Im Frühjahr wurden zwei Mitglieder der ex-maoistischen PTB ins belgische Parlament gewählt. Dies war Erfolg eines breiten radikalen Bündnisses mit Unterstützung von wichtigen Gewerkschaften. Wie kann es weitergehen?
Leitung der LCR/SAP
Wie schätzt die LCR das Wahlergebnis der PTB-GO-Listen (Parti du Travail Belge – Gauche d’Ouverture; Partei der Arbeit Belgiens –Linke der Öffnung) bei den Wahlen vom 25. Mai 2014 ein? Was bedeutet dieses Ergebnis gemessen an anderen Wahlen in der Vergangenheit? |
Die Hürde bei den Wahlen zum belgischen Bundesparlament beträgt 5 % und die Wahlkreise sind auf die Ebene der Provinzen ausgedehnt worden. Die Hürden, um in regionale Parlamente zu kommen, sind manchmal höher (außer da, wo spezielle Bestimmungen es ermöglichen, technische Listenverbindungen einzugehen, um die 5 %-Hürde zu umgehen). Das macht die Eroberung eines ersten Parlamentsmandats schwieriger und erklärt zum Teil, warum Belgien eins der wenigen europäischen Länder ohne gewählte VertreterInnen der radikalen Linken war.
Seit der neoliberalen Wende Anfang der 80er Jahre konnte trotz zahlreicher sozialer Kämpfe gegen die (von der PS und der grünen Ecolo mitverantworteten) Austeritätspolitik keine Wahlliste oder Organisation links von der sozialdemokratischen PS auch nur annähernd die Schwelle der Wählbarkeit erreichen. Die linken Wahlergebnisse bewegten sich in dieser Zeit zwischen 0,5 % und 2 %. Zum Beispiel bei den Wahlen zum EU-Parlament 1994 erhielt die Liste der Gauches unies (Vereinigte Linke) 1,7 % und die PTB 1 %.
Bei den Wahlen zum Bundesparlament 2010 ist aber etwas passiert. Bei dieser Gelegenheit hatte die PTB unter den Linken den ersten Platz eingenommen. Im französischsprachigen Teil Belgiens erzielte sie 2,07 % gegenüber den 1,15 % der Front des Gauches (Front der Linken) aus LCR, PC, PSL und Unabhängigen. Doch die qualitative Änderung kam zwei Jahre später. Bei den Kommunalwahlen im Oktober 2012 kam die PTB von 15 auf 47 kommunale Mandate, und ihre Wahlergebnisse erreichten in den großen Städten und in bestimmten Arbeiterbezirken in Flandern, in Wallonien und in Brüssel das Niveau der etablierten Parteien. Von da an war ein zentraler Durchbruch bei Parlamentswahlen denkbar geworden.
Dieser Durchbruch gelang am 25. Mai bei den gleichzeitigen Wahlen zum Bundesparlament, zu den regionalen Parlamenten und zum europäischen Parlament. Zwei Kandidaten der PTB eroberten Parlamentsmandate auf Bundesebene, zwei auf regionaler Ebene in Wallonien und vier im Regionalparlament von Brüssel. Alle wurden auf den Listen der PTB-GO gewählt und auf einer zweisprachigen Liste PTB-PVDA-GO in Brüssel. Diese Listen versammelten um die PTB unabhängige KandidatInnen, die LCR und die PC. Sie stützten sich weiterhin auf die Sympathie und auch auf die Unterstützung von Teilen der Gewerkschaftsbewegung.
Im flämischen Teil Belgiens schätzte die PTB die Lage so ein, dass es keine Partner für eine Öffnung desselben Typs geben würde. Die Ergebnisse in Antwerpen sind ausgezeichnet (4,52 % und über 8 % in der Stadt), aber es gelang ihr nicht, wie sie erhofft hatte, ein Mandat für ihren Vorsitzenden Peter Mertens zu erobern. Über diese Enttäuschung hinaus gilt aber, dass Belgien keine Ausnahme mehr in Europa ist: Die radikale Linke ist auch hier in die Parlamente eingezogen.
Wie erklärt sich die Überwindung der Blockade der wahlpolitischen Möglichkeiten für die radikale Linke? |
Die Hauptursache für die Blockade bestand in der Tatsache, dass die Sozialdemokratie lange Zeit eine reale soziale Basis im Volk behalten hatte. In Flandern hatte der größte Teil dieser Basis sich vor einigen Jahren abgewandt, aber um sich der extremen Rechten und dann den flämischen Nationalisten zuzuwenden. Die politische Landschaft ist dermaßen von der Rechten dominiert, dass eine „nützliche“ Wahl für die PS (und vor allem für die Grünen, die auf allen Ebenen Oppositionspartei sind) als das kleinere Übel erscheint. Dieser Mechanismus wirkt auch im französischsprachigen Teil des Landes, wo die PS (und die Grünen) die Mehrheit haben und neoliberale Politik machen, und sich trotzdem als Bollwerk gegen die Rechte und gegen „die Flamen“ präsentieren („Ohne uns wäre alles noch schlimmer.“) So konnte die Sozialdemokratie an die dreißig Jahre lang das wahlpolitische Monopol auf der Linken behaupten, obwohl sie als Regierungspartei eine rechte Politik machte und einige ihrer Führungspersonen von Korruptionsskandalen betroffen waren.
