Dass so viele Menschen vor allem außerhalb der USA von Trumps Wahlsieg überrascht sind, zeigt, wie wenig die gesellschaftliche Entwicklung reflektiert wurde. Die Parallelen zu den Entwicklungen in Europa sind mehr als nur oberflächlicher Natur.
Jakob Schäfer
Dass die Trump-WählerInnen sich wenig von Argumenten leiten ließen, sondern mehr von Gefühlen, ist hinreichend klar geworden. [1]
Trumps Auftreten und seine „Lösungen“ entsprachen ihrem Bauchgefühl und überzeugten mehr als alles, was ihnen sonst angeboten wurde. Hinzu kam, dass Trump – wegen seiner angeblichen Ferne zum „Establishment“ – besser geeignet schien, einen Kurswechsel herbeizuführen als die mit der Wall Street verbundene Clinton. [2]
Um nur die markantesten Punkte aus der WählerInnenbefragung herauszugreifen: 79 % der Trump-WählerInnen empfanden die illegale Immigration als ein vordringliches Problem, 74 % den Terrorismus, 63 % die Arbeitsplatzfrage (bezeichnend hier die Formulierung: „Job opportunities for working-class Americans“). Die entsprechenden Zahlen bei den Clinton-WählerInnen sind 20, 42 und 45 Prozent.
Ähnlich aufschlussreich ist auch, welche Fragen die Trump-WählerInnen relativ wenig berührten: die Kluft zwischen Arm und Reich: 33 %; Schusswaffengebrauch (gun violence): 31 %; Klimawandel: 14 %. Die Zahlen bei den Clinton-WählerInnen: 72, 73 und 66 Prozent. 53 % der Trump-WählerInnen bevorzugen schnelle Lösungen, auch dann, wenn diese risikoreich sind (gegenüber 16 % bei den Clinton-WählerInnen).
Damit ist aber noch längst nicht geklärt, wer denn die Trump-WählerInnen sind und erst recht nicht, warum sie auf Trump setzen. Denn es ist gerade nicht so, dass nur die Erwerbslosen oder die prekär Beschäftigten massiv für Trump gestimmt haben.
Gewählt wurde er von Angehörigen aller Schichten, den größten Anklang fand er aber nicht bei der sogenannten Unterschicht, sondern bei der unteren Mittelschicht. [3]
Auch wenn richtig ist, dass die ehemaligen Industriestaaten im Norden und Nordosten (Ohio, Michigan und Wisconsin) im „Rostgürtel“ den Ausschlag gaben: Trump wurde von fast der Hälfte der abgegebenen Stimmen gewählt und zwar letztlich im ganzen Land!
Bhaskar Sunkara, Herausgeber von Jacobin, schreibt:
„Trump spricht diejenigen an, die – wie das blue collarship – vom Neoliberalismus abgehängt wurden. Das betriff auch und gerade die Bergarbeiter, denen Trump zusicherte, er werde die Kohlenförderung nicht zurückfahren, weil es gar keine ökologische Krise gäbe. Kurz: Er hat seine Kampagne unter anderem auf diejenigen ausgerichtet, die von jeder Form der Dekarbonisierung der Produktion betroffen wären. Ferner will er ein Programm zur Verbesserung der maroden Infrastruktur auflegen, Schutzzölle erheben und dadurch Arbeitsplätze schaffen oder mindestens erhalten. Das hat sicherlich bei der arbeitenden Bevölkerung Anklang gefunden.“
Zu diesem Überblick gehört auch, dass viele Menschen gar nicht erst zur Wahl gingen. [4] Dieses Mal lag die Beteiligung bei 58,1 %, das ist der niedrigste Stand seit 1980, also noch niedriger als 1996 (damals waren es 58,4 %). Dies liegt nach ersten Untersuchungen vor allem daran, dass die KandidatInnen beider großer Parteien bei vielen Menschen auf so große Ablehnung stießen, dass die Wahl des kleineren Übels noch weniger griff als gewöhnlich.
Zur bitteren Wahrheit gehört allerdings auch, dass die als Linke auftretende Kandidatin der Grünen Partei, Jill Stein, nur 1,3 Mio. Stimmen bekam (etwa 1 %). Ihre AnhängerInnen hatten von 5 % und mehr geträumt. Und zu dieser Wahrheit gehört auch die fehlende Selbstkritik der allermeisten Linken, die die Antwort schuldig bleiben, wo denn die Massen bei der Wahl abgeblieben sind, die im Zuge der Sanders-Kampagne angeblich ihr Herz für den Sozialismus entdeckt haben. [5] So wie sie sich in vornehmes Schweigen gehüllt haben, als der von ihnen weitgehend kritiklos gelobte Sanders sich erwartungsgemäß hinter Clinton eingereiht hat, so schweigen viele jetzt auch zu J. Stein, der so manche Linke vor den Wahlen dezidiert antikapitalistische Positionen auf höchstem Niveau zuschrieben. [6]
Es stellen sich nun folgende Fragen: Was sind die tieferen Ursachen für diese Wahl eines rassistischen und chauvinistischen Rechtspopulisten und für die damit einhergehende Verschiebung der Republikanischen Partei (der Grand Old Party, GOP) und der zu erwartenden Politik nach rechts? Denn dass sich das Establishment nun ganz schnell mit Trump arrangiert – und dass er auch mit diesen Kräften, sowohl innerhalb wie außerhalb der Administration gut zusammenarbeitet –, hat sich schon wenige Tage nach der Wahl gezeigt.
An dieser Stelle nur der kurze Hinweis, dass die Democratic Party – trotz der Sanders- Kampagne – sich mit der offenen Kriegspropaganda H. Clintons nach rechts verschoben hat. Die Bernie-Sanders-Kampagne wurde zwar mittels Betrug abgewürgt, aber dennoch: Dass Sanders gerade nicht für eine Bewegung von unten steht, kann nicht geleugnet werden, seine Unterstützung für Clinton belegt dies. So war seine Kampagne ein Strohfeuer und wird nicht annähernd die Wirkung haben wie die wirklichen Grassroots-Bewegungen wie etwa Black Lives Matter und andere.
Trump ist einer der reichsten Männer im Land. Er wendet sich gegen die letzten noch verbliebenen Verhandlungspositionen der Gewerkschaften, spricht sich offensiv für die Ausdehnung des Niedriglohnsektors und gegen die Anhebung des Mindestlohns aus. [7] Wenn nun ein so weit rechts stehender Kandidat eine so breite Unterstützung erlangen kann, dann ist dies mehr als nur ein Indiz für das Fehlen einer starken ArbeiterInnenbewegung. Es ist Ausdruck einer tiefen Gesellschaftskrise.
Mit der Entwicklung der letzten Jahre und dem Setzen auf Trump, also auf rassistische Lösungen, besteht die Gefahr, dass sich aus dem anhaltenden Frust vieler Menschen rechte (Massen)bewegungen entwickeln, die die eh schon verschüttete Klassenfrage noch mehr zuschütten.
Diese Gesellschaftskrise hat ökonomische und kulturelle Ursachen. In den drei Jahrzehnten nach dem II. Weltkrieg (einer expansiven Phase kapitalistischer Entwicklung) sind Wohlstand und soziale Absicherung auch der ArbeiterInnenklasse deutlich gestiegen. Mit dem Umschlagen dieser Phase in eine anhaltend stagnative (teils auch rezessive) Phase der kapitalistischen Entwicklung ab 1973/74 und speziell seit Ende der 1970er Jahren wird die materielle Grundlage für einen halbwegs gesicherten Wohlstand für die größten Teile der Bevölkerung zunehmend untergraben.
Verstärkt wurde diese Entwicklung durch die Verschiebung der ökonomischen Kräfteverhältnisse auf internationaler Ebene. Die Dominanz der USA wurde durch die aufstrebenden Wirtschaftsmächte – Europa, Japan und einige Schwellenländer – zunehmend infrage gestellt. Auch der anhaltende Mehrwertübertrag aus der sogenannten III. Welt konnte das nicht auffangen, sondern verlor in dem Maße sogar noch an Gewicht, wie andere Wirtschaftsmächte Kapital exportierten und bedeutende Weltmarktanteile eroberten.
Seit Ende der 1970er Jahre drückt sich dies in einem ununterbrochenen US-Handelsbilanzdefizit aus (2015 belief es sich auf satte 736 Mrd. $). Vor allem das Aufholen Chinas setzt die US-Ökonomie gewaltig unter Druck (zwei Millionen US-Arbeitsplätze wurden faktisch nach China verlagert). So bleiben im Wesentlichen die Rolle des Dollars als Leitwährung und die unangefochtene militärische Überlegenheit und Interventionsfähigkeit die letzten Rettungsanker, die den USA ihre Vormachtrolle bewahren.
Aber das reicht nicht, um die Auswirkungen des Strukturwandels (Digitalisierung etc.) so zu begrenzen, dass die große Mehrheit der Bevölkerung keine Ängste zu haben braucht. Um die Rationalisierungsauswirkungen aufzufangen, bräuchte es reale und vor allem kontinuierliche Steigerungen des BIP von mindestens fünf oder sechs Prozent. Davon ist auch die US-Ökonomie weit entfernt.
So schrumpft vor allem die Reinvestitionsrate, und zwar einfach deswegen, weil die Absatzchancen nicht da sind (bzw. die internationale Konkurrenz zu groß ist). Insgesamt sind aufgrund der rapide steigenden Kapitalintensität (marxistisch ausgedrückt: der organischen Zusammensetzung des Kapitals) die Profiraten des Kapitals (wohlgemerkt nicht die Bereicherungsraten der Besitzenden!) deutlich zurückgegangen. Die Gewinne der Konzerne waren 2015 und in den ersten drei Quartalen 2016 jeweils niedriger als in den Vorjahren. Die gegenteilig wirkenden Faktoren wie Intensivierung der Arbeit und Sinken der Reallöhne stoßen unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen und Kräfteverhältnissen an ihre Grenzen.
Es fehlt also nicht an Kapital oder an billigen Krediten, sondern an ausreichend guten Anlagemöglichkeiten in der Warenproduktion. Dadurch bleiben die Zuwachsraten der allermeisten Volkswirtschaften niedrig. Es ist kein Ende der international stagnativen Phase kapitalistischer Entwicklung absehbar. Nur aufgrund einer international sehr expansiven Kredit- und Geldpolitik (vor allem in Japan und in den USA, inzwischen auch in Europa) sind die niedrigen Wachstumsraten noch nicht in eine internationale Rezession umgeschlagen. [8]
Unter dem Strich: Die schwachen bis negativen Wachstumsraten – nicht nur der US-Ökonomie – basieren auf der Erschöpfungstendenz der Faktoren, die den Auswirkungen des tendenziellen Falls der Profirate entgegengewirkt haben. Die „Erholung“ der US-Wirtschaft nach der recht tiefen Krise 2007-2009 war nur oberflächlich und insgesamt so schwach, dass sie bei wachsenden Teilen der Bevölkerung nicht ankommt.
Daraus resultiert nicht nur ein fortgesetzter Arbeitsplatzabbau, sondern die Hetze am Arbeitsplatz steigt, der allgemeine Konkurrenzdruck nimmt zu, die Vermögen der meisten US-AmerikanerInnen schrumpfen und damit (mangels ausreichender sozialer Sicherungssysteme) deren materielle Absicherung. Vor allem die Beschäftigten der klassischen Industrie sind davon betroffen. Gab es dort in den 1980er Jahren noch ca. zwanzig Millionen Arbeitsplätze, sind es heute nur noch ca. zehn Millionen. Vor allem im „Rostgürtel“ sind in vielen Städten mehr als ein Drittel der EinwohnerInnen weggezogen, auf der (manchmal verzweifelten) Suche nach Arbeitsplätzen an anderer Stelle. [9]
Die offiziellen Erwerbslosen-Statistiken sind aus zwei Gründen sehr irreführend: Sie berücksichtigen nicht, dass viele der neuen Jobs erzwungene Teilzeitjobs sind. Zweitens: Eine wachsende Zahl auch von Vollzeitjobs reicht nicht für die Bestreitung des Lebensunterhalts. Viele Menschen haben zwei oder drei Jobs. (Grafik 1) [10]
Auf dieser Realität beruhen die Abstiegsängste, die weit bis in die Mittelschicht hineinreichen. Offiziell gibt es 43 Mio. Arme in den USA, wobei die offizielle Armutsschwelle recht niedrig angesetzt ist. Sie liegt heute für zwei Erwachsene und zwei Kinder (!) bei 24 000 $ Jahreseinkommen. Bei diesen (umgerechnet) etwa 1800 Euro/Monat muss bedacht werden, dass die sozialen Sicherungssysteme nicht mit europäischen vergleichbar sind (vor allem was die Krankenversicherung und das Rentensystem angeht), dass die Studiengebühren hoch sind usw.
Ein Ergebnis dieser Entwicklung ist ein deutliches Schrumpfen der in den USA als Mittelschicht definierten Gruppe. 1971 machte sie 61 Prozent der Bevölkerung aus. Heute sind es gerade mal 50 Prozent. Gleichzeitig nahmen die Bevölkerungsanteile der unteren und der oberen Schichten zu. 1971 gehörten 25 % zur Unterschicht und zur unteren Mitte (16 % und 9 %), 2015 waren es insgesamt schon 29 % (20 % und 9 %). Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil der oberen Mitte von 10 auf 12 % und der der Oberschicht von 4 auf 9 %. [11]
Und: Gehörte bis zum Jahr 2000 ein Dreipersonenhaushalt mit mehr als 44 419 $ Jahreseinkommen zur Mittelschicht, so wurde 2014 ein dreiköpfiger Haushalt schon ab 41 869 $ zur Mittelschicht gezählt. Das Schrumpfen der Mittelschicht ist also noch bedeutsamer, als es die obigen Zahlen nahelegen.
Es wird auch immer weniger Erfolg versprechend, sich für das Studium zu verschulden. Viele Beschäftigte in der Gastronomie haben mindestens einen College-Abschluss, nicht wenige sogar einen Hochschulabschluss. 1971 gehörten 22 % der 18–29-Jährigen zur Unterschicht, 2015 waren es schon 32 %. [12] Aufgrund der ständig steigenden Studiengebühren ist ein Hochschulabsolvent im Schnitt mit 26 600 $ verschuldet. Kurz: Die Zukunftsaussichten werden insgesamt immer düsterer, also nicht nur für Autobauer oder Stahlwerker.
Kurz, auch für die USA gilt, was Wilhelm Heitmeyer für Deutschland ausführte: Das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts war das „Jahrzehnt der Entsicherung“.
Gleichzeitig ist natürlich der breiten Bevölkerung nicht entgangen, dass es immer mehr Reiche gibt und vor allem: Diese Reichen sind die Einzigen, die seit der Krise 2007–2009 kräftige Einkommens- und Vermögenssteigerungen zu verzeichnen haben. So stieg deren Vermögen in den Jahren 2010–2013 um 7%, während alle andere Vermögen schrumpften, das der Bezieher niedriger Einkommen sogar um 41%. [13] Die durchschnittlichen Vermögen der Haushalte mit hohem Einkommen sind im Zeitraum von 1983–2013 von 323 402 $ auf 729 980 $ gestiegen. Ein Konzerngeschäftsführer (CEO) bekommt im Schnitt ein Jahresgehalt von 12,4 Mio. $, das ist 335mal so viel wie ein Arbeiter/eine Arbeiterin in dem entsprechenden Betrieb. (Grafik 2)
Wenn also die Mittelschicht schrumpft, gleichzeitig aber für Alle erkennbar der gesellschaftliche Reichtum wächst (während bei vielen Menschen immer weniger ankommt), dann drängt sich Frage nach einer radikalen Alternative, mindestens aber nach einem radikalen Kurswechsel, auf.
Die übergroße Mehrheit aller US-WählerInnen sieht die Lage im Land als gravierend schlechter an als etwa in den 1970er oder 1980er Jahren. Diese Sicht haben sie schon seit geraumer Zeit, besonders verstärkt aber seit dem Ausbruch der Immobilienkrise 2007.
Viel gravierender noch ist, dass die allermeisten US-BürgerInnen eine recht düstere Sicht der Zukunft haben, bei den Trump-AnhängerInnen weit mehr als bei den Clinton-WählerInnen. Der Hintergrund: Selbst wenn diese Menschen in den vergangenen Jahren ihren Lebensstandard halten konnten, so haben sie doch verstärkt den zunehmenden Konkurrenzdruck auf dem Arbeitsmarkt zu spüren bekommen, müssen teils länger arbeiten oder Zweitjobs annehmen, haben zum Teil in der Immobilienkrise ihr Haus verloren, erleben mehr Arbeitshetze usw. Und: Sie sehen gleichzeitig, wie eine bestimmte Schicht immer reicher wird. So verfügen die 15 reichsten AmerikanerInnen über sage und schreibe 492,9 Mrd. $ (im Schnitt also 32,86 Mrd. $). [14]
Viele fühlen sich als die potenziellen oder schon tatsächlichen Verlierer des technischen, des sozialen und/ oder des gesellschaftlichen Wandels. Schuld an dieser Entwicklung haben ihrer Ansicht nach die Politiker bzw. das „Establishment“.
In dieser Konstellation wenden sich Rechtspopulisten in erster Linie an die untere Mittelschicht. Trump spricht auf seine Art aus, was viele von diesen Menschen dumpf empfinden. Er gibt ihnen eine Stimme und mit seiner klaren Gegnerbenennung – und mit seinem Wettern gegen das Establishment, zu dem er (nur vordergründig betrachtet) nicht gehört – kann er Massen mobilisieren.
Noch mal Bhaskar Sunkara: „Da er [Trump] dies koppelt mit Steuersenkungen, um – wie er sagt – die Kapitalisten zum Investieren zu motivieren, hat er verschiedene - normalerweise weit auseinanderliegende Interessen - zusammengeführt und an die Illusion angeknüpft, man könne den Kapitalismus alter Art [also vor der Durchsetzung des Neoliberalismus] wieder reaktivieren. Das hat er im Übrigen gepaart mit einer primitiven Kritik an den Schnorrern an den Börsen und den Anzugträgern von den Hochschulen, die nichts arbeiten wollen und stattdessen sich damit beschäftigen, Geld ohne produktive Arbeit zu scheffeln.“
Trump konnte sich dabei auf eine längere Rechtsentwicklung an der Basis der Republikaner stützen, vor allem auf die Tea Party, auf viele Marktradikale und auf die Bewegung der evangelikalen Christen. [15] Nicht zufällig hatte sich die rassistische Tea Party-Bewegung ausgerechnet nach Obamas Antrittsrede 2009 gebildet.
So fällt es nicht vom Himmel, dass Trump gut auf die rassistische Karte setzen konnte und weiter setzt. „In diesem Jahr [2016] sind Rasse und Identität zur zentralen Scheidelinie in der amerikanischen Politik geworden. Obwohl die Rassenfrage schon immer in der amerikanischen Politik nahe der Oberfläche eine Rolle spielte, so stand sie doch selten so offen im Zentrum der politischen Kampagnen wie dieses Mal. Wie kam es dazu? Die einfache Antwort lautet: Donald J. Trump. Es ist wahr, dass seit Jahrzehnten Trump der erste Republikaner war, der mit rassistischen Vorurteilen die Nominierung gewann. Und es ist auch wahr, dass rassistische Abneigungen sogar eine größere Rolle bei der Unterstützung für Trump gespielt haben als Ideologie. Aber Trump agiert nicht in einem Vakuum. Vielmehr nutzt er Kräfte, die seit einem halben Jahrhundert wirken. Seine auf Identität gründende Nominierung ist damit die logische Folge einer fünfzig Jahre alten „Süd-Strategie“ der Republikaner, bei der Rasse und Identität eine größere Rolle spielen als wirtschaftliche Fragen.“ [16]
So ist das Profil vieler seiner Anhänger recht eindeutig: Sie sehen sich als Opfer des Freihandels, sind meistens stark religiös, wirtschaftsliberal, gegen sozialstaatliche Regelungen und in jedem Fall und vor allem rassistisch. Und da (auch unabhängig von Trumps Wahlkampagne) 40 % der US-Amerikaner sich als Opfer des politischen Establishments sehen – wohlgemerkt nicht des Systems! –, ist die Trump-Wahl insofern kein deformierter oder verfälschender Ausdruck des Wählerwillens.
Trump kann auf eine recht breite Basis gesellschaftlicher Unterstützung aufbauen. Gestützt wird die Trump-Wahl auch von einer noch weiter nach rechts verschobenen Kongressmehrheit. Trotz zu erwartender gewisser pragmatischer Anpassungen an die langjährige Praxis der US-Administration (vor allem in der Außenpolitik) kann Trump bei seiner rassistischen Linie und der seiner Hauptunterstützer bleiben: „Das Kabinett des künftigen US-Präsidenten Trump nimmt Gestalt an: Der rechtskonservative Jef Sessions übernimmt Justiz, CIA-Chef wird Tea-Party-Sympathisant Mike Pompeo.“ [17] Eine seiner ersten Amtshandlungen wird sicher die Besetzung der vakanten Stelle im Supreme Court sein, also die klare Rechtsverschiebung dieses extrem bedeutsamen Machtpfeilers. [18]
Und das Kapital? Es hatte sich zwar vor der Wahl mehrheitlich gegen Trump gewandt (allerdings eher aus taktischen Gründen, denn er erschien ihm zu plump, um die Wahl gewinnen zu können), so auch beispielsweise Charles Koch, einer der 10 reichsten Männer der Welt. Aber diese Herren und wenigen Damen rudern jetzt schnell zurück und arrangieren sich mit Trump. Schließlich gilt es ja, bevorzugt Regierungsaufträge zu bekommen.
Und auch die ausländische Bourgeoisie ist von der Trump-Wahl alles andere als geschockt. Das belegen nicht nur die Aktienkurse (vor allem des Finanzsektors), das belegt auch die freudige Reaktion der deutschen Großspender für Trump, worauf Manfred Dietenberger mit Recht hinweist. [19]
Die Entwicklung in den USA und die Wahl Trumps lassen klar erkennen: Die rechtspopulistische Revolte ist eine Reaktion auf wirtschaftliche Unsicherheit. Sie ist aber auch eine kulturelle Gegenreaktion. So werden Rechtspopulisten ganz besonders und vor allem von solchen Menschen unterstützt, die früher zu den einigermaßen Abgesicherten gehörten und inzwischen den Eindruck haben, dass sie verlieren oder zu verlieren drohen. Dabei geht es nicht nur um das Materielle, sondern um den Status und das Bild, das sie von sich selbst in der Gesellschaft haben.
Die dort unter vielen Menschen anzutreffende, zunächst dumpf empfundene Antipathie hat ihre Wurzeln also sowohl in den Abstiegsängsten wie auch in einer kulturellen (nicht nur rassistischen) Abwehrhaltung. Dies wird noch dadurch verstärkt, dass ein bedeutsamer Teil ihrer Identität in dem Überlegenheitsgefühl der USA begründet war und ist. Wenn dies nun (etwa durch den Aufstieg Chinas) zunehmend unterminiert wird, dann ist es kein Wunder, dass Trumps Hauptslogan (Make America great again) nicht wenige begeistert. Mit seinem Versprechen, die USA wieder zur größten und führenden Nation zu machen (letztlich also zu einer, die den anderen diktiert, wo es langgehen soll), kann er bei solchen Menschen viel Zustimmung einheimsen. Und wenn H. Clinton erklärt, dass die USA doch schon „great“ seien, dann schießt sie sich damit nur ein Eigentor. Denn genau dies empfinden ja die wirklichen und die potenziellen VerliererInnen der krisenhaften Entwicklung nicht, sie erleben das Gegenteil und empfinden Clinton deswegen als Zynikerin.
Viele hatten gemeint, Trump könne nur gewinnen, wenn er sich im Laufe des Wahlkampfs in einen gemäßigten Politiker wandelt. Das Gegenteil war der Fall: Er hat genau deswegen gewonnen, weil er konsequent die Anti-Establishment-Linie beibehielt und dabei ausschließlich an Emotionen appellierte. Rechtspopulismus schlägt „gemäßigtes Auftreten“. Das ist die klare Botschaft aus der Trump-Wahl. Trotz aller politischen und kulturellen Unterschiede zwischen den USA und Europa: Genau dieser Mechanismus ist auch das Erfolgsrezept von AfD, Marine Le Pen, Victor Orban usw.
Die Parallelen liegen aber nicht nur in der Wahlkampfstrategie von Le Pen, Orban usw. Auch die Ursachen für die Hinwendung breiter Bevölkerungsschichten zu nationalistischen und rassistischen „Lösungen“ (und in der Folge zur Wahl rechtspopulistischer Parteien) sind strukturell (trotz mancher kulturelleren Unterschiede zu den USA) sehr ähnlich. Beide Hauptwesensmerkmale treffen praktisch auf alle WählerInnen rechtspopulistischer Parteien zu:
Erstens: Auch hier in Europa spielt vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der krisenhaften Entwicklung (Bankenkrise, Eurokrise, „Flüchtlingskrise“) die Angst vor dem Abstieg der (unteren) Mittelschichten eine wesentliche Rolle.
„Es sind nicht die wirtschaftlich stärksten Gruppen, die AfD wählen. Allerdings im Schnitt auch nicht die Ärmsten der Armen, sondern Leute, die ausgeprägte Abstiegsängste plagen. Rund 70 Prozent der AfD-Wähler in Sachsen-Anhalt gaben an, sie empfänden die allgemeine Wirtschaftslage als schlecht.“ (M. Kunert von Infratest dimap in FAS, 20.3.2016)
Die soziale Basis der AfD ist in der gesellschaftlichen Mitte zu suchen. Mehr als zwei Drittel ihrer WählerInnen sind Erwerbstätige. Unter diesen stellen ArbeiterInnen ein Viertel, die Angestellten etwa die Hälfte und ein Fünftel sind BeamtInnen. Die AfD ist also alles andere als eine Prekariatspartei. Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss stellen nur ein knappes Fünftel der AfD-WählerInnen. [20]
Die AfD-WählerInnen müssen also längst noch nicht den Abstieg selbst erfahren haben, aber sie sehen ganz gut, wohin die herrschenden Verhältnisse treiben, nicht nur in Griechenland. Die Ostangleichung stottert, die Lage auf dem Wohnungsmarkt verschlechtert sich usw. Vor allem die untere Mittelschicht drückt ihren Frust über den wachsenden Konkurrenzdruck in einer Wahl rechtspopulistischer Kräfte aus.
Und auch das zweite wesentliche Merkmal deckt sich mit den Entwicklungen in den USA: Auch hier können solche Parteien auf einem starken Grundstock rassistischer Einstellungen aufbauen und sie für ihre Zwecke instrumentalisieren und mit ihren Kampagnen gleichzeitig verstärken, wobei die Presse ihnen dabei kräftig hilft, worauf Phil Hearse richtigerweise hinweist. [21]
Wilhelm Heitmeyer ist nur zuzustimmen, wenn er schreibt „Der Rassismus kommt nicht aus dem Nichts.“ Er basiert auf einer Wut und der Entladung von Ressentiments, auf die die „politische Klasse“ nur mit Autismus reagiert. Wichtig dabei ist, dass die Personengruppen, auf die sich die Aversionen beziehen, durchaus wechseln können. Was früher die Türken waren, sind heute die Flüchtlinge usw. „Islamfeindlichkeit ist derselbe Rassismus in neuen Schläuchen.“ [22]
Götz Eisenberg weist mir Recht auf die „sozialpsychologische Komplementarität [hin], die dafür sorgt, dass bestimmte gesellschaftliche Affekte sich mit anderen verbinden. Das […] findet sich in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen auch im gegenwärtigen Rechtspopulismus, wobei der Antisemitismus häufig nicht offen gezeigt wird.“ [23]
Seit der Erstellung der Sinusstudie (1981) wissen wir, dass es auch bei uns einen sehr festen Stamm von rassistisch eingestellten Menschen gibt, und dass ca. 10–13 % sogar ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben. Zu Letzterem werden in der Wissenschaft sechs Einstellungsdimensionen gerechnet: Befürwortung rechtsautoritärer Diktatur, Ausländerfeindlichkeit, Chauvinismus, Sozialdarwinismus, Antisemitismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus.
Und obwohl einige dieser Kennzeichen bei prominenten AfD-VertreterInnen zu beobachten sind: Die AfD kann seit gut einem Jahr beständig ihre WählerInnenbasis verbreitern. Das heißt: Auch von Menschen, die diese Positionen nicht teilen, wird dies in Kauf genommen und werden diese Einstellungen mit der Zeit – teilweise und oder auch gänzlich – übernommen. Die ideologische Basis für eine solche Anpassung ist die „autoritäre Persönlichkeit“. [24]
„In Zeiten verbreiteter Verunsicherung und Desorientierung findet eine kollektive Regression auf archaische Mechanismen der psychischen Regulation statt. Urteils- und Differenzierungsvermögen bilden sich zurück, und es steigt das Bedürfnis nach entlastenden Vereinfachungen. Wer die simpelsten Polarisierungen liefert, hat nun die besten Aussichten, Gehör und Gefolgschaft zu finden. Wirkliche Aufklärung – unter striktem Verzicht auf alles Populistische – ist dagegen anstrengend und schmerzhaft. Das ist der Grund, warum in Krisenzeiten, wenn die Menschen sich nach schnellen Lösungen sehnen, linke Aufklärungsversuche gegenüber den populistischen Vereinfachungen kaum eine Chance haben.“ [25]
Wer hat Trump gewählt?Den harten und entschlossensten Kern seiner Unterstützer finden wir im sogenannten „small business“, den Besitzern oder Chefs von Kleinbetrieben (mit weniger als 500 Beschäftigten) und den Millionen von formal Selbstständigen. Die Gesamtbasis ist aber viel breiter: Unter den 36 % der ärmeren und ärmsten WählerInnen (unter 30 000 $ Jahreseinkommen) stimmten 41 % für Trump, bei denjenigen, die 30 000 bis 50 000 $ verdienen waren es 42%. Bei den Reicheren (mit mehr als 250 000 $) stimmten 48 % für Trump und 46 % für Clinton. Der größte Abstand ist bei denjenigen, die auf ein Jahresverdienst von 50 000 bis 100 000 $ kommen: 50 % für Trump, 46 % für Clinton. Mit anderen Worten: Vor allem diejenigen, die am meisten von seiner Politik profitieren werden, haben ihn auch bevorzugt gewählt. Krasser sind allerdings die Unterschiede, wenn die Wählergruppen nach Hautfarbe unterschieden werden. Unter den 70,4 % der weißen WählerInnen stimmten 58 % für Trump und 37 % für Clinton. Dass Trump unter Schwarzen und Latinos weniger Anhänger fand (8 % und 29 %), ist folgerichtig. Bei Frauen kam Trump nur auf 42 % (54 % für Clinton), aber unter den weißen Frauen hat er auch eine klare Mehrheit (53 % gegenüber 43 %), auch wenn diese Kluft bei den weißen Männern noch größer ist. Umgekehrt: Nur 4 % der schwarzen Wählerinnen haben für Trump gestimmt. Von den jungen Menschen stimmte nur eine Minderheit für ihn, aber unter den jungen Weißen hat er gegenüber Clinton die Nase vorne (48 % und 43 %). Insgesamt kam Trump auf 47,3 % der Stimmen, Clinton auf 47,8 %. Und nicht zu vergessen: Gary Johnson von der marktradikalen Libertarian Party kam mit 4,3 Mio. Stimmen auf gut 4 %. Die Wahlenthaltung ist vor allem bei den Ärmsten am größten (d. h. bei jenen, die weniger als 15 000 $ im Jahr haben), nämlich bei 59 %, gegenüber 22 % bei denjenigen, die ein Jahreseinkommen von mehr als 150 000 $ im Jahr haben. Die Häftlinge (bekanntlich überproportional viele Schwarze, nämlich 37 %, obwohl sie nur 13,2 % der Gesamtbevölkerung ausmachen) haben kein Wahlrecht. [30] Hinzu kommt: Ca. 6,5 Mio. ehemalige Häftlinge müssen gegen 6000 Dollar ihre Bürgerrechte wieder erkaufen, was gerade den AfroamerikanerInnen natürlich alles andere als leicht fällt. So dürfte insgesamt etwa ein Viertel der AfroamerikanerInnen kein Stimmrecht haben. Rechnen wir die nicht stimmberechtigten erwachsenen MigrantInnen dazu, dann durften insgesamt mehr als 20 Mio. Menschen nicht wählen. |
Helmut Dahmer wies mal im Gespräch darauf hin: Zu den wichtigsten Befunden der Studie des emigrierten Instituts für Sozialforschung über den autoritären („faschistoiden“) Charakter zählt, dass dieses Potenzial sich in allen Berufs-, Alters- und Bildungs- und Geschlechtsgruppen findet, in allen ethnischen und politischen Gruppen und natürlich auch in allen kapitalistischen oder halbkapitalistischen Gesellschaften.
In anderen Ländern – etwa in Frankreich – ist diese Entwicklung schon seit Jahren weiter vorangeschritten als in Deutschland. Nicht nur wird Le Pen mit größter Sicherheit in die Stichwahl bei der kommenden Präsidentschaftswahl kommen. Ihre höchsten Stimmenanteile hat sie nicht für umsonst in den ehemaligen Zentren der französischen Schwerindustrie (v. a. in den Kohlebergbaugebieten im Norden) sowie in den Vorstädten von Paris, dem ehemals roten Gürtel der Metropole. Aber sie hat auch große Zustimmung bei den besser Situierten und in den Gebieten, wo viele Rückkehrer aus den Ex-Kolonien leben (im Südosten der Republik). Sogar ein Wahlsieg bei den Präsidentschaftswahlen im April/Mai ist nicht mehr ausgeschlossen, zumal Fillon mit seinem harten Sparkurs viele abstoßen wird.
Die Trump-Wahl hat sogar einen Vorläufer: Das Brexit-Votum und die Rechtsverschiebung der britischen Regierung. Strukturell sind hier die Ursachen wie auch die Motivationen der WählerInnen in weiten Bereichen sehr ähnlich.
Trumps Sieg gibt seinen Anhängern neue Hoffnung (siehe dazu die oben zitierten Meinungsumfragen bei PEW nach dem Wahlausgang). Dass sie in nicht allzu ferner Zukunft auch von Trump (bzw. den Ergebnissen seiner Politik) enttäuscht sein werden, steht außer Zweifel. Unentschieden ist aber, welche Schlussfolgerung sie daraus ziehen werden – eine sich weiter nach rechts radikalisierende oder eine, die für solidarische Perspektiven offen ist.
Auch wenn es im Moment in den USA noch keine faschistische Massenbewegung gibt, so stellt sich dort für Revolutionäre die Aufgabe noch schärfer, noch dramatischer als in Europa. Denn die Rekonstitution des Klassenbewusstseins steckt nach den langen Jahrzehnten des dramatischen Niedergangs noch sehr in den Anfängen. Dieses Bewusstsein war in den 1930er Jahren auch in den USA deutlich anders, aber inzwischen ist seit Jahrzehnten (!) von Klassenbewusstsein wenig zu erkennen.
Auch dort, wo traditionelle Industriearbeitsplätze weggefallen sind und die Menschen im Dienstleistungssektor gelandet oder erwerbslos geworden sind: Gerade wegen des Verlusts wesentlicher Vermögensbestandteile durch die letzte Krise sind sie mehr denn je Lohnabhängige und zwar so massenhaft wie nie zuvor in der Geschichte.
Marx schreibt (1847!): „Die ökonomischen Verhältnisse haben zuerst die Masse der Bevölkerung in Arbeiter verwandelt. Die Herrschaft des Kapitals hat für diese Masse eine gemeinsame Situation, gemeinsame Interessen geschaffen. So ist diese Masse bereits eine Klasse gegenüber dem Kapital, aber noch nicht für sich selbst. In dem Kampf, den wir nur in einigen Phasen gekennzeichnet haben, findet sich diese Masse zusammen, konstituiert sich als Klasse für sich selbst. Die Interessen, die sie verteidigt, werden Klasseninteressen. Aber der Kampf Klasse gegen Klasse ist ein politischer Kampf.“ [26]
Und genau diese Bemühungen um die Rekonstitution eines Klassenbewusstseins drohen mit einer Ausdehnung und Verfestigung rechtspopulistischer Politik und rechtspopulistischer Bewegungen gewaltig zurückgeworfen zu werden. Auch in den USA liegt die Schwächung bzw. das weitgehende Verschwinden einer politischen Arbeiterbewegung nicht etwa an einer numerischen Schwächung der Klasse (etwa, weil viele Lohnabhängige zu Kleinbürgern geworden wären). Die Änderungen der Arbeitsplätze (weg von den traditionellen Großbetrieben in der Industrie) sind zwar als objektive Veränderungen bedeutsam, aber es folgen daraus nicht zwangsläufig nur ganz bestimmte Entwicklungen auf der subjektiven Ebene. Entscheidend sind immer noch die politischen Prozesse.
Die Gewerkschaften der USA sind größtenteils stark in das System integriert und nicht in der Lage oder bereit, einen politischen (Klassen)kampf zu führen. Die Neuansätze der letzten Jahre (Kampagne für einen bundesweiten Mindestlohn von 15 $ usw.) sind zwar ermutigend, aber sie drohen vom Aufstieg des Rechtspopulismus zurückgeworfen zu werden.
Fatalerweise droht in Europa mehr als nur eine Stärkung rechtspopulistischer Parteien. Das sehen wir nicht nur daran, dass beim französischen Front National der Übergang vom Rechtspopulismus zum Faschismus eher fließend bleibt (s. auch Artikel von Bernard Schmid in diesem Heft). Welche besonderen (Zwischen)formen die weiteren Entwicklungen noch annehmen werden, ist heute nicht absehbar. Aber zur ausreichenden Beurteilung der Gefahren sollten wir uns vergegenwärtigen:
„Das Aufkommen des Faschismus [und wir fügen hinzu: des Rechtspopulismus] ist Ausdruck einer schweren gesellschaftlichen Krise des Spätkapitalismus, einer Strukturkrise, die, wie in den Jahren 1929 bis 1933, wohl mit einer klassischen wirtschaftlichen Überproduktionskrise zusammenfallen kann, aber weit über solche Konjunkturschwankungen hinausgeht. Es handelt sich grundsätzlich um eine Krise der Verwertungsbedingungen des Kapitals, d. h. um die Unmöglichkeit, eine ‚natürliche‘ Kapitalakkumulation unter den gegebenen Konkurrenzbedingungen auf dem Weltmarkt (d. h. auf dem bestehenden Niveau der Reallöhne und der Arbeitsproduktivität, bei dem bestehenden Zugang zu Rohstoffen und Absatzmärkten) fortsetzen zu können.“ [27]
Sowohl die lang anhaltende Phase stagnativer Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft wie auch der politische Aufstieg des Rechtspopulismus und Rassismus in einer ganzen Reihe von Ländern weisen auffällige Parallelen zum Aufstieg des Faschismus in den 1920er und 1930er Jahren auf. Je mehr ein System in die Krise gerät – in den 1920er und 1930er Jahren war es eine langanhaltende rezessive Phase kapitalistischer Entwicklung – desto verzweifelter suchen Menschen nach einer radikalen Alternative. Je mehr dabei die überkommenen politischen Rezepte und Konzeptionen sich in den Augen breiter Massen als unwirksam und abgewirtschaftet erweisen, desto mehr Anziehungskraft entfaltet jene.
Nun mag mensch einwenden: Die Krise ist heute (noch) nicht so dramatisch wie in den 1930er Jahren (wobei darüber sehr wohl gestritten werden kann, wenn wir alle Faktoren der nationalen und internationalen Entwicklungen, der Kriege, der Flüchtlingsdramen wie auch des Klimawandels einbeziehen). Aber leider gibt es einen wesentlichen Unterschied auf der Ebene des subjektiven Faktors: Heute ist – zumindest in den USA – nicht mehr erforderlich, was Trotzki als Voraussetzung für eine faschistische Machtergreifung (bzw. für den massiven Aufstieg einer faschistischen Massenbewegung) ansah:
„Die Aufgabe des Faschismus besteht nicht allein in der Zerschlagung der proletarischen Avantgarde, sondern auch darin, die ganze Klasse im Zustand erzwungener Zersplitterung zu halten.“ [28] Musste sich also eine rechtsextreme (bzw. faschistische) Bewegung seinerzeit gegen eine organisierte Arbeiterbewegung durchsetzen, so ist dies in den USA heute gar nicht erst erforderlich und in Europa in den meisten Ländern auch längst nicht mehr in einem vergleichbaren Maße wie in den 1920er und 1930er Jahren. Das heißt, die organisierte Klassenkraft der Lohnabhängigen gibt es so nicht mehr. Die Durchsetzung einer wohl organisierten rechten Kraft ist so erst mal wesentlich leichter möglich.
Ganz gewiss ist die Trump-Anhängerschaft nicht faschistisch, jedenfalls noch nicht, aber die Tür für eine solche Entwicklung ist aufgestoßen. Und zwar nicht nur, weil Trump in einigen Fragen protofaschistische Positionen vertritt. Seine Basis setzt sich unter anderem aus beinharten Rassisten zusammen. Nicht zufällig wächst seit der Trump-Wahl der Ku-Klux-Klan sprunghaft.
Auf der anderen Seite ist längst nicht alles nur düster. So wenig die Linke auf Sanders als politischen Faktor bauen kann (dafür ist er zu sehr in das System eingebunden): Die Zustimmung zu seinen Vorschlägen ist so hoch, dass er die höchsten Zustimmungswerte (59 %) von allen bekannten Politikern hat (nur 33 % lehnen sie ab).
Die Frage, welche politisch-gesellschaftlichen Entwicklungen sich durchsetzen werden, hängt von zwei wesentlichen Faktoren ab.
Der wichtigste ist die aus der Klasse der Lohnabhängigen autonom sich entwickelnde Selbsttätigkeit und die Möglichkeit, dabei auch Teilsiege zu erringen. Ein positives Beispiel ist die an Breite gewinnende Bewegung für einen Mindestlohn von 15 $.
Zum anderen ist es für den subjektiven Faktor von großer Bedeutung, wie die organisierte Linke politisch interveniert und welche Alternativen sie propagiert. Dies fängt an bei den Erklärungen für die krisenhafte Entwicklung und geht über die Darlegung der Visionen bis zu den konkreten Handlungsvorschlägen.
Es ist ein Unterschied, ob diese Kräfte nur die „Auswüchse“ kritisieren oder ob sie den Systemcharakter als Ursache benennen und in der Lage sind, Mobilisierungsperspektiven zu benennen, die an den aktuellen Bedürfnissen anknüpfen, aber nicht bei Reparaturvorschlägen hängen bleiben.
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Wenn diese Kräfte aber nicht bereit und willens sind, sich gegen die kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu stellen und dafür offen aufzutreten, dann können sie niemals als wirkliche SystemgegnerInnen wahrgenommen und ernst genommen werden. Sie werden dann ihr Schattendasein nicht überwinden können. Das gilt für die USA wie für Deutschland und fast alle europäischen Länder. Gelingen kann dies nur, wenn der „nationalen Alternatividentität“ (Inga Solty [29]) der Rechten eine konsequente Systemopposition und Klassenalternative gegenübergestellt wird.
Die Reorganisierungsbemühungen der Linken in den USA sind unübersehbar. So gibt es eine breiter werdende Bewegung der Solidarität mit den Sioux, die gegen die Dakota Access Pipeline kämpfen; die Bewegung Black Lives Matter stabilisiert sich und wird sich (hoffentlich) weiter ausdehnen; für den 3.–5. März 2017 wird in Chicago eine Left Elect Conference organisiert … Ob daraus eine landesweite, die gesamten USA erfassende Bewegung des Widerstands entsteht, ist allerdings noch nicht absehbar.
Folgende Schlussfolgerungen sollten wir aus der Trump-Wahl und vergleichbaren Entwicklungen in Europa ziehen:
Die Wählerwanderung hin zum Rechtspopulismus oder noch weiter nach rechts muss als Ergebnis einer gesellschaftlichen Krise verstanden und bewertet werden. Keinesfalls dürfen wir bei der Analyse von Wahlstrategien stehen bleiben.
Die „enthemmte Mitte“ hat ihre größte soziale Basis in den unteren Mittelschichten, ist aber längst nicht darauf begrenzt. Bei fortgesetzter, sich verschärfender gesellschaftlicher Krise kann sich die Basis des Rechtspopulismus in allen gesellschaftlichen Schichten ausdehnen und sogar mehrheitsfähig werden, mit allen Konsequenzen, die das für das Vordringen des Rechtsextremismus haben wird.
Ursachen für diese Entwicklung sind die Abstiegsängste (bzw. die Zukunftsängste), die sich aus den Erfahrungen eines wachsenden Konkurrenzdrucks, der rauer werdenden Arbeitswelt und der schwindenden sozialen Absicherung ergeben (steigende Arbeitshetze, Abbau der Sicherungssysteme, Mietsteigerungen usw.)
Der Rechtspopulismus als Antwort auf diese komplexe Lage kann auf einen stabilen Fundus an rassistischen Einstellungen in einem bedeutenden Teil der Bevölkerung aufbauen. Rechtsextreme forcieren dies heute mit einer Agitation für „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ (Heitmeyer).
Nur die soziale Frage zu thematisieren, reicht nicht. Der Rassismus muss offen angegangen und bekämpft werden.
Menschenfeinde und RassistInnen sind für Argumente nicht zugänglich. Die Anziehungskraft des Rechtspopulismus kann nur in dem Maße zurückgedrängt werden, wie es gelingt, eine klassenbewusste politische Bewegung von unten aufzubauen, die mit einer kämpferischen Politik wenigstens Teilerfolge erzielt.
Längerfristig und nachhaltig verändern lassen sich die Kräfteverhältnisse nur dann, wenn linke Politik auf eine Systemalternative ausgerichtet ist. Strategien, die darauf abzielen, Systemreformen als Heilmittel gegen Rechtsentwicklungen zu propagieren, sind zum Scheitern verurteilt. Das stimmt auf der objektiven Ebene, das stimmt aber auch auf der subjektiven Ebene, nämlich bezogen auf die Überzeugungskraft dieser Vorschläge.
Der wichtigste Faktor für eine Veränderung der Kräfteverhältnisse ist und bleibt die Selbstaktivität der in den Betrieben beschäftigten Lohnabhängigen, derjenigen also, die die potenzielle Macht haben, Substanzielles durchzusetzen und gegebenenfalls den Herrschenden das Fürchten zu lehren. Aus der Tiefe der Klasse können ganz neue Bewegungen und Organisierungsbestrebungen entstehen.
Darauf sollten wir uns auch in Europa orientieren und uns selbst politisch und organisatorisch so vorbereiten, dass wir bei dem Aufbrechen solcher Entwicklungen darin eine positive Rolle spielen können, und sei sie noch so bescheiden. Eine andere Wahl haben wir nicht.
Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 1/2017 (Januar/Februar 2017). | Startseite | Impressum | Datenschutz