Es genügt, das Grundsatzprogramm der AfD anzuschauen, um zu sehen, welche Positionen diese Partei vertritt. Man gewinnt zuweilen den Eindruck, ein angepasstes NSDAP-Programm zu lesen.
Horst
Die AfD als eine Sammlungsbewegung „völkischer Elemente“ hat in ihrem Programm die verschiedenen Flügel ausbalanciert.
Unter den neoliberalen Forderungen finden wir: Arbeitgeberanteil bei Arbeiten im Rentenalter streichen, späteres Renteneinstiegsalter; Arbeitgeberanteil bei ALG 1 streichen; ALG 1 privatisieren; Arbeitspflicht für Langzeitarbeitslose; gesetzliche Unfallversicherung abschaffen; Gewerbe- und Erbschaftssteuer abschaffen, Banken- und Steuergeheimnis wieder einführen; Rettungsprogramme für überschuldete Kommunen und Länder verbieten; Privatisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Die AfD hat auch eine Reihe von christlich-familistischenForderungen: keine Finanzierung Alleinerziehender; Schuldprinzip bei Ehescheidungen wieder einführen; Gesetzesverschärfung zum Schwangerschaftsabbruch; traditionelle Geschlechterrollen bewahren; Gender-Forschung abschaffen; Anti-Diskriminierungsgesetz und Diversity-Programme abschaffen …
Die völkisch-autoritären Forderungen stehen im Vordergrund: „sicherheitspolitischer Befreiungsschlag”; Systemwechsel hin zu „Ausländerbehörden, Polizei und Strafverfolgung”; Strafmündigkeitsalter auf zwölf Jahre senken; Dienstpflicht für Frauen, Wehrpflicht für Männer; keine „verengte Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus”; „Grundrecht auf Asyl abschaffen“; jüdische und islamische Praktiken einschränken (Jungenbeschneidung, Schächtung); „der Islam gehört nicht zu Deutschland”; AKW-Laufzeitverlängerung; Schluss mit der Klimaschutzpolitik; Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) abschaffen.
Das sind nur einige Punkte des Grundsatzprogramms der AfD. Hinzu kommt ihre Nähe oder auch Nichtabgrenzung zu Neonazis und Faschisten.
Große Teile der AfD vertreten jedoch keine neoliberale, sondern eine wohlfahrtschauvinistische Politik. Sie wollen einen Sozialstaat, aber nur für „echte“, „richtige“ Deutsche. Damit liegen sie im Trend erfolgreicher RechtspopulistInnen in Frankreich, Österreich, den Niederlanden, Großbritannien usw. und knüpfen am historischen Faschismus an.
Die AfD (heute ca. 28 000 Mitglieder) ist kein Verbündeter von Arbeitgeber- oder Industrieverbänden. Das Kapital möchte (zumindest heute) kein Bündnis mit der AfD. Denn diese will eine radikale Begrenzung der Zuwanderung, während die Arbeitgeber- und Industrieverbände sich deutlich für mehr Zuwanderung aussprechen (ihnen passt deswegen auch PEGIDA nicht).
Die offiziellen AfD-Positionen werden in den letzten Monaten durch die innerparteilichen Erfolge der Hardcore-FaschistInnen zunehmend modifiziert. Nicht übersehen werden sollte die lange „Vorlaufzeit“ kleiner Gruppen, die sich nun in der AfD wiederfinden: Bereits 1972 war die „Aktion Neue Rechte“ als Abspaltung von der NPD gegründet worden. In der Folgezeit entfaltete die Strömung der „Neuen Rechten“ neben parteipolitischen Aktivitäten neue Ausdrucksformen neurechter Aktivitäten und bemühte sich intensiv um „ideologische Schulungen“ im Kontext der Rassenlehre.
Zum gemeinsamen Konsens der diversen rechten Gruppen gehören: Vertretung völkisch-nationalistischer Positionen, rassistische und antisemitische Positionen; autoritäre Politikvorstellungen, Ablehnung des gesellschaftlichen Gleichheitsprinzips, Diskriminierung von Minderheiten; Ethnisierung/Nationalisierung sozialer und ökonomischer Problemlagen und ein extremer Antifeminismus.
Als Tischler, der Vorsitzende der AfD-Jugend, in der rechtslastigen akademischen Hayek-Gesellschaft einen Programmentwurf vorlegte, wonach die Übernahme des US-amerikanischen Waffenrechts und die Privatisierung aller Firmen mit Staatsbeteiligung gefordert wurde, kam es zur Spaltung der Gesellschaft.
