Wie in anderen Bereichen auch verlangt die mittlerweile bis zum Äußersten vorangetriebene Logik des kapitalistischen Systems, immer mehr zu immer geringeren Kosten zu produzieren – nicht um menschliche Bedürfnisse zu befriedigen, sondern um Profite zu erzielen. Wenngleich der globalisierte Freihandel verheerende Auswirkungen hat, so sind die mitunter gepriesenen protektionistischen Lösungsansätze bloße Augenwischerei.
Gérard Florenson
Wenn der Handelspreis für Schweinefleisch weit unter die Produktionskosten fällt, vergreifen sich die aufgebrachten Viehzüchter am importierten Schweinefleisch in den Supermarktregalen. Laster mit Frischobst werden an der spanischen Grenze blockiert und leer geräumt, genauso inzwischen Tanklaster mit Wein. Ein Teil der Landwirte fordert, Importe zu beschränken oder gar zu verbieten, moderatere Kreise vertrauen lieber auf das Etikettieren der Waren und auf Medienkampagnen mit dem Tenor „Esst und trinkt französische Produkte!“. Damit erhebt sich Volkes Stimme gegen den Freihandel und die Abschaffung der Schutzzölle entlang der GATT-Verträge und plädiert für eine Rückkehr zum Protektionismus.
Dies ist kein französischer Sonderfall, sondern gilt auf unterschiedlichen Ebenen für alle Industrieländer, selbst für jene, die – wie Kanada und die USA – Exportriesen sind und in der Theorie den freien Warenverkehr befürworten. Durch die EU-Erweiterung auf stark agrarisch geprägte Länder mit geringeren Lohnkosten hat sich die Lage erst richtig zugespitzt, wobei die armen Länder nicht einmal mitbestimmen können.
So ist eine paradoxe Situation entstanden, in der sich die Frage stellt, ob ein Industriestaat wie Frankreich, das in so großem Umfang landwirtschaftliche Rohprodukte oder durch die Lebensmittelindustrie weiterverarbeitete Produkte exportiert [1], dass Giscard d’Estaing einst von „grünen Bodenschätzen“ gesprochen hat, es sich noch erlauben kann, seine Grenzen zu schließen, ohne eine Retourkutsche zu riskieren, bspw. weiterhin Weizen und Wein exportieren zu wollen, aber Melonen und Tomaten nicht ins Land zu lassen. Dieser Widerspruch zwischen einer vorgeblichen „Berufung“ als Exportnation und der Abschottung des Landes wegen seiner „vorbildlichen Handhabung der sozialen und ökologischen Belange“, die allenfalls noch in Europa ihresgleichen hat, wird auch nicht durch die Befürworter eines „intelligenten Protektionismus“ ausgeräumt. Die Scharlatane des Front National berufen sich auf ökologische Gründe, wenn sie gegen den Import minderwertiger Produkte zu Felde ziehen, die schädlich seien, wie alles, was von woanders kommt. Im gleichen Atemzug unterstützen sie diejenigen, die weniger „Umweltschutzauflagen“ fordern, da die doch nur der Wettbewerbsfähigkeit „unserer“ Agrarunternehmen schaden, und machen sich dafür stark, auf Putin zuzugehen, um wieder Zugang zum russischen Markt zu erhalten.
Aber kann man umgekehrt dem kleinen Gemüsebauern Großmachtchauvinismus vorhalten, wenn er sieht, wie inmitten seiner Ernte Obst und Gemüse angeliefert werden, deren Verkaufspreis unter seinen eigenen Produktionskosten liegt? Wenn sich die Wurst aus Spanien gut verkauft, dann packt den bretonischen Schweinezüchter die Wut und es kann ihn kaum trösten, dass zugleich Milch und Getreide nach Spanien exportiert werden.
Die Verfechter des Protektionismus können sich darauf berufen, dass regionale Erzeugung und Direktvertrieb sowie die Versorgung von Großküchen mit lokalen Produkten Vorteile bringt. Ebenso haben sie gute Argumente gegen Langstreckentransporte, den hemmungslosen Einsatz von Pestiziden und Antibiotika in den konkurrierenden Ländern und die miesen Arbeitsbedingungen der dortigen Beschäftigten. Natürlich teilen nicht alle dieselben fortschrittlichen Schlussfolgerungen. Es gibt etliche, die in der französischen Landwirtschaft lieber weniger Sozial- und Umweltbewusstsein haben und sich nicht um Feuchtgebiete scheren wollen und Gentechnologie befürworten. Aber dies stößt immer weniger auf allgemeine Akzeptanz. Zudem kommen solche reaktionären Positionen vorwiegend von den Landwirten, die weitgehend vom Export ihrer Güter leben und Einbußen befürchten. Daher auch die Leugnung der Grünalgenplage in der Bretagne durch überhöhte Nitratbelastung oder die Befürwortung des Staudamms am Sivens-Massiv durch manche.
