Resolution des 17. Weltkongresses der IV. Internationale
Inhalt
I. Elemente einer Analyse
II. Die Fronten der Gegenwehr
III. Die Fragen nach politischem Wandel, von Kämpfen und einer antikapitalistischen Strategie
Die vergangenen Jahre waren von Wellen sozialer und politischer Mobilisierungen mit unterschiedlichen Ergebnissen geprägt. Im Maghreb und Vorderen Orient waren es die Wellen des arabischen Frühlings, die – ohne dass sie sich endgültig erschöpft hätten – auf ein Geflecht von reaktionären Kräften gestoßen sind. In Lateinamerika stehen wir nach der Niederlage der PSUV bei den Parlamentswahlen am Beginn eines neuen Zyklus. In Europa konnte Tsipras nach der Kapitulation von SYRIZA die Führung in der Dynamik, die durch die Wahlen und das massive Votum für das OXI im Juli 2015 ausgelöst worden war, nicht beibehalten.
Die Pleite von Lehman Brothers stand 2008 am Beginn einer internationalen Finanzkrise, die ihrerseits zahlreiche Krisen nach sich zog, vor allem die Schuldenkrise in Europa. Sie war auch der Auslöser für neue Angriffe gegen soziale Errungenschaften, die zu den tiefgreifenden Veränderungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft hinzukamen, die sich nach 1989 in der neuen Phase der kapitalistischen Globalisierung entwickelten.
Das Ziel dieses Textes ist es, die in diesem Kontext stattfindenden gesellschaftlichen Veränderungen summarisch zu analysieren und die Fähigkeiten und Erfahrungen der Ausgebeuteten und Unterdrückten, aber auch die Entwicklung von Gewerkschaften, sozialen und politischen Kampf- und Widerstandsbewegungen gegen die Angriffe des Kapitals zu beschreiben.
Die Frage, vor der wir stehen, betrifft das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen auf internationaler Ebene. Dazu müssen wir die soziale Wirklichkeit der Arbeiterklasse und der anderen ausgebeuteten Klassen analysieren, die
Seit etwa 30 Jahren durch die Globalisierung und die Wiedereingliederung von Russland und China ins internationale kapitalistische System zahlreiche Veränderungen erfahren haben;
Die organisierte Kraft der Arbeiterbewegung und der sozialen Bewegungen, die gegen Ausbeutung und Unterdrückung kämpfen; diese Kraft hat auf verschiedenen Ebenen massive Veränderungen durchgemacht. Das Verschwinden der UdSSR und das Ende des Kampfes um „sozialistische“ Hegemonie zwischen der UdSSR und China bei den Widerstandsbewegungen gegen den Imperialismus hat die politische Geographie in dem, was wir „die drei Sektoren der Weltrevolution“ genannt haben, entscheidend verändert. Doch welches ist nun die reale Kraft jeder dieser Kampfbewegungen, die die Ausgebeuteten und Unterdrückten in jedem dieser Sektoren organisieren?
Die neuen Bereiche der Radikalisierung seit zwei Jahrzehnten, besonders in den jungen Generationen. Auch wenn die globalisierungskritische Bewegung schwächer ist als zu Beginn des Jahrhunderts, bleiben die Fragen der sozialen Gerechtigkeit und die Notwendigkeit, die Banken, die großen Multis und die internationalen Organisationen zu bekämpfen, ein mächtiger Vektor der Radikalisierung. Es gibt für die Arbeitenden eine offensichtliche Verbindung zwischen sozialer Gerechtigkeit und einem festen Arbeitsplatz, oder für die Bauern, ihr Land zu bewirtschaften und den Fragen der Umwelt. Wir erkennen auch, etwa beim Klimawandel und großen, unnützen Projekten, den Willen einer demokratischen Kontrolle über die großen Entscheidungen und gegen das professionelle Machtsystem, bei dem die Masse der Politiker jeder Kontrolle entzogen ist. Der libertäre Wunsch nach einem Leben ohne Gewalt, ohne Durchsetzung von ungerechten Gesetzen stellt auch eine mächtige Triebfeder für feministische Mobilisierungen und solche der LGBT (Schwule, Lesben und Transgender) dar. Dasselbe gilt für die Kämpfe gegen Diskriminierung und rassistische Gewalt, die mit dem Erbe der Kolonial- und Sklavenhaltergesellschaften aufräumen möchten. Schließlich gibt es die Macht der neuen Kommunikationsmittel, besonders der sozialen Netzwerke, mit denen man Demos organisieren, sich informieren oder in allen Regionen der Welt mobilisieren kann.
Die Möglichkeit, über die Forderungen nach Demokratie und sozialer Gerechtigkeit, dem Kampf politische Kohärenz zu verschaffen, ihn in den globalen Kampf gegen das System einzubinden, in einer Situation, in der es keine „internationale Arbeiterbewegung“ mehr gibt. Die Ablehnung der Konsequenzen kapitalistischer Politik erzeugt nicht automatisch antikapitalistisches Bewusstsein. Die gesellschaftliche Identität als Arbeiter schafft noch keine Klassenidentität. Welche Kapazität gibt es, diese Kämpfe in ein strategisches, politisches Programm der radikalen Infragestellung der kapitalistischen Gesellschaft einzubringen, gegen die Unterdrückung, die sie geschaffen und neu strukturiert hat? Welche Bilanz sollen wir in diesem Rahmen von der globalisierungskritischen Bewegung und den anderen internationalen Netzwerken ziehen, die in einem oder dem andern Sektor versuchen, die Kämpfe zu koordinieren? Welches ist schließlich die Kraft und die Richtung der politischen Strömungen in diesen Kampfesfronten, gleich ob sie sich auf nationaler, regionaler oder internationaler Ebene als demokratisch, antikapitalistisch oder revolutionär definieren?
I.1. Wie hat sich die Lage der Arbeiter*innenklasse und der Ausgebeuteten weltweit entwickelt?
Wir müssen hier eine Reihe von wichtigen Elementen festhalten. Die Globalisierung hat eine Bewegung industriellen und wirtschaftlichen Wachstums in einer ganzen Reihe von Ländern beschleunigt (Indien, China, Türkei, Mexiko usw.), ein Phänomen, das wohl weitergehen und sich diversifizieren wird.
Dies führt zu zwei wichtigen Phänomenen in den sog. „Schwellenländern“: Die Konzentration der Menschen in den Städten, das Proletariat wächst schneller als die Bevölkerung insgesamt (in besagten Ländern zwischen 1992 und 2012 um 75 %, die Bevölkerung um 30 %). Offensichtlich entspricht das auch dem Aufbau von neuen Zentren wirtschaftlicher Entwicklung. Ein anderes wichtiges Charakteristikum war das relative Wachstum des Dienstleistungssektors im Vergleich zu dem der Produktion, wie auch die Proletarisierung von zahlreichen Jobs, die vorher als qualifiziert galten, etwa im Schulbereich oder dem Gesundheitswesen, was dazu führte, dass ein zunehmender Teil dieser Gruppen sich in sozialen Mobilisierungen engagiert hat, um sich gegen den Arbeitsdruck, die eingefrorenen Löhne, Privatisierungen oder andere Angriffe zu wehren.
Doch muss man immer im Hinterkopf behalten, dass global betrachtet eine große Mehrheit der aktiven Bevölkerung in diesen Ländern eine "vulnerable" Beschäftigung nach den Kriterien der ILO (mithelfende Familienangehörige und Einzel-Selbstständige) ausübt. Dieser Anteil an der Bevölkerung hat seit 2008 zugenommen, eine weitere Gegentendenz. Desweiteren registrierte die ILO seit 2008 in den fünf folgenden Jahren eine regelmäßige Zunahme der Arbeitslosigkeit in Asien, Afrika und Lateinamerika. Die Konsequenz ist offensichtlich: Eine bedeutende Urbanisierung, eine ländliche Bevölkerung, die nunmehr in der Minderheit ist, mit einer gleichzeitigen Zerstörung der sozialen Netzwerke, was offensichtlich zu einer Verschlechterung der Lebensbedingungen führt, auch wenn sich die bäuerlichen Netze der Solidarität halten können.
Wir erleben somit eine numerische Zunahme der Arbeiterklasse mit global unterschiedlichen Charakteristika hinsichtlich der Gesamtentwicklung der Gesellschaften, in denen diese Entwicklung stattfindet.
In den „alten Industrieländern“ ging die Entwicklung des Proletariats im Allgemeinen mit den gewerkschaftlichen und politischen Kämpfen gegen die Bourgeoisie im nationalen Rahmen einher; welches auch immer die Härte der Klassenkämpfe im 20. Jahrhundert gewesen ist, erkämpfte es sich im Rahmen des Nationalstaats soziale Rechte, wodurch ein bestimmtes Kräfteverhältnis zwischen den Klassen entstand. Die Anerkennung der kollektiven Rechte der Arbeiterklasse war nicht nur mit dem Arbeitsvertrag im Betrieb, sondern auch mit kollektiven gesellschaftlichen Rechten im Rahmen der Zivilgesellschaft verbunden, wobei die Bourgeoisien zugestanden, dass ein Teil der kapitalistischen Profite die Zuteilungs- und steuerlichen Umverteilungssysteme finanzierte, auf denen im 20. Jahrhundert die meisten Industriegesellschaften beruhten. Sozialer Kompromiss, Entwicklung des „Sozialstaats“, die mit ideologischen Denksystemen verbunden waren, die aus dem Positivismus und dem sozialen Christentum stammten. Diese Ideologien und Kompromisse waren das nötige Gegenfeuer angesichts eines starken Anwachsens von marxistischen und sozialistischen Strömungen. All dies ist heute nicht vorhanden und die Entwicklung der Industrie in den „Schwellenländern“ erfolgt ganz und gar nicht im gleichen Rahmen. Nehmen war das Beispiel der Automobilproduktion, die „in den Osten“ verlagert wurde: Wenn wir einmal von Mexiko, Argentinien und Brasilien absehen, dann sind die großen Entwicklungszonen Osteuropa, die Türkei, der Iran, Pakistan, Indien und China. In diesen Fällen sind die Produktionslinien und Qualifikationen die gleichen wie in den alten Industrieländern, aber die sozialen Rechte und die Arbeitsgesetzgebung sind ganz und gar nicht gleich. Wir könnten ein ähnliches Szenario für zahlreiche andere Sektoren der Industrie aufmachen. In diesen neuen Zonen industrieller Entwicklung gibt es die sozialen Kompromisse des vergangenen Jahrhunderts nicht. Und in den alten Industrieländern werden diese Kompromisse schon weitgehend durch die neoliberale Austeritätspolitik in Frage gestellt. Daneben finden wir Situationen von Halbsklaverei, vor allem bei Arbeitenden aus der Migration und in geheimen Fabriken, die sich allen Gesetzen entziehen.
I.2. Die Entwicklung der Ausbeutungsrate auf Weltniveau
Die wirtschaftlichen Veränderungen der vergangenen Jahre hatten verschiedene Auswirkungen... In den alten Industrieländern haben die Löhne nicht nur stagniert, sondern in den vergangenen Jahren gab es auch eine Steigerung der Produktivitätsgewinne zu Lasten der Löhne, was die seit den 1980er Jahren bekannte allgemeine Tendenz unterstreicht, wonach die Lohnmasse zugunsten des Kapitals abnimmt. Hinzu kommt, dass die prekären Verträge und die Angriffe auf die Arbeitsgesetzgebung in den alten Industrieländern (Null-Stunden-Verträge in Britannien, Jobs Act in Italien, Minijobs in Deutschland…) ein Schlüsselelement für die Produktivitätsgewinne waren. Dieser Anstieg prekärer Arbeitsplätze und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen betrifft/zielt auf junge Menschen mit schwachen Beziehungen zum Arbeitsmarkt und wird als Hebel für eine allgemeine Strategie des globalen Wandels auf dem Arbeitsmarkt, ausgehend von den schwächsten Teilen der Arbeiter*innenklasse, genutzt.
Trotz der Bremswirkung der Krise von 2008 haben die Lohnabhängigen in den meisten neuen Produktionszonen reale Lohnerhöhungen erhalten, vor allem in China. Auch wenn es sich um wirtschaftliche Streiks gehandelt hat, die von Unternehmen zu Unternehmen geführt wurden, so haben sie doch konkrete Auswirkungen gehabt.
In diesem Zusammenhang beobachten wir die Erscheinungsformen einer sogenannten „Feminisierung“ des Arbeitsmarktes und der Armut. Dies kann auf zweierlei Weise verstanden werden: zum einen so, dass die für die formale Erwerbstätigkeit von Frauen typischen Bedingungen auf die gesamte Belegschaft verallgemeinert werden: Instabilität und Prekarität der Arbeit, flexible Arbeitsverträge und Niedriglöhne, die nicht ausreichen, eine Familie zu ernähren. Auf der anderen Seite erklärt dies auch die Ausweitung von Stellenangeboten für Frauen, insbesondere für weiterhin feminisierte Berufe wie die Pflegearbeit. Für Frauen, die auch unbezahlte Hausarbeit leisten, ist der Arbeitstag doppelt so lang.
Daher bleiben die Elemente der Spannungen auf den Arbeitsmärkten sowohl in den „Schwellenländern“ wie den alten Ökonomien entweder aufgrund des zunehmenden Drucks der Arbeitslosigkeit oder wegen der stummen Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und der sozialen Absicherungssysteme erhalten. Fast die Hälfte der Arbeitenden auf der Welt lebt außerhalb geregelter Arbeitsbeziehungen als Prekäre. Die Tendenz geht in Richtung Verallgemeinerung prekärer Arbeitsverträge und einer Gesetzgebung, die den Schutz gegen Entlassungen auf ein Minimum reduziert. Diese Entwicklungen verstärken die Flexibilität und Fähigkeit der Kapitalisten, die Arbeitsstunden und die Zahl der Arbeitenden maximal den täglichen Bedürfnissen anzupassen. Dies geht mit einer logistischen Organisation der Produktions- und Verteilungsketten einher, die mittels Einsatz von einer Masse von Subunternehmern zu maximaler Kostensenkung führt. Viele neue Verträge ermöglichen es den Großunternehmen, den nationalen Gesetzen auszuweichen, so TTIP, TISA etc. In der Europäischen Union lösen jeden Monat neue Gesetze alte nationale Gesetze ab. De facto gibt es auf internationaler Ebene nunmehr zwei Machthierarchien: die der Staaten und die der Multis, wobei letztere immer stärker wird, was die Organisierung des Handels und der Arbeitsverträge betrifft.
Im vergangenen Jahrzehnt verschob sich die Schuldenkrise aus dem Süden in die fortgeschrittenen kapitalistischen Länder: Aus der Schuldenkrise der privaten Haushalte in zahlreichen Ländern (USA, Indien …) wurde in Europa eine Schuldenkrise der Staaten. Diese Krisen beschleunigen die sozialen Angriffe, die Prekarität und die soziale Misere, aber auch die Forderungen nach einem Audit und einer Kontrolle durch die jeweilige Bevölkerung, einer sozialen Kontrolle, um diesen Politiken Einhalt zu gebieten. Der Gedanke der Feminisierung der Armut weist darauf hin, dass Frauen auch diejenigen sind, die das bevorzugte "Ziel" dieser Art von Politik sind. Sie werden als Mütter aufgefordert, bestimmte Verantwortungen zu übernehmen, um diese Politiken umzusetzen, und sie sind an der Bank- und Finanzialisierung ihrer Volkswirtschaften beteiligt.
Alle diese Veränderungen schwächen die Fähigkeiten zur kollektiven Organisation und des dauerhaften Aufbaus von Widerstandskollektiven. Gleichzeitig stimulieren sie das Verlangen nach Widerstand und nach Selbstorganisation. Dies verlangt den Aufbau regionaler sozialer Organisationen, um jenseits der Unternehmen auch einzelne oder umherziehende Arbeiter*Innen organisieren zu können.
Die erwähnten Feminisierungsprozesse sowie die Schwächung einiger in der Vergangenheit einigender Identitäten wie der Gewerkschaftsidentität erklären auch das Aufkommen "neuer" sozialer Akteure mit einer beispiellosen Protagonistenrolle, wie Frauen und in vielen Ländern der LGBT+-Community.
I.3. Angriffe von allen Seiten gegen die bäuerliche Bevölkerung
Auch wenn ihre Zahl im Sinken begriffen ist, so sind in der Landwirtschaft weltweit immer noch 1,3 Mrd. Männer und Frauen beschäftigt, 40 % der aktiven Bevölkerung. In Asien und Afrika stellen die Bauern und Bäuerinnen immer noch der Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung. Seit zwei Jahrzehnten sind die Bauern und Bäuerinnen in Asien, Afrika und Lateinamerika mit Strategien „konservativer Modernisierung“ konfrontiert, die die Strukturen der Landwirtschaft tiefgreifend erschüttert haben, weil sie sie an die kapitalistische Globalisierung anzupassen suchen. So lasten auf der Bauernschaft zahlreiche Bürden, aber darüber hinaus auch auf den Systemen der Ernährung und dem Gleichgewicht der Umwelt: Es gibt einen machtvollen Aufstieg des Agrobusiness, Landgrabbing, eine Ausweitung der Monokulturen für den Export zu Lasten der Kulturen für Selbstversorgung sowie Druck auf die natürlichen Ressourcen. Das Landgrabbing ist ein weltweites Phänomen, welches von lokalen, nationalen und transnationalen „Eliten“, von Investoren und Spekulanten, mit der Komplizenschaft der Regierungen und lokalen Behörden umgesetzt wird. Es führt zu einer Konzentration des Grundeigentums und der natürlichen Ressourcen in den Händen von großen Investitionsfonds, von Plantagenbesitzern und von Großunternehmen, die im Waldbau, bei den Wasserkraftwerken oder in Minen engagiert sind. Es wird auch von der Tourismus- und Immobilienbranche mitverursacht oder von den Behörden, die Hafen- oder Industrieanlagen verwalten.
