Daniel Ortega, Teilnehmer an der sandinistischen Revolution und Chef der fortschrittlichen Regierung in den Achtzigerjahren, hat eine blutige Repression gegen die Bevölkerung Nicaraguas mit mehr als zweihundert Ermordeten zu verantworten.
Fernando Cereza
Die Ereignisse der letzten zwei Monate (seit dem 18. April d. J.) in Nicaragua bezeugen eine allgemeine Rebellion der Bevölkerung und die blutige Unterdrückung seitens des regierenden Ehepaares Daniel Ortega und Rosario Murillo. Der Informationsdienst des CIDH (Interamerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte) weist 212 Mordopfer (inkl. Babys und Minderjährige) und 1337 Verletzte, Festgenommene (inkl. einiger Verschwundener) aus. Die Repression geht weiter. All das ergibt sich aus den Daten, die von der Bevölkerung, von nicaraguanischen Menschenrechtsorganisationen, der Kirche, von Amnesty International, Human Rights Watch etc. geliefert werden. Aber Verschleierung und Desinformation durch die Regierung Ortega und ihre Institutionen geben den Ton an.
Viele innerhalb und außerhalb Nicaraguas fragen sich entsetzt und traurig, wie eine Regierung, die an der sandinistischen Revolution teilgenommen hat und an der Spitze der fortschrittlichen Regierung der Achtzigerjahre stand, sich auf ein solches Ausmaß blutiger Unterdrückung versteigen konnte. Um diese Frage zu beantworten, ist es unumgänglich, zuvor einige Aspekte des soziopolitischen Lebens der letzten 50 Jahre in Nicaragua Revue passieren zu lassen.
Die sandinistische Revolution entwickelte sich seit dem Beginn der Sechzigerjahre aus einer Kombination von zivilen Protestaktionen und bewaffneten Aktionen gegen die Diktatur des Somoza-Clans. Letztere wurden von der FSLN (Sandinistische Front der nationalen Befreiung, gegründet 1963) koordiniert. In ihr kamen unterschiedliche Tendenzen zusammen, im Wesentlichen marxistische, sozialdemokratische, befreiungstheologische und links-nationalistische. Das Jahr 1978 war von einem hohen Aktivitätsgrad in einer Serie von bedeutenden gegen die Diktatur gerichteten Ereignissen gekennzeichnet: Ermordung des bekannten Journalisten Pedro Joaquín Chamorro, Aufstand in Monimbó, einem Vorort von Masaya, Einnahme der Nationalversammlung durch ein Kommando der FSLN, darauf folgender Generalstreik, Attacken auf die Kasernen der Nationalgarde (GN) ... Und die Diktatur antwortet mit der „Operación Limpieza“ (Säuberungsoperation): ein unverhohlener Angriff auf die Zivilbevölkerung und ein programmatisches Abschlachten Jugendlicher in der Absicht, die Bevölkerung zu terrorisieren. In vielen Fällen fanden Hinrichtungen ohne ordentlichen Prozess statt.
Am 4. Juli 1979 kam es zu einem erfolgreichen Generalstreik und einem Aufruf zum Generalaufstand. Am 20. Juni war die Stadt León trotz der bewaffneten Angriff der somozistischen Nationalgarde am Boden und aus der Luft zum befreiten Territorium erklärt worden. Am 18. Juli trat in León die Junta de Gobierno de Reconstrucción Nacional (JGRN) zusammen. Ihre Mitglieder Violeta Chamorro und Alfonso Robelo als Vertreter der Bourgeoisie, die Mitglieder der dritten Tendenz (Terceristas) der FSLN Daniel Ortega (Koordinator der Junta) und Sergio Ramírez sowie Moisés Hassan von der GPP [Verlängerter Volkskrieg, der maoistisch beeinflusste Flügel der FSLN; Anm. d. Red.] erklärten sich zur provisorischen Regierung. Zugleich konstituierte sich ein Staatsrat, in dem ein breiter Teil der Gesellschaft repräsentiert war. Beide Organe entschieden sich für Präsidentschaftswahlen im Jahr 1984, aus denen die FSLN mit Daniel Ortega an der Spitze als Sieger hervorging.