Alle Industriestaaten haben in der Vergangenheit auf protektionistische Maßnahmen zurückgegriffen und tun dies oft auch noch heute, um ihre Landwirtschaft vor der ausländischen Konkurrenz zu schützen. Auch wenn Großbritannien Mitte des 19. Jahrhunderts die gesetzlichen Hürden für Getreideimporte abgeschafft hat, um die eigene Arbeiterklasse billiger ernähren zu können, und damit einen anderen Weg als die anderen Nationen beschritten hat, darf man nicht vergessen, dass sich das Land auf diese Weise vorwiegend für das eigene Kolonialreich geöffnet hat. In Frankreich hingegen haben manche Kolonialerzeugnisse, die ja per se keinen Handelsschranken unterlagen, den Protektionismus quasi umgangen und der einheimischen Produktion Konkurrenz bereitet. So hat etwa der Weinimport aus Algerien zu schweren Krisen geführt oder das Erdnussöl den heimischen Raps- und Olivenanbau in Bedrängnis gebracht.
Der Freihandel im Landwirtschaftsbereich beruht auf der Theorie der komparativen Vorteile und der internationalen Arbeitsteilung, nämlich die Kosten zu senken und die Bevölkerung billig zu ernähren, indem Anbau und Viehzucht schwerpunktmäßig in den Regionen angesiedelt werden, die sich durch ausreichend Land und klimatische Bedingungen dafür eignen. Zudem sollte der Freihandel Innovationen fördern, da Bauern, die von der Konkurrenz abgeschottet sind, in Routine verfallen und keinen Anreiz haben, die Erträge durch bessere Techniken zu steigern. Dadurch stagniert die Produktion und die Preise steigen, was wiederum höhere Lohnforderungen bei der Arbeiterklasse hervorruft. Die Freihändler sind sich seit dem 19. Jahrhundert über die sozialen Folgen im Klaren, nämlich dass Kleinbauern, die nicht den „Weg des Fortschritts“ gehen können, verschwinden werden und dies zur Landflucht führt. Was aber keineswegs störte, weil die Industrie ja Arbeitskräfte brauchte und das Proletariat aus den landlosen Bauern gespeist wurde, somit also der Nachschub rollte. Der heutige Kapitalismus hat nicht mehr diese Ressourcen, so dass wegfallende Arbeitsplätze in der Landwirtschaft nur das Arbeitslosenheer vergrößern und in den armen Ländern die Landflucht zur Aufblähung der Elendsviertel in den Großstädten führt.
Zollschranken sind aus zweierlei Gründen entstanden. Einerseits sollte die Ernährungssicherheit gewährleistet sein, auch in Zeiten, in denen kriegerische Auseinandersetzungen die Transportwege gefährdeten oder schlechte Wetterverhältnisse herrschten, was voraussetzte, dass eine breitgefächerte Landwirtschaft in sämtlichen Regionen erhalten blieb. Andererseits war man daran interessiert, dass möglichst viele Kleinbesitzer als eigene Klasse erhalten blieben, die dem herrschenden System treu ergeben waren. Im Gegensatz zu den Unkenrufen der Freihandelsbefürworter ermöglichte der Protektionismus in Frankreich und den anderen Industrieländern, dass sich über lange Zeit hinweg die Agrarproduktion im Rahmen kleinbäuerlicher Betriebe so entwickeln konnte, dass eine Selbstversorgung gewährleistet war und sogar darüber hinaus produziert wurde. Da sie vor der Konkurrenz durch Importwaren abgeschottet waren, konnten die Landwirte hinreichende Preise erzielen, die nicht nur zum Leben, sondern auch für Investitionen langten. Erst ab dann verfügten die Herrschenden die Öffnung der Märkte, und zwar nicht, um sie für Importe zu öffnen, sondern um „unserer Berufung als Exportnation“ nachzukommen.
Die Schaffung des EWG-Agrarmarkts 1962 folgte keineswegs einer liberalen Agenda, sondern passte eher die Zollschranken den Verhältnissen an. Die weiland sechs Mitgliedstaaten verfügten über unterschiedliche Schwerpunkte, nämlich mehr Ackerbau im Süden und mehr Viehzucht im Norden und für alle ein als viel zu hoch erachtetes Importvolumen für Nahrungsmittel. Also war die EWG bestrebt, den Handel untereinander zum gegenseitigen Vorteil auszubauen und gleichzeitig Schranken nach außen zu errichten, um die Landwirtschaft der Mitgliedsländer zu schützen. Durch in Abgaben umgetaufte Zölle sollte ein Schwellenpreis erzeugt werden, der den Preis für Importwaren auf das Niveau der einheimischen Produktion hob. Umgekehrt erleichterten Subventionen, die man Erstattungen nannte, den Export zu den herrschenden Weltmarktkonditionen.
