität im vorigen Jahrhundert. Auch die Verschuldung der Bauern breitet sich in der Welt aus, mit wahrhaft unmenschlichen Folgen: Seit 1995 wurden in Indien mehr als 300 000 Selbstmorde von Bauern gemeldet (diese Zahl berücksichtigt also nicht die Selbstmorde von Landlosen und Frauen). Im Allgemeinen verstärkt die private Verschuldung die Unterdrückung der am stärksten marginalisierten Bevölkerungsgruppen – zum Beispiel Wohnungsräumungen, die hauptsächlich Einelternfamilien betreffen, in denen weibliche Haushaltsvorstände unterhaltsberechtigte Kinder haben.
Eine neue Form der Herrschaft
Die kapitalistische Globalisierung bedeutet auch
Eine Veränderung der dem Staat zugewiesenen Rolle und des Verhältnisses zwischen imperialistischem Kapital und Territorien. Von Ausnahmen abgesehen, sind die Regierungen bei bedeutenderen Industrieprojekten oder bei der Entwicklung von sozialen Infrastrukturen (Bildung, Gesundheit …) nicht mehr im Boot. Obwohl sie weiterhin „ihre“ Multis in der Welt unterstützen, fühlen sich Letztere (angesichts ihrer Macht und ihrer Internationalisierung nicht mehr wie in der Vergangenheit von ihren Ursprungsländern abhängig: Das Verhältnis ist so „asymmetrisch“ wie nie zuvor … Die nach wie vor wesentliche Rolle des Staates beschränkt sich darauf, Regeln einzuführen, die die Freizügigkeit des Kapitals zur allgemeinen Regel machen, den gesamten öffentlichen Sektor dem Appetit des Kapitals zu öffnen, zur Zerstörung der sozialen Rechte beizutragen und die eigene Bevölkerung im Zaum zu halten.
Wir haben es also mit zwei hierarchischen Systemen zu tun, die die weltweiten Herrschaftsverhältnisse strukturieren. Die (wie in Kapitel I erwähnt) bereits komplexe Hierarchie der imperialistischen Staaten und die Hierarchie der bedeutenden Kapitalflüsse, die sich netzartig über die Welt ziehen. Diese beiden Systeme decken sich nicht mehr, auch wenn die Staaten im Dienste der Letztgenannten stehen.
Die kapitalistische Globalisierung stellt eine neue weltweite Form der Klassenherrschaft dar, die strukturell instabil ist. Tatsächlich führt sie in zahlreichen Ländern und ganzen Regionen in offene Krisen der Legitimität und der Unregierbarkeit, in einen permanenten Krisenzustand. Die vermeintlichen Zentren globaler Regulierung (WTO, UN-Sicherheitsrat …) sind unfähig, ihre Aufgabe tatsächlich auszuüben und Donald Trumps „America First“-Politik schwächt die Institutionen, die als Konsultationsrahmen für die internationale Bourgeoisie dienen.
Eine Klasse beherrscht eine Gesellschaft nicht dauerhaft ohne Vermittlung und soziale Kompromisse, ohne sich auf eine wie immer geartete historische, demokratische, soziale oder revolutionäre Legitimität stützen zu können … Im Namen der Freizügigkeit des Kapitals räumen die imperialistischen Bourgeoisien mit Jahrhunderten von „Know-how“ in diesem Bereich auf, während die Aggressivität der neoliberalen Politiken in immer mehr Ländern den sozialen Zusammenhalt zerstört. Dass in einem westlichen Land wie Griechenland ein Großteil der Bevölkerung keinen Zugang mehr zu Pflege und Gesundheitsdiensten hat, ist bezeichnend für die Kompromisslosigkeit der europäischen Bourgeoisien.
Im Zeitalter der Imperien galt es die Stabilität der kolonialen Besitzungen sowie (wenn auch in geringerem Ausmaß) der Einflusszonen aus der Zeit des Kalten Krieges zu sichern. Heute lässt sich sagen, dass es angesichts der Mobilität und der Finanzialisierung vom jeweiligen Ort und Moment abhängt … So können ganze Regionen aufgrund der Auswirkungen der Globalisierung in eine chronische Krise stürzen. Die Umsetzung neoliberaler Diktate durch überholte diktatorische Regimes führte in der arabischen Welt zu Volksaufständen und in Afrika zu breiten Mobilisierungen, offenen Regimekrisen und gewaltsamen konterrevolutionären Gegenschlägen, die zu massiver Instabilität geführt haben.
Die Besonderheit des globalisierten Kapitalismus ist, dass er sich mit der Instabilität als permanenten Zustand arrangiert: Krisen werden zu einem wesentlichen Bestandteil des normalen Funktionierens des neuen globalen Herrschaftssystems. In der vorigen Periode war die akute Instabilität mit dem Ausbruch einer Wirtschaftskrise verbunden, einem besonderen Moment zwischen langen Phasen der „Normalität“, d. h. der relativen Stabilität. Krisen gibt es natürlich immer noch, aber in einem veränderten Umfeld.
Nach 1991 gingen die traditionellen imperialistischen Bourgeoisien davon aus, sie könnten die Märkte der ehemaligen sogenannten „sozialistischen“ Länder so weit durchdringen, bis diese natürlich untergeordnet wären – und fragten sich sogar, ob die NATO gegenüber Russland noch eine Funktion habe. Diese Annahme war nicht aus der Luft gegriffen, wie die Lage Chinas zu Beginn des Jahrtausends und die (für das internationale Kapital sehr günstigen) Beitrittsbedingungen dieser Länder zur WTO zeigen. Doch die Dinge haben sich anders entwickelt – was von den etablierten Mächten offenbar ursprünglich nicht ernsthaft in Erwägung gezogen worden war.
Zum ersten Mal seit anderthalb Jahrhunderten (Japan) wurde eine neue kapitalistische Großmacht geboren, wieder in Asien: China. Eine wichtige Tatsache und das Produkt einer einzigartigen Geschichte.
In China entstand eine neue Bourgeoisie innerhalb des Landes und der Partei, vor allem durch „Verbürgerlichung“ der Bürokratie, die sich über mittlerweile wohl bekannte Mechanismen selbst in eine besitzende Klasse verwandelte. Sie hat sich also auf Basis der Unabhängigkeit (dem Erbe der maoistischen Revolution) neu konstituiert und nicht als eine Bourgeoisie, die dem Imperialismus von Anfang an untergeordnet war. Sie wurde damit zu einer kapitalistischen Macht und gleichzeitig ständiges Mitglied des UNO-Sicherheitsrats mit Vetorecht (dasselbe gilt für Russland), auch wenn die gesellschaftliche Formation weiter original ist (die Arbeit der Analyse dieser aus einer ganz bestimmten, beispiellosen Geschichte hervorgegangenen Gesellschaft ist noch lange nicht abgeschlossen).