Diese Regierung führte eine Reihe von im Wesentlichen fortschrittlichen Maßnahmen durch: Agrarreform, Bildung (Alphabetisierung), Gesundheit und neue internationale Beziehungen sowie auch Enteignungen von Eigentümern und Unternehmen bekannter Somozisten ..., wobei es aber auch zu Menschenrechtsverstößen kam, die nur schwer zu rechtfertigen waren (Zensur der Meinungs- und Redefreiheit und Eliminierung von Gegnern in Konfliktzonen). Angesichts der von der Regierung Reagan auferlegten Wirtschaftsblockade und der Unterstützung antisandinistischer Gruppen (der „Contras”) suchte Nicaragua die Unterstützung Cubas und unterzeichnete 1982 einen Vertrag zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der UdSSR. 1988 wurde ein Verhandlungsprozess in Gang gesetzt, an dessen Ende die Anberaumung von Wahlen für das Jahr 1990 stand, ein Prozess, wie er auch in anderen zentralamerikanischen Staaten im Kriegszustand (El Salvador und Guatemala) zur gleichen Zeit zu beobachten war.
Nach den verlorenen Wahlen von (1990) legalisierte die Ortega-Regierung die Beschlagnahme von Häusern und Villen (einschließlich seiner eigenen, die zugleich Sitz der Regierung und der FSLN sind) und übereignete in einer unter dem Namen „La Piñata“ bekannten Aktion eine beträchtliche Zahl von staatlichen Unternehmen an „Ortegistas“, also seine Gefolgsleute.
Zwischen 1990 und 2006 waren Markenzeichen der FSLN-Politik: 1. das Bündnis mit dem Führer der Liberalen Partei Arnoldo Alemán zur Aufteilung von Amtsposten und zu einigen Verfassungsänderungen und 2. die Initiierung heftiger Kämpfe der Bevölkerung gegen neoliberale Maßnahmen der Regierung, darunter der Kampf für die Unterstützung der Universitäten mit 6 % des nationalen Budgets, was der FSLN ein hohes Ansehen in der Bevölkerung einbrachte.
Ortega hat die Präsidentschaftswahlen 2006 mit 38 %, 2011 mit 62 % und 2016 mit 72,5 % gewonnen, unbeschadet der Betrugsvorwürfe, die es bei jeder dieser Wahlen gegeben hat. Diese Jahre weisen eine Reihe von Kennzeichen auf, die sich wie folgt zusammenfassen lassen:
a) Institutionelle Veränderungen: Kontrolle über den Staatsapparat (Oberstes Gericht, Oberster Wahlrat, Ortega als Chef der Polizei und der Armee; Verfassungsänderung 2011, nach der die Kandidatur für mehr als zwei Amtszeiten möglich wurde, wenn der Oberste Gerichtshof zustimmt. „Das Volk ist der Präsident“, hieß es damals.
b) Aufhebung des Parteistatus der Oppositionsparteien bei den letzten Wahlen, ausgenommen die (regierungsnahen) Zancudos-Parteien.
c) Mobbing von Frauen- und Umweltorganisationen, Menschenrechtsaktivist*innen, Journalist*innen ... und Behinderung der Mobilisierungs- und Redefreiheit, oft begleitet von Attacken parapolizeilicher Gruppen.
d) der organisatorische Zerfall der FSLN: weder ordentliche Leitung, noch Kongresse, noch Debatten ..., letztlich disziplinarisch ortegistisch ausgerichtet; und Organisierung der „Komitees der Bürgermacht“ als Seitenkanal zur FSLN unter der Kontrolle von Rosario Murillo.
e) De-facto-Abschaffung der Autonomie der Universitäten, Gemeinden und autonomen Regionen an der Atlantikküste.
f) Geheimniskrämerei und tägliche Informationskontrolle über alle Nachrichten der Ministerien durch seine Frau Rosario Murillo (Vizepräsidentin)
g) Im Jahr 2006 Bündnis mit den Kirchen zur vollständigen (ausnahmslosen!) Abschaffung der Abtreibung; Verbreitung pazifistischer und religiöser Botschaften zu Liebe und Versöhnung ...
h) Übereinkommen mit dem Großkapital zur Wirtschaftspolitik („verantwortungsvoller Populismus“ heißt das in den Worten des Kapitals), solange die Politik in Ortegas Händen bleiben würde. Nicaragua ist ein Unternehmerparadies, das in Lateinamerika den dritten Platz belegt, was die Geldwäsche anbelangt (anderthalb Milliarden Dollar zwischen 2007 und 2014 – s. Rocha 2017).
i) Auswechseln der Farben in den nationalen Symbolen, der „Ode an die Freude“ der FSLN 1996, „Give Peace a Chance“ (Lennon) 2006 und Verwendung von Pink anstelle von Rot und Schwarz, dazu noch die Verwendung der Fahne der Sandinisten in den Staatsorganen.
