Spanischer Staat

Anticapitalistas – Schluss mit Podemos

Die Anticapitalistas, die 2014 Podemos mitbegründet haben, verlassen die Partei wegen grundlegender politischer Differenzen über die Nationalitätenfrage und die Beteiligung von Podemos an der sozialdemokratischen Regierung.

Antoine Rabadan

Was wochenlang als Gerücht durch die Medien waberte, steht inzwischen unmittelbar bevor bzw. ist in Andalusien und zwischen Teresa Rodríguez und Pablo Iglesias offiziell bestätigt: Anticapitalistas wird sich nach einer eingehenden internen Diskussion im Mai komplett aus der Parteiführung von Podemos in Andalusien zurückziehen. Diese Vorgehensweise ist insofern erstaunlich, als der Rücktritt zuvor tatsächlich mit der zentralen „pablistischen“ [1] Leitung von Podemos ausgehandelt wurde. Es handelt sich dabei um einen reibungslosen Übergang, bei dem sich die Mitglieder von Anticapitalistas künftig ausschließlich dem Aufbau von Adelante Andalucía (Vorwärts Andalusien, AA) widmen, dem kämpferischen Wahlbündnis, das sie 2018 mit der Vereinigten Linken Andalusiens (Izquierda Unida Andalucía, IU-A) und zwei linksnationalistischen andalusischen Organisationen gegründet und zum großen Missfallen der Pablisten bereits vor Monaten als Partei registriert haben.

Dieses Bündnis war schnell zum Zankapfel zwischen der andalusischen Sektion von Podemos (Podemos A) und der zentralen pablistischen Führung geworden: Anticapitalistas verfolgte sehr frühzeitig eine „linksnationalistische“ (d. h. internationalistische, aber für eine stärkere Autonomie Andalusiens im Rahmen einer anzustrebenden Föderation eintretende) Orientierung und versuchte vergeblich, die Parteiführung dafür zu gewinnen. Beim Aufbau von AA zeigte sich, dass eine Anerkennung als weitgehend autonome Einheit innerhalb von Podemos, wie von Anticapitalistas vehement eingefordert, nicht erzielbar war. Dabei ging es nicht nur um eine politische Autonomie, insbesondere bei der Aufstellung von Wahlkandidaten, sondern auch um eine finanzielle und die alleinige Verwaltung der Mitgliederlisten.


Ein offener Konflikt


Im Widerspruch zu der Parteiführung hatte AA damit begonnen, sich nach dem Muster von Communs catalans [2] als übergreifendes und expansives Bündnis zu organisieren. Diese Spannungen zwischen den beiden Parteien schwelten während der gesamten letzten Monate und kochten hoch, als Teresa Rodríguez und ihre Genoss*innen beschlossen, bei den Wahlen ausdrücklich als AA anzutreten und nicht unter der Bezeichnung Podemos oder Unidas Podemos.

Ein weiterer grundlegender Streitpunkt war, dass sich IU-A von der regionalen Führung von Podemos A distanziert hat, die von Anticapitalistas gestellt wird, insbesondere was die zweite grundlegende Differenz zwischen den „Pablistas" und den „Teresistas" angeht, nämlich die Beteiligung von Podemos an der sozialdemokratischen Regierung. Diese Frage ist letztlich zur Scheidelinie innerhalb von Podemos geworden, aber die IU-A übernahm ihrerseits die Position der zentralspanischen Organisation von IU, nämlich diese Regierungsbeteiligung zu unterstützen: Ihr Führer, Alberto Garzón, ist sogar Minister in dieser Regierung! Dieser Konflikt belastete zusätzlich das Organisationsleben von AA, da sich ein Zusammengehen von Anticapitalistas mit den beiden linksnationalistischen Organisationen abzeichnete, von denen mindestens eine von Anfang an offen für die katalanische Unabhängigkeitsbewegung eingetreten war und die sich deswegen bereits mit der Forderung an Podemos A gewandt hatte, mit der Parteizentrale in Madrid zu brechen und auf eine „linksnationalistische" Einheit hinzuarbeiten.

Die seit Wochen von Madrid ausgehenden anhaltenden Vorstöße der Pablisten, den dort dominanten Anticapitalistas eine konkurrierende Führung innerhalb von Podemos A aufzubauen, hat diesen Klärungsprozess beschleunigt: Statt sich auf eine zermürbende Konfrontation einzulassen, die in ihren Augen verheerend für alle wäre, wollen die Strömung um Teresa Rodríguez, aber auch der Bürgermeister von Cádiz, Kichi, der das Wahldebakel von Podemos im letzten Jahr unbeschadet überstanden hat, lieber Schadensbegrenzung betreiben und den politischen und organisatorischen Hickhack, der solchen Spaltungen üblicherweise voraus- und oft zu Lasten beider Protagonisten geht, vermeiden. Auch die AA, über die der organisatorische Wiederaufbau erfolgen soll, wäre davon betroffen.


Der Bruch ist endgültig


Auf beiden Seiten von Podemos besteht der erklärte Wille, kameradschaftliche Beziehungen aufrecht zu erhalten. Dies kommt auch in einer gemeinsamen Videoerklärung von Teresa Rodríguez und Pablo Iglesias zum Ausdruck, wo beide die dem Bruch zugrunde liegenden fundamentalen Differenzen betonen, aber auch darauf bedacht sind, die üblichen Flurschäden zu vermeiden.