Unabhängig von den Schwächen des Regimes und seiner Wirtschaft ist China zur zweiten Weltmacht aufgestiegen. Seit 2013 verfolgt Peking unter der Führung von Xi Jinping eine immer ehrgeizigere, aggressivere internationale Politik mit stark imperialistischem Charakter: Militäreinsatz (insbesondere die Basis Dschibuti), Konsolidierung von Einflussgebieten und Unterordnung der Regierungen, Aneignung von Landflächen [Land Grabbing] und Bodenschätzen, Kapitalexport und Übernahme von Unternehmen im Ausland, Enteignung und Ruinierung der lokalen Bevölkerung … In einer beträchtlichen Anzahl von Ländern leidet die Arbeiterklasse unter den Folgen dieser Maßnahmen. Seit 2017 zielt das nach Westen gerichtete gigantische Expansionsprogramm, bekannt als die „neue Seidenstraße“ (oder „Ein Gürtel, eine Straße“, kurz: Obor für „One Belt, one road“), auf die Erhöhung der wirtschaftlichen Präsenz, der wirtschaftlichen finanziellen, politischen und militärischen Präsenz Chinas im Indischen Ozean, im Nahen Osten und in Afrika, in Zentralasien und Europa, in Lateinamerika.
Der Fall Chinas ist einzigartig. Russland bleibt ökonomisch stark von Rohstoffexporten abhängig (darunter 2/3 Erdölprodukte). Seine internationale Stellung hängt stark von seinem Atomarsenal (globales Kräftegleichgewicht) und seiner regionalen militärischen Schlagkraft (Krim, Syrien) ab. Es setzt imperialistische Politik um, ohne jedoch die Fähigkeit zu haben, wie China eine neue reife imperialistische Macht hervorzubringen (daher die Verwendung des Begriffs „Proto“ als Bezeichner).
Die BRICS-Länder haben mit mäßigem Erfolg versucht, gemeinsam auf dem Weltmarkt aufzutreten. Nicht alle Länder dieses schwachen „Blocks“ spielen in derselben Liga. Brasilien, Indien und Südafrika können vermutlich als Subimperialismen charakterisiert werden – ein Begriff, der auf die 1970er-Jahre zurückgeht – und als regionale Polizisten, wenn auch mit einem erwähnenswerten Unterschied im Vergleich zur Vergangenheit: Sie profitieren von einer wesentlich größeren Freiheit des Kapitalexports. Siehe das in Afrika eröffnete „große Spiel“, in dem die Vereinigten Staaten, Kanada, Großbritannien, Frankreich, Indien, Brasilien, Südafrika, China, Katar, Türkei, Nigeria und Angola in Konkurrenz zueinander stehen.
Der Wettlauf nach Afrika.
Wenn es um die Plünderung natürlicher Ressourcen, Enteignungen, notleidende Staaten, Erosion des sozialen Gefüges, bewaffnete Konflikte und Militarisierung der Politik geht, stürzt sich der Rest der Welt auf Afrika.
Im Kontext der multidimensionalen Zivilisationskrise, mit der die Menschheit konfrontiert ist, hat ein neuer Wettlauf um den Reichtum natürlicher Ressourcen begonnen. Von der Kolonialzeit bis heute hat die Gewinnung der natürlichen Ressourcen Afrikas die Wirtschaft dominiert. Wie Walter Rodney es für eine frühere Zeit beschreibt, hat die Gewinnung von Eisen, Uran, Diamanten, Gold und Gummi neben anderen kostbaren Rohstoffen die Industrialisierung und die Expansion des Kapitalismus im Westen auf Kosten der afrikanischen Wirtschaft und der gesellschaftlichen Entwicklung alimentiert und die die Korruption des politischen Prozesses angeheizt.
Im Jahr 2013 lagen beispielsweise sechs der zehn wichtigsten Ölfunde in Afrika.
Heute hat der Hunger nach strategischen Mineralien, Erdöl und anderen Produkten den Kontinent erreicht. Das Streben nach Gewinn und Vorherrschaft heizt den Wettlauf um die Ausbeutung weiter an, ungeachtet der Folgen für die Lebensbedingungen der Menschen und die Umwelt. Die verheerenden Auswirkungen für die Menschen in Afrika lassen sich an vielen Beispielen illustrieren, aber der Fall der rohstoffreichen Republik Kongo ist am beeindruckendsten. Unter dem Boden des Kongo liegen 24 Billionen US-Dollar (Schätzung basierend auf den Preisen von 2011) an natürlichen Ressourcen, darunter reiche Vorkommen an Öl, Gold, Diamanten, Coltan für Computerchips, Kobalt und Nickel für Flugzeugmotoren und Autobatterien, Kupfer für Pipelines, Uran für Bomben und Kraftwerke, Eisen für fast alles. Dieser Reichtum ist eine Quelle verborgenen Leidens und führt zu massiven Zwangsumsiedlungen der Bevölkerung.
Aufbauend auf der vom IWF eingeführten Straflosigkeit, den Strukturanpassungs- und den Stabilisierungsprogrammen der Weltbank sowie den Handels- und Investitionsabkommen der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten ist Afrika zu einer Schlüsselregion für Rivalitäten zwischen den Mächten geworden. Die neuen Mächte versuchen, ihre Ambitionen durchzusetzen, indem sie sich am neuen Wettlauf auf diesen Kontinent beteiligen. Zu China, dem größten Nettoinvestor in Afrika, gesellen sich Russland, Indien, Brasilien und Südafrika – nicht als gemeinsame BRICS-Initiative, sondern trotz ihrer Mitgliedschaft in diesem Club (was die Leere dieses Projekts zeigt).
Laut einem Bericht aus dem Jahr 2016 hat China seit 2005 in 293 FDI-Projekte (Foreign Direct Investment, Ausländische Direktinvestitionen) in Afrika mit insgesamt 66,4 Milliarden US-Dollar investiert – hauptsächlich in umweltzerstörerische Megaprojekte, wo es für etwa ein Viertel der Investitionen verantwortlich ist. Das Programm der Afrikanischen Union zur Infrastrukturentwicklung in Afrika trifft hier auf das chinesische Obor-Programm.
Einige vorläufige Schlussfolgerungen
Der wirtschaftliche Wettbewerb zwischen den kapitalistischen Mächten ist wiederbelebt. Dabei handelt es sich um Konflikte zwischen kapitalistischen Mächten, d. h. um etwas qualitativ anderes als in früheren Perioden. Das kann zu echten Handelskriegen führen.
In Bezug auf die Kapitalfreizügigkeit können (sogar untergeordnete) Bourgeoisien und die Multis des „Südens“ die nach 1991 von den traditionellen imperialistischen Bourgeoisien entworfenen Regeln insbesondere für Investitionen nutzen, was den weltweiten Wettbewerb gegenüber früher komplexer macht. Was die Warenströme betrifft, geht die allgemeine In-Konkurrenz-Setzung der Beschäftigten zwar weiterhin von den Unternehmen der traditionellen imperialistischen Zentren aus, die den Zugang zu den Verbrauchermärkten der industrialisierten Länder kontrollieren, und nicht von den Firmen in den produzierenden Ländern; für China, aber auch Indien und Brasilien gilt dies heute allerdings weniger. Doch erlangen die „regionalen“ Mächte dadurch nicht unbedingt Handlungsspielraum, wie der Fall Brasilien heute zeigt, wo der US-Imperialismus seinen Einfluss festigt.