Die Methoden, die weiland die Entwicklung der Landwirtschaft in den Industrieländern ermöglicht haben, würden heute in den unterentwickelten Ländern sicherlich ein vergleichbares Ergebnis zeitigen, da dort die einheimische landwirtschaftliche Produktion viel zu schwach ist, um gegen die oftmals subventionierten Massenimporte bestehen zu können. [2] Aber da sind die Wächter der liberalen Tugend außen vor und verhindern, dass die armen Länder dem Beispiel der Industrieländer folgen, die den Freihandel erst für sich entdeckt haben, als ihre Hegemonialstellung gesichert war. So importiert das traditionelle Maisanbauland Mexiko bspw. immer mehr Mais im Rahmen des Freihandelsabkommens mit seinen Nachbarn im Norden, da die enormen Ertragsunterschiede nicht durch die billigere heimische Arbeitskraft kompensiert werden können und so der Mais aus Mexiko teurer ist. Ein Gleichgewicht könnte nur durch Zölle und/oder Subventionen für die einheimischen Erzeuger hergestellt werden.
Durch die fortschreitende Entwicklung des Transportwesens hat der Handel, auch in der Landwirtschaft, sprunghaft zugenommen. So kann bspw. Weizen von den Great Plains in den USA nach Europa verschifft werden oder argentinisches Rindfleisch und Lammfleisch aus Neuseeland die Weltmärkte erobern.
Ursprünglich hatte Frankreich seine Getreidebauern erfolgreich vor der ausländischen Konkurrenz geschützt und war dadurch selbst zur Exportnation aufgestiegen. Aber inzwischen ist – allein auf dem Getreidesektor – ein harter Konkurrenzkampf entbrannt, nicht nur mit den USA, sondern auch mit Argentinien, Kanada, Australien oder der Ukraine. Auch andere Länder, die traditionell eher Getreide eingeführt haben, haben inzwischen die Produktion hochgefahren, während es auf den zahlungsfähigen Märkten immer enger zugeht. Der Agrarhandel ist zu einem regelrechten Schlachtfeld geworden, wo multinationale Industriekonzerne, aber auch Getreideriesen mit Unterstützung ihrer Herkunftsländer gegeneinander antreten. Alle Kniffe sind erlaubt, um Anteile auf dem unerwartet wenig ausbaufähigen Markt zu gewinnen. Die französische Ehrenlegion mag stärker wiegen als eine brasilianische Auszeichnung, wenn es darum geht, den saudischen König davon zu überzeugen, dass das gefrorene Geflügel aus Frankreich besser ist, ausschlaggebend ist jedoch das (stille) Einvernehmen mit den Verbrechen des dortigen Regimes. Manchmal sind es auch die gewährten Darlehen, die helfen, einen Markt zu erschließen.
In diesem Handelskrieg gebärden sich natürlich diejenigen am liberalsten, die sich auf der Gewinnerstraße wähnen, sofern keine Wettbewerbsverzerrung herrscht. Mehr noch als die USA haben die sog. Schwellenländer BRICS auf die Abschaffung der Zollschranken und Subventionen gedrängt. Es gibt aber auch Hürden im Freihandel, die nicht finanzieller Natur sind, sondern aus nationalen oder kontinentalen Normen entspringen, nach denen die Einfuhr von nicht normgerechten Produkten oder ihr Vertrieb unter einer irreführenden Bezeichnung verboten ist. In diesem Zusammenhang wird sogar die Etikettierung, auf der Herkunft oder Zusammensetzung des Produkts erwähnt wird, als protektionistisches Manöver angeprangert. Ziel des TTIP ist daher auch, die multinationalen Konzerne von dieser Pflicht zu entbinden. Und die französischen Konzerne gehören sicherlich nicht zu den letzten, die gegen die Etikettierungspflicht angehen.
Es gibt auf der einen Seite die Agrarerzeuger und auf der anderen die Industrie. Zwischen den großen Lebensmittelkonzernen herrscht ein erbitterter Konkurrenzkampf. Ihr Interesse liegt im freien Handel der Roh- oder Halbfertigprodukte wie Zucker oder Ei- und Milchpulver, um ihre eigenen Produktionskosten zu senken. Genauso müssen sie auf die Preise von Kaffee oder Kakao drücken, natürlich zum Nachteil der Produzenten in den Entwicklungsländern. Selbstredend hält sich das französische Landwirtschaftsministerium, das auch für die Nahrungsmittelindustrie zuständig ist, in dieser Frage vornehm zurück – schließlich geht es ja um „unsere“ Wettbewerbsfähigkeit.