Dieser Mechanismus erhielt seine ersten Haarrisse nach der langen politischen Krise im Gefolge der Wahlen auf Bundesebene im Jahr 2010. Am Ende dieser Krise schaffte es der PS-Vorsitzende Elio Di Ruppi endlich, sein Ziel zu erreichen und Premierminister zu werden. Die Tatsache, dass seine Regierung in Flandern über keine Mehrheit verfügte und von den liberalen Nationalisten der NVA (Neu-flämische Allianz, die erstmals als stärkste Kraft in Flandern aus den Wahlen hervorgegangen war) angegriffen wurde, veranlasste Di Ruppi zu einer besonders konsequenten Anwendung der neoliberalen Rezepte. Von Januar 2012 bis Mai 2014 setzte er eine neoliberale „Schocktherapie“ durch in der Hoffnung, der klassischen flämischen Rechten (CD&V – Christdemokraten und Flamen, OpenVLD – Liberale und flämische Demokraten) und der SP (der PS in Flandern) damit zur Wiedereroberung einer Mehrheit gegen die NVA zu verhelfen. Sein Kalkül war, dass die PS so alle Chancen hätte, an der Regierung zu bleiben.
Die Welt der Arbeit hatte die Rechnung für dieses Politikerkalkül zu bezahlen, und die war gesalzen. Die Gewerkschaften wurden in die Ecke gedrängt, die Löhne wurden für zwei Jahre eingefroren, die Lebensarbeitszeit wurde verlängert, Maggie de Block [1] erhielt freie Hand für scharfe Maßnahmen gegen die Asylbewerber, die Papierlosen und die EinwanderInnen. Die rigide Sicherheitspolitik der SAC (Kommunalverwaltungssanktionen) [2] wurde gegen alle Betroffenen und deren Widerstand durchgesetzt. Um das Loch zu stopfen, das die Bankenrettungsaktionen unter der Regierung Leterme gerissen hatten, wurden in einer Hauruck-Aktion 22 Milliarden Euro eingespart, vor allem zum Nachteil der Erwerbsarbeitslosen, der Sozialhilfeempfänger und der öffentlichen Dienste.
Diese Politik hat desto mehr Unzufriedenheit hervorgerufen, als sie unter der Ägide eines PS-Regierungschefs durchgeführt wurde. Das ist der erste, und wichtigste, Grund für die Auflösung der Blockade gegen die wahlpolitischen Möglichkeiten der Linken. Während der Wahlkampagne, in vielen Gesprächen, konnten die AktivistInnen feststellen: Ein Teil der traditionellen Basis der PS wollte diese abstrafen und seinen Wunsch nach einer gesellschaftlichen Alternative ausdrücken.
Der zweite Grund ist der Ton der Wahlkampagne von PTB-GO! (und PVDA+ in Flandern). Der Diskurs, die Argumente, die konkreten Forderungen, die Art und Weise, sich vor einer großen Masse auszudrücken: das alles „passte“ sehr gut zum gegenwärtigen Stand der Radikalisierung. Der Verdienst dafür kommt vor allem der PTB zu und nicht nur ihren Sprecherinnen und Sprechern. Tatsächlich sind dieser Diskurs und dieser Ton die Früchte der verarbeiteten Erfahrung der Mitglieder der PTB auf dem Terrain der Stadtviertel, der Betriebe und der sozialen Verbände. Während eine Reihe von AkivistInnen in den 1990er Jahren angesichts der neoliberalen Offensive mehr oder weniger resignierte, hielt die PTB die Idee aufrecht, eine Partei aufzubauen, um sich der Sozialdemokratie inmitten ihrer eigenen sozialen Basis im Volke zu widersetzen, und heute wird diese Standhaftigkeit belohnt. Welche Kritik auch immer an Programm, Ideologie und Funktionieren der PTB gerechtfertigt sein mag – das ist eine Lehre für die Linke insgesamt.
Der dritte Grund ist der im französischsprachigen Teil des Landes geschaffene Eindruck der Versammlung verschiedener Kräfte durch die „Linke der Öffnung“ (die LCR, die PC, die Persönlichkeiten) und ihre bedeutende Unterstützung durch Teile der Gewerkschaftsbewegung. Von den 1970er Jahren bis noch vor kurzem war die ganze belgische Linke mehr oder weniger angesteckt vom ausgesprochenen Sektierertum der PTB als ihres stärksten Teils. Dank der „GO“ hatten die linken Wählerinnen und Wähler den Eindruck, dass die alten Streitereien allmählich überwunden werden, so dass die Stimme für die Listen der PTB-GO ihnen erlaubten, einfach ihre Zustimmung zu den Parolen, Prinzipien und grundlegenden Werten der ganzen (wirklichen) Linken auszudrücken, wie soziale Gerechtigkeit, Steuergerechtigkeit und Solidarität. Trotz ihrer Mängel und Unvollkommenheiten war die PTB-GO die einzige Antwort auf den Appell für eine antikapitalistische Einheit, den die FGTB [3] Charleroi-Sud-Hainaut am 1. Mai 2012 lanciert hatte, um der PS eine politische Alternative entgegensetzen zu können. [4] Deshalb wurden die anderen linken Listen bei diesen Wahlen [5] vollkommen marginalisiert.
Ist der Erfolg vor allem der Einheit zu verdanken? |
Nein, alle drei Elemente haben eine Rolle gespielt, und die beiden ersten sind entscheidend. Aber zweifellos sind die Ergebnisse der Wahlumfragen direkt nach der Pressekonferenz, auf der Ende Januar die GO präsentiert worden war, nach oben gegangen. Die Wirkung dieser Pressekonferenz war sehr wichtig. Die Mitglieder der Tagesleitung der FGTB von Charleroi waren dort präsent, nicht um die PTB zu unterstützen (wie die Presse es kolportierte), sondern um ihre Zufriedenheit darüber auszudrücken, dass ein erster Schritt im Sinne ihres Appells vom 1. Mai 2012 gemacht worden ist. Diese Stellungnahme von Daniel Piron und seinen KollegInnen hatte enormes Gewicht, nicht nur in den Medien, sondern auch und vor allem an der Basis, in den Betrieben.
Angesichts des in Lüttich erreichten Wahlergebnisses ist es sehr wahrscheinlich, dass Raoul Hedebouw auch auf einer PTB+-Liste gewählt worden wäre, auch ohne die Stützung durch die mit der „Linken der Öffnung“ konkretisierten Einheit. Es ist aber sicher, dass ohne diese Dynamik der GO das zweite Mandat von Marco Van Hees nicht möglich gewesen wäre. Tatsächlich hat die Liste der PTB-GO! die 5 %-Hürde für die Parlamentswahlen nur um ungefähr 1300 Stimmen verfehlt. Und die zwei KandidatInnen der LCR haben der Liste 2500 Stimmen mehr gebracht und die der PC an die 1000. Vor allem ist es diese Provinz, in der sich die gewerkschaftliche Linke am ausdrücklichsten für die Liste engagiert hat, eben weil sie diese Öffnung ausgedrückt hat.
Zwei Wochen vor den Wahlen hatte das leitende Komitee der MWB von Hainaut-Namur (die Metaller der FGTB) eine Entschließung verabschiedet, die mit folgenden Worten endete: „Die Linke an der Regierung, die eine geeinte Kraft war, hat sich zersetzt und in der Rechten aufgelöst … Nach einer von Austerität und Zerschlagung der sozialen Rechte geprägten Legislaturperiode ist es Zeit, eine Wende um 180 Grad nach links zu unternehmen: zur wirklich antikapitalistischen Linken, die Trägerin der Hoffnung ist für die Welt der Arbeit.“ Dieser Text wurde von vielen betrieblichen Interessenvertretungsorganen verbreitet (das ist wahrscheinlich einer der Gründe für die erstaunlichen Ergebnisse der PTB-GO in der Provinz von Namur, wo sie 4,86 % erreichte!).
Im westlichen Hainaut waren die MetallerInnen der FGTB buchstäblich das Rückgrat der Wahlkampagne der PTB-GO, insbesondere mit der Organisierung einer öffentlichen Debatte am 24. April mit Marco Van Hees und Raoul Hedebouw von der PTB, Freddy Mathieu von der LCR und François d’Agostino von der PC. Weniger sichtbare, aber auch reale Unterstützung hat es auch von anderen Gewerkschaftsaktiven gegeben, insbesondere von Aktiven der CNE [6], die zusammen mit der FGTB von Charleroi in der Géode im März 2013 eine öffentliche Versammlung für eine antikapitalistische Alternative organisiert hatte.
Die PTB war ursprünglich eine sehr sektiererische mao-stalinistische Organisation, sehr anti-trotzkistisch und autoritär geführt. Nun ist sie eine wirkliche kleine politische Partei mit einigen tausend Mitgliedern geworden. Aber ist sie nicht dabei, den Spuren der SP der Niederlande zu folgen, die nicht mehr antikapitalistisch ist und an Koalitionen mit der Liberalen Partei teilnimmt? Und hat die GO nicht andererseits der PTB erlaubt, sich billig reinzuwaschen, ohne ausdrücklich mit der eigenen Vergangenheit zu brechen? |
Die Vergangenheit der PTB ist in der Tat von erschreckenden Stellungnahmen dieser Organisation begleitet: die Mobilisierung gegen „den sowjetischen Sozialimperialismus, den Hauptfeind der Völker“, die Denunziation von Kuba als „fünfte Kolonne“ eben dieses „Imperialismus“, die Verteidigung von Stalins Verbrechen, der Roten Khmer, von Karadzic, Kim Il Sung usw. Dabei sind noch nicht einmal die eindrucksvollen Zickzacks in ihrer Haltung zu den Gewerkschaften mit genannt: Außerhalb der Arbeiterbewegung entstanden, war die PTB ursprünglich heftig anti-gewerkschaftlich eingestellt.
Aber die PTB kommt vom Mao-Stalinismus, was nicht genau dasselbe ist wie der Stalinismus im vollen Wortsinn. Der Bezug auf den Maoismus erklärt insbesondere, warum die PTB immer an der Arbeit unter breiten Volksschichten festgehalten hat (so etwa in Kliniken, wo die PatientInnen zu den Tarifen behandelt werden, die die Krankenkassen erstatten), und ihre Fähigkeit, Untersuchungsarbeiten zu leisten um ihre Fehler zu „berichtigen“.
Anfang der 2000er Jahre insbesondere, als die Leitung der PTB feststellte, dass sie trotz der Erfolge ihrer Kampagnen und ihrer „Volksärzte“ wahlpolitisch nicht durchbrechen konnte, führte sie eine Untersuchung durch mit dem Ergebnis, ihr Erscheinungsbild zu korrigieren und als weniger sektiererisch und weniger „extremistisch“ zu erscheinen. Zur gleichen Zeit versuchte ihr Generalsekretär mittels von der PTB kontrollierten, aber erweiterten Listen durchzubrechen, die nicht mehr das Sigel der Partei trugen. So ist bei den Wahlen von 2003 im Bündnis mit der Arabisch-Europäischen Liga eine Liste „Resist“ aufgestellt worden. Da das mit einer niederschmetternden Niederlage endete, entzündete sich ein scharfer Konflikt zwischen dem Generalsekretär und dem Gründer und Vorsitzenden der Partei Ludo Martens. Der Konflikt wurde beigelegt, aber Ludo Martens wurde schwer krank und starb.
Die Führungskader der Partei arbeiteten seitdem eine neue Orientierung aus. Diese wurde 2008 beschlossen und zum großen Teil von einer neuen Generation getragen, zu deren Kreis eine Reihe von Kindern historischer Kader der PTB gehört. Die Schlüsselelemente dieser neuen Orientierung sind das Aufrechterhalten eines nicht-sektiererischen und nicht-extremistischen Images der PTB mit Betonung sehr konkreter Sofortforderungen, eine große Anstrengung, um die PTB als solche in den Medien zu profilieren (vorbei die Zeiten der „Resist“-Listen und ähnlicher Versuche), eine auf „Einheit“ ausgerichtete Arbeit in den sozialen Bewegungen, die Enthaltung von jeder öffentlichen Kritik der großen Organisationen (insbesondere der Gewerkschaftsbürokratien) und eine außerordentliche Vorsicht in der Massenpropaganda bei „Fragen, die Ärger heraufbeschwören können (Rassismus, Einwanderung, Papierlose, Homosexualität usw.) – was nicht bedeutet, dass die PTB zu diesen Fragen schweigt oder nicht an entsprechenden Mobilisierungen teilnimmt.
Diese Veränderung hat der PTB erlaubt, in immer breiterem Ausmaß Mitglieder und AktivistInnen zu gewinnen, die ihre Massenkampagnen verstärkt haben (für die Absenkung der Mehrwertsteuer auf Energie, zum Beispiel). Diese konnten sich auf ein effizientes Büro für Untersuchungen stützen, die Aufmerksamkeit der großen Medien wurde geweckt, und der politische Durchbruch begann.
Worin sieht die LCR die Stärken und Schwächen der heutigen PTB einschließlich ihres internen Funktionierens? |
Die Antwort darauf ergibt sich aus dem, was weiter oben gesagt wurde. Die Stärken: die Entschlossenheit eine Partei aufzubauen, mehrere tausend Mitglieder, einige hundert sehr engagierte Kader, konkrete Sofortforderungen, ein Büro für Untersuchungen, das hochwertige Analysen liefert, eine oft bemerkenswerte Arbeit an der Basis (in den Stadtvierteln, in den Betrieben), eine effiziente Kommunikation, gute Sprecherinnen und Sprecher, ein wirkliches Engagement in den sozialen Bewegungen, eine wirkliche Anstrengung, die ökologische Frage aufzugreifen, ein Diskurs, der bemüht ist, Kräfte um grundlegende linke Werte zu sammeln … Zu mehreren dieser Punkte haben wir selber einiges zu lernen.
Die Schwächen: die allzu große Zurückhaltung zum Thema Sozialismus, die Unterschätzung antikapitalistischer Forderungen, um eine Brücke von den Sofortforderungen zur Veränderung der Gesellschaft zu schlagen (die 32-Stunden-Woche stand nicht im Wahlprogramm der PTB, die Vergesellschaftung des gesamten Finanzsektors auch nicht), der allzu gemäßigte Charakter einiger Sofortforderungen (1000 Euro pro Monat als Existenzminimum, das ist zu wenig, um die Armut zu bekämpfen) und die allzu unkritische Haltung gegenüber den Gewerkschaftsbürokratien. Dieser letzte Punkt ist eine Schlüsselfrage: Die PTB scheint nicht zu sehen, dass es einen Kampf zwischen links und rechts in den Gewerkschaften gibt. Jedenfalls tut sie so, als würde es diesen Kampf nicht geben und als sei die PTB der politische Ausdruck der Gewerkschaftsbewegung insgesamt. In unseren Augen ist das ein Fehler.
Ein anderer sehr wichtiger Punkt ist, dass die PTB die Bedeutung der Frauen- und der LGTB-Bewegungen (Lesben, Schwule, Transsexuelle und Transgender, Bisexuelle) nicht wirklich zu ermessen scheint. Diese Unterschätzung ist in der Wahlkampagne klar deutlich geworden, insbesondere anhand der Zusammensetzung der Listen. Was auf dem Spiel steht, berührt verschiedene Ebenen. Die Ebene der Kämpfe und der Programme, weil die Frauen die ersten Opfer der Angriffe der anti-sozialen Sparpolitik sind. Die Ebene der Aktionsformen, weil die Selbstorganisation der Frauen sich aufdrängt, um ihre besondere Unterdrückung zu bekämpfen. Die Ebene des ideologischen Kampfs, weil sozialer Rückschritt immer Hand in Hand geht mit der Restaurierung reaktionärer Werte. Und schließlich die Ebene der angestrebten Gesellschaft, weil der Kampf gegen die patriarchalische Unterdrückung in der nachkapitalistischen Gesellschaft weitergehen muss. Man fühlt die Zurückhaltung der PTB zu allen diesen Fragen, die sie als Spaltungsursachen wahrzunehmen scheint. Tatsächlich stellen die Kämpfe der Frauen (wie die der LGTB, aber auch die der unterdrückten Nationalitäten) das monolithische Verständnis des Klassenkampfs in Frage, also auch das monolithische Verständnis der Partei, beides Merkmale des Stalinismus.
Weiterhin gilt es, die internationalen Fragen nicht zu vergessen. Während der Wahlkampagne haben sie nur eine geringe Rolle gespielt, aber sie sind natürlich sehr wichtig. Obwohl die PTB mit Nordkorea gebrochen hat, bleibt sie doch stark von einer Schwarz-Weiß-Sicht der Welt geprägt, wobei für sie die Feinde unserer Feinde, wenn nicht unsere Freunde, so doch unsere Verbündeten sind. Wir von der LCR glauben, dass diese allzu simple Betrachtungsweise keine korrekte Orientierung ermöglicht. Wir kämpfen in erster Linie gegen unseren eigenen Imperialismus, aber ohne automatisch das mit diesem im Kampf befindliche „Lager“ zu unterstützen. Unser Lager ist dasjenige der Ausgebeuteten und Unterdrückten. Wir glauben, dass die Entwicklung der internationalen Lage uns Recht gibt. Man sieht das zum Beispiel in der Ukraine, in Syrien und im Irak. Bloß weil die USA den „Islamischen Staat“ bombardieren, soll sich die Linke nicht „ins Lager“ des „Islamischen Staats“ stellen, der eine kriminelle Organisation ist.
Hat die Kampagne der FGTB von Charleroi für eine politische Alternative der Neuformierung links von der PS eine Rolle dafür gespielt, dass die PTB bereit war, die Zusammenarbeit mit zwei sehr viel kleineren Organisationen wie der PC und der LCR/SAP zu akzeptieren? |
Am 1. Mai 2012 hatte die FGTB von Charleroi (100 000 Mitglieder) die neoliberale Politik der Sozialdemokratie angeprangert und dazu aufgerufen, sich zusammenzutun, um eine antikapitalistische politische Alternative links von der PS und den Grünen aufzubauen. Das ist ein historisches Ereignis, beispiellos in der Geschichte unserer Arbeiterbewegung. Es ist nicht das erste Mal, dass ein Teil der Gewerkschaftsbewegung mit der PS bricht, aber es ist das erste Mal, dass Gewerkschaftsverantwortliche aus dem „Nur-Gewerkschaftertum“ ausbrechen, um auf dem politischen Terrain im Interesse ihrer Mitglieder zu handeln, indem sie zugleich ihre gewerkschaftliche Unabhängigkeit beibehalten.
Die Position von Charleroi ist interessant, weil sie die Rollen des Sozialen und des Politischen, der sozialen Bewegungen und der Parteien, umkehren. Soweit das von einem Kampf zugunsten der breitest möglichen innergewerkschaftlichen Demokratie begleitet wird – und das ist in Charleroi der Fall – scheint uns diese Konzeption eine emanzipative Praxis zu begünstigen (in dem Sinne von Marx‘ Diktum, dass die Emanzipation der Arbeiter nur das Werk der Arbeiter selbst sein kann).
Es ist wichtig zu unterstreichen, dass sich die FGTB nicht auf eine spektakuläre öffentliche Stellungnahme beschränkt hat. Ihre Leitungsinstanzen haben zwei programmatische Texte diskutiert, verabschiedet und in je 10 000 Exemplaren als Broschüren verbreitet. Die eine dieser Broschüren erklärt in pädagogischer Weise die Gründe dafür, warum die Gewerkschaft offen auf dem politischen Terrain handeln soll, ohne auf ihre Unabhängigkeit gegenüber den Parteien zu verzichten (diese Strategie wird ausdrücklich jener des Lobbyismus gegenüber den „politischen Freunden“ entgegengestellt). Die andere ist ein antikapitalistisches Dringlichkeitsprogramm mit zehn Forderungen.
Zu diesen beiden Dokumenten hat die FGTB von Charleroi zusammen mit der CNT eine öffentliche Versammlung organisiert, an der vierhundert Aktive verschiedener linker politischer Richtungen teilgenommen haben. Darüber hinaus hat sie alle politischen Organisationen, die ihre Initiative unterstützen, dazu eingeladen, sich in einem Unterstützungskomitee zusammenzuschließen, dessen Vorsitz und Organisationsarbeit sie selbst übernommen hat.
So waren nicht nur die PTB, sondern alle linken Organisationen herausgefordert, sich ihrer Verantwortung zu stellen. Die Gewerkschaftsbewegung hat in unserem Land ein bedeutendes Gewicht gewahrt, und so hat der Appell der FGTB von Charleroi überall Hoffnung geweckt und auch eine gewisse Begeisterung hervorgerufen. Diejenigen, die am 1. Mai 2012 dabei waren, hatten den Eindruck, dass endlich eine Bresche in die Kontrolle der Sozialdemokratie über die Gewerkschaften geschlagen worden ist. Diejenigen, die geglaubt haben, sie könnten sich, ohne sich um die FGTB von Charleroi zu kümmern, bei den Wahlen präsentieren oder selbst die Bedingungen für Zusammenschlüsse diktieren, konnten nur auf die Nase fallen.
Anstatt darüber zu spekulieren, welche internen Debatten die Initiative der GewerkschafterInnen in der PTB hervorgerufen hat, ziehen wir es vor, unsere Bilanz als LCR zu betonen:
In der Praxis war diese originäre Form der Einheit nicht immer komfortabel für die LCR. Die PTB hat zum Beispiel ein Maximum von Kandidatinnen und Kandidaten der LCR und der PC auf den Listen durchgesetzt und alleine über die Listenplätze entschieden. Doch haben sich die Dinge im Großen und Ganzen gut abgespielt. Vor allem war in unseren Augen das Wesentliche, zu erreichen, dass der Apell vom 1. Mai 2012 zumindest einen Beginn von Verwirklichung erfährt, damit die gewerkschaftliche Linke gestärkt aus der Sache hervorgeht. Die Sozialdemokratie wie die Gewerkschaftsrechte setzten auf ein Scheitern der Initiative. Es ist von entscheidender strategischer Bedeutung, dass diese Kräfte geschlagen worden sind, und die LCR ist dafür ihrer Verantwortung gerecht geworden, ohne sich zu verstecken.
Die LCR/SAP hatte, während sie für die PTB/GO aktiv war, im Rahmen dieses Bündnisses das Recht, ihr eigenes Material zu verbreiten, in der Wahlkampagne ihre eigenen Akzente zu setzen. Welches war das Profil, welches war der besondere Beitrag der LCR/SAP in der gemeinsamen Wahlkampagne? |
Faktisch hat es sehr wenig gemeinsame Wahlkampagne gegeben. Insbesondere gab es keine gemeinsame Plattform. Das einzige gemeinsame Dokument war der Aufruf „Es gibt Rendezvous, die man nicht verpassen sollte“ vom Komitee zur Unterstützung der PTB-GO-Listen. Das Programm, das die PTB unter dem Label PTB-GO herausgegeben hat, wurde weder von den Unabhängigen, noch von der LCR, noch von der PC mitverantwortet. Diese Lage hat sich teils aus Zeitmangel ergeben, war aber teils auch Ergebnis der Tatsache, dass sich die PTB als einzige Führungskraft der PTB-GO verstanden hat. Das ist die andere Seite der Medaille.
Der andere Aspekt ist, dass wir alle Freiheiten hatten, unsere eigene Kampagne auf Grundlage unseres eigenen Programms zu führen, mit unserem eigenen Material und mit dem Aufruf für unsere eigenen KandidatInnen. Wir haben das in beiden Teilen des Landes getan, also auch in Flandern, obwohl es da keine „GO“ gegeben hat, aber da haben wir trotzdem unsere KandidatInnen auf den Listen der PTB (PVDA auf flämisch) präsentiert.
Unser Profil war radikaler als das der PTB: antikapitalistisch, feministisch, ökosozialistisch und internationalistisch. Wir sind insbesondere für die 32-Stunden-Woche ohne Lohneinbußen, für die entschädigungslose Enteignung des Banken- und Energiesektors, ein konsequent feministisches Programm usw. eingetreten. Wir haben nicht so gehandelt, um andere an Radikalismus zu überbieten, sondern weil dieses radikale Programm erforderlich ist, um den Herausforderungen der Gegenwart gerecht zu werden. Das hat im Übrigen auch die FGTB von Charleroi gesagt, deren 10-Punkte-Dringlichkeitsprogramm wir ausdrücklich unterstützt haben.
Höhepunkt unserer Kampagne war unser öffentliches Meeting in Brüssel mit Olivier Besancenot (Frankreich, NPA), Aurélie Decoene (Spitzenkandidatin der PTB für die Europawahlen), mehreren Persönlichkeiten der „GO“ und einer Reihe von unseren eigenen KandidatInnen.
Es ist zu präzisieren, dass nicht alle Beiträge der LCR sichtbar waren: Wir haben insbesondere eine diskrete, aber bedeutende Rolle dafür gespielt, die „GO“ zu ermöglichen, indem wir Persönlichkeiten und GewerkschafterInnen davon überzeugt haben, diese Vereinigung zu unterstützen.
Was ist eure Bilanz der Wahlkampagne und der Zusammenarbeit in der PTB-GO? Habt ihr eure öffentliche und mediale Präsenz verstärken, eure Kontakte vervielfältigen, engere Verbindungen mit GenossInnen der PTB und der PCB knüpfen und neue Mitglieder gewinnen können? |
Während der drei Monate der Wahlkampagne war die LCR mehr in den Medien präsent als in den zehn Jahren vorher insgesamt. Von diesem Gesichtspunkt aus ist die Bilanz sehr positiv.
Wir haben mit Mitgliedern der PTB engere solidarische Beziehungen geknüpft, und sogar auch mit Führungsmitgliedern dieser Organisation. Es ist aber weder unser Ziel, in der Mitgliedschaft der PTB Mitglieder für uns abzuwerben, noch „Entrismus“ in dieser Organisation zu machen. Wenn Mitglieder der PTB zu uns kommen wollen, sind sie willkommen, aber auf Grundlage der Zustimmung zu unserem Programm und zu unserer Strategie. Mit diesem oder jenem Aspekt des Funktionierens der PTB nicht einverstanden zu sein, reicht dafür nicht aus.
Wie gesagt ist in der Linken im Allgemeinen unsere Entscheidung für einen Zusammenschluss um die PTB herum nicht einheitlich begrüßt worden. Manche sind sehr skeptisch geblieben, andere waren schlicht dagegen. Aber viele aktive Linke haben sich unserer Herangehensweise angeschlossen. Auf unserer Website hat sich eine führende Gewerkschafterin bei uns dafür bedankt, ihr die Möglichkeit zu verschaffen, zugleich mit ihrem Herzen und mit ihrem Verstand zu wählen. Ihr Kommentar hat den Gemütszustand vieler Leute auf den Punkt gebracht, die den Schritt gemacht haben, zusammen mit der LCR in dieser Kampagne aktiv zu werden.
Aufgrund der Möglichkeit, Mandate zu erobern, ist diese Kampagne aus der Sphäre der reinen Propaganda herausgetreten. Dank ihrer Präsenz in der PTB-GO hat die LCR an einem konkreten sozialen und politischen Kampf teilgenommen. Wir haben ihn auf unsere Weise geführt, das heißt mit unserer Linie (die Notwendigkeit einer neuen Klassenpartei) und mit unserer Einschätzung (zur großen Bedeutung des Kampfs zwischen der Linken und der Rechten in den Gewerkschaften und des Engagements der Gewerkschaftslinken auf der Ebene der Politik). Das ist eine unserer Besonderheiten.
Nur wenige Leute, die uns nicht kennen, haben mit uns aufgrund unseres Propagandamaterials Kontakt aufgenommen. Hingegen wollen Dutzende Personen, die uns schon gekannt haben und die den Kampf mit uns gemeinsam geführt haben, diesen Kampf weiter mit uns zusammen führen. Das eröffnet uns Möglichkeiten, uns zu verstärken, und es hat auch schon einige neue Eintritte gegeben.
Das wichtigste Element der Bilanz betrifft unsere Verbindungen mit der Gewerkschaftslinken. Im Laufe der Kampagne haben wir den Charakter unserer LCR als einer Organisation bekräftigt, die alles für die Stärkung dieser Gewerkschaftslinken tut, weil das letztlich im Interesse aller Arbeiterinnen, Arbeiter und Unterdrückten ist. Die Tatsache, dass wir diesen Kurs sogar auch während einer Wahlkampagne beibehalten haben, wird sehr geschätzt. Beziehungen der vertrauensvollen Zusammenarbeit wurden damit verstärkt. Das bemisst sich nicht zwangsläufig in den Mitgliederzahlen, ist aber doch entscheidend für die Zukunft.
Wird die Zusammenarbeit mit der PTB in Hinblick auf die außerparlamentarische Arbeit, die Mobilisierungen, die öffentlichen Veranstaltungen und gemeinsame Debatten weitergehen? |
Wir setzen uns dafür ein, und die Einzelpersönlichkeiten der GO ebenfalls. Die PTB scheint nicht wirklich dagegen zu sein, betont aber ausdrücklich den eigenen Aufbau und zugleich den Aufbau einer möglichst breiten gesellschaftlichen Front gegen die unsoziale Sparpolitik. Wir sind natürlich auch für diese breite Front, zugleich muss aber aus unserer Sicht der Kampf für eine antikapitalistische politische Alternative im Sinne des Appells von Charleroi weitergehen. Dafür ist es erforderlich die Linke der Öffnung (GO) zusammen mit der PTB zu konsolidieren, gemeinsam zu zeigen, dass wir weitermachen wollen. Einige fürchten, dass die PTB versucht, einer klaren Antwort auszuweichen, die Tür der Sammlung verschiedener Kräfte wieder zu verschließen, weil sie der Auffassung ist, dass die eroberten Mandate und auch die mit dem Wahlerfolg verbundenen finanziellen Gewinne nur ihr gehören. Wie sich das verhält, werden wir in einigen Wochen oder Monaten klarer sehen.
Es ist sehr wichtig, dass alle Beteiligten die neue politische Situation sorgfältig analysieren. Wahrscheinlich wird es auf Bundesebene eine homogen rechte Regierung geben. Die Sozialdemokratie wird versuchen, sich in der Opposition zu regenerieren und darauf zu setzen, dass die Wählerinnen und Wähler, die sie verlassen haben, im Namen des „kleineren Übels“ zu ihr zurückkehren, womit der PTB-GO wieder Wählerschaft abgejagt würde. Im Norden des Landes regiert die Sozialdemokratie auf keiner Ebene und die Grüne Partei auch nicht. Es ist für uns klar, dass diese Situation die Notwendigkeit verstärkt, auf französischsprachiger Seite den Weg der Sammlung fortzusetzen und eine Debatte zur Möglichkeit eines solchen Zusammenschlusses auch auf der flämischen Seite zu beginnen. Das ist im Übrigen auch das, was die gewerkschaftliche Linke wünscht: Während der ganzen Wahlkampagne haben ihre Vertreterinnen und Vertreter erklärt, dass sie nicht die PTB unterstützen, dass die PTB-GO ein erster Schritt im Sinne ihres Appells sei, und dass danach weitere Schritte folgen sollten.
Welche Perspektive ergibt sich auf dem Weg des Aufbaus einer Partei mit Masseneinfluss, um die Sozialdemokratie von links herauszufordern und ein politisches Instrument zu schaffen, das in der Lage ist, die Interessen der abhängig Beschäftigten und aller Unterdrückten zu vertreten? |
Die Schritte nach vorn in dieser Hinsicht werden wesentlich von der Entwicklung der Gewerkschaftslinken und ihrer Fähigkeit – oder Unfähigkeit – abhängen, sich mit den anderen sozialen Bewegungen zu verbinden, und der Fähigkeit – oder Unfähigkeit – der linken politischen Organisationen und Intellektuellen, diese Entwicklung zu begünstigen und mit ihr zu interagieren.
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Dieses Problem hat verschiedene Aspekte. Zunächst einen geographischen Aspekt: Der Appell von Charleroi hat in den anderen Regionen zu wenig Unterstützung gefunden, und in der Gewerkschaftsbewegung in Flandern gibt es nichts Vergleichbares. Dann einen Aspekt des Zusammenwirkens der verschiedenen Gewerkschaftsverbände: Anfangs hatten die klarsichtigsten Verantwortlichen der FGTB von Charleroi auf Kontakte und Zusammenarbeit mit den christlichen Gewerkschaften der CSC gedrängt, vor allem mit der landesweit präsenten Angestelltengewerkschaft. So hatten sie klar ihren Willen gezeigt, ein Vorhaben für die ArbeiterInnenklasse insgesamt im Sinn zu haben. Unglücklicherweise mussten sie vor den sektiererischen Vorurteilen und der Befangenheit bestimmter ihrer eigenen Kollegen in den Interessen des eigenen Apparats zurückweichen. Diese beiden Dimensionen – der Geographie und des Intersyndikalismus – sind miteinander verbunden, insbesondere in Flandern, wo die christliche Gewerkschaftsbewegung die Mehrheit hat und mit der sozial-christlichen Partei (CD&V) organisch verbunden ist, so dass die Frage ihres politischen Ausdrucks sich in sehr spezifischer Weise stellt.
Doch die wichtigste Entwicklung betrifft die Mobilisierung der gewerkschaftlichen Basis. Der Appell der FGTB von Charleroi war von den Führungsinstanzen der Gewerkschaft lanciert worden. Das geschah auf der Grundlage zahlreicher Diskussionen auf Gewerkschaftsversammlungen, wo das Bedürfnis nach einer politischen Alternative fühlbar wurde; die beiden Broschüren sind auf breiten Leitungsebenen diskutiert worden, wo viele betriebliche InteressenvertreterInnen einbezogen waren. Doch wurde der Kampf wesentlich von den Hauptamtlichen geführt. Von denen sind einige zurückgewichen, in dem Maße der Wahltermin näher rückte, wobei dieser Rückwärtsgang nicht notwendigerweise auf das Verlangen ihrer Mitglieder oder Vertrauensleute zurückzuführen war. Ganz allgemein ist der von der Gewerkschaftsrechten ausgeübte Druck sehr stark.
Diese Schwierigkeiten können nur überwunden werden, wenn sich die Basis selbst organisiert, um die strategische Frage in die eigenen Hände zu nehmen, ihre Kämpfe miteinander zu verbinden und darauf hinzuwirken, dass die Diskussion auf allen Ebenen und in allen Einzelgewerkschaften geführt wird. Die Frage „Wie kann man die am 25. Mai geschlagene politische Bresche erweitern?“ (man könnte sogar sagen: „Wie verhindern, dass die PS sie wieder schließt?“) läuft letztlich auf folgende Frage hinaus: „Wie kann man die Gewerkschaftslinke breiter aufstellen?“
Die gesamte Linke ist herausgefordert. Insbesondere die PTB proportional zu ihrer Stärke. Wie wird sie sich orientieren? Einerseits hat sie in ihren Reihen zahlreiche kämpferische Gewerkschaftsmitglieder, was sie in die Lage versetzt, eine führende Rolle zu spielen. Andererseits stellt sie sich systematisch als politischen Transmissionsriemen der Gewerkschaften im Allgemeinen dar und vermeidet jede öffentliche Kritik an den Apparaten (selbst wenn ihre eigenen Mitglieder Opfer bürokratischer Maßregelungen werden) … was die Gefahr heraufbeschwört, dass sie wie andere vor ihnen auf eine schiefe Ebene geraten, die zur Sozialdemokratie führt. Eine aktive Rolle der gewerkschaftlichen Basis wird das beste Mittel sein, die PTB dazu zu ermutigen, die richtige Wahl zu treffen, was im Interesse der ganzen gesellschaftlichen und politischen antikapitalistischen Linken wäre.
Die Ligue communiste révolutionnaire/ Sozialistische Arbeiderspartij (LCR/SAP, Revolutionär-Kommunistische Liga/Sozialistische Arbeiterpartei) ist die belgische Sektion der IV. Internationale. Wir bringen hier einen Text der nationalen Leitung der LCR/SAP, der als Broschüre veröffentlicht worden ist. |
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 1/2015 (Januar/Februar 2015). | Startseite | Impressum | Datenschutz