Es gibt nicht nur eine Legitimitätskrise der herrschenden Klassen, sondern auch eine ideologische Krise. Sie zeigt sich im Ausmaß der institutionellen Krise, wenn sich die „schlechten“ Kandidat*innen gegenüber dem und gegen das Establishment durchsetzen und wenn Wahlen nach Ansicht eines wachsenden Teils der Bevölkerung jede Glaubwürdigkeit verloren haben. Aus Unfähigkeit, darauf zu reagieren, werden sie immer mehr auf das Prinzip „teile und herrsche“, auf Rassismus, Islamfeindlichkeit und Antisemitismus, Ausländer*innenfeindlichkeit und Stigmatisierungen setzen, sei dies gegen Koreaner*innen in Japan oder Afroamerikaner*innen in den USA und Brasilien, Muslim*innen in Indien, Schiit*innen, Sunnit*innen oder Christ*innen in muslimischen Ländern. Der Kampf gegen Rassismus und Ausländer*innenfeindlichkeit ist mehr denn je ein wesentlicher Teil des Widerstands auf internationaler Ebene. Dasselbe gilt für andere Formen von Diskriminierungen (sexistisch, sozial …).
Eine erste Folge der ungeheuer destabilisierenden Macht der kapitalistischen Globalisierung ist der ebenso spektakuläre Aufstieg neuer rechtsextremer Strömungen und Faschismen mit (potenzieller) Massenbasis. Manche nehmen relativ klassische Formen an wie die Neonazis der Goldene Morgenröte in Griechenland, die NPD in Deutschland oder Jobbik in Ungarn. Andere positionieren sich in neuen Fremdenfeindlichkeiten und identitären Abschottungen. Besonders stark wachsen sie in einigen Ländern Europas, insbesondere mit der PVV in den Niederlanden, dem Front National in Frankreich, der Lega Nord in Italien, der FPÖ in Österreich, den „Wahren Finnen“, der UKIP in Großbritannien … Sie profitieren von einer dreifachen Krise: sozial, institutionell und identitär. Ihre Wirtschaftsprogramme variieren, doch allen gemein ist die heftige Ablehnung von Migrant*innen und ein islamfeindlicher Rassismus.
In den Niederlanden, aber auch in Frankreich und in anderen Ländern ist es der extremen Rechten gelungen, ihre ideologische Marginalität zu durchbrechen, indem sie die Grenzen des politischen Diskurses verschiebt und ihre Themen von der klassischen Rechten bis zur linken Mitte aufgegriffen werden. Regierungen versuchen, sich eine neue Legitimität zu verschaffen, indem sie das Feuer des Nationalismus und einer Gefahr von außen entfachen: „Invasion“ von ausländischem Kapital oder Einwanderung. In den Vereinigten Staaten war der Wahlkampf von Donald Trump, einem politischen Außenseiter, organisch im weißen Rassismus verwurzelt.
Andere rechtsextreme Strömungen entstehen in der Gestalt religiöser Fundamentalismen, und zwar in allen „großen“ Religionen (Christentum, Buddhismus, Hinduismus, Islam …) oder in „nationalreligiöser“ Form wie der rechtsextreme Zionismus … Diese Strömungen stellen heute in Ländern wie Indien, Sri Lanka oder Israel eine erhebliche Bedrohung dar.
Sie konnten Einfluss auf so bedeutende Regierungen wie die der Vereinigten Staaten unter Bush nehmen. In Frankreich beeinflussten die reaktionärsten katholischen Sektoren den Verlauf des Präsidentschaftswahlkampfs (durch Unterstützung von Fillon) und nehmen in mehreren osteuropäischen Ländern, darunter Ungarn, einen zentralen Platz ein. Die radikal evangelikalen Christen verdrehen in Lateinamerika und Afrika allen den Kopf. Die muslimische Welt stellt hier keinen Sonderfall dar; doch hat diese Entwicklung international mit „grenzüberschreitenden“ Bewegungen wie dem Islamischen Staat, Al Qaida oder den Taliban, Netzwerken, die von Marokko bis Indonesien und den südlichen Philippinen mehr oder weniger formal miteinander in Kontakt stehen, ein besonderes Gewicht erhalten.
Auch die extreme Rechte koordiniert sich in heterogener Form international. So integriert die „eurasische Bewegung“ von Alexandre Dugin neue Rechte, Faschisten, „Verschwörer“, „Campisten“ und verschiedene religiöse Fundamentalismen – ein Netzwerk, das für gefährliche „rot-braune“ Allianzen offen ist.
Allgemein müssen die neuen rechten Strömungen – ob religiös oder nicht – genauer analysiert werden. Denn dabei handelt es sich nicht um simple Neuaufgüsse von etwas Vergangenem. Sie sind Ausdrucksformen der Gegenwart! Um zu verstehen, welche Rolle sie spielen, müssen sie politisch charakterisiert werden (es sei daran erinnert, dass vor nicht allzu langer Zeit ein nicht unerheblicher Teil der internationalen radikalen Linken im islamischen Fundamentalismus den Ausdruck eines „objektiv“ fortschrittlichen, wenn auch ideologisch reaktionären Antiimperialismus sah). Dies ist auch nötig, um „essentialistische“ Interpretationen eines „Kampfs der Kulturen“ zu bekämpfen.
Es handelt sich um rechtsextreme, konterrevolutionäre Strömungen. Sie haben dazu beigetragen, die Dynamik der im „arabischen Frühling“ entstandenen Volksrevolutionen zu stoppen. Sie haben weder ein Monopol auf Gewalt (siehe das Assad-Regime!) noch auf „Barbarei“ (die imperialistische Ordnung ist „barbarisch“), üben aber über die Gesellschaft eine Kontrolle und einen „von unten kommenden“ Terror aus, der in vielerlei Hinsicht an die Faschismen der Zwischenkriegszeit erinnert, bevor diese an die Macht kamen.
Wie alle politischen Begriffe ist der Faschismusbegriff oft überstrapaziert oder wird unterschiedlich interpretiert. Doch auch unsere eigenen Organisationen diskutieren neben der Frage des Islamischen Staates die Entwicklung fundamentalistischer und rechtsextrem-nationalistischer Strömungen, ob sie nun als faschistisch bezeichnet werden können oder nicht, beispielsweise in Pakistan (Taliban-Bewegung) oder Indien (RSS [hindu-nationalistische, radikal-hinduistische Organisation]). „Theofaschismus“ könnte unabhängig von der jeweiligen Religion ein Oberbegriff für diese Art von Strömungen sein.
Wie auch immer sich diese neuen rechtsextremen Kräfte charakterisieren lassen, ihre zunehmende Bedeutung stellt unsere Generation an Aktivist*innen vor die bislang unbekannte politische Aufgabe des Aufbaus eines „antifaschistischen“ Widerstands im großen Maßstab. Daran müssen wir arbeiten und dazu nationale oder regionale Analysen und Erfahrungen kollektivieren.
Allgemeiner gesagt treibt die erneut aufkommende radikale Rechte eine sehr gefährliche reaktionäre Welle an, die vor allem grundlegende Rechte der Frauen und LGBTI infrage stellen will, wofür sie sich in der Frage der Abtreibung (Spanien, wo ein skandalöser Gesetzesentwurf zur Abschaffung des Rechts auf Abtreibung verhindert werden konnte, Polen, Nicaragua etc.) und des Familienrechts (Werbung für die Rückkehr zu einem sehr konservativen Bild der Rolle der Frau …) auf institutionelle Kirchen stützen kann oder sogar eine regelrechte Hexenjagd auf Homosexuelle (Iran, afrikanische Länder, in denen evangelikale Strömungen großen Einfluss haben …) oder Transgender betreibt. Die Reaktion greift also das Recht auf Selbstbestimmung von Frauen und anderer (Anerkennung der Vielfalt der sexuellen Orientierung) frontal an – mithin Rechte, die in langen Kämpfen errungen wurden.
