Belgien

Eine linke Alternative aufbauen

Die Ligue Communiste Révolutionnaire, wie der Namen der belgischen Sektion im französischsprachigen Teil des Landes lautet, beteiligt sich an einem Ansatz zur Herausbildung einer neuen antikapitalistischen politischen Kraft, für den GewerkschafterInnen in der Region Charleroi die Initiative ergriffen haben. In einer Erklärung vom April 2013 erläutert sie ihre Position.

Ligue Communiste Révolutionnaire (Belgien)

Vor einem Jahr, am 1  Mai 2012, hat die FGTB Charleroi und Sud-Hainaut [1] in Person ihres Regionalsekretärs Daniel Piron zur Bildung einer politischen Alternative links von der Sozialistischen Partei (PS) und Écolo [der Grünen Partei] aufgerufen. Anfang 2013 hat sich in Charleroi um aktiv beteiligte Mitglieder der örtlichen FGTB ein Komitee zur Unterstützung dieses Aufrufs gebildet. In diesem Komitee arbeiten RepräsentantInnen der Parti du Travail de Belgique, der Parti Humaniste, des Mouvement de Gauche, der Ligue Communiste des Travailleurs, der Front de Gauche de Charleroi, der Parti Socialiste de Lutte, der Parti Communiste und der Ligue Communiste Révolutionnaire mit.

Die FGTB Charleroi und Sud-Hainaut verurteilte die Austerität und stellte fest, dass PS und Écolo keine politischen Ansprechpartner für die Forderungen aus der Arbeitswelt mehr sind. Einige Wochen danach hat sich der Generalsekretär der CNE im gleichen Sinn geäußert. [2] Mehrere führende GewerkschafterInnen taten das Gleiche.

Die Feststellungen, die die Gewerkschaftsorganisationen 2012 getroffen haben, sind aktueller denn je. Seit 2012 hat sich die Lage der Beschäftigten und der BezieherInnen von Sozialleistungen weiter verschlechtert. Während Tausende von Arbeitsplätzen – bei Arcelor-Mittal, bei Caterpillar, bei Ford Genk usw. – über die Klippe springen oder dies ansteht, setzt die Regierung die Jagd auf die Arbeitslosen und den Abbau der sozialen Sicherungssysteme fort. Die Frauen sind die Hauptopfer. Die Löhne sind eingefroren, der Index wird manipuliert, die Arbeitszeit wird auf Jahresbasis umgestellt, die Jugendlichen bekommen prekäre Stellen. Zum Haushalt 2012 hat der Regionalsekretär der FGTB Charleroi und Sud-Hainaut gesagt: „Dieser Haushalt ist in unseren Augen ein antisozialer und antisolidarischer Haushalt. Das ist Austerität um der Austerität willen …, Maßnahmen, die die Arbeitswelt treffen, Beschäftigte und Beschäftigungslose, Beschäftigte im Privatsektor und in den öffentlichen Diensten, die so oft auch Zielscheibe des politisch Korrekten sind, während das Kapital und die großen Vermögen in Ruhe gelassen werden.“

Seit 2008 sind die Banken überall in Europa und in den USA auf dem Rücken der Gemeinschaft mit Milliardenbeträgen flott gemacht worden, so dass die Defizite in den Staatshaushalten zunahmen. Wir schreiben das Jahr 2013, und jede „Haushaltskontrolle“ bedeutet eine weitere Jagd nach Milliarden. Im Januar 2013 hat der sozialdemokratische Ministerpräsident Elio Di Rupo in Davos vor der Crème de la crème der kapitalistischen Welt die „fiktiven Zinsen“ [3] gelobt, und nur widerwillig rang er sich zu einem „Solidaritäts-Twitter“ mit den Beschäftigten von Arcelor- Mittal durch … 2012 hat Arcelor-Mittal dank der fiktiven Zinsen 118 Millionen von seinen Steuerzahlungen abgezogen. Bei 1,3 Mrd. Gewinn hat der Konzern 2009 und 2010 keinen Euro Steuern gezahlt. Die Antwort auf die Frage, wer die Holding Dexia wieder flüssig machen wird, liegt auf der Hand: die öffentliche Hand. Auch die Antwort auf die Frage, wer die Rechnung für die Wirtschaftsrezession und die Staatsschulden zahlen wird, liegt auf der Hand: die Arbeitswelt.

      
Mehr dazu
Paul Van Pelt: Folgen der Desintegration, die internationale Nr. 2/2023 (März/April 2023).
Leitung der LCR/SAP: Die LCR, die PTB, die Gewerkschaftslinke und die Perspektiven, Inprekorr Nr. 1/2015 (Januar/Februar 2015).
DOSSIER: Politischer Hebel für belgische Gewerkschaften, Inprekorr Nr. 4/2013 (Juli/August 2013).
Interview mit Antonio Cocciolo: Die FGTB braucht einen neuen politischen Ansprechpartner, Inprekorr Nr. 4/2013 (Juli/August 2013).
Ein Gespräch mit Felipe Van Keirsbilck: Dringliche „Nachfrage nach links“, Inprekorr Nr. 4/2013 (Juli/August 2013).
David Dessers: Linkes Wählerbündnis plant neue linke Partei, Inprekorr Nr. 422/423 (Januar/Februar 2007).
 

2012 hat der Regionalsekretär der FGTB Charleroi und Sud-Hainaut gesagt: „Wie lange, Kolleginnen und Kollegen, lassen wir uns noch das Fell über die Ohren ziehen? Denn darum geht es, Kolleginnen und Kollegen. Wir müssen das kapitalistische System in der Versenkung verschwinden lassen. Dieses System kann nicht reformiert werden. Es muss verschwinden. Aber es genügt nicht, das hier vom Podium aus zu verkünden. Wir müssen uns auch die Mittel geben und den politischen Ansprechpartner zulegen, um unser Ziel konkret werden zu lassen.“

Einen politischen Ansprechpartner neuen Typs, der zusammenführt, sich aus den sozialen Widerständen speist und sie verstärkt: Das ist in der Tat das, was aufgebaut werden muss, um der Arbeitswelt wieder Hoffnung zu verleihen. Manche denken, es wäre möglich, auf PS und Écolo „einzuwirken“, damit sie (wieder) Linksparteien werden. Das ist eine Illusion. Wir ziehen es vor, die linken Mitglieder von PS und Écolo einzuladen, sich uns anzuschließen, um gemeinsam eine Alternative aufzubauen. Oft wird uns entgegnet: „In Belgien zwingt die politische Landschaft zum Zusammengehen.“ Daniel Piron hat am 1. Mai 2012 geantwortet: „In dem Maße, wie man zusammengeht, fällt man zusammen, man löst sich auf. Und bislang ist es die Linke, die sich in der Rechten auflöst.“ Das Ergebnis sind die sozialen Katastrophen, die die Bevölkerung in Griechenland, Portugal, Spanien, Zypern und Irland zurzeit erleben. Unser Ziel ist nicht, zusammenzugehen und uns an der Macht aufzulösen. Es ist, bis zu dem Moment, wo wir eine dieses Namens würdige Alternative durchsetzen können, Opposition zu leisten.

Zu glauben, man könne den Kapitalismus reformieren, damit er ein „guter“ Kapitalismus des Aufschwungs werde, ist eine Illusion. Man muss sich also Klarheit verschaffen: Es bedarf einer Strategie heraus aus dem Kapitalismus und zu dessen Ersetzung durch ein anderes System, das die Bedürfnisse der Bevölkerung zufrieden stellt und unseren Planeten erhält.

Übersetzung aus dem Französischen: Friedrich Dorn



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 4/2013 (Juli/August 2013). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] Die „Fédération Générale du Travail de Belgique / Algemeen Belgisch Vakverbond“ (FGTB/ABVV) ist der traditionell mit der Sozialdemokratie verbundene Gewerkschaftsverband. Er hat gegenwärtig ca. 1,5 Millionen Mitglieder. Die Regionalzentrale Charleroi und Sud-Hainaut ist von der Mitgliederzahl her die zweitgrößte der wallonischen FGTB.

[2] Die „Centrale Nationale des Employés“ (CNE, Nationale Angestelltenzentrale) ist der größte Gewerkschaftsverband im frankophonen Teil von Belgien. Sie ist der „Confédération des Syndicats Chrétiens / Algemeen Christelijk Vakverbond“ (CSC/ACV), dem größten Dachverband in Belgien (mit 1,7 Millionen Mitgliedern) angeschlossen. Auf ihrem letzten Kongress hat die CNE ihre Statuten abgeändert und unter anderem die Bezüge auf die Papst-Enzykliken gestrichen.

[3] Die „intérêts notionnels“ sind eine belgische Steuerbestimmung, die den Abzug eines theoretischen Zinsbetrags für die Auszahlungen an die AktionärInnen ermöglicht, der von dem zu versteuernden Betrag eines Unternehmens abgezogen werden kann. Dieses System ermöglicht es den multinationalen Konzernen, fiskale Konstrukte zur Vermeidung von Steuerzahlungen zu errichten.