Diese Konzentration von Besitz hat zu Vertreibungen der örtlichen Bevölkerung von ihrem Land und ihrer erzwungenen Umsiedlung geführt – betroffen sind vor allem Bauern und Bäuerinnen. Sie führt zu Verletzungen der Menschenrechte und insbesondere der Rechte der Frauen.
Finanzinstitutionen wie Banken, Rentenkassen und andere Investitionsfonds sind zu mächtigen Motoren der Plünderung von Ländereien geworden. Gleichzeitig werden heute Kriege und mörderische Konflikte um die Kontrolle von natürlichen Reichtümern geführt.
Das Landgrabbing geht mit einem wachsenden Zugriff von Privatunternehmen auf die Landwirtschaft und die Ernährung mittels einer verstärkten Kontrolle über Ressourcen wie Erde, Wasser, Saatgut und weitere Naturressourcen einher. Bei diesem Wettrennen um Profit verstärkt der Privatsektor seinen Zugriff auf die Systeme der Produktion von Nahrungsmitteln; er monopolisiert die Ressourcen und erlangt eine dominierende Position in den Entscheidungsprozessen.
Die Bauern und Bäuerinnen mit und ohne Land, die autochthonen Völker und vor allem die Frauen und jungen Leute, die prekär lebenden Landarbeiter werden um ihre Subsistenzmittel gebracht. Diese Praktiken zerstören auch die Umwelt. Die autochthonen Völker und ethnischen Minderheiten werden – häufig unter Einsatz von Gewalt - von ihren Ländereien vertrieben; dies verstärkt die Prekarität und führt in einigen Fällen sogar zur Sklaverei.
Auf allen Kontinenten kommt es zu Mobilisierungen von bäuerlichen Bewegungen. Dieser Widerstand hat in den letzten zwei Jahrzehnten zugenommen. Im Mittelpunkt steht die Ernährungssouveränität. Außerdem stehen diese bäuerlichen Bevölkerungen im Zentrum aller Krisen der heutigen Welt: der Wirtschaftskrise und ihren Konsequenzen für die öffentliche und private Verschuldung, der Ernährungskrise, dem Klimawandel als Treiber der Migration, den Angriffen auf die Rechte von Frauen und Minderheiten. Die Regierungen der Länder des Südens, die häufig unter dem Druck der Rückzahlung von Schulden stehen, haben in den vergangenen Jahren die Exporte von Rohstoffen und landwirtschaftlichen Gütern verstärkt; die bäuerliche Bevölkerung hat unter den Folgen in Form von Umweltschäden oder des Zugriffs von Agrarmultis auf die Böden zu leiden.
I.4. Welches sind die Folgen der bedeutenden Zunahme der Migration?
Eine Reihe von Regionen der Welt sind der Ort von bedeutenden Bevölkerungsbewegungen: 250 Millionen internationale Migrant*innen, 750 Millionen Binnenmigrant*innen oder Vertriebene. Diese Migration ist häufig auf strukturelle wirtschaftliche Veränderungen und große regionale Disparitäten zurückzuführen – so in Südafrika und Angola, die Migrant*innen aus den Nachbarländern anziehen, so wie Argentinien oder Venezuela in Lateinamerika, Australien und Japan in (Süd-)Ostasien. In die Golfstaaten kommt eine große Zahl von Migrant*innen vom Horn von Afrika, aus der Türkei, vom indischen Subkontinent und von den Philippinen. Von diesen Ländern leben und arbeiten fast 20 % der aktiven Bevölkerung, mehrheitlich Frauen, im Ausland, etwa 50 % im Nahen Osten. Zwei Drittel der internationalen Migration finden zwischen Ländern mit ähnlichem Entwicklungsniveau statt und ein Drittel erfolgt Richtung USA (aus Mexiko) und Europa, vor allem aus den früheren Kolonien. Zu diesen permanenten Phänomenen kommt noch die Kriegen geschuldete Flucht vor allem aus Syrien, dem Irak, Eritrea und Afghanistan hinzu, außerdem die Flüchtlinge aufgrund des Klimawandels.
Die Migration von Frauen vertieft und verstärkt im aktuellen Kontext der Krise der kapitalistischen Globalisierung der Wirtschaft die Unterdrückungsverhältnisse und erzeugt vielfältige Auswirkungen und neue Aspekte der Ausbeutung von Frauen. Der Kontext, in dem Migration stattfindet, spiegelt die extreme Verarmung und den Verlust von Rechten großer Teile der Weltbevölkerung wider. Frauen emigrieren, weil sie bessere Lebensbedingungen für sich und ihre Familien suchen müssen und weil sie in ihren Herkunftsländern keine beruflichen Möglichkeiten haben. Sie emigrieren auch wegen politischer Verfolgung und Bedrohung ihres Lebens in Kriegssituationen.
Auf der anderen Seite finden wir Frauen und ihre Familien in den Flüchtlingsströmen, die aus ihren von Krieg und Gewalt betroffenen Herkunftsländern nach Europa fliehen, wie aus Syrien oder anderen Regionen des Nahen Ostens. Dramatische Geschichten spielen sich auf den Zugangswegen nach Europa, an den Küsten oder den Passagen über das Mittelmeer sowie in den Ländern Osteuropas oder des Balkans mit den Migrant*innen ab, die versuchen, Deutschland oder andere Länder zu erreichen. In diesem Zusammenhang sind Frauen geschlechtsspezifischer Diskriminierung, Rassismus und Ausbeutung ausgesetzt.
Ein anderes Gesicht bekommt die Migration auch durch den Frauenhandel, dem sie in Ländern, die sie erreichen, wie England, Dänemark, den Niederlanden und anderen zum Opfer fallen. In Ländern, in denen organisierte Kriminalität und Drogenkartelle stark sind, sind Frauen verschiedenen Risiken ausgesetzt, wie etwa der Entführung oder Entführung durch Kartelle, um in internationale Netzwerke der Prostitution und des Frauenhandels integriert zu werden. In anderen Fällen geschieht dies durch raffiniertere Manipulationen wie die „romantische Anwerbung“, an der ganze Familien von Menschenhändlern beteiligt sind, die mit dem Frauenhandel in Verbindung stehen. Täuschungen oder Arbeitsversprechen sind auch eine Falle für den Transfer von Frauen in andere Länder, wo sie zur Prostitution gezwungen werden. Mancherorts besteht ein Zusammenhang zwischen Migration und Sextourismus.
Fremdenfeindliche Kampagnen werden politisch genutzt, um Migrant*innen als Feinde, auch der Arbeiter*innenklasse, darzustellen. Dies war während des Brexits in Großbritannien oder unter Trump in den USA der Fall. In einigen Ländern, wie beispielsweise Dänemark, haben sich Kampagnen mit fremdenfeindlicher Tendenz entwickelt, die eine „feminationalistische“ Rhetorik verwenden, die behauptet, dass Migration die Rechte der im Ankunftsland geborenen Frauen untergrabe. Der "feminationalistische" Diskurs steht dem "Homo-Nationalismus" sehr nahe, bei dem die fremdenfeindliche Rechte behauptet, dass Migration eine Bedrohung für die Rechte der LGBT-Community darstelle.
Parallel dazu finden wir den anderen Ausdruck des Problems, das die ökonomische Migration betrifft, bei der die Bedingungen von Armut, Ungleichheit und fehlender Beschäftigung ihren Ursprung in den katastrophalen Folgen des Neoliberalismus haben, der Millionen von Menschen dazu drängt, ihr Land zu verlassen, um Arbeit anderswo zu suchen. Dies betrifft insbesondere junge Menschen und die Herausforderung, ihre Mitwirkung in sozialen Organisationen und Gewerkschaften zu verwirklichen.
Im Fall der Philippinen beispielsweise gibt es über 10 Millionen Menschen außerhalb des Landes, die in so weit entfernten Orten wie Saudi-Arabien oder allgemein im Nahen Osten arbeiten. Das Einkommen, das philippinische Arbeiter*innen aus der Ferne an ihre Familien schicken, ist ein wesentlicher Bestandteil des Devisenzuflusses in das Land. In diesem Fall kommt dieses Einkommen hauptsächlich von Frauen, weil es für sie vermeintlich leichter ist, eine Arbeit zu finden, obwohl sie häufig Opfer von Menschenhandel und Prostitution werden. Dies hat offensichtlich schwerwiegende Folgen für das Familiengefüge und führt zu Brüchen.
In den verschiedenen Regionen der Welt, in denen diese Formen der Unterdrückung und Ausbeutung von Migrant*innen und insbesondere von Frauen zum Ausdruck kommen, finden wir auf unterschiedliche Weise Formen der Arbeitssklaverei, des Einsperrens und des Menschenhandels für die Prostitution.