Diese Bewegungen zielen insbesondere auf Frauen, die doppelter rassischer und sexueller Unterdrückung ausgesetzt sind. In den meisten westlichen Ländern ist der Fortschritt dieser Bewegungen auf islamfeindliche Propaganda zurückzuführen (obwohl dies nicht das einzige Merkmal reaktionärer Bewegungen und Parteien ist); insbesondere gegen muslimische Frauen, die den Schleier tragen, haben Angriffe zugenommen.
Während einige dieser Bewegungen eindeutig Frauen und LGBTI-Menschen angreifen, können wir in europäischen Ländern, den Vereinigten Staaten und Israel ein neues Phänomen des Homo- und Femonationalismus beobachten. Unter dem Vorwand, Frauen und LGBTI zu schützen, greifen sie bestimmte Bevölkerungsgruppen wie Migrant*innen oder Muslime an und beschuldigen sie, Frauen zu vergewaltigen oder definieren den Islam als gegen Homosexualität gerichtet. Diese Bewegungen sind seit mehreren Jahren im Gange und stehen tatsächlich häufig mit der extremen Rechten in Verbindung. Infolgedessen erlebt die extreme Rechte in imperialistischen Ländern oft Spannungen zwischen Strömungen, die an Sexismus und Heterosexismus ihrer Basis anknüpfen wollen, und solchen, die versuchen, für die Rechte von Frauen und LGBTI zu mobilisieren, um Islamophobie und einwanderungsfeindliche Vorurteile zu stärken.
Obwohl sich der Homonationalismus rechtsextremer Bewegungen in imperialistischen Ländern und die Anti-LGBTI-Kampagnen rechtsextremer Kräfte in beherrschten Ländern zu widersprechen scheinen, verstärken sie sich tatsächlich gegenseitig. Sie laufen zusammen, wenn sie Homosexualität und LGBTI-Rechte als Exportprodukte imperialistischer Länder betrachten. Diese Lüge muss durch die internationale queere Kampagne gegen Israels Pinkwashing bekämpft werden.
Angesichts der älteren und jüngeren religiös-fundamentalistischen Ideologie in unseren jeweiligen Staaten bekräftigen wir die Bedeutung des Laizismus des Staates, ebenso wie die der freien Religionsausübung.
Der Staat muss laizistisch sein, ohne die Gemeinschaften zu säkularisieren oder den Säkularismus als Instrument zur Untergrabung der Rechte von Minderheiten einzusetzen (Frankreich).
Ein laizistischer Staat bedeutet nicht, Gemeinschaften und Einzelpersonen so zu säkularisieren, dass ihre Menschenrechte verletzt werden.
Religionsfreiheit bedeutet nicht, dass Religionsführer die Freiheit haben, Macht und Kontrolle durch Staatsapparate auszuüben. Religionsfreiheit bedeutet nur die Freiheit, den eigenen Glauben auszuüben. Das heißt, dass die Religionsfreiheit im Libanon es Religionsführern nicht erlauben sollte, ihre eigene Version des „Kirchenrechtsstaat“ auszuüben.
Es sollte berücksichtigt werden, dass es bei beiden oben genannten Praktiken unterdrückerische Machtverhältnisse gibt, die den Frauen, ihrem Körper und ihrem Leben aufgezwungen werden, und es sollte erwähnt werden, dass religiöse Gesetze weitgehend auf der Einheit der Familie und der überlieferten Rollentrennung zwischen Männern und Frauen basieren. Im Libanon zum Beispiel gibt es keine Gesetze, die einen vom Staat geschützten Personenstand definieren, sondern nur religiöse Gesetze, die von Religionsgemeinschaften geschützt werden.
In Ländern wie Italien und Mexiko, in denen die Trennung zwischen Kirche und Staat eine historische Errungenschaft ist, möchten wir betonen, dass diese Trennung ständig geschwächt wird, wenn sich die öffentlichen Beziehungen zwischen hohen Regierungskreisen und religiösen Führern vervielfachen, insbesondere in Bezug auf die Rechte von Frauen und LGBTI.
Diese Arten von Aktionen und Verbindungen zielen, auch wenn sie nicht in dieser Form zum Ausdruck kommen, darauf ab, gemeinsame Entscheidungen über die Körper der Frauen und ihre Rechte zu treffen, wie bei der Abtreibung in Mexiko. Diese Entscheidungen gefährden natürlich unser Leben.
Der neoliberale Konservatismus, der die patriarchale Familie stärker als die Frauen machen will und Scheidungen verhindert, hat häusliche Gewalt gegen Frauen dramatisch steigen lassen. Neben der Straflosigkeit haben Haushaltskürzungen bei der materiellen Unterstützung für Opfer häuslicher Gewalt ein soziales Umfeld geschaffen, das zu männlicher Gewalt führt.
Die „theofaschistischen“ Bewegungen wenden in den von ihnen kontrollierten Gebieten systematisch sexuelle Gewalt gegen Frauen und Minderjährige an, hauptsächlich in Form von Vergewaltigung und sexueller Sklaverei. Sie nutzen dies, um neue Mitglieder zu rekrutieren und andere Gruppen zu bekämpfen. Im Irak und in Syrien wurden Tausende von jesidischen und kurdischen Frauen von Aktivisten des Islamischen Staates gefangen genommen und vergewaltigt.
Dieser Aufstieg reaktionärer rechter Bewegungen wird durch die heute von den bürgerlichen Regierungen im Namen des Kampfs gegen den Terrorismus oder die „illegale“ Immigration betriebene Ideologie der nationalen Sicherheit begünstigt. Die genannten Regierungen nutzen die so genährten Ängste wiederum, um das Strafrecht zu verschärfen, einen immer stärkeren Staat einzurichten und freiheitsfeindliche Maßnahmen durchzudrücken: Ganze Bevölkerungen werden als „verdächtig“ behandelt und unter Überwachung gestellt.
In der Region der Welt, die von dem in Tunesien und Ägypten eingeleiteten revolutionären Prozess betroffen war, haben die neuen Apparate, die den Kampf der Bevölkerung für die Emanzipation brechen wollen, die ganze Palette der grausamsten Praktiken genutzt, deren Gewalt durch den Wettbewerb zwischen den Mächten vervielfacht wurde. In Syrien, Jemen, Libyen und teilweise im Irak haben durch den totalen Krieg die Karikaturen der Staatsmächte und ihre Verbündeten (Iran und Russland einerseits, Golfmonarchien andererseits) auf der einen und die Dschihadisten auf der anderen Seite die Ausrottung der Bewegungen für Freiheit und soziale Gerechtigkeit betrieben. In Ägypten und jetzt auch in der Türkei führt die repressive Radikalisierung der erschütterten Regime zu einer beispiellosen Zerschlagung demokratischer Bestrebungen. Das kurdische Volk, das seinen Kampf nicht aufgibt, ist ein Opfer des Erdogan-Regimes, während der Staat Israel unter Netanjahu vom Chaos in seiner Umgebung, der Komplizenschaft von General Sisi und vor allem des amerikanischen Präsidenten Trump profitiert, um das palästinensische Volk weiter zu ersticken. Die Maghreb-Staaten und der Libanon scheinen von diesem starken konterrevolutionären Wind im Vergleich weniger betroffen zu sein, auch wenn die marokkanische Monarchie ihren eisernen Handschuh enger schnürt. In Tunesien, der Wiege des Ende 2010 begonnenen Prozesses, konnten soziale Bewegungen nicht zerstört werden, auch wenn die Perspektivlosigkeit die Situation belastet.