Eine Diskussion ist jedoch im Gange: Soll innerhalb von AA eine neue Partei gegründet oder die Umwandlung von AA in eine Partei betrieben werden, um bei den kommenden Wahlen offen gegen die Iglesias-konforme und „institutionalisierte" Podemos anzutreten, die nach Ansicht der Anticapitalistas über keine konsistente Basis in Andalusien verfügt?

Der Bruch in Andalusien erhält seine volle Bedeutung, wenn wir uns den grundlegenden Konflikt betrachten, in den Anticapitalistas zwangsläufig geraten ist, als die zentralspanische Führung von Podemos entschieden hat, mit der PSOE zu koalieren, obwohl die noch immer eine Stütze des Regimes ist.

Daneben stellt die PSOE in Andalusien den bei Weitem größten Regionalverband der Partei und bleibt – trotz der Wahlniederlage, die sie erstmals die Regierung in Andalusien kostete – weiterhin das Herzstück des innerparteilichen Machtgefüges. Insofern hätte ein Verbleib von Anticapitalistas in der Leitung von Podemos A zwangsweise zu einem innerorganisatorischen Bruch geführt, weil sich unsere Genoss*innen geweigert haben, in Andalusien denselben Weg zu beschreiten wie Iglesias in Madrid, nämlich mit der PSOE zu koalieren. Dies hätte letztlich zu einem offenen Krieg innerhalb von Podemos geführt.

      
Mehr dazu
Kommuniqué von Anticapitalistas, die internationale Nr. 3/2020 (Mai/Juni 2020) (nur online)
Mats Lucia Bayer: Schluss mit der „Empörung“?, die internationale Nr. 2/2020 (März/April 2020)
Interview mit Manuel Garí: Podemos in einer tödlichen Umarmung, die internationale Nr. 6/2017 (November/Dezember 2017)
Wege aus der Sackgasse, Inprekorr Nr. 6/2016 (November/Dezember 2016)
Antoine Rabadan: Der Nachhall der Empörung, Inprekorr Nr. 1/2016 (Januar/Februar 2016)
Antoine Rabadan: Über die Kunst, den Himmel über Wahlen erstürmen zu wollen, Inprekorr Nr. 1/2016 (Januar/Februar 2016)
César Castañón Ares: Podemos – Bilanz eines halben Jahres, Inprekorr Nr. 6/2014 (November/Dezember 2014)
Raúl Camargo und Daniel Albarracín: Podemos – Ein Kind der Bewegung „15-M“, Inprekorr Nr. 4/2014 (Juli/August 2014)
 

Da Anticapitalistas in Andalusien über ein großes politisches Gewicht innerhalb von Podemos und mehr noch in der Gesellschaft verfügt, verursacht dieser Bruch Aufsehen und es bleibt abzuwarten, was daraus im Rest des Landes folgt, wo Anticapitalistas oft eine starke Minderheit stellt, wie etwa in Madrid. Hier wird man damit umgehen müssen, dass keine Alternative wie die AA zur Verfügung steht, innerhalb derer man sich rasch reorganisieren und neu durchstarten kann. Auch da wird über den Austritt mit der Parteispitze um Iglesias verhandelt werden müssen, aber der organisatorische Neustart wird nicht so einfach ausfallen wie in Andalusien.

Zugleich mit dem Austritt von Anticapitalistas vollzieht sich eine Zeitenwende bei Podemos, die als Organisation auf höchster Ebene den Weg in die Institutionen beschreitet und ihre emblematische Identität als Träger der Rebellion aufgibt, die sie von der Bewegung der Empörten von 2011 geerbt hat. Vergeblich hat Anticapitalistas gegen alle Widerstände versucht, daran festzuhalten, ohne jedoch das Abdriften aufhalten zu können. Die Entscheidung für den Austritt basiert auf der Analyse, dass die strukturelle Krise des Kapitalismus nicht auf parlamentarischem Weg gelöst werden kann. Noch wichtiger für uns ist jedoch, nicht unsere antikapitalistische Identität zu verlieren und an der entscheidenden Rolle der außerparlamentarischen Kämpfe zum Sturz dieses Systems festzuhalten. Denn nur so können wir uns erfolgreich gegen die Herrschenden stellen, die sich ansonsten behaupten können, indem sie einstmals bedrohliche Protestbewegungen kanalisieren und kooptieren.

13. Februar 2020
Übersetzung: MiWe



Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 3/2020 (Mai/Juni 2020). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] Als „Pablisten“ werden die Anhänger von Pablo Iglesias, dem Generalsekretär von Podemos in Spanien bezeichnet. „Teresisten“ sind die Anhänger von Teresa Rodriguez, der Generalsekretärin des andalusischen Landesverbandes, die den Anticapitalistas angehört, der spanischen Sektion der IV. Internationale.

[2] Communs catalans ist aus der Bewegung der Empörten hervorgegangen und vereint „Ökokommunisten“ und Einzelpersonen links der PSOE, die zuvor nicht in Podem organisiert waren. In Andalusien hingegen erfüllt Podemos A diese Funktion, sehr zum Missfallen des Zentrums um Iglesias.