j) Auslieferung des Landes an ausländische Interessen (speziell mit dem „transozeanischen Kanal“, Folge eines Abkommens mit einem chinesischen Konzern).
k) Konzentration der politischen Macht und Ausbau der Führerallüren Ortegas und seiner Frau, „Eliminierung möglicher Kandidat*innen für die Nachfolge, vereint in der Tendenz, sich an der Macht zu verewigen.
l) Die Korruption und die Beteiligung eines jeden seiner sieben Söhne sowie der engsten ortegistischen Anhänger*innen an unterschiedlichen unternehmerischen Projekten (vier Fernsehkanäle, Radiosender, Petroleos de Nicaragua, Canal Transoceánico, Hotels, Ländereien, Autos, Immobilien ...). „der Ursprung seines Vermögens und seines Geldes ist die absolute Kontrolle, die er über die Gelder aus dem Geschäft mit dem venezolanischen Öl und über das Geld des nicaraguanischen Volkes ausübt. Die Familie ist eine der reichsten des Landes“ (Dora María Tellez, Historikerin und ehemaligen Führungspersönlichkeit der FSLN, die 1979 die Eroberung Léons organisierte zit. nach Martínez; Tellez beteiligte sich 1995 an der Gründung der Erneuerungsbewegung „Movimiento Renovador Sandinista“).
Letztendlich sprechen wir hier, unterschiedliche Bewertungen aufgreifend, von einer „Familiendiktatur“, von einem „absolutistischen Monarchen“, von einem „Staat-Partei-Familien“-Konglomerat eines faschistophilen Hofstaats, einer tropentauglich gemachten Familienmafia, von der Familie „Ortega-Murillo und Söhne GmbH.“ ...
Die Reform des Instituts für soziale Sicherheit (INSS), die Rentenkürzungen sowie die Anhebung der Rentenbeiträge bei Arbeiter*innen und Unternehmen sind die Funken, die am 19. April die Volksrebellion ausgelöst haben. Ein ernstzunehmendes Problem in einem Land mit z. T. lächerlichen Renten, wobei noch eine Armutsquote je nach Schätzung zwischen 29,6 % (Weltbank) und 40 % (Interamerikanische Bank für Entwicklung – BID) und eine Reihe von höchst ineffektiven Programmen gegen die Armut hinzukommen.
Es sind noch weitere Faktoren zu berücksichtigen, die sich seit 2007 angesammelt haben. Hier eine Zusammenfassung:
Die Ablehnung der extraktivistischen Bergbauprojekte im Norden Nicaraguas, die Invasion von neuen Siedler*innen und die Abholzungen in den Urwaldregionen (Bosawas, Atlantikküste ... in beiden gewissermaßen mit Zustimmung der Regierung), das Megaprojekt „Interozeanischer Kanal“ (auch Nicaragua-Kanal genannt) mitsamt seinen Nebenprojekten (Abtretung durch Pacht an ein chinesisches Unternehmen für hundert Jahre) und die seit einigen Monaten in dem Biosphärenreservat „Indio Maíz“ wütende und von der Regierung mit ganz unzureichenden Mitteln bekämpfte Feuersbrunst – all das hat die Gemeinschaften der indigenen und der bäuerlichen Bevölkerung in blutigen Zusammenstößen mit den kolonialistischen Invasoren gegen den Kanal (Hunderte von Protestmärschen in den letzten zwei Jahren) oder die Bergbauunternehmen aufstehen lassen. Diese Mobilisierungen sind einerseits ein Zeichen für die Ablehnung einer großangelegten Entwicklung, die vorrangig auf den Export ausgerichtet ist und deren Wesenszug die Besetzung und der Ausverkauf der Ländereien ist, mit ernsthaften Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft. Das alles wird gefördert im Interesse des nationalen Großkapitals und transnationaler Unternehmen. Und außerdem sind sie ein Zeichen gegen den Abbau der verfassungsmäßigen demokratischen Rechte der Landbevölkerung und der Indígenas. Dabei sind die indigenen Völker besonders betroffen.