Im Hinblick auf die Migrationswelle in Lateinamerika ist Mexiko einer der dramatischsten Fälle und zugleich ein Beispiel für verschiedene Widerstandserfahrungen. Dieses Land muss von Hunderttausenden von Migrant*innen passiert werden, nicht nur Mexikaner*innen, sondern auch Mittelamerikaner*innen und sogar Menschen aus Afrika, die versuchen, die Vereinigten Staaten zu erreichen. Sie sind auf der Suche nach Arbeit oder Zuflucht (für diejenigen, die vor der Gewalt in Mittelamerika fliehen) und versuchen, die mehr als tausend Kilometer lange gemeinsame Grenze zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten zu überschreiten. Deshalb konzentriert sich Donald Trumps demagogische Kampagne gegen mexikanische Arbeiter*innen, denen er vorwirft, Arbeitsplätze aus Fabriken in den USA gestohlen zu haben, auf den Bau einer Mauer entlang dieser riesigen Grenze (in Wirklichkeit geht es um die Beendigung des Baus).
Neben der alten Misere der Migration in die USA droht nun Trumps rassistische und fremdenfeindliche Politik, die ankündigt, kurzfristig fast 3 Millionen mexikanische Arbeiter*innen ausweisen zu wollen. Während der Obama-Regierung waren es genau 3 Millionen mexikanische Arbeiter*innen, die ausgewiesen wurden. Das aktuelle Problem ist Trumps Ankündigung, die gleiche Anzahl von Menschen in einem einzigen Jahr abzuschieben. Dies wäre der Auslöser für eine soziale Krise mit unabsehbaren Folgen in Mexiko, die zur Menschenrechtskrise und der politischen Krise hinzukäme. Zusätzlich zu den Abschiebungen würde der Geldtransfer von mexikanischen Arbeitern an ihre Familien in der Heimat eingeschränkt. Diese Überweisungen stellen nach Autoexporten (von Unternehmen, die Trump in die Vereinigten Staaten zurückführen möchte) die zweitgrößte Devisenquelle des Landes dar und sind wichtiger als ausländische Direktinvestitionen, Tourismus und Ölexporte. Mexiko steht nach China, Indien und den Philippinen an vierter Stelle unter den Ländern mit dieser Art von Einkünften.
Die Folgen dieser Politik haben für Frauen eine besondere Bedeutung. Neue Gesetze, die Trump durchzusetzen versucht, wie etwa die Beendigung von „Zufluchtsstädten“ (in denen die Polizei die Migrationsdokumente von Personen, die kleinere Straftaten wie Verkehrsdelikte begangen haben, nicht überprüfen darf) haben den Effekt, Familien bei Abschiebungen zu zerstören. In den Vereinigten Staaten erhalten die Kinder einer Frau ohne geregelten Aufenthaltsstatus automatisch die US-Staatsbürgerschaft. Derzeit kann die Mutter sie nach einem langen, riskanten und teuren Prozess ebenfalls erwerben. Mit den neuen gesetzlichen Bestimmungen werden Familien zerstört, indem ihnen Kinder weggenommen und die Mütter nach Mexiko abgeschoben werden. Eine weitere von Trump vorangetriebene Rechtsvorschrift will jeden nach Mexiko abgeschobenen „illegalen“ Migranten, der bei einem erneuten Einreiseversuch in die USA festgenommen wird, mit zehn Jahren Gefängnis bestrafen.
Mexiko kann aber nicht nur eine Brücke in die USA, sondern auch ein Zielort für Migranten aus anderen Ländern sein. Wegen der in den USA geltenden Beschränkungen sind Tausende von Migrant*innen in Mexiko gestrandet, insbesondere in Grenzstädten wie Tijuana oder Nuevo Laredo. Stunden vor seinem Ausscheiden aus der Regierung hob Obama die als "trockene Füße" bekannte Gesetzesvorschrift auf, die Kubanern, die auf dem Land- und nicht auf dem Seeweg in die USA einreisten, sofortiges Asyl gewährte. Im Februar 2017 forderten Tausende Kubaner, von Nuevo Laredo aus in die USA einreisen zu können. Auch diese Kubaner hatten in Mexiko keine Rechte.
Eine ähnliche Situation ist in Tijuana aufgetreten, wo der Grenzübergang für Tausende Haitianer*innen und Afrikaner*innen blockiert ist, die große Geldsummen an Menschenhändler gezahlt haben, die sie angeblich aus ihren Ländern in die Vereinigten Staaten bringen wollten. Unter diesen Haitianer*innen gibt es sowohl komplette Familien als auch viele Menschen mit hoher Qualifikation.
Zu der sozialen und wirtschaftlichen Krise dieser tausenden gestrandeten Migrant*innen ohne Arbeit und ohne Rechte kommt nun der Rassismus der mexikanischen Bevölkerung gegen Haitianer*innen und Afrikaner*innen, die als Straftäter stigmatisiert werden. Während sich die Mexikaner*innen über die Misshandlung von Migrant*innen in den Vereinigten Staaten beschweren, erleiden Migrant*innen auf dem Weg in die Vereinigten Staaten dieselbe Behandlung.
Zu dem Rassismus, der sie bestiehlt und ausbeutet, kommt nun das Vorgehen der Drogenkartelle hinzu, die, häufig mit Unterstützung der mexikanischen Behörden, die Busse zentralamerikanischer Migrant*innen wie in San Fernando, Tamaulipas angreifen. Neben den Diebstählen oder Morden, denen einige zum Opfer gefallen sind, werden andere rekrutiert, um unter sklavereiähnlichen Bedingungen oder als Auftragsmörder zu arbeiten. Frauen ihrerseits sind der Prostitution ausgesetzt, die Teil der wirtschaftlichen Tätigkeit von Kartellen ist oder im Dienste von Menschenhändlern steht.
Der durch die kapitalistische Globalisierung hervorgerufene Trend zur Vertreibung von Arbeitskräften spiegelt sich auch in einer Zunahme der Migration gefährdeter Frauen und Kinder (sowie einer Zunahme der Einreise alleinreisender Kinder in die Vereinigten Staaten) wider. Nach offiziellen Angaben machten Migrantinnen 44,7% aller Migrant*innen im Zeitraum 2004-2006 und 47,5 % im Zeitraum 2013-2015 aus. Migrantinnen haben auch höhere Arbeitslosenquoten als Männer. Die Migration mexikanischer Frauen hat von den 1960er Jahren bis heute zugenommen. Im Jahr 2012 erreichte die Zahl der in den Vereinigten Staaten lebenden Frauen fast 5,5 Millionen, was 46% der in diesem Land lebenden mexikanischen Bevölkerung entspricht. Ihre Bedingungen der beruflichen Eingliederung und Beschäftigung entsprachen den traditionell dem Geschlecht zugeschriebenen Rollen.
Verschiedene Organisationen berichten, dass Übergriffe gegen Migrantinnen weit verbreitet und Vergewaltigungen zu einem Spektakel geworden sind. Die Rollen und Stereotypen, die Frauen zugeschrieben werden, machen sie verletzlicher und erhöhen ihr Risiko, Opfer von sexueller Gewalt, Verschwindenlassen, Menschenhandel, Prostitution, Menschenhandel, Erpressung, Trennung von ihren Familien (viele reisen mit Kindern), willkürlicher Inhaftierung, Krankheiten, Unfällen und Frauenmorden zu werden. Oft sind sie für Kinder verantwortlich, die mit ihnen reisen, und sind als solche doppelte Ziele. Aufgrund ihres Status ohne Papiere häufen sich die Schwierigkeiten bei der Suche nach Arbeit, Wohnung und Einkommen oder beim Zugang zu sozialen Diensten für sich und ihre Kinder.
Die Zunahme der Migration wird natürlich zu einer wichtigen politischen Frage und einem dauerhaften sozialen Phänomen. Die Industrieländer haben große Möglichkeiten, Migrant*innen aufzunehmen, doch werden diese in vielen Ländern zu Objekten fremdenfeindlicher Kampagnen, so in den USA, Australien, Europa und Südafrika. Für die Arbeiterbewegung stellt sich die doppelte Aufgabe, die Fremdenfeindlichkeit zu bekämpfen und bei der Aufnahme und der Organisierung dieser Migrant*innen zu helfen, die die Arbeiterklasse in vielen alten Ländern verstärken. Dies stellt uns vor die Aufgabe, diese Arbeiter*innen in Gewerkschaften zu organisieren. Einige Golfstaaten und sogar Israel rufen zur Entwicklung der Industrie zahlreiche Migrant*innen ins Land, die sich zum Teil in einer Lage als Halbsklaven befinden.
I.5. Die Auswirkungen der Umweltkrise
Wir erleben desaströse Umweltzerstörungen in bisher nicht gekanntem Ausmaß; dabei ist der menschengemachte Klimawandel das gefährlichste Charakteristikum.