Protestbewegungen leben jedoch in dieser Region und sogar im Iran ständig wieder auf, weil die im Namen des „Kampfes gegen den Terrorismus“ betriebene Unterdrückungspolitik, der destruktive Neoliberalismus und die verbreitete Korruption aller Mächtigen die junge Bevölkerung, die informiert und über die Perspektivlosigkeit verärgert ist, nicht brechen können.
In Lateinamerika stecken die sogenannten progressiven Regierungen (und Parteien) in der Krise. Dies gilt für liberal-sozial inspirierte Erfahrungen ebenso wie für die radikalsten, bolivarischen usw. Sie zahlen den Preis für ihre Zugeständnisse an den Neoliberalismus und/oder die Grenzen einer neo-developmentalistischen Orientierung, die auf dem Export fossiler Energieträger und Rohstoffen im Allgemeinen basiert.
Die Schwächen dieser „progressiven“ Experimente erleichterten die brutale reaktionäre Offensive der proimperialistischen und antidemokratischen Rechten. Diese neoliberale, volksfeindliche und gegen die Rechte von Arbeiter*innen, Frauen, indigenen Völkern und Völkern afrikanischer Herkunft gerichtete Offensive nimmt zwei verschiedene, aber komplementäre Formen an: Wahlsiege (Argentinien, Chile) und pseudo-konstitutionelle Staatsstreiche (Honduras, Paraguay, Brasilien).
Gegen diese Offensive, gegen Staatsstreiche und reaktionäre und volksfeindliche Maßnahmen hat sich ein breiter Volkswiderstand in unterschiedlichen Formen entwickelt. Antikapitalist*innen beteiligen sich aktiv an diesen Mobilisierungen, um die systemfeindliche Dynamik zu stärken.
Selbst in Ländern mit langer bürgerlich-demokratischer Tradition erleben wir einen regelrechten Regimewechsel. Unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung werden Bürgerkriegsgesetze eingeführt. Massenweise werden Überwachungssysteme eingerichtet. Die Armee wird mit Polizeigewalt ausgestattet (Frankreich) oder die Polizeikräfte werden militarisiert. Im aktuellen Recht werden Ausnahmeregeln eingeführt. Die Exekutive dehnt ihre Autorität auf Kosten des Rechtswesens aus …
Diese Schwächung des demokratischen bürgerlichen Staates, die den Willen des Volkes zum Ausdruck bringen soll, setzt Frauen und andere Teile der Gesellschaft, die historisch gesehen anfälliger sind, direkt den „wilden“ Marktgesetzen aus, unter denen nur die Starken überleben können.
Die Abkehr vom Gesellschaftsvertrag, wie wir ihn in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kannten, öffnete die Türen für die Eroberung aller Gemeingüter durch das multinationale Kapital. Dieser Diebstahl erstreckt sich auch auf private und persönliche Teile des Körper und lebenswichtiger Organe von Frauen (und Menschen im Allgemeinen).
Dazu trägt auch bei, dass systematisch „Verbrechen“ wie Blasphemie, Majestätsbeleidigung und Bedrohung der nationalen Identität oder Sicherheit geahndet werden. Die schleichende Rückkehr der Politik der Entmenschlichung (die den Völkermorden der Vergangenheit Vorschub leistete) verweist nicht nur auf reaktionäre, sondern auf konterrevolutionäre Tendenzen.
Die kapitalistische Globalisierung hat die sogenannten demokratischen Institutionen, wo es diese gab, und den bürgerlichen Parlamentarismus in eine Krise gestürzt. Die vorherrschende Reaktion auf diese schwindende Legitimität besteht darin, plötzlich oder schleichend autoritäre Regimes einzuführen, die sich der Souveränität des Volks entziehen (als Ausnahme, die die Regel bestätigt, waren manchmal auch ehemalige Militärdiktaturen, beispielsweise in Birma, gezwungen, einen Teil ihrer Macht abzutreten oder zu teilen). Im Namen von Regierungen gebilligter Abkommen oder Regelungen wird den Bevölkerungen das Entscheidungsrecht abgesprochen.
Die demokratische Forderung – „Echte Demokratie jetzt! – erhält damit eine subversive Dimension, die im Vergleich zur Vergangenheit unmittelbarer ist und erlaubt, ihr einen alternativen Inhalt zu geben. Ebenso können sich dank der Universalität der neoliberalen Politik und der damit einhergehenden Vermarktung von „Gemeingütern“ als Waren soziale Widerstandsbewegungen einander annähern, wie dies im Rahmen der globalisierungskritischen Bewegung geschehen ist. Die schon heute spürbaren Folgen des Klimawandels bieten ebenfalls ein neues Feld von potenziell antikapitalistischer Annäherung.
Die dauerhaften Folgen der Niederlagen der Arbeiterbewegung, die ideologische Hegemonie des Neoliberalismus sowie der Verlust der Glaubwürdigkeit sozialistischer Alternativen untergraben jedoch diese positiven Tendenzen. Es ist schwierig, die oft beträchtlichen Erfolge der Protestbewegungen auf Dauer zu sichern. Die Heftigkeit der Unterdrückung kann in diesem Umfeld den auf Abschottung setzenden „geschlossenen“ Widerstand unterdrückter Gemeinschaften verstärken, sodass sie sich gegenüber der Unterdrückung anderer Gemeinschaften gleichgültig verhalten (wie im Fall des „Homonationalismus“). Die religiöse Aufladung vieler Konflikte trägt auch zur Spaltung von Ausgebeuteten und Unterdrückten bei.
Die neoliberale Ordnung kann sich nur durchsetzen, wenn sie die bestehenden Solidaritäten zerstören und das Aufkommen neuer Solidaritäten verhindern kann. So nötig Solidarität ist, so wenig können wir davon ausgehen, dass in Reaktion auf die Krise „natürlich“ neue Solidaritäten entstehen, genauso wenig, wie sich der Internationalismus gegen das globalisierte Kapital von selbst entwickelt. Dafür bedarf es der Zustimmung zu systematischen gemeinschaftlichen Bemühungen.
Der 17. Weltkongress der Vierten Internationale hat eine Resolution zur Ökologie verabschiedet, auf die wir verweisen. Wir wollen hier kurz anmerken, dass die Wiedereingliederung des chinesisch-sowjetischen Blocks in den Weltmarkt den geografischen Raum, in dem das Kapital dominiert, enorm erweitert hat. Dies befeuert die Beschleunigung der ökologischen Krise auf vielen Gebieten. In den großen Ländern des Südens mit hohen Emissionen muss der Ausstoß von Treibhausgasen ebenfalls unverzüglich gesenkt werden, nicht nur im Norden.
Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass die Begleichung der „ökologischen Schuld“ an den Süden nicht die globale kapitalistische Entwicklung fördert und weder japanisch-westlichen Multis mit Standorten im Süden noch den Multis des Südens (vom Typ der brasilianischen Agroindustrie) zugutekommt, denn das würde sozialen und Umweltkrisen nur noch mehr Vorschub leisten.