2016 verzeichnet die Polizeistatistik fast eintausend Brandanschläge auf Flüchtlingsheime. Telepolis zufolge werfen 70 Prozent der Bevölkerung „den Politikern vor, dass sie sich nicht groß darum kümmern, wie die Menschen denken – und 72 Prozent gehen sowieso davon aus, dass die ‚etablierten Parteien die wichtigsten Probleme Deutschlands nicht im Grif haben’.“ Das heißt jedoch auch: Die Zeiten des „kleineren Übels“ beim Wahlakt sind vorbei.
Die AfD steht im Zentrum der Überlegungen all dieser Menschen und ist zugleich Ausdruck einer immer enger zusammenwachsenden Front. Sie reicht von Denkfabriken wie dem Institut für Staatspolitik (IfS), der Hayek-Gesellschaft, rechten Publikationsorganen wie Junge Freiheit und dem Compact Magazin über vermeintlich unabhängige StichwortgeberInnen wie Thilo Sarrazin, Peter Sloterdijk und Eva Hermann bis zu einer rechten sozialen Bewegung auf der Straße. Dabei sind – im Gegensatz zur Linken – Systemfragen und die Funktionsweisen des Systems keineswegs tabuisiert ...
Geschickt organisiert die AfD einen ganzen Kranz von Organisationen um sich herum. Organisatorisch werden dazu die sogenannten „Freundeskreise“ (die es in fast jedem Landesverband gibt) sowie Kongresse von Zeitschriften als Trägerinnen eingesetzt.
Die Rechten waren schon Jahrzehnte vorher da, die Debatten um Geflüchtete konnten sie nutzen, weil sich das Thema bestens um ihren zentralen ideologischen Hebel gruppieren lässt: den Kampf der Kulturen. Vom Standpunkt rechter KulturkämpferInnen aus gesehen gibt es auf gesellschaftspolitischer Ebene einigen Anlass zur Sorge. Sie wollen tendenziell in einer Gesellschaft wie in den 1950er Jahren leben, als der Schwulenparagraf noch galt, Frauen in der Ehe noch straffrei vergewaltigt wurden und MigrantInnen per se als Gäste galten, die jederzeit fortzuschicken sind. Dass die Merkel-CDU stärker auf das urbane, modernisierte, biomarktaffine, perfekt Englisch sprechende Bürgertum schielt, hat das wertkonservative Milieu weiter radikalisiert.
Die führenden Gruppen des Parteiapparats der AfD speisen sich aus reaktionären Teilen der Mittelschicht (Akademiker), dem Kleinbürgertum, „mittelständischen“ UnternehmerInnen sowie auch Teilen der ArbeiterInnenklasse.
Es ist derzeit offen, ob sie einen „rechten Kulturkampf“ beabsichtigen oder sich zunehmend aus dem Machtblock etablierter Strukturen lösen. Der neoliberale Kapitalismus ist für das Kleinbürgertum mehr und mehr zum Problem geworden. Die Angst vor sozialem und ökonomischem Abstieg kehrte auch bei jenen ein, die gut situiert sind und in der Reihenhaussiedlung wohnen. Während der gerne romantisierte rheinische Kapitalismus dank des Aufstiegsversprechens integrierend wirkte, droht der Krisenkapitalismus allen mit Abstieg. Der optimistische Zukunftsblick wich einer rückwärtsgewandten Vergangenheitsfixierung. Sowohl in Baden-Württemberg als auch in Sachsen-Anhalt war die AfD mit Abstand stärkste Partei bei ArbeiterInnen und Erwerbslosen – ein Novum für die Partei.
Wie bei allen gesellschaftlichen Gruppen, sind auch bei ArbeiterInnen und Erwerbslosen strukturkonservative bis rassistische Einstellungen vorhanden. Erschwerend kommt hinzu: Der Rassismus der weißen Arbeiterklasse kann sich auf eine materielle Basis stützen. So geht etwa die Spaltung der Belegschaften nicht spurlos an den noch einigermaßen gesicherten Fraktionen vorbei.
Diejenigen ArbeiterInnen, die noch über relativ hohe Löhne verfügen und denen die Mitbestimmung im Betrieb nicht gänzlich entzogen wurde, sehen die Bedrohung Tag für Tag in ihrem Umfeld – bei den Gruppen, auf die die Risiken verlagert wurden: WerkverträglerInnen, ZulieferInnen, LeiharbeiterInnen. Sie schauen auf die KollegInnen neben sich, die die gleiche Arbeit verrichten, aber letztlich nur noch die Hälfte des Lohns bekommen. Sie hören allerorts von Rationalisierungen, Fusionen und Outsourcing.