Voranschreiten der Wüste, Versalzung und Überschwemmungen machen ganze Regionen des Planten für menschliches Leben oder Kulturen für Nahrungsmittel ungeeignet. Das Klimachaos schafft extreme meteorologische Ereignisse, in denen Verluste an Menschenleben, Zerstörung des Wohnraums und der Infrastruktur haben zu Tod, Elend und zunehmender Armut für Millionen Menschen geführt.
In den vergangenen Jahrzehnten waren zahlreiche Regionen der Erde von Bevölkerungsbewegungen gekennzeichnet, die durch den Klimawandel und andere Aspekte der Umweltkrise hervorgerufen wurden. Sie werden immer umfangreicher und betreffen vor allem die ärmsten Teile der Erdbevölkerung. Eine der Auswirkungen der kapitalistischen Projekte (z.B. große Stauseen) und des immer stärkeren Beharrens auf immer umfänglicheren Abbau von fossilen Brennstoffen in vielen Regionen der Welt waren neue Angriffe gegen ganze Gemeinschaften: auf den Philippinen, in Kanada, am Amazonas gibt es Pläne, ganze Regionen umzuwandeln, was die Völker angreift, die häufig zu den Ureinwohnern oder anderen Gruppen gehören, die bereits von Diskriminierung betroffen sind. In diesen Regionen werden Fronten der Selbstorganisation der Bevölkerung und des Kampfes gegen das Klimadesaster und der zerstörerischen Projekte aufgebaut.
Global können wir von in starker Veränderung begriffenen Regionen der Welt sprechen, wobei die Entwicklung der Lohnarbeit wichtige soziale Veränderungen hervorruft. Dies ereignet sich in einer Periode, in der die wirtschaftliche Entwicklung sich nicht im Rahmen der Entwicklung von Strukturen und Dienstleistungen durch die Staaten stattfindet, die bessere Lebensbedingungen gewährleisten können. Stattdessen geschieht meist das genaue Gegenteil, eine Verschlechterung der tagtäglichen Lebensbedingungen, eine Verschlechterung, die in vielen Regionen durch Krieg und Klimawandel noch verschlimmert wird. Frauen und junge Menschen sind von dieser Situation am stärksten betroffen.
II.1. Die ungleiche Entwicklung der Gewerkschaftsbewegung
Offensichtlich gibt es eine bedeutende Entwicklung von Gewerkschaften in den neuen Sektoren der Lohnabhängigen in den Ländern, die eine Industrialisierung durchleben; auch gibt es zahlreiche Widerstände durch Streiks gegen die Forderungen der Bosse. Doch global betrachtet geschieht dies in einer Situation, in der die sozialen Errungenschaften, die die „alten Arbeiterklassen“ durchsetzen konnten (vor allem Renten und Sozialversicherung) sich nicht nur nicht auf die „Schwellenländer“ ausgedehnt haben, sondern im Gegenteil in Europa und anderen Industrieländern im Namen der Austeritätspläne in Frage gestellt werden. In China hat es in den vergangenen Jahren zahlreiche lokale Streiks zu Fragen der Entlohnung gegeben, doch hat dies nicht zur Schaffung von vom Staatsapparat unabhängigen Gewerkschaften geführt.
Quantitativ befindet sich die Arbeiterklasse in konstantem Wachstum. Wir müssen jedoch bemerken, dass sich die Zentren des Wachstums stark nach Asien verlagert haben, demnächst vielleicht auch nach Afrika. In diesen Regionen folgen die Kräfte der Gewerkschaften der numerischen Zunahme der Arbeitenden, und das wachsende Gewicht der Lohnarbeit schafft die Grundlagen für ein Klassenbewusstsein. Sie haben jedoch im Allgemeinen nicht die starke politische Struktur, die die europäische Arbeiterbewegung entwickelt hat – auch wenn der Widerspruch dieses Modells oft darin lag, die „politischen“ Fragen an die politischen Parteien zu delegieren.
Mächtige Arbeitskämpfe finden nicht nur in den alten Industrieländern oder in Lateinamerika statt, sondern auch in Südafrika und im Afrika südlich der Sahara, in der Türkei, auf dem indischen Subkontinent und in Asien.
Aber im Zeitalter der Globalisierung ist die Notwendigkeit für die Gewerkschaften immer größer geworden, sich auch um Belange wie den Rassismus, alle Formen von Diskriminierung oder die Wohnungsfrage zu kümmern; alle diese Themen können zu Radikalisierungen führen. Auch wenn es einige Organisierungsversuche in den prekärsten Sektoren wie dem Fast Food-Bereich in den USA oder (etwas weniger) Großbritannien gab, so bleiben in den alten Industrieländern die prekärsten Lohnabhängigen (die jungen mit einem großen Anteil von Frauen und Migrant*innen) die am wenigsten organisierte Gruppe.
Auch andere strategische Fragen stellen sich in der gegenwärtigen Situation. Gewerkschaften aus zahlreichen Sektoren stellen die Frage, ob im Zeitalter der Globalisierung die Industriegewerkschaften nicht durch eine Organisation gemäß den „Wertschöpfungsketten“ ersetzt werden müssten, also einer Koordination aller Sektoren, die zu einer Produktion ihren Beitrag leisten. Dies ist umso wichtiger, als die Suche nach maximalem Profit zu einer Politik des Aufbrechens des Produktionsprozesses führt, wobei man zu Leiharbeitern greift, die entweder im gleichen Betrieb arbeiten, oder häufig auf internationaler Ebene eingebunden sind. Daneben ist die Frage der Demokratie in der Gewerkschaft entscheidend für den Aufbau von effizienten Organisationen.
Die Schaffung eines gemeinsamen Gewerkschaftsdachverbands, des IGB, in dem die große Mehrheit der Gewerkschaften auf Weltebene versammelt ist, kann die großen Unterschiede und vor allem bei der Fähigkeit, die Interessen der Lohnabhängigen zu verteidigen und sich den Plänen der Kapitalisten zu widersetzen, nicht verbergen. Die Schwäche der Gewerkschaften und politischen Organisationen mit einer marxistischen oder klassenkämpferischen Grundlage und Bildungsarbeit in ihren Reihen, führt auch zu einer Schwäche des Klassenbewusstseins.
Die Gewerkschaftsbewegung ist daher mit mehreren schwierigen Problemen konfrontiert:
Alle sozialen Fragen, die sich in der Gesellschaft stellen, zu integrieren (Rassismus, Homophobie, Frauendiskriminierung, Wohnungen). Die Integration von Fragen der Umwelt drängt ebenfalls. Die Spannungen zwischen dem Erhalt von Arbeitsplätzen und dem Kampf gegen schädliche Fabriken und Produktlinien erfordert, ein System von Forderungen aufzustellen, durch das diese Widersprüche überwunden werden können.
Die prekäre Beschäftigung in all ihren Formen aufzugreifen und die Schaffung von Strukturen anzuregen, in denen sich die Betroffenen organisieren können, vor allem Strukturen jenseits der Betriebe, in Industriegebieten, in Stadtteilen und Ortschaften. Dies betrifft insbesondere junge Menschen, die oft selbst die Initiative der Gründung von Gewerkschaftsgruppen ergreifen.
Die dringende Notwendigkeit, die Organisation auf internationaler Ebene zu koordinieren, indem man sich auf die real existierenden Produktionsketten stützt, in denen die Arbeitenden gegeneinander in Konkurrenz gesetzt werden.
Die Fähigkeit, ausgehend von den Kämpfen um die Rechte eine Klassenidentität zu schaffen, die den Widerstandskämpfen Programme verschafft, die es ermöglichen, die kapitalistischen Gesellschaftsstrukturen in Frage zu stellen und die ein Programm zum Sturz des Systems beinhalten.
II.2. Selbstorganisation und Kooperativen
In zahlreichen Ländern zeigt sich angesichts von Entlassungen und Betriebsschließungen, die häufig von internationalen Großkonzernen vorgenommen werden, eine Bewegung zur Wiederaneignung der Betriebe, nach dem Vorbild von Zanon in Argentinien, wo in den Kämpfen von 2002 solche Besetzungen entstanden; heute gibt es dort über 300 von den Arbeitenden übernommene Betriebe. In Europa hat sich um Fralib, Vio.me, Rimaflow usw. herum ein Netzwerk von selbstverwalteten Betrieben entwickelt.
Desgleichen führten zahlreiche Kämpfe von bäuerlichen Gemeinschaften gegen die großen Gesellschaften und Agrarkonzerne zur Errichtung von Produktionskooperativen, die versuchen, die Verteilung ihrer Produkte selbst in die Hand zu bekommen.
Auch wenn diese Erfahrungen noch beschränkt sind, so rücken sie doch die Frage der Kontrolle, der Wiederaneignung der Produktionsmittel durch die Arbeitenden und die Frage der Produktionsentscheidungen gemäß sozialen Bedürfnissen in den Vordergrund.
Was überall fehlt, ist die Kraft einer sozialen Verbindung, die auf soliden Erfahrungen gelegentlicher, aber anhaltender Widerstandskämpfe beruht, Embryonen alternativer Gesellschaften, „Bastionen“, die sich gegen Angriffe wehren und Allianzen pflegen und Räume für Auseinandersetzung, politische und kulturelle Diskurse schaffen, die wirklich die Frage der Qualität einer wirtschaftlichen und sozialen Alternative aufwerfen.