Die Regierung Ortega konnte von Chávez’ bolivarianischem Regionalismus profitieren, solange der Ölpreis hoch war. Drei Aspekte dieser Zusammenarbeit seien hier festgehalten:
Nicaragua bekam subventioniertes Öl (auf Kredit), das es gleich an andere mittelamerikanische Länder weiterverkaufte, obwohl es in Nicaragua teurer war.
das Öl diente Venezuela als Mittel zur Pflege seiner regionalen „antiimperialistischen“ Allianzen.
und das Bemerkenswerteste: Im Laufe verschiedener Jahre steuerte Chávez ca. 4,059 Mrd. Dollar bei, die statt in die Staatskasse auf die Konten zweier Unternehmen namens ALBANISA und CARUNA flossen, die in Nicaragua von der Familie Ortega-Murillo kontrolliert werden. CARUNA ist Darlehensgeber an diverse staatliche Stellen und verwandelt auf diese Weise die Darlehen in öffentliche Schulden. Mit diesen Zuwendungen hat sich die Familie Ortega-Murillo bereichert. Zugleich haben sie ihr erlaubt, durch diverse Gaben unter dem Banner der FSLN an verarmte Bevölkerungsteile eine Art von „Fürsorglichkeit“ an den Tag zu legen.
Die Ölkrise und die Krise, in der Venezuela steckt, haben dieser uneigennützigen Kooperation ein Ende bereitet. Die regierende Familie hat sich jedoch auf die Suche nach neuen Allianzen begeben: erstens mit dem chinesischen Kapital für den Kanal und damit zusammenhängende Projekte und zweitens mit Russland für diverse militärische Projekte, darunter den Kauf von fünfzig T72-Panzern. (Das könnte einen Rüstungswettlauf in Mittelamerika auslösen.) Beide Allianzen werden verbrämt als Antiimperialismus oder als Bündnisse „von Süd zu Süd“, wo doch in beiden Fällen purer politischer und wirtschaftlicher Expansionismus im Spiel sind.
Die Verbindung all dieser Faktoren brauchte nur noch die Gesetzesverordnung zur Renten- und Pensionskürzung als Funken für die Explosion und die „Enkel der Revolution“ gingen auf die Straßen. Den Anfang machten die Studierenden an den öffentlichen Universitäten, die sich über die Medien des Internets autonom zusammenfanden und die Universitäten besetzten. Unmittelbar darauf, als Antwort auf die entfesselte Repression, schlossen sich weitere Sektoren an: Landbevölkerung im Widerstand gegen den Kanal, Frauenbewegung, Kleinunternehmer und Handeltreibende, Kirchen, Schüler*innen weiterführender Schulen ... Alle gemeinsam bildeten die Bürgerallianz für Gerechtigkeit und Demokratie. Die Regierung sah sich gezwungen, die famose Gesetzesverordnung zurückzunehmen.
Die Repression ließ nicht lange auf sich warten und die Regierung Ortega-Murillo ließ ihre Polizeitruppen und die „Turbas“ genannten Trupps von bezahlten Jugendlichen und sandinistischen Jugendgruppen auf die unbewaffnete zivile Bevölkerung los. „Ortega hat in diesen zwei Monaten – wie der Exkommandant der Guerilla Hugo Torres bestätigt – dafür gesorgt, dass das Verbrechen Schule macht. Denn indem er diese Bandenkinder mit hineinzieht, sie organisiert, sie bewaffnet und ihnen den Schutzmantel der Straffreiheit umhängt, verwandelt er sie in das zukünftige organisierte Verbrechen des Landes, in die zukünftigen Cliquen von Nicaragua. Dadurch hat Ortega Nicaragua in eine große Schule des Verbrechens verwandelt, insoweit hat er die gesamte Delinquenzia [Verbrechertum] zur Verteidigung der Macht seiner Familie zusammengezogen.“ (La Prensa, 14.06.2018)
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Die Charakteristika der Repression sind laut Resümee des Berichts der Interamerikanischen Menschenrechtskommission: wahllos abgefeuerte Maschinengewehrsalven in die Menge, Inbrandsetzen von Wohnungen und Firmengebäuden, der Gebrauch von Spezialwaffen durch Heckenschützen (tödliche Schüsse, Art der verwendeten Patronen, Zielbestimmung der Schüsse ...), außergerichtliche Exekutionen, Verhaftungen, Folter, Behinderung des Zugangs zu ärztlicher Untersuchung, Stigmatisierung und direkte und indirekte Zensur ... Zweck von so weitgehender Repression und Verletzungen der Menschenrechte ist es, Terror in die Bevölkerung zu tragen und zu versuchen, sie zu demobilisieren. Das nennt sich Staatsterrorismus ganz nach dem Stil der Somozisten. Trotzdem wächst die Reaktion der Bevölkerung kontinuierlich und die Sektoren des Großkapitals haben sich, wenn auch noch zaghaft, angeschlossen. Der Generalstreik der Bürger*innen am 14. Juni lähmte das Leben des Landes und in vielen Städten und Dorfgemeinden haben die Ortsteile mit normaler Bevölkerung Barrikaden errichtet, um den Zugang der Polizei oder der Schlägertrupps (Turbas) zu verhindern. Das Dorf Monimbó hat sich erneut als heroisches Beispiel, diesmal aber gegen die Ortega-Diktatur, erwiesen.