Auch bei ArbeiterInnen gilt: Nicht mehr die Verbesserung der Situation ist die Perspektive, sondern der drohende Verlust bestehender Standards.
Aber die schrillsten Töne zur kollabierenden gesellschaftlichen Situation kommen aus verschiedenen Gruppen der New-Age- und Esoterik-Szene (ESO-Szene). So ergibt sich die Anknüpfung an die ausdifferenzierte ESO-Szene mit ihren vielfachen Bedrohungsszenarien schon fast auf natürliche Weise. Die jährlichen „Querdenker“-Kongresse dienen der AfD zur Bearbeitung dieser Gruppen, die oftmals noch nicht einmal verstehen, dass sie instrumentalisiert werden.
Wir stehen wieder einmal vor der Kardinalfrage aller emanzipativer Prozesse: Wie erleben und deuten große Teile der Bevölkerung den gesellschaftlichen Prozess, dem sie unterworfen sind? Mit welchen Erklärungen reagieren sie auf ihre eigene Situation? Wie schätzen sie sich selbst in diesem Prozess ein?
„Nicht nur in erster Linie die Lust am Schmerz, wie das im Wort ‚Masochismus‘ gewöhnlich angedeutet wird. Sondern die Lust an der Unterwerfung unter etwas, was als weit stärker erlebt wird. Die absolute Abhängigkeit. Und damit aber auch die Erfüllung in der Bewährung. Es ist der Wunsch, der eigenen Verantwortung ledig zu sein. Der Masochist, der sich unterwirft, braucht nicht mehr über sein Leben zu entscheiden. Er wird gelebt – durch die höhere Macht, die er bedingungslos akzeptiert.“ (E. Fromm)
Im Auftrag des „American Jewish Committee“ an der Universität Berkeley führte Adorno als deutscher Emigrant 1944 ff eine Untersuchung zu der Frage durch, ob in der USA Faschismus denkbar wäre. Mit Fragebögen, Interviews und psychologischen Tests wurden die Einstellungen von 2099 Probanden untersucht.
Die Ergebnisse: Die autoritäre Persönlichkeit hält starr an Konventionen fest, wozu korrektes und unauffälliges Auftreten und Aussehen gehören, Ordnung, Sauberkeit, Tüchtigkeit. Stereotype und diskriminierende Vorurteile bestimmen das Weltbild der autoritären Persönlichkeit, alles Abweichende und Schwache wird verachtet, sie fühlt sich von Feinden umzingelt, wittert überall Unrat, Verderben, vor allem sexuelle Ausschweifungen. Dazu kommt ein ausgeprägtes hierarchisches Denken, die Unterwerfung unter Autoritäten der eigenen Gruppe, starre Kategorisierung von Richtig und Falsch, Gut und Böse – alles dazwischen, alles Ambivalente, Sensibilität und Fantasie sind verdächtig. Dabei kommt es zu einer radikalen und stereotypen Fehlwahrnehmung der Realität.
Dabei muss berücksichtigt werden, dass dieser „autoritäre Charakter“ durchaus ambivalent reagiert: Die blinde Unterwerfung unter einen Führer, einen Staat, eine akzeptierte Macht erwartet im Gegenzug jedoch auch die Gewährung von Sicherheit und sozialer Absicherung.
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Ist diese nicht mehr gewährleistet, wird die Führung als „schwach“ erlebt, und vermittelt sie den Eindruck, nicht mehr den Prozess steuern zu können, so muss die Rückkehr zu überschaubaren Regeln und Normen eben mit Gewalt erzwungen werden. Teile der AfD-Basis können sich also sehr gut noch weiter radikalisieren.
Dass diese verbreitete Erwartungshaltung an den Staat in Ostdeutschland mit der DDR-Vergangenheit traditionell stark ausgeprägt ist, ist evident. Aber auch die besser verdienenden Schichten der Lohnabhängigen haben eine ähnliche Haltung entwickelt: Man folgt der Organisation, solange sie etwas „rausholt“.
Es bleibt festzuhalten: Die AfD ist keine „Eintagsfliege“ und wird auch so schnell nicht mehr verschwinden. Unser Kampf muss vielfältig ausgefächert vorgehen. Gegen alle Formen der „Ideologien“ menschlicher Ungleichheit ist der Kampf hartnäckig und dauerhaft zu führen
Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 1/2017 (Januar/Februar 2017). | Startseite | Impressum | Datenschutz