Wir müssen versuchen, das „Dafür“ und das „Dagegen“ dialektisch auszudrücken: Widerstände und Alternativen sowie Gegenseitigkeit/Kooperativen und Kämpfe um Rechte. Wir müssen Experimente mit neuen Formen der direkten Arbeitsorganisation, lohnabhängig und genossenschaftlich, unterstützen und fördern. Selbstverwaltung als Instrument zur Verwirklichung des Ziels, das Klassenbewusstsein wieder aufzubauen und eine neue Demokratie von unten vorzuschlagen. Und Organismen, die endlich die alte Dichotomie zwischen Spontaneismus und Organisation brechen, die alte Idee, das nur in Parteiformen existierende politische Bewusstseins in die Kampferfahrungen zu "importieren". Die beiden Momente können in einer Phase nebeneinander bestehen, in der die soziale Praxis nicht mehr von der theoretischen und kulturellen Ausarbeitung getrennt werden darf.
II.3. Die Kämpfe gegen die Verschuldung
Seit zehn Jahren und dem Beginn der Finanzkrise hat die Schuldenkrise ein Ausmaß angenommen, das alle früheren Dimensionen übersteigt: außer Nordamerika und der Staatsschuldenkrise in der Europäischen Union wurde auch die Bevölkerung in Indien, im Spanischen Staat und zahlreichen europäischen Ländern getroffen; so wurden in den vergangenen Jahren über zehn Millionen Menschen aus ihren Wohnungen vertrieben; in den USA können viele die Schulden des Studiums nicht zurückzahlen.
Diese illegitimen Schulden waren der Motor für zahlreiche Bewegungen und Kämpfe für Audits (zur Schuldenüberprüfung).
II.4. Die Kämpfe von Bauern und Bäuerinnen
Zahlreiche lokale Kämpfe wurden von den bäuerlichen und indigenen Bewegungen in Afrika, Lateinamerika, Asien und Europa organisiert. Die Fragen des Landgrabbing und der Nahrungsmittelsouveränität standen im Zentrum dieser Kämpfe. Sie waren alle als antikapitalistische, feministische, auf den Schutz der Umwelt ausgerichtete, sich gegen ethnische Diskriminierung und Unterdrückung wendende und für die Rechte der Migrant*innen eintretende Kämpfe von einer übergreifenden Breite gekennzeichnet. Die Frage der Demokratie, der Souveränität und des Rechtes, angesichts der Regierungen und der Multis selbst zu entscheiden, stand ebenfalls im Zentrum der Forderungen. Via Campesina, in dem über 160 Organisationen in 70 Ländern organisiert sind, ist es binnen 20 Jahren gelungen, Millionen von Bauern und Bäuerinnen, zumeist Kleinproduzent*innen, zu organisieren. Und vor allem auch Fragen der Rechte der Frauen, der Indigenen und der Umwelt ins Zentrum der Auseinandersetzungen zu stellen.
In Mittel- und Lateinamerika stoßen die Kämpfe für die Rechte indigener Gemeinschaften und das Recht auf Land häufig auf mörderische Repression, so in Brasilien und Honduras. In Asien und Afrika, etwa in Mali, wehren sich die Bauern und Bäuerinnen gegen das Landgrabbing.
II.5. Der Platz der Bewegungen für Demokratie und soziale Gerechtigkeit
Ausgehend von der Bewegung der Indignad@s und der Bewegungen der Plätze in den großen Städten Arabiens, oder der Occupy-Bewegung hat sich seit 2011 in Afrika, Europa, Asien oder Amerika (Mexiko) eine lange Welle demokratischer Kämpfe entwickelt, die stark von jungen Leuten geprägt war und die demokratische mit sozialen Fragen verband. Die Welle von Revolutionen in der arabischen Welt, vom Maghreb bis zum Nahen Osten, fand ihre Quelle in Fragen der Demokratie und der sozialen Gerechtigkeit. Die Bewegung der Indignad@s oder von Occupy in den USA und Europa hatte dieselben Wurzeln. In den vergangenen Jahren gab es immer mehr Bewegungen im Afrika südlich der Sahara (Nigeria, Senegal, Burkina Faso usw.), die demokratische Anhörungsprozesse verlangten. In Südkorea wurde im März 2017 im Gefolge einer langen demokratischen Mobilisierung gegen die Korruption die Präsidentin Park ihres Amtes enthoben. Kämpfe gegen Diktaturen und Präsidenten auf Lebenszeit, die Verschiebung von Wahlen und Abstimmungen oder die Korruption von Regimen führten in den vergangenen Jahren immer wieder zu mächtigen Mobilisierungen. In Ländern, die eine autoritäre Entwicklung politischer Systeme erleben (Brasilien, Osteuropa, Philippinen usw.), haben Kämpfe um die Verteidigung demokratischer Rechte einen zentralen Platz auf der politischen Agenda.
II.6. Der Platz junger Arbeitsloser in den gesellschaftlichen Formationen
In Afrika und Lateinamerika bilden die jungen Menschen, vor allem die Schüler*innen eine stark von der Arbeitslosigkeit und der Krise betroffene Schicht. Die Revolten junger Brasilianer*innen gegen Fahrpreiserhöhungen und die Studierendenstreiks in Chile und Quebec sind ein Echo der Kraft der sozialen Mobilisierungen in Tunesien und Ägypten. In zahlreichen demokratischen und gegen die Korruption gerichteten Mobilisierungen, die in mehreren Ländern Westafrikas stattgefunden haben, war die Frage der Lebensbedingungen und der Zukunft der jungen Leute sehr präsent.
Der Anstieg des Bildungsniveaus hat die Erwartung einer Verbesserung der Lebensbedingungen geweckt. Dies hat die Revolte und die Forderung nach einer sozialen Zukunft verschärft. Diese Bewegungen stellen Forderungen nach politischer Demokratie auf und stellen die politischen Systeme in Frage, die von den kapitalistischen und Renten-Oligarchien kontrolliert werden. So war die Jugend in den vergangenen Jahren die bewegende Kraft hinter den revolutionären Bewegungen und hat dadurch eine große Rolle bei den revolutionären Mobilisierungen gespielt. Sie hatte eine große Rolle in den fortschrittlichen Entwicklungen, der Wahl von Jeremy Corbyn zu Vorsitzenden von Labour in Britannien, der Gründung von Podemos im Spanischen Staat oder in der Unterstützungsbewegung für Bernie Sanders in den USA 2016.
In allen diesen Mobilisierungen entsprach die Kraft der Jugend dem Ausmaß der strukturellen Prekarität und der Massenarbeitslosigkeit, der die Jugend in vielen Regionen der Welt ausgesetzt ist. Diese Bewegungen stellen Forderungen nach politischer Demokratie auf.
II.7. Frauenrechte und Massenmobilisierungen gegen Gewalt, Vergewaltigungen und Frauenmorde sowie für das Recht auf Abtreibung
Wenn wir die Schlüsselfragen der Frauenkämpfe betrachten, so war die Lage in den vergangenen Jahren angesichts der immer massiveren Präsenz von Frauen in der Arbeitswelt widersprüchlich. Die Frauenbewegung hat zahlreiche Strukturen und Mobilisierungen in allen Regionen der Welt entwickelt; doch sie stieß in vielen Ländern auf eine reaktionäre Offensive, die mit dem Aufstieg neokonservativer und fundamentalistischer Strömungen verbunden war. Diese Offensive stellt grundlegende Rechte in Frage, besonders das auf finanzielle und soziale Unabhängigkeit gegenüber den Männern (Väter, Brüder oder Gatten), um über die Kleidung oder den Fortpflanzungsprozess zu entscheiden, vor allem aber das gesetzlich garantierte Recht auf kostenlose und sichere Abtreibung.
Ein wichtiger Faktor sozialer Mobilisierungen war in den vergangenen Jahren die Antwort auf Gewalttaten, vor allem Frauenmorde, in Indien, der Türkei, Argentinien, Chile, Uruguay oder Mexiko. Seit den riesigen Demonstrationen in Indien im Dezember 2012 gab es zahlreiche weitere Großdemonstrationen in vielen Städten: 500 000 Frauen demonstrierten am 7. November 2015 in Madrid gegen die Zunahme von Gewalttaten und Morde; in Argentinien demonstrierten 2015 Hunderttausende gegen verschiedene Mordtaten, die das Land aufgerüttelt haben; in Mexiko hat die massive Zunahme von durch den Drogenhandel verantworteter Fälle verschwundener und ermordeter Frauen bis zu einem nie dagewesenen Ausmaß zu starken Mobilisierungen in dem Land geführt.
Diese Mobilisierungen verweisen auf das hohe Niveau von Gewalt in vielen dieser Länder, eine Gewalt, die in erster Linie die Frauen trifft und auf die gesellschaftliche Wirklichkeit drückt: Die meisten Länder Mittelamerikas, Mexiko, Brasilien, fast alle Länder südlich der Sahara und Südafrika haben die höchste Anzahl von Morden erreicht, die nicht mit Kriegen in Verbindung stehen.
Im Mittelpunkt wichtiger neuer Entwicklungen finden wir eine Tendenz zu Anhörungen und fruchtbaren Dialogen mit gesellschaftlichen Gruppen, die sich bisher nicht als Teil der Frauen- und feministischen Bewegung verstanden haben, die Trans-Community, schwarze, indigene, lesbische und andere Frauen. Es entstehen neue Mobilisierungsformen, die in einigen Ländern Bezug nehmen auf Aktionen wie Streiks und mit der Gewerkschaftsbewegung diskutiert und debattiert wurden wie bei der Mobilisierung vom 8. März 2017, die als internationaler Frauenstreik allgemein bekannt ist. Die Mobilisierung ist spürbar gestiegen, was auf einen Aufstieg der Frauenbewegung und die Diversifizierung ihrer Bündnisse hindeutet.
Die Wahl von Trump hat eine internationale Welle von Demonstrationen am 21. Januar 2017 auf Initiative der Frauenbewegung ausgelöst, und dies nicht nur in den USA, sondern vielen Städten der Welt, womit sich die Frauenbewegung an die Spitze der politischen Kämpfe gegen die Reaktionäre gestellt hat. Die verschiedenen reaktionären Regierungen, die auf der Welle der neoliberalen Angriffe an die Macht gekommen sind, versuchen das Recht auf Abtreibung in Frage zu stellen, das in den Kämpfen der vergangenen Jahrzehnte errungen wurde. Angesichts dessen kam es zu massiven Demonstrationen zur Verteidigung und Ausweitung dieses Rechtes, besonders in Spanien 2014 und Polen 2016.
Das Wachstumspotenzial dieser neuen Bewegung wird durch ihren internationalen Charakter verstärkt. Länder wie Argentinien und Italien inspirieren in unterschiedlicher Breite die Möglichkeit, entstehende Strukturen zu gestalten, die sowohl Kämpfe als auch Taktiken und Strategien miteinander verbinden. Die Rolle der neuen Technologien, insbesondere der sozialen Netzwerke, als Plattform für die Verbreitung und Kommunikation ist unübertroffen.
II.8. Die Kämpfe der LGBT+
In vielen Ländern (außer der islamischen Welt und dem größten Teil Afrikas südlich der Sahara) hat die Kraft der LGBT+-Organisationen es ermöglicht, homosexuelle Beziehungen zu entkriminalisieren und für Transgender-Menschen beschränkte Rechte zu erkämpfen.
In diesem Prozess wurde die Hochzeit für homosexuelle Paare in vielen Ländern erlaubt, nicht nur in reichen, sondern auch in Südafrika und immer mehr Ländern Lateinamerikas, wobei es immer häufiger einen großen gesellschaftlichen Konsens gibt.
Andere Kämpfe müssen erst noch gewonnen werden, etwa die volle Rechtsgleichstellung von LGBT+ hinsichtlich der Adoption von Kindern.
Die Frage von Gewalttätigkeiten und homophoben Kampagnen fällt stark ins Gewicht.
Die große Rolle von reaktionären religiösen Strömungen gegen die LGBT+-Bewegungen ist überall offensichtlich, gleich ob es sich um christliche (katholische oder protestantische), muslimische oder Hindu-Bewegungen handelt; hinzu kommen die Gewalt und der Fanatismus von rechtsradikalen Gruppen ohne religiösen Bezug.
In den „Schwellenländern“ werden die Gewaltakte gegen LGBT+-Menschen häufig mit einem Diskurs gegen die europäischen/amerikanischen Kulturmodelle verbrämt.
Außerdem hat sich in den vergangenen Jahren eine homo-nationalistische Strömung entwickelt, die die imperialistische Politik – vor allem die der USA – gegen die arabischen Länder rechtfertigt, als könnte sie die Anliegen der LGBT+ voranbringen.
Die zeigt uns umso mehr die Notwendigkeit von Sektoren übergreifender Kämpfe, die Erfordernis einer Vermittlung alle Kämpfe gegen die diversen Formen der Unterdrückung.
II.9. Die Organisationen gegen den Rassismus und zur Verteidigung der Migrant*innen
Der autonome Aufbau der Bewegung „Black Lives Matter“ in den USA, die um die Frage der Polizeigewalt gegen Farbige herum zentriert ist, aber auch ein Licht auf das umfassende Problem des staatlichen Rassismus wirft, stellt die bedeutendste Entwicklung seit dem Ende der Bürgerrechtsbewegung in den USA dar. Diese Kämpfe inspirierten auch Kämpfe, die von schwarzen Jugendlichen in vielen anderen Ländern wie Brasilien und Südafrika geführt werden. Häufig gehören dazu auch Reaktionen auf den staatlichen Drogenkrieg, der als Vorwand für die Ermordung vieler junger Menschen in etlichen Ländern wie Brasilien, den Philippinen, den Vereinigten Staaten, Mexiko, Kolumbien… In Europa werden die mörderischen Konsequenzen der Grenzregime und der Migrationspolitik immer sichtbarer; es entstand eine Bewegung konkreter Solidarität und mit politischen Forderungen, vor allem in Griechenland, aber auch in Italien, Deutschland, Großbritannien und Katalonien. Im Rahmen des Kampfes gegen den Terrorismus ließ die Austeritätspolitik rassistische Diskurse wieder auftauchen, die aus der kolonialen Vergangenheit stammen und Diskriminierungen gegen Teile der einfachen Bevölkerung, die die ersten Opfer von Arbeitslosigkeit und Prekarität sind, auf rassistischer Grundlage erneuern, vor allem in Europa und Nordamerika.
II.10. Das Erstarken von Bewegungen gegen den Klimawandel
Die Anwachsen der Bewegungen gegen den Klimawandel kann und muss in den kommenden Jahren eine zentrale Rolle in der globalen Infragestellung des Systems spielen. Dieser Wandel verschlechtert in den nächsten Jahren die Lebensbedingungen von Hunderten von Millionen Männer und Frauen weltweit. Die autochthonen Völker und die Bevölkerungen, die unter den prekärsten Lebensbedingungen zu leiden haben, werden häufig zuerst getroffen, wie sie auch von der Politik der Entwaldung und den großen kapitalistischen Projekten betroffen sind, die ihren Lebensraum bedrohen. In vielen betroffenen Regionen organisiert sich die Bevölkerung und versucht Netzwerke aufzubauen, in die auch die anderen sozialen Organisationen einbezogen sind.
Wir sehen also, dass in vielen Regionen die Fragen der Arbeitslosigkeit und der Beschäftigungsbedingungen mit zahlreichen anderen sozialen Fragen von erstrangiger Bedeutung verknüpft sind, was von den einheimischen Bevölkerungen auch so gesehen wird.
Die wichtigste Frage ist natürlich die nach der Emanzipationsperspektive, in deren Hinblick sich die sozialen und politischen Bewegungen strukturieren könnten. Die Erfahrungen von Via Campesina, von vielen Gewerkschaftsgruppen und von Klimabündnissen zeigen, dass vor allem mit Jugendlichen direkte Aktionen auf internationaler Ebene möglich sind und dass sie quasi naturwüchsig die kapitalistische Gesellschaft in Frage stellen. Aber viele Strukturen aus der Zeit des Aufstiegs der globalisierungskritischen Bewegung (Sozialforum, Weltfrauenmarsch, attac) haben in dieser Auseinandersetzung eine Bremse für ihre Entwicklung gesehen und sind in die Krise geraten. Via Campesina und CADTM konnten in den vergangenen Jahren ihre Weiterentwicklung einerseits wegen des wichtigen Platzes von bäuerlichen Widerstandskämpfen und andererseits wegen der Schuldenkrise und der Forderung nach "Bürger*innenaudits (zur Schuldenüberprüfung) sichern. Die Lage im Bereich der klassischen Gewerkschaftsorganisationen ist schwierig; auf ihnen lastet die Politik des Konsenses und von nationalen Kompromissen mit den Austeritätspolitiken. Auch die Bewegung von alternativen Gewerkschaften in Osteuropa ist in den letzten Jahren ausgelaufen. Auch alle Erfahrungen mit breiten antikapitalistischen Zusammenschlüssen im Zuge der Sozialforen sind an ein Ende gelangt, was auch mit der Krise der daran beteiligten europäischen Organisationen (SWP, SSP, LCR/NPA…) zusammenhängt.
Wir müssen die neuen Herausforderungen beim Aufbau einer internationalen revolutionären Bewegung annehmen, einer antikapitalistischen Bewegung, die sich auf die Verteidigung der Rechte und von sozialer Gerechtigkeit stützt.
Zunächst findet ein Kampf neuer Art in vielen Teilen der Welt statt.
Wie wir es weiter oben bereits analysiert haben, führen die sozialen Angriffe, die Austeritätspolitik, die Zerschlagung der früheren Strukturen der sozialen Kompromisse zu einem immer stärkeren Klima der Wut. Diese Wut richtet sich gegen nationale und internationale Institutionen, gegen Führungsmitglieder und Parteien, die diese Angriffe durchführen und die häufig traditionelle Pfeiler des politischen Systems waren. Diese Abnützung und Erosion stellen auf internationaler Ebene eine strategische Frage auf: Sie verschaffen den Revolutionären und den verschiedenen Strömungen der sozialen Bewegungen, die die reaktionären Politiken bekämpfen, die Verantwortung, eine politische Perspektive vorzuschlagen, die zu einem fortschrittlichen, ja revolutionären Vektor in der Ablehnung des Systems werden kann. Wir sehen eine ganze Generation junger Menschen, die für Klimafragen, Frauenbewegung etc. mobilisiert wurden. Dies wird unsere eigenen Organisationen sowie die der Gewerkschaften und der Studierenden entwickeln, indem es ein besseres Gleichgewicht zwischen Männern und Frauen fördert und dazu beiträgt, die unterschiedlichen politischen Fragen in diesen Bewegungen zu berücksichtigen (so in Europa die Entstehung von Organisationen junger Frauen an Universitäten, die Ausgangspunkt für ein internationales Netzwerk von Studierendenbewegungen sein können).
Die Kämpfe für Demokratie und soziale Gerechtigkeit führen nicht als solche zu einem Kampf für den Sturz der Unterdrückungssysteme. In den vergangenen Jahren ist eine ganz wichtige politische Frage aufgetaucht. Die reaktionären Kräfte haben, als sie mit der Krise der Diktaturen in Tunesien und dem Nahen Osten, aber auch den fortschrittlichen Regierungen in Mittelamerika und den sozialen Kämpfen gegen die Austeritätspolitik konfrontiert waren, überall einen offensiven Kurs eingeschlagen, vor allem durch die Verstärkung von autoritären Regimen, die sich diesen Emanzipationsbewegungen in den Weg gestellt haben. Daher müssen wir eine Strategie umsetzen, die einerseits die Bevölkerung mobilisiert und andererseits die reaktionären Gegenoffensiven bekämpft.
Darüber hinaus entsteht in den Klassen der einfachen Bevölkerung ein Kampf um Einfluss zwischen den demokratischen, sich auf die Arbeiterklasse berufenden und klar antikapitalistischen Strömungen auf der einen und den reaktionären, religiösen und faschisierenden Strömungen der extremen Rechten auf der anderen Seite. In den Milieus der einfachen Bevölkerung war der Einfluss der Religion schon immer recht stark; oft organisieren sich bäuerliche oder städtische Gemeinschaften, indem sie religiöse Bezüge übernehmen, wenn sie Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit gegen die Reichen und Besitzenden aufstellen. Natürlich ist in solchen Fällen ein Zusammengehen revolutionärer Organisationen mit Organisationen mit solchen Bezügen möglich. Doch das Problem, vor dem wir in einigen Regionen stehen, sind die reaktionären religiösen Strömungen und die der extremen Rechten. In Osteuropa und den USA spielen diese Strömungen in den Milieus der einfachen Bevölkerung mit den in Krisenzeiten üblichen Mechanismen, um die Menschen von einem Kampf gegen den Kapitalismus abzuhalten (Angst vor Migrant*innen und Fremden, nationalistische Nostalgie…), zu denen noch, vor allem in Europa, eine sich ausbreitende Islamophobie hinzutritt. In Regionen mit muslimischer Tradition konnten Organisationen eine Hegemonie über einen Teil der einfachen Bevölkerungsschichten erlangen, die sie von ihren Wünschen nach sozialer Gerechtigkeit und den Kampf gegen die imperialistischen Länder abbringen und stattdessen die Frühzeit des Islam mystifizieren. Alle diese Ideologien stützen sich auf die durch die Krise und den Abbau der Systeme sozialer Sicherung, der öffentlichen Dienstleistungen und der Zunahme prekärer Lebensbedingungen hervorgerufenen Wut der Bevölkerung und lenken den Kampf gegen den Kapitalismus in Richtung einer Rückkehr zur Religion, einer Identität oder eingebildeten Nation um; dabei wird das ganze reaktionäre Arsenal der Unterwerfung unter die Ordnung, der patriarchalen Familie, der Homophobie und Misogynie bemüht. Häufig werden Fragen der Identität sowohl in den imperialistischen Metropolen als auch in abhängigen Ländern zu einem strukturierenden Rahmen beim Rückzug auf konfessionelle Identitäten.
Dieses Konkurrenzverhältnis drängt die antikapitalistischen Organisationen in den sozialen wie den politischen Bewegungen, die Perspektive nach sozialer Gleichheit neuerlich mit Leben zu erfüllen, wenn sie für eine Gesellschaft ohne Kapitalismus und Ausbeutung kämpfen.
Auf einer anderen Ebene müssen wir eine Antwort auf eine andere Herausforderung finden. Einerseits müssen wir in den sozialen Bewegungen Massenorganisationen aufbauen, um gegen die Attacken und Angriffe des Systems vorzugehen, gleichzeitig aber auch Verbindungen schaffen, die es ermöglichen, alle Widerstandsfronten zu verbinden. Die Gefahren von identitären Rückzügen und die Schwäche der politischen Antworten auf die gesellschaftlichen Veränderungen können als gemeinsame Bezugspunkte dienen, die mehr denn je eine die Sektoren übergreifende Politik erfordern und die Bewegungen gegen Unterdrückung zusammenführen, nach dem Vorbild der Dynamik von Black Lives Matter in den USA.
Auf politischer Ebene geht es darum, politische Strategien zu entwerfen, die sich keinesfalls auf den institutionellen Rahmen beschränken, sondern der Selbstorganisation der sozialen Bewegungen den ihr gebührenden Platz geben, sie in den Dienst der einfachen Bevölkerung zu stellen und die Erfahrungen in der Leitung von Institutionen in den Dienst der sozialen Bewegungen zu stellen, indem man gleichzeitig die wirtschaftliche Macht der Kapitalisten angreift. In diesem Punkt sind die letzten Erfahrungen nicht sehr positiv.
Einzig Lateinamerika hat im letzten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts Regierungen aufzuweisen, die sich aus sozialen Bewegungen entwickelt haben; doch sie konnten die Lebensbedingungen der Bevölkerung nicht so weit entwickeln, dass daraus eine neue Dynamik für die Perspektiven sozialer Emanzipation entstanden wäre. Die Entwicklung der Regierungen in Ecuador, Bolivien und Venezuela führt heute zu einer Änderung des Zyklus und der Notwendigkeit, mit den alten Perspektiven zu brechen, die vor allem auf der Politik des Extraktivismus (Ausbeutung der Bodenschätze) beruhten. Die gewerkschaftlichen und sozialen Bewegungen befinden sich inzwischen im Widerstand gegen eine Politik, die ihre Versprechungen nicht eingehalten hat.
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Im Maghreb und in Ägypten hatten die von Mobilisierungen der Jugend und den Gewerkschaften unterstützten Massenbewegungen den Sturz der diktatorischen Regime ermöglicht. Auch sie sind nun wieder im Widerstand. Trotzdem gibt es Elemente einer regionalen Dynamik zwischen den Bewegungen im Maghreb und denen im Afrika südlich der Sahara.
In Griechenland lässt der Verrat der Regierung Tsipras, die von der Ablehnung der Sparpolitik getragen war, die sozialen Bewegungen mit der Verantwortung zurück, mit den Strömungen der radikalen Linken eine politische Alternative aufzubauen. Im spanischen Staat war Podemos direkt aus den sozialen Mobilisierungen der Indignad@s entstanden, doch heute ist die soziale Bewegung mit einer ähnlichen Lage konfrontiert wie in Griechenland. Die strategischen Debatten in Podemos für ein Programm der direkten Auseinandersetzung mit der Austeritätspolitik, wie sie von den Anticapitalistas angeführt werden, nehmen Forderungen der sozialen Bewegungen in sich auf.
In verschiedenen Regionen der Welt, wo es aufgrund des Wirkens sozialer Bewegungen zu politischen Veränderungen gekommen ist, befinden sich die sozialen Bewegungen heute in der Defensive, doch es entwickeln sich starke Abwehrkämpfe, die Hoffnung machen.
Die Schlüsselfrage für die kommenden Jahre ist nicht nur die nach einer Stärke der Organisierung, die auf der Höhe der Angriffe ist, sondern auch die nach der politischen Fähigkeit, in Verbindung mit den sozialen Bewegungen eine politische Emanzipationsbewegung zu schaffen, die in der Lage ist, den Kapitalismus frontal anzugreifen.
Dieser Artikel erschien in der Online-Ausgabe von die internationale Nr. 3/2018 (Mai/Juni 2018) (nur online). | Startseite | Impressum | Datenschutz