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Wenn die Winzer aus dem Languedoc gegen den Wein aus Spanien wettern, Tanklaster leeren oder die Anlagen der Importeure demolieren, macht dies wenig Sinn. Selbst wenn unter den Vorzeichen der Krise ein paar Flaschen billigen Weines in die Supermärkte gelangen, wird der französische Markt dadurch nicht gefährdet. Der Weinexport aus Frankreich zielt auf die hochpreisigen Segmente und darin sind die edlen Tropfen aus Spanien genauso teuer. Die importierten Weine aus Spanien kommen vorwiegend offen und ohne Herkunfts- oder Qualitätsbezeichnung und sind Billigware, die hauptsächlich verschnitten und in Drittländer verkauft werden. Insofern findet der Krieg auf diesem Sektor nicht unter dem Vorzeichen „Trinkt französische Weine!“ statt, sondern eher als „Exporte aus Frankreich stärken!“. Aber auch wenn die Tricksereien einzelner Händler zu verurteilen sind, sind protektionistische Maßnahmen kaum dafür geeignet, den französischen Winzern Wettbewerbsvorteile auf dem chinesischen Markt zu verschaffen gegenüber den spanischen Weinbauern. Dasselbe gilt für Getreide: Frankreich importiert nur wenig davon, es geht vielmehr um Weltmarktanteile.
Innerhalb Europas nimmt Frankreich eine wenig komfortable Position ein. Noch weist Frankreich einen Bilanzüberschuss aus, was den Handel mit frischem Schweinefleisch angeht. Ganz anders sieht es bei Wurstwaren aus, wo sehr viel mehr importiert wird. Die Konkurrenz hierbei sitzt in Deutschland, Spanien oder Dänemark. Die Tomaten kommen aus Spanien, aber auch aus Holland und viel weniger aus Marokko. Dies zeigt, dass eine Abschottung des europäischen Marktes gegenüber der restlichen Welt vielleicht vorstellbar, aber unwirksam wäre. Und ein Rückzug jedes einzelnen Landes hinter seine Grenzen wäre nur dann sinnvoll, wenn es selbst auf den Export eigener Produkte verzichten oder sich auf marginale Handelsvolumina beschränken würde.
Alle Rezepte, die den Freihandel zähmen wollen, stoßen genauso wie die, die den Kapitalismus angeblich regulieren oder zivilisieren wollen, an die Grenzen, die ihnen die immanente Logik des Systems setzt: immer mehr produzieren, nicht um die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, sondern um zu verkaufen und Profite zu erzielen. Die Globalisierung dient dabei als Instrument und ihre sozialen und ökologischen „Kollateralschäden“ verlangen Antworten, die mit dem Kapitalismus nicht vereinbar sind. Dies bedeutet nicht, dass damit keine Kämpfe zur Schadensbegrenzung geführt werden sollen, wie etwa gegen TTIP oder die Allmacht der Saatgut- und Pflanzenschutzkonzerne. Auch schließt dies nicht die Unterstützung alternativer Entwicklungsprojekte aus, aber eher, weil diese Beispielscharakter haben und nicht, weil sie das System schleichend unterminieren könnten.
Wenn man in den reichen Ländern, die sich mit Nahrungsmitteln selbst versorgen können, gegen Freihandel und Protektionismus zugleich kämpfen will, muss man gegen übermäßige Exporte schlechthin eintreten und für das Recht jeder Nation, sich nach eigenem Gutdünken entwickeln zu können. Dies bedeutet, mit dem Produktivismus zu brechen und auf qualitativ gute und umweltgerecht hergestellte Produkte zu setzen, die auch für die einfache Bevölkerung erschwinglich sind. Dies ist allerdings nicht umsetzbar ohne die Sozialisierung der relevanten Produktionsmittel (darunter auch die Nahrungsmittelkonzerne) und der Handelsstrukturen (darunter auch der Großhandel) sowie natürlich der Banken. Ein solches Umdenken beinhaltet zwangsläufig auch die Frage nach einer gerechten, d. h. gesellschaftlich garantierten Entlohnung der LandarbeiterInnen, deren Lohn heute von konjunkturellen Schwankungen und Agrarsubventionen abhängt.
Übersetzung: MiWe |
Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 1/2017 (Januar/Februar 2017). | Startseite | Impressum | Datenschutz