Die Regierungsfamilie hat sich taub gestellt gegenüber den Informationen von CIDH, Amnesty International und Menschenrechtsorganisationen in Nicaragua. Sie dreht den Spieß um und beschuldigt die Opfer, für die Morde und das Chaos verantwortlich zu sein. Dessen ungeachtet hat sie sich bereit erklärt, einen „nationalen Dialog“ mit der Opposition von der Alianza Cívica zu initiieren, in dem der katholischen Kirche eine Vermittlerrolle zukommen soll. Die Bedingungen der Alianza Cívica waren: das Ende der Repression, der Rücktritt der Regierung und die Demokratisierung des Landes. Darüber hinaus forderte sie die Anwesenheit internationaler Organisationen zur Untersuchung der Lage. Nach verschiedenen Verhandlungen hat die Regierung einzig und allein die Einreise von Expert*innen des CIDH nach Nicaragua akzeptiert. Letztlich liegen folgende politische Optionen auf dem Tisch:
Die Aufrechterhaltung des Drucks der Bevölkerung durch die Alianza Cívica (Kollektive von Studierenden, Frauen, Bauern und Bäuerinnen und der Zivilgesellschaft) mittels Demonstrationen, Blockaden, zivilen Ungehorsams ... Das Problem dabei ist jedoch das Fehlen klarer Führungsstrukturen, die sicherlich parallel zur Entwicklung einer starken und breiten Bürgerbewegung entstehen werden, die dazu in der Lage ist, der Repression durch die Regierung Paroli zu bieten. Diese Bewegung kann eine breite internationale Unterstützung (OAS, EU u. a.) und vor allem die Solidarität von NGOs und sozialen Organisationen gewinnen.
Der Weg des Dialogs, initiiert von der katholischen Kirche als „Mediatorin“ und akzeptiert von der Regierung Ortega-Murillo, mit dem Ziel der Absetzung der Regierung durch die Bevölkerung und der Beendigung der Repression, hat sich bisher ohne Ergebnisse in ein Mittel der Ablenkung und des Zeitgewinns für die Ortegisten verwandelt. Ortega möchte gern unter dem Anschein der Dialogbereitschaft die Repression aufrechterhalten. Kein Tag vergeht ohne Morde und Unterdrückungsmaßnahmen.
Die Anberaumung von Wahlen ist ein Vorschlag, zu dem sich die Regierung durchringen könnte, der aber für die Alianza Cívica unannehmbar ist, weil die Ortega-Murillos damit ihre repressive Politik fortsetzen könnten und weil es sich nicht um wirklich demokratische Wahlen handeln würde.
Und schließlich gibt es Stimmen, die diese Volksrebellion der Intervention des immer bösartigen nordamerikanischen Imperialismus in die Schuhe schieben. Das ist die Antwort auf alles, was in der Welt geschieht, wenn es sich gegen die vermeintlich linken Kräfte richtet. Die Realität in Nicaragua zu kennen, ist eine fundamentale Voraussetzung, um diese Rebellion zu verstehen, und kein Mensch kann im Vollbesitz seines Verstandes die derzeitige Regierung der Familie „Ortega-Murillo und Söhne G.m.b.H.“ als linksgerichtet oder fortschrittlich anerkennen. Treffend formuliert von dem Guerillero und Sandinisten Exkommandant Henry Ruiz (Comandante „Modesto“) heißt es: „Diese Rhetorik, die auf diese Leute da als Revolutionäre Bezug nimmt, muss aufhören. Sie müssen verklagt werden für das, was sie sind: Usurpatoren, Räuber, Betrüger, irgendwelche geschickte Manipulatoren und Lügner, die sich eine revolutionäre Erzählung angedichtet haben, um sie Leuten zu verkaufen, eher einfachen Leuten, die gern zuhören, wenn ihnen Gerechtigkeit und soziale Gleichheit versprochen werden. Das ist Missbrauch politischer Macht.“ Ich möchte noch einen Anklagepunkt hinzufügen: Sie haben den Staatsterrorismus hervorgebracht und gefördert.
27. Juni 2018 Fernando Cerezal ist emeritierter Professor an der Universität von Alcalá (Madrid) und Honorarprofessor an der Universidad Nacional Autónoma de Nicaragua in León. Übersetzung: Jürgen Marggraf |
Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 5/2018 (September/Oktober 2018). | Startseite | Impressum | Datenschutz