Büro der Vierten Internationale
Die Wahlen in den USA haben Trumps Projekt einen schweren Schlag versetzt. Biden konnte 80 Millionen Wählerstimmen und 306 Wahlmänner- und frauen des Wahlleutekollegiums auf sich vereinen, was einen Vorsprung von 70 Wahlleuten vor Trump bedeutet. Trotz der durch die Pandemie verursachten Schwierigkeiten scheint die Wahlbeteiligung die höchste seit 1908 gewesen zu sein. Dieser große Vorsprung erschwerte es Trump erheblich, das Ergebnis anzufechten, und machte den Weg für Bidens Nachfolge frei. Wir begrüßen Trumps Niederlage, denn sie bedeutet eine Schwächung der reaktionärsten und autoritärsten Kräfte dieses Planeten.
Drei Wochen lang blieb Trump stur bei seiner Taktik, die Niederlage nicht einzugestehen und falsche Anschuldigungen über angeblich massiven Wahlbetrug zu verbreiten. Doch aufgrund völligen Fehlens in puncto Planung und Organisation stand er mit seinem Versuch, das Wahlverfahren zu untergraben, von vornherein auf verlorenem Posten. Sogar innerhalb der Republikanischen Partei büßte er an Unterstützung ein und war damit gezwungen, Bidens Sieg mehr oder weniger anzuerkennen. Seine von ihm immer noch weiter verbreiteten Verschwörungstheorien und seine Untergrabung des Wahlverfahrens finden jedoch bei seinen Wähler*innen eine starke Zustimmung und werden mit Sicherheit dazu beitragen, die jetzt schon recht wackelige Demokratie in den USA noch weiter zu schwächen.
Dies alles ist Teil eines wachsenden Trends, bei dem sich neue Formen autoritärer, wissenschaftsfeindlicher und verschwörungstheoretischer Ideologien schnell über viele Länder hinweg verbreiten. Diese Ideen spiegeln die Trostlosigkeit der Situation und das Misstrauen gegenüber etablierten Institutionen wider und werden von Kräften der extremen Rechten befeuert und manipuliert. Aufgrund des Fehlens von Massenmobilisierungen und Siegen, die von progressiven Kräften vorangetrieben worden wären, besteht die Gefahr, dass sich diese Art von Ideen immer weiter ausbreitet. Unsere Aufgabe besteht deshalb darin, mit all unserer Kraft diese Strömungen zu isolieren, sie zu bekämpfen und anzuprangern, da sie den Weg zu einem Autoritarismus der extremsten Art bereiten.
In diesem Zusammenhang ist Trumps Niederlage wahrlich ein Lichtstrahl, ein Ereignis, das den Schwung des sich weltweit ausbreitenden Autoritarismus ausbremst und durch das den mächtigsten dieser neuen autoritären Anführer in Polen, Ungarn, der Türkei, Indien, den Philippinen und Brasilien jetzt kräftiger Gegenwind ins Gesicht bläst.
Donald Trump |
Mit Bidens neuer Mannschaft bleibt es beim „business as usual“ der amerikanischen Demokratie, bei der die Regierung, ganz gleich ob demokratisch oder republikanisch, den Interessen der großen Konzerne und des amerikanischen Imperialismus dient. Seine ersten Ernennungen zeigen, dass Biden nicht vorhat, diesen Kurs zu ändern, sondern dass er sich weiterhin von den innerhalb der demokratischen Partei aufkeimenden linken Elementen distanziert und sie zu isolieren sucht. Andererseits gehen die sozialen Kämpfe in den USA weiter: Krankenpfleger*innen, Lehrer*innen und auch systemrelevante Arbeitskräfte in Sektoren wie z. B. Transport oder Nahrungsmittelversorgung streiken und versuchen, mit Protesten und Aktionen ihre Gesundheit zu schützen, während die Pandemie inzwischen unkontrolliert über das Land schwappt. Schwarze und Latinos demonstrieren weiter gegen die rassistische Polizeigewalt in ihren Gemeinden, inzwischen fast immer auch mit Unterstützung von Weißen und Asiat*innen. Die gewaltigen antirassistischen Proteste brachten zirka 20 Millionen Menschen auf die Beine, hatten großen Einfluss auf die öffentliche Meinung und ließen eine internationale Bewegung entstehen.
In anderen Teilen der Erde lassen uns soziale Massenbewegungen und auch einige Siege hoffen, dass verteidigungsbereite und aufstrebende Volksbewegungen trotz Rückschlägen und Unterdrückung weiterhin ihr Haupt erheben. In Bolivien haben wir den Sieg der MAS [Movimiento al Socialismo] gesehen, der es mithilfe einer massiven Unterstützung durch das Volk und einer großartigen Mobilisierung der Bevölkerung gelang, einen von den USA initiierten Putsch abzuwehren. In Chile gelang es der Volksbewegung, Pinochets Verfassung zu kippen und damit dank der Massenmobilisierung den Weg für größere Veränderungen in der Gesellschaft freizumachen. In Polen stellt eine beispiellose, von Frauen angeführte Volksbewegung eine riesige Herausforderung für die reaktionäre Hegemonie im Land dar. In Brasilien konnte die Linke bei den Kommunalwahlen einen historischen Durchbruch feiern. In Thailand, Belarus und Hongkong werden wir Zeugen von Massenmobilisierungen, die zeigen, dass das Volk willens ist, sich trotz aller Schwierigkeiten, Hindernisse und Unterdrückung durch den Staat für eine bessere Zukunft zu organisieren und zu kämpfen.
Dennoch ist und bleibt die allgemeine Situation für die Volksklassen und Emanzipationskämpfe äußerst schwierig. Die ganze Welt wird von der zweiten Pandemiewelle hart getroffen, die Zahl der Todesfälle steigt ebenso wie die Zahl der Menschen, die auf Intensivstationen behandelt werden müssen. Die Maßnahmen, die zur Eindämmung des Virus angeordnet wurden, werden von den Bevölkerungen immer weniger akzeptiert, da sie als Konsequenz aus dem Versagen der Regierung, während der ersten Welle der Pandemie das Gesundheitssystem zu erweitern und zu stärken, wahrgenommen werden.
Die kompletten und partiellen Lockdowns wirken sich auch sehr stark auf die Wirtschaft aus, wo sich die schlimmsten Prognosen in die wahrscheinlichsten Szenarien verwandeln. Wie es aussieht, werden die Kosten dieser Krise auf die Schultern der Volksklassen abgewälzt, was eine weitere Verschlechterung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Situation nach sich ziehen wird. Wie zuvor gesagt, werden diejenigen am härtesten getroffen sein, die bereits Opfer sozialer und wirtschaftlicher Ungerechtigkeit sind, also Migrant*innen, schwarze und ethnische Gemeinschaften, Frauen und LGBT.
Darüber hinaus werden Lockdown-Maßnahmen und Ausgangssperren von Regierungen benutzt, um demokratische Freiheiten zu limitieren und zu beschneiden, was die Möglichkeiten, sich zu organisieren und zu mobilisