Die jüngste Krise der Regierung Prodi hat den Prozess der Neuordnung der italienischen Linken beschleunigt. Hinsichtlich der Bedeutung der Regierungskrise verweisen wir auf das von der nationalen Koordination von Sinistra Critica (Kritische Linke) am 18. März 2007 [1] angenommene Dokument. Hier möchten wir uns damit begnügen, die wichtigsten laufenden Projekte der italienischen Linken vorzustellen, die im Lauf der kommenden Jahre, ja Monate zu ihrer grundlegenden Veränderung führen werden.
Bekanntlich soll eine Demokratische Partei entstehen. Ihre Gründung wird wohl nicht an den zahlreichen Widersprüchen in ihren Reihen scheitern, denn sie wird durch den gewaltigen Druck in Richtung „Einheit” und der grundsätzlichen Übereinstimmung in ihrer „neoliberalen” Sichtweise genährt. Die Einheit ist einerseits ein abstrakter Begriff, wird aber von einem Großteil der Wählerschaft der linken Mitte verlangt, die vor allem die Rechte und eine „Rückkehr von Berlusconi” fürchten. Sie stellt die wesentlichste Zutat dar, die es ermöglichen soll, die aus der Kommunistischen Partei stammende Linke zu transformieren. Mit der Entstehung der Demokratischen Partei, deren Projekt auf dem Kongress der LinksdemokratInnen und dem von Marguerita (die Teile der früheren Christdemokratie, die in der linken Mitte angesiedelt sind) Ende April abgesegnet wurde, beschließen die LinksdemokratInnen den Prozess ihrer Anpassung an den Kapitalismus, der seit langem im Gange war und auf symbolische Weise durch die Liquidierung der alten KPI 1989 durch Occhetto sanktioniert wurde.
Heute ist man nun „endgültig” bei der Gründung jener liberaldemokratischen Kraft mit fortschrittlicher Färbung angelangt, über die bereits seit gut einem Jahrzehnt geredet wurde. Es handelt sich um eine ganz und gar sozialliberale Kraft, die die Stimmen eines Großteils der Welt der Arbeitenden auf sich ziehen kann, ohne dass jene aber ihre zentrale Achse darstellten; denn die neue Partei begibt sich unter den Schirm eines Teils der italienischen Bourgeoisie aus Großbetrieben und Banken, soweit diese sich nach der EU ausrichtet.
Das andere, weniger sichtbare Projekt wird sich wohl den Namen „Linkspartei” geben. Es handelt sich hierbei um eine Neuauflage der sozialistischen bzw. neo-sozialdemokratischen Partei. Darüber ist noch wenig bekannt, denn die große Presse beginnt gerade, darüber zu berichten. Doch erste Anfänge wurden in den Führungszirkeln der Linken bereits gemacht, die nicht nur den Platz, der durch das Verschwinden der DS frei wurde, besetzen, sondern auch drei sich gegenseitig bedingende Krisen lösen möchten:
Die erste Krise ergab sich aus der Niederlage des linken Flügels in der DS (Linksdemokraten). Auf dem letzten Parteitag trug der Generalsekretär Fassino mit fast 75% der Stimmen eine ungefährdeten Sieg davon, während die Linke gerade mal auf 15% kam. Die GegnerInnen des Projektes der Demokratischen Partei wurden platt gemacht und waren nicht in der Lage, einen Gegenangriff zu starten.
Die zweite Krise ist die Krise der Partei der kommunistischen Neugründung (PRC, kurz Rifondazione genannt), die dieses Projekt als für sie interessant befunden hat, wie das Fausto Bertinotti in einem Interview mit Liberazione [2] klar geäußert und die Ende März abgehaltene Konferenz zu eigen gemacht hat – um die Sackgasse zu verhüllen, in die die PRC im Verlauf der Krise der Regierung Prodi geraten ist, eine Krise, die das Scheitern der auf dem letzten Kongress in Venedig angenommenen Strategie klar erwiesen hat.
Nach Vicenza (wo über 100 000 Menschen gegen die Vergrößerung der US-amerikanischen Militärbasis demonstriert haben), nach der Abstimmung zu Afghanistan (die die Regierung Prodi im Senat nur mit Unterstützung der Rechten gewonnen hat, bei der Gegenstimme von Franco Turigliatto [3] und einer Nichtteilnahme von mehreren anderen Senatoren der Linken), und nach mehr als einem Jahr Regierung Prodi, haben sich die drei Hypothesen, die dem Projekt der Mehrheit der PRC auf dem Kongress von Venedig zugrunde lagen, nicht bestätigt:
Die Idee, die Kräfteverhältnisse würden der Regierung eine „große Reform” ermöglichen, wurden durch das Wahlergebnis vom 9. Mai 2006 zunichte gemacht; es hat ein zweigeteiltes Land offenbart, in dem die Kräfte der Linken an den Rand gedrängt sind (sie repräsentieren nur 26% bis 27% der Wählerschaft).
Die Idee, Mitte-Links habe sich seit 1996 geändert (als die erste Regierung Prodi mit genau denselben politischen Kräften und fast denselben Leuten amtierte – abgesehen von Rifondazione), wurde durch das Handeln der Regierung sogleich dementiert (die die klassischen neoliberalen Rezepte der Finanzierung der Firmen mit starken Einschnitten ins soziale Netz und einer Erhöhung der Militärausgaben angewandt hat, die außerdem zur Gründung der Demokratischen Partei schreitet, von der wir gerade gesprochen haben).
Die Idee der „Durchlässigkeit” der Regierung Prodi für gesellschaftliche Konflikte wurde am Abend des 17. Februar begraben, als Prodi anlässlich der riesigen Demonstration in Vicenza gegen die Erweiterung der Militärbasis der USA erklärt hat, „die Basis wird in jedem Fall gebaut”.
Die dritte Krise ist die Krise der Regierung. Sie ergab sich aus verschiedenen Faktoren, etwa wegen des Konfliktes um den Militärstützpunkt in Vicenza und das Verhalten von alten Christdemokraten wie Andreotti und Cossiga; sie hatte ihre Ursache aber in den Enttäuschungen und Ernüchterungen der Mitte-Links-WählerInnen.
Die Regierung Prodi hat recht schnell viele Erwartungen vom Tisch gewischt, die ihr Sieg hatte aufkommen lassen. Eine gewisse Enttäuschung konnte man schon in den Pfiffen von Mirafiori [4] erkennen. Aber im Fall von Vicenza hat sich, angesichts der blinden und tauben Haltung von Prodi und d’Alema, der erreichte Abstand deutlich gezeigt.
Keiner der Bestandteile der kommenden Linkspartei hat bislang eine Bilanz dieser Realität ziehen wollen. Sie haben sich entschieden, diese Regierung bedingungslos zu unterstützen, auch was ihre Kriegsmissionen anbetrifft. Sie haben den Wert der Realpolitik und des Überlebens der politischen Klasse zu Lasten der Erwartungen und Hoffnungen, die in Porto Alegre und Genua [5] geweckt wurden, wiederentdeckt.
Diejenigen, die sich diesem Schema und dieser politischen Logik entzogen haben (wie der Genosse Franco Turigliatto), wurden sogleich in die Kategorie „Politik des Bekennertums”, „hart und rein” eingeordnet, denen jegliche Wirkung abgehe. Aber sie haben gezeigt, wieweit die Linke heute bereits degeneriert ist.
Wenn die alternative Linke auf diese Krise reagieren will, denn muss sie in den grundlegenden Werten verankert bleiben und darf nicht auf die Radikalität des Antikapitalismus verzichten. Wer sagt, die Verweigerung des Kompromisses und der Vermittlung begünstige die Rückkehr der Rechten und von Berlusconi [6], geht in die Irre. In Wirklichkeit führt die Begünstigung einer Politik des Krieges und des Sozialabbaus zu einer Revanche der Rechten. Im Übrigen zeigen nur ein Jahr nach dem Wahlsieg von 2006 über die Rechte viele Meinungsumfragen, dass die Rechte mit etwa 55% gewinnen würde, würden heute Wahlen stattfinden
Wir wehren uns also – und haben dies auch öffentlich gesagt – gegen das x-te Arrangement der politischen Klasse, das immer nach dem gleichen Schema abläuft. Wir sind nicht bereit, den Weg hin zum „gesellschaftlichen Kompromiss” einzuschlagen, wofür sich die kommende Linkspartei bereits ausgesprochen hat, um damit den Versuch zu machen, die Anomalie, die Rifondazione communista auf der italienischen politischen Karte darstellte, zu beenden. Es handelte sich um ein Ende sowohl hinsichtlich des Inhalt wie des Gravitationszentrums der Linken: Eingeschlossen in der Perspektive der Regierungsbeteiligung, gegründet auf der Logik der Vermittlung und unfähig, eine Alternative zur neoliberalen Linken zu denken. Wenn die Demokratische Partei sich als moderner Block der demokratischen und progressiven Bourgeoisie definieren möchte, mit dem Ziel, mit Stimmen aus dem einfachen Volk zu regieren, dann möchte die Linkspartei (deren Name an die deutsche Linke erinnert), wie sie sich Bertinotti und Mussi [7], Diliberto [8] und Boselli [9] vorstellen, eine neue Sozialdemokratie sein, in der die „reformistischen” und die „maximalistischen” Sozialisten [10] wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts zusammen wären.
Wir sagen Nein zu dieser Perspektive und beginnen mit dem Aufbau einer alternativen Linken. Einer Alternative zur Rechten, aber auch zu Mitte-Links der Regierung, der gemäßigten Mitte-Links-Parteien, die zugunsten des „sozialen Kompromisses” votieren.
Die alternative Linke muss vor allem in Opposition zur gegenwärtigen Politik, der Politik des Krieges und des Neoliberalismus, handeln. Sie wird der „Konterreform” bei den Renten, sie wird den Großvorhaben der Umweltzerstörung nicht zustimmen. Sie wird sich nicht für Kompromisse mit den Revanchisten der Hierarchie des Vatikans hergeben. Die alternative Linke ist so „ohne wenn und aber”. [11] Wir haben im Verlauf der vergangenen Monate versucht, sie im Parlament zu repräsentieren, was zu einer großen Diskussion und zu Disziplinierungsmaßnahmen gegen uns – so der Ausschluss von Franco Turigliatto aus der PRC –, aber auch zu Diskussionen und einer großen Klärung in den Reihen der PRC geführt hat.
Nur eine alternative Linke nimmt die Kämpfe und die sozialen Bewegungen als Ausgangspunkt und möchte auf dieser Grundlage ein Projekt des gesellschaftlichen Umbaus, und somit auch der politischen Neuzusammensetzung erschaffen.
Aktuell heißt von alternativer Linker zu sprechen, eine „gesellschaftliche Opposition” zur Regierung Prodi aufbauen. Die Entscheidung, im Senat dieser Regierung ein „technisches Vertrauen” zu gewähren (während wir in der Kammer nicht abgestimmt haben), bedeutet keinen Rückzug, sondern eine Betonung dieser Haltung. Das linke Italien lebt gerade in einer Paranoia der Angst vor der Rückkehr der Rechten und von Berlusconi: Eine konsequent linke Kraft darf nicht der Blitzableiter dieser Lage werden und muss ohne rechnerisches Hin und Her den Widerstand gegen die Regierung aufbauen. Diese Linie hat uns geleitet, als wir die „Unterstützung von außen” ankündigten und klar äußerten, die Regierung würde nach ihren Maßnahmen und ihren Handlungen beurteilt. Wir begannen mit dem Votum gegen die Finanzierung der „Militärmission” in Afghanistan, das wir am 27. März abgegeben haben, als im Senat Franco Turigliatto der einzige Linke war, der sich weigerte, dieses Militärprojekt zu unterstützen.
Heute müssen wir nun auf konstruktive Weise die neue Phase angehen, beginnend mit der Konsolidierung der Vereinigung Sinistra critica als Instrument für den neuen Prozess der Umgruppierung und für den Aufbau einer antikapitalistischen Linken als Alternative zur bestehenden Linken.
Dies führt natürlich zu enormen Problemen im Inneren von Rifondazione comunista, die gerade dabei ist, die eigene politische Ausrichtung zu ändern.
Wir meinen, dass sich der Zyklus von Rifondazione erschöpft hat und diese Partei am Ende ihres Weges angekommen ist. Die Entscheidung, sich von den Beschlüssen der Regierung abhängig zu machen, für den Krieg zu stimmen, zur alten Methode der Ausschlüsse und Säuberungen zurückzukehren (und sogar zum politischen und moralischen Lynchen), die Entscheidung, gleichzeitig den Aufbau eines neuen politischen Subjekts zu beginnen, darunter den Aufbau der europäischen Linkspartei als erster Etappe, sind Charakteristika, die das Ende des Zyklus anzeigen. Eine neue Phase ist nun eröffnet.
Sicherlich war Rifondazione nie das revolutionäre Subjekt, welches wir aufbauen wollen. Es ging vielmehr um einen Prozess des gesellschaftlichen und politischen Widerstands, um eine neue Phase einzuläuten. Solches ist teilweise auch geschehen, aber eben nur teilweise.
Die Partei der kommunistischen Neugründung kann für sich ein historisches Verdienst in Anspruch nehmen. Jenes, in der Phase der Depression und der Aufgabe eines Teils der Avantgarden der alten Arbeiterbewegung eine kommunistische Perspektive aufrecht erhalten zu haben. Es ist ihr jedoch nicht gelungen, die vorherrschende Tendenz umzudrehen, obgleich sie sich auf bedeutsame Weise in die Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung eingebracht hat. Es ist ihr auch nicht gelungen, in ihrer gesellschaftlichen Verankerung einen qualitativen Sprung zu machen, der es ihr erlaubt hätte, das Subjekt von – auch nur partiellen – gesellschaftlichen Siegen zu werden, um eine Gegentendenz zu verkörpern, ein Symbol einer möglichen Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse. Diese Begrenztheit war besonders in ihrer fehlenden gewerkschaftlichen Verankerung sichtbar. Rifondazione tritt nicht gestärkt aus dieser Widerstandsperiode hervor – man muss sich nur die Aktivität der Mitgliedschaft, das Mobilisierungspotenzial, den Zustand der Zirkel, die Verbreitung der Zeitung usw. ansehen.
Das Projekt der kommunistischen Neugründung hat wegen seiner Zerbrechlichkeit eine Niederlage erlitten, aber auch, weil die verschiedenen Führungsgruppen der Partei – von Magri [12] bis Cossuta, ohne Bertinotti zu vergessen – nie in der Lage waren, mit ihrer Verankerung im Reformismus zu brechen. Im Verlauf der fünfzehn Jahre hat die Parteiführung ihre Inspiration in den Konzeptionen des linken Ingrao-Flügels [13] der früheren italienischen kommunistischen Partei gesucht. Sogar die Idee einer Politik der „Bewegungen” – verbunden mit den Gewerkschaften und wichtigen Vereinigungen, um gesellschaftliche Kämpfe entwickeln zu können – wurde von der Mehrheit der PRC-Führung in Aussicht auf die Möglichkeit einer Teilnahme an einer reformistischen Regierung im Rahmen des kapitalistischen Staates gesehen. Ihre Konzeption der Einheit der Linken war ebenfalls im Rahmen dieser strategischen Perspektive gefasst. Mit der Regierung Prodi ist diese Perspektive Wirklichkeit geworden und stellt jetzt die Grundlage des Projektes einer neuen linken Partei dar, wiewohl Prodi sich weigert, irgendeine fortschrittliche Reform durchzuführen.
Die PRC scheint nicht fähig zu sein, über sich hinaus zu wachsen und eine neue Phase einzuleiten. In den Augen der Parteimehrheit soll gerade jener Umbau ihr wichtigstes Projekt ermöglichen, also die europäische Linke, die nur eine Etappe auf dem Weg zur neuen Linkspartei sein soll. Dieses Projekt wird als Fortsetzung des Geistes der Neugründung ausgegeben.
Doch diese neue Etappe hat aufgehört, auf konsequente Weise antikapitalistisch zu sein und stellt keine Alternative zur neoliberalen Linken mehr dar. Die Logik der Regierungsbeteiligung – ein richtiges Hindernis in der Phase des Aufbaus einer klassenbasierten Linken – hat zu einer Reihe von Kompromittierungen geführt, die einen Bruch mit der Tradition und Geschichte der PRC darstellen.
Wenn Rifondazione einen Zyklus abgeschlossen und sein Ziel, die klassenbasierte und antikapitalistische Linke neu zusammenzusetzen, verfehlt hat, dann ziehen wir heute daraus den Schluss, dass dieses Ziel auf neuen Wegen erreicht werden muss.
Es handelt sich um ein schwer erreichbares Ziel, und es wird aufgrund der Tatsache des Scheiterns von Rifondazione noch schwieriger. Diesbezüglich darf man sich keine Illusionen machen: Eine Niederlage der Linken führt zu neuen Demoralisierungen und Rückzügen besonders wegen des Fehlens einer klaren Alternative. In der Lage zu sein, eine Perspektive des Aufbaus einer antikapitalistischen Linken aufrecht zu erhalten, ist dennoch unabdinglich, wenn wir Bezugspunkte und Praktiken bewahren wollen, die für den konsequenten Antikapitalismus einen Referenzpunkt abgeben.
Die Formen, die diese neue Phase annehmen wird, sind nicht vorhersehbar. Sie werden wahrscheinlich den üblichen Wegen der Linken folgen. Was uns angeht, so meinen wir, dass die Reorganisation um zentrale Inhalte und Parolen herum erfolgen muss, bevor organisatorische Formen gefunden werden. Sicher ist, dass wir nicht in eine neo-sozialdemokratische Partei eintreten und dass wir die Option einer antikapitalistischen, ökologischen, feministischen und internationalistischen Linken aufrecht erhalten werden. Dies ist die Achse unserer Arbeit, die wir festlegen. Indem wir die Bewegung und die Kämpfe aufbauen, häufen wir positive Erfahrungen in Richtung einer Avantgarde an.
Aus diesen Gründen haben wir den Beschluss gefasst, die neue Vereinigung Sinistra critica (kritische Linke) zu gründen, aus der bei der letzten Koordination die „Kritische Linke, eine Vereinigung für eine alternative Linke” geworden ist. Sinistra critica war eine antikapitalistische Strömung, wie sie im Kampf auf dem letzten Parteitag der PRC entstanden war. Ihr Aufbau als politisches Subjekt stellt heute unsere Priorität dar, doch wir erwarten, eine Projekt einer breiteren Linken realisieren zu können, die noch nicht besteht, die aber eine wirkliche klassenbasierte Alternative zum Neoliberalismus sein soll.
Weitere Artikel zu ItalienOffener Brief von Franco Turigliatto an seine Unterstützerinnen und Unterstützer, Inprekorr Nr. 426/427 (Mai/Juni 2007)Solidarität mit Senator Franco Turigliatto, Inprekorr Nr. 426/427 (Mai/Juni 2007) Romano Prodi unter Druck von links, Inprekorr Nr. 424/425 (März/April 2007) „Das Projekt der Unione ist gescheitert“, Inprekorr Nr. 416/417 (Juli/August 2006) |
Denn der Aufbau eines neuen Mittels für eine politische Alternative – eines „politischen Subjekts”, wie wir in Italien gerne sagen –, bedeutet nicht, dass der Raum der antikapitalistischen Linken sich darauf reduziert. Die Schwierigkeiten der gegenwärtigen sozialen Phase, die Begrenztheiten der Bewegungen, die Stagnation des Konflikts zwischen den Klassen, das Weiterlaufen der Krise der Arbeiterbewegung bringen immer die Notwendigkeit mit sich, auf der Ebene der politischen Umgruppierung zu handeln. Dass dies heute schwieriger ist als in der Vergangenheit, schließt nicht aus, dass die Achse unserer Arbeit im Kampf um eine antikapitalistische, breite, plurale, demokratische, feministische, ökologische und internationalistische Linke ausgerichtet ist.
Hier handelt es sich um ein Projekt, das die gesamte Linke in Europa betrifft, und das von der „europäischen Linken” vernachlässigt und aufgegeben wurde, weil sie die Strategie eines organischen Bündnisses mit der Sozialdemokratie verfolgt. Dabei weiß sie, dass die notwendige Umgruppierung heute mehr noch als zu Beginn der 1990er Jahre eine klare klassenbasierte und antikapitalistische Ausformung haben muss. Unmittelbar nach dem Fall der Berliner Mauer und der Auflösung der UdSSR war die Idee vorherrschend, man müsse „Widerstand leisten” und die kommunistischen Avantgarden zusammenführen, die mit Klassenpolitik verbunden waren und einen Prozess der politischen und programmatischen Klärung anstrebten. Diese Phase ist nun zu Ende gegangen.
Heute kann der Prozess der Umgruppierung auf einige wichtige Erfahrungen zurückgreifen – in Italien, in Brasilien und in anderen Bereichen auf die französischen und britischen Fälle. (Wir möchten anmerken, dass es sich bei den vier Ländern um diejenigen handelt, in denen die globalisierungskritische Bewegung die engagierteste und einflussreichste ist.) Die Frage der Regierungsbeteiligung in einem kapitalistischen und/oder imperialistischen Land scheint nun grundlegend zu sein: Sie nach den Ereignissen in Brasilien und Italien zu unterschätzen, könnte tödlich sein! Diese Debatte muss die europäische antikapitalistische Linke (die Rifondazione nicht ohne Grund verlassen hat) führen. Heute ergibt sich die Möglichkeit zu einem qualitativen Sprung, nicht auf der Ebene der Diskussion, sondern vor allem auf der Ebene der politischen und gesellschaftlichen Initiative.
Aus dem Scheitern des Projektes der Rifondazione ergibt sich die entscheidende Bedeutung des Prozesses einer erneuerten gesellschaftlichen Umgruppierung. Und die Gewerkschaftsfrage ist auf dieser Ebene am meisten offen. Wir brauchen zu diesem Thema eine adäquate Reflexion, denn ohne ein – evtl. partielles – Projekt der Verankerung und Neuzusammensetzung wird es keinen Neuaufbau einer klassenbasierten Linken geben. Auch müssen wir unsere Reflexionen über die globalisierungskritische Bewegung fortsetzen, unsere Analyse der besonderen Krise, die sich heute zwischen der organisierten Politik, die häufig von professionellen politischen Klassen gemacht wird, und der Gesellschaft auftut, um besser bestimmen zu können, was die politischen und gesellschaftlichen Avantgarden sein sollten. Es handelt sich um einen Reflexionsprozess, der für die revolutionäre Linke eine neue Phase des „sozialen Lernens” erfordert, um die Verwurzelung und Integration in diesen Prozess voranzutreiben.
Salvatore Cannavò ist Abgeordneter und Mitglied des Internationalen Komitees der IV. Internationale. Er ist führendes Mitglied von Sinistra critica in Italien. |
Übersetzung: Paul B. Kleiser |
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 428/429 (Juli/August 2007).