Selbstverständlich besteht nach wie vor Bedarf an Solidarität zwischen „Norden und Süden“, beispielsweise in der Verteidigung der Opfer des Klimawandels. Doch mehr denn je steht im „Nord-Süd“-Verhältnis aus Sicht der einfachen Bevölkerung ein gemeinsamer „antisystemischer“ Kampf an: das heißt ein gemeinsamer Kampf für eine antikapitalistische Alternative, eine andere Vorstellung von Entwicklung im „Norden“ wie im „Süden“.
Der Ausgangspunkt muss der ökosoziale Kampf für „eine Veränderung des Systems und nicht des Klimas“ sein; seine Basis sind die sozialen Bewegungen und nicht einfach spezifische Klimabündnisse. Also muss auf eine Verbindung zwischen beiden hingearbeitet werden. Wenn man dem sozialen Kampf keine ökologische Dimension verleiht (gemäß dem, was in Bauern- oder Stadtkämpfen teilweise bereits passiert), wird die zahlenmäßige Ausbreitung von „Klima“-Mobilisierungen an der Oberfläche der Dinge verharren.
Angesichts der weltweiten Klimaerwärmung schmelzen die Polkappen, der Meeresspiegel steigt, das Grundwasser schwindet, Wüsten breiten sich aus, Wasser wird knapper, die Landwirtschaft ist bedroht und extreme Klimaphänomene häufen sich. Die Folgen des Taifuns Haiyan auf den Philippinen übersteigen im Ausmaß das, worauf man bereits vorbereitet war. Die vorausgesagte Zukunft ist bereits eingetreten. Das hat destabilisierende Folgen, die weit über die direkt betroffenen Gebiete hinausreichen und in Kettenreaktionen Spannungen erzeugen (siehe die Spannungen zwischen Bangladesch und Indien in der Frage von Wanderarbeiter*innen oder zwischenstaatliche Konflikte um die Kontrolle von Grundwasserspeichern). Die Organisierung der Opfer des Klimawandels, ihre Verteidigung und die Hilfe für ihre Selbstorganisation sind bereits Teil der Grundlage des ökologischen Kampfs.
Eine andere zentrale Frage ist die der Ernährungssouveränität, die den Völkern das Recht und die Mittel gibt, das ihnen adäquate Nahrungssystem selbst zu definieren. Sie gibt die Macht in die Hände derer, die produzieren, verteilen und konsumieren, statt in jene der Großunternehmen und der Marktinstitutionen, die heute diesen Sektor dominieren. Sie erlaubt es, das Land Grabbing zu stoppen, und erfordert eine umfassende Bodenreform, um den Produzent*innen die Böden zurückzugeben.
Einer der zerstörerischsten Einzelaspekte der Umweltkrise ist der Einfluss, den sie auf die Artenvielfalt hat – man spricht vom „sechsten Massenaussterben“. Die Zukunft unserer Spezies kann nicht losgelöst von dieser Krise der Artenvielfalt gesehen werden.
Wir stecken mittendrin in einer Welt permanenter Kriege (im Plural). Diese Situation betrifft nicht nur internationale Konflikte. Sie kennzeichnet auch die innere Lage von Ländern Afrikas und Lateinamerikas, etwa Mexiko.
Kriege sind Teil unserer Realität und werden es in vielfältiger Form auch weiter bleiben. Wir müssen uns daher erneut dafür interessieren, wie sie geführt werden und wie unter anderem der Widerstand des Volkes aussieht, um besser die Bedingungen des Kampfes, die Realität der Situation und die konkreten Solidaritätsanforderungen zu verstehen … Dafür muss jeder Krieg in seinen Besonderheiten analysiert werden. Wir sind mit sehr komplexen Situationen konfrontiert, wie im Nahen Osten, wo innerhalb eines einzigen Kriegsschauplatzes (Irak-Syrien) Konflikte mit spezifischen Ausprägungen ineinander greifen, sodass Spannungen und Widersprüche zwischen fortschrittlichen Kräften geschürt werden.
Wir müssen aber in der sehr komplexen geopolitischen Lage die Orientierung bewahren: Klassenunabhängigkeit gegenüber den Imperialismen, den Militarismen, den Faschismen und dem Aufkommen von „antisolidarischen“ (rassistischen, islamfeindlichen und antisemitischen, ausländerfeindlichen, kastenspezifischen, fundamentalistischen, homophoben, frauenfeindlichen, maskulinistischen …) identitären Bewegungen.
Wer Krieg sagt, sollte Antikriegsbewegung sagen. Da Kriege sehr unterschiedlich sind, ist die Bildung solcher zusammenlaufenden Bewegungen nicht einfach. Dennoch gibt es, besonders in Asien, starke Antikriegsbewegungen. Strategisch gesehen wird auf dem eurasischen Kontinent insbesondere die Überschreitung der aus der Blockzeit geerbten Grenzen in dieser Frage wichtig sein.
Unsere Solidarität muss gegenüber jeder Bevölkerung, die dem Militarismus zum Opfer gefallen ist, und gegenüber jedem Widerstand der Bevölkerung gegen die Kriege, die durch die neoliberale Ordnung und die Ambitionen der Mächte hervorgerufen werden, bekräftigt werden. Neue Aufmerksamkeit muss dem Kampf für die allgemeine nukleare Abrüstung gewidmet werden, nachdem in der UNO ein entsprechendes Abkommen verabschiedet wurde und die Organisation, die ihr Dreh- und Angelpunkt war (International Campaign for the Abolition of Nuclear Weapons, ICAN), den Friedensnobelpreis bekommen hat.
Die einheitlichen Regeln der globalisierten kapitalistischen Weltordnung hindern gewisse Länder nicht daran, gleicher zu sein als andere; die Vereinigten Staaten erlauben sich Dinge, die sie bei anderen nicht durchgehen lassen. Sie setzen auf die Bedeutung des Dollars, um ihr „Recht“ auf Strafverfolgung zu „exportieren“; sie kontrollieren über weite Strecken die fortschrittlichsten Technologien und befehligen eine unvergleichbare Militärmacht. Ihr Staat bewahrt globale Regulierungsfunktionen, die andere nicht haben – oder für die anderen die Mittel fehlen. Neu ist jedoch, dass sie in diesem Jahrzehnt China gegenüberstehen, dessen internationale Expansion vom Staat gesteuert wird, und dass sie in diesem Bereich kein Monopol mehr haben.
Die Vereinigten Staaten sind nach wie vor die einzige Supermacht weltweit – und trotzdem verlieren sie von Afghanistan bis Somalia die Kriege, die sie angezettelt haben. Schuld daran ist vielleicht die neoliberale Globalisierung, die verhindert, dass sie vorübergehende militärische Erfolge (im Bündnis mit den lokalen Eliten) gesellschaftlich konsolidieren können. Es ist vielleicht auch eine Folge der Privatisierung von Armeen, da Söldnerfirmen ebenso wie „nicht offizielle“ bewaffnete Truppen im Dienst von Sonderinteressen (Großunternehmen, bedeutenden Besitzerfamilien …) eine wachsende Rolle spielen.
Es liegt aber auch daran, dass diese Macht, so dominant sie auch sein mag, nicht über die Mittel verfügt, unter rundum strukturell instabilen Bedingungen zu intervenieren. Sie bräuchte nachgeordnete imperialistische Mächte, die sie unterstützen könnten. Frankreich und Großbritannien verfügen nur noch über sehr begrenzte Kapazitäten. Der Brexit bedeutete den Gnadenstoß für den Aufbau eines vereinten europäischen Imperialismus, zumal Großbritannien über eine der beiden einzigen bedeutenden Armeen in der Europäischen Union verfügt.
Mit der Wahl von Donald Trump und seinen unilateralen Erklärungen spitzt sich ein bereits bestehendes Problem zu: In welchem Ausmaß ist auf den von den Vereinigten Staaten zugesagten „strategischen Schirm“ Verlass? Die Antwort fällt eindeutig aus: in ungewissem Ausmaß. Die rechten Hardliner in Japan ziehen daraus ihre Schlussfolgerungen. Wie wird Westeuropa reagieren? Das imperialistische Deutschland ist unter Druck. Wird es weiterhin von seiner wirtschaftlich dominanten Stellung profitieren können, ohne militärisch Verantwortung zu übernehmen? Die Krise der EU, der Druck Russlands und die Haltung Washingtons werfen objektiv die Frage nach der Wiederaufrüstung Deutschlands auf – einem Land, in dem (ebenso wie in Japan) der Antimilitarismus in der Bevölkerung tief verankert ist.
Die derzeitige japanische Regierung zeigt deutlich ihre nationalistischen und militaristischen Ambitionen. Sie muss jedoch noch den Widerstand der Bevölkerung gegen die Vollendung ihrer Aufrüstung (Flugzeugträger, Atomwaffen usw.) brechen. Besonders stark ist dieser Widerstand auf der Insel Okinawa, wo sich die größten US-Militärstützpunkte befinden. Generell ist die historische Erinnerung an die japanische Invasion in Asien, die den Zweiten Weltkrieg im Fernen Osten auslöste, noch lange nicht vergessen. Der japanische Archipel ist sicherlich ein Kernstück des Herrschaftssystems der Vereinigten Staaten im Nordpazifik. Allerdings ist Tokio noch immer nicht in der Lage, internationale geopolitische Verantwortung direkt zu übernehmen und damit Washington zu helfen. Zudem machen Donald Trumps sprunghafte Politik und seine geringe Wertschätzung für die Meinungen seiner Verbündeten Abe Shinzos Aufgabe nicht einfacher.
Weder im Westen, in Europa, noch im Osten, in Asien, kann der US-Imperialismus auf zuverlässige und effektive Verbündete zählen.
Es gibt keine „nicht-“ oder „anti-“kapitalistische Großmacht (eine Kategorie, zu der Kuba nicht zählt) mehr. Die Schlussfolgerungen daraus sind in aller Konsequenz zu ziehen.
Obwohl wir uns nie an der chinesischen Diplomatie orientiert haben, hatten wir in der Vergangenheit die Volksrepublik (und die Dynamik der Revolution) gegen das imperialistische Bündnis zwischen Japan und den USA verteidigt – in diesem Sinn standen wir in diesem Lager. Unabhängig von unserer Haltung zum stalinistischen Regime waren wir gegen die NATO; dennoch vertraten wir kein „Lagerdenken“, denn das hinderte uns nicht daran, die stalinistische Bürokratie zu bekämpfen. Wir agierten einfach in einer Welt, in der die Konfliktlinien Revolution/Konterrevolution, Ostblock/Westblock und China/Sowjetunion gezeichnet waren. Dies ist heute nicht mehr der Fall.
Die Logik des „Lagerdenkens“ hatte schon immer zur Folge, die Opfer (die auf der falschen Seite standen) im Namen des Kampfs gegen den „Hauptfeind“ im Stich zu lassen. Heute gilt dies noch mehr als früher, denn es führt dazu, sich dem Lager einer kapitalistischen Macht (Russland, China) anzuschließen oder umgekehrt dem westlichen Lager, wenn Moskau oder Peking als Hauptbedrohung angesehen werden. Damit nährt man aggressive Nationalismen und heiligt Grenzen, die aus der Zeit der Blöcke übernommen wurden, wo wir diese doch gerade auflösen sollten.
Das Lagerdenken kann auch dazu verleiten, in Syrien das mörderische Assad-Regime und das Eingreifen Russlands zu unterstützen – oder aber das Bündnis unter US-Hegemonie, an dem insbesondere Saudi-Arabien beteiligt ist. Selbst angesichts der Tragödie, die sich in Aleppo abspielt, schaute ein Teil der internationalen radikalen Linken weg, um nicht mit der Tradition des Lagerdenkens brechen zu müssen. Andere Strömungen begnügen sich damit, die imperialistische Intervention im Irak oder in Syrien zu verurteilen (was korrekt ist), ohne aber zu sagen, was der Islamische Staat ist und tut und ohne zum Widerstand gegen diesen aufzurufen.
Solche Positionen verhindern, dass die Gesamtheit der Aufgaben der Solidarität klar benannt wird. Es genügt nicht, an die historische Verantwortung der Imperialismen, die Intervention von 2003 und die uneingestandenen Ziele der aktuellen syrisch-irakischen Intervention zu erinnern oder den eigenen Imperialismus zu verurteilen. Die konkreten Aufgaben der Solidarität müssen vom Standpunkt der (humanitären, politischen und materiellen) Bedürfnisse der betroffenen Bevölkerungen und der Widerstandsbewegungen aus gedacht werden. Was nicht möglich ist, ohne auch das Assad-Regime und die konterrevolutionären fundamentalistischen Bewegungen anzugreifen.
Auch im Fall der Grenzstreitigkeiten, die gegenwärtig Osteuropa spalten, wie im Fall der Ukraine, war unsere Ausrichtung, uns in allen Ländern in und außerhalb der EU für ein Europa einzusetzen, das auf dem freien Zusammenschluss souveräner Völker beruht und alle (nationalen, sozialen …) Herrschaftsverhältnisse ablehnt – was unserem Verständnis von Sozialismus entspricht.
Neoliberale Politik, Kriege, Klimawandel, wirtschaftliche Verwerfungen, sozialer Zerfall, übermäßige Gewalt, Pogrome, Zusammenbrüche von sozialen Sicherungssysteme, verheerende Epidemien, versklavte Frauen, getötete Kinder, Zwangsmigration: der Triumph des entfesselten Kapitalismus gebiert eine Welt, in der sich humanitäre Krisen häufen.
Der Zerfall der gesellschaftlichen Ordnung trifft den Staat in Ländern wie Pakistan mit voller Wucht. Namentlich in Mexiko hat der Zerfall des Kapitalismus zwar nicht zum Aufkommen eines neuen Faschismus geführt, aber am Rand der Gesellschaft stehende kriminelle Banden verändert, die im Untergrund wie richtige Machtgruppen funktionieren und mit der herrschenden politischen Klasse und dem internationalen Finanzkapital verbunden sind. Sie breiten ihre Netzwerke über den Rest Lateinamerikas und die Vereinigten Staaten aus. Neben dem Drogenhandel sind sie auch in die Entführung und den Handel mit Frauen involviert. Die kontrollieren große Teile des Landes und haben eine eigene soziale Basis. Der sogenannte Krieg gegen die Drogen, Konflikte zwischen verschiedenen kriminellen Banden und „Kollateralschäden“ haben mehr Todesopfer gefordert als der Krieg im Irak. Ihre Existenz kommt der kapitalistischen Akkumulation entgegen, indem Tausende Bauern/Bäuerinnen und autochthone Völker enteignet und von ihrem Land vertrieben werden, wovon vor allem die Rohstoff fördernden multinationalen Konzerne profitieren. Sie rechtfertigt die Militarisierung des Landes und die Kriminalisierung sozialer Proteste. Obwohl sie selbst politisch nicht auftreten, unterstützen diese Banden den Akkumulationsprozess des Kapitals und leisten einer frauenfeindlichen, sexistischen, homophoben und ausländerfeindlichen Kultur Vorschub. Sie bieten einen fruchtbaren Boden für die Entstehung paramilitärischer Gruppen im Dienst der Oligarchien.
Unter dem Druck des Extraktivismus und der extremen Ausplünderung natürlicher Ressourcen sowie dem Aneignen von Land und Wasser, entfaltet sich im Afrika südlich der Sahara seit mehreren Jahrzehnten eine der größten Migrations- und Flüchtlingskrisen. Die meisten Flüchtlinge und Migrant*innen sind Afrikaner*innen, aber entgegen weit verbreiteten Mythen bleibt der Großteil (4,5 Millionen) in Afrika „lokalisiert“. Es wird geschätzt, dass in den kommenden Jahren 10 bis 20 Millionen Afrikaner*innen durch die vom Kapitalismus verursachten Klimaveränderungen aus ihren Lebensräumen entwurzelt werden.
Anstatt angesichts dieser Notsituationen das Völkerrecht zu stärken, wird es von den Nationalstaaten mit Füßen getreten. Die Europäische Union gibt nicht einmal mehr vor, in der Frage der Aufnahme von Flüchtlingen das Völkerrecht einzuhalten. Davon zeugt das ruchlose Abkommen, das mit der Türkei ausgehandelt wurde. Dasselbe gilt für das Schicksal der Rohingya in Südostasien.
Oft äußert sich die grenzenlose Gewalt ganz offen. Dabei wird die extreme Gewalt nicht mehr geleugnet, sondern inszeniert, wie im Fall des islamischen Staates. Der Frauenmord in Ländern wie Argentinien und Mexiko nimmt extreme Formen an wie aufgespießte und verbrannte Körper, die in ihrer Brutalität der „traditionellen“ Gewalt von „Ehrenmorden“ (bei denen z. B. Frauen, die gegen die patriarchale Ordnung aufbegehren, bei lebendigem Leib begraben werden …) in nichts nachstehen.
Nach George W. Bush und den Anschlägen vom 11. September 2001 wird die Menschlichkeit des Feindes von immer mehr Regierungen geleugnet. Im Namen des Kampfes des „Guten“ gegen das „Böse“ hat der „humanitäre Krieg“ das Völkerrecht und das Kriegsrecht abgeschüttelt: der „absolute“ Feind hat keinerlei Rechte mehr – er verfault in den Kerkern der Fundamentalist*innen, dem „schwarzen Loch“ von Guantanamo oder den in verschiedenen Ländern eingerichteten Geheimgefängnissen der CIA.
Auf diese moderne Barbarei muss mit einer Ausweitung internationalistischer Aktionen geantwortet werden. Linksaktivist*innen und soziale Bewegungen müssen insbesondere sicherstellen, dass sich eine Solidarität „von Volk zu Volk“, von „sozialen Bewegungen zu sozialen Bewegungen“ mit den Opfern der humanitären Krise entwickeln kann.
Nach einer Phase, in der der Begriff des Internationalismus oft verunglimpft wurde, ist er mit der Welle der Globalisierungskritik und der Zunahme von „Besetzungen“ von Plätzen und Stadtteilen wieder zu seinem Recht gekommen. Der wiederbelebte Internationalismus muss nun dauerhaftere Formen auf allen Ebenen des Widerstands finden. Das wird nicht spontan passieren; in sehr vielen Ländern ist ein Rückgang des Sinns für Solidarität oder ihrer Umsetzung zu beobachten.
Der globalisierte Kapitalismus führt einen globalisierten Klassenkrieg.
Seine Ziele sind nicht konjunkturell. Er strebt keinen für ihn günstigeren historischen Kompromiss an als den, den die Bourgeoisie nach dem Zweiten Weltkrieg akzeptieren musste – er will regieren, ohne einen Kompromiss mit den Volksmassen eingehen zu müssen. Dies setzt seiner Offensive a priori keine Grenzen. Dafür etablierte er eine neue Form der Herrschaft.
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Die Brutalität des Angriffs ruft teilweise massiven Widerstand hervor. Dies wird heute durch die internationale Dimension des 8. März 2017 und die wiederholten Mobilisierungen von Frauen von Argentinien bis Polen, von Indien bis Iran, von Tunesien bis zum spanischen Staat oder Italien, von der Türkei bis Mexiko und von den USA bis nach Pakistan eindrücklich bezeugt … Sie leiden in der Tat unter der vollen Wucht der kombinierten Auswirkungen von Neoliberalismus, sozialer Unsicherheit, dem Aufkommen reaktionärer und konterrevolutionärer Strömungen, kriegerischer Situationen und der Verzweiflung von Gewalt und Frauenmorden. Jenseits der Vielzahl von Situationen und Anforderungen stehen Frauen im Kampf oft an vorderster Front des kollektiven Widerstands gegen die neue Weltunordnung.
In einem nach wie vor ungünstigen Kräfteverhältnis bietet der demokratische und gesellschaftliche Widerstand Anhaltspunkte für den Wiederaufbau der Initiativfähigkeit von Volks- und antikapitalistischen Bewegungen (vgl. die Resolution des Weltkongresses zu diesen Fragen).
Es bleiben viele „offene“ Fragen bezüglich der spezifischen Dynamik des globalisierten Kapitalismus, insbesondere in Wirtschaftsfragen, und ihrer strategischen Konsequenzen. Um nur einige zu nennen: Eine neue Finanzkrise droht, ohne dass bekannt wäre, was der Auslöser und die Folgen sein werden. Werden die technologischen Innovationen in Verbindung mit der Informatik spürbare Auswirkungen auf die Arbeitsproduktivität haben? Sind wir in eine Periode langer Stagnation eingetreten? Können wichtige Teil der Bourgeoisie auf einen neuen Protektionismus setzen, während die Freihandelsabkommen noch ausgeweitet werden? Tragen die Klimaerwärmung und die globale ökologische Krise dazu bei, der kapitalistischen Entwicklung absolute Grenzen zu setzen? Die kollektive Reflexionsarbeit muss in diesem Bereich fortgesetzt werden.
Wie dem auch sei, die Prekarisierung der Arbeit und der allgemeinen Lebensbedingungen sowie der Zerfall des sozialen Gefüges werden in den meisten Ländern weitergehen. Die Unterdrückung wird sich verschärfen, sofern sich keine ausreichend starke Solidarität dagegenstellt. Die Verheerungen der Umweltkrise werden sich ausweiten. Die geopolitische Instabilität wird sich weiter zuspitzen.
Die historische Alternative „Sozialismus oder Barbarei“ erfährt heute ihre volle Bedeutung – und verleiht dem internationalistischen Kampf, in dem wir uns befinden, seine ganze Bedeutung.
Diese Resolution wurde vom 17. Weltkongress der Vierten Internationale mit 109 Stimmen, 5 Gegenstimmen, 1 Enthaltung angenommen. |
Dieser Artikel erschien in der Online-Ausgabe von die internationale Nr. 3/2018 (Mai/Juni 2018) (nur online). | Startseite | Impressum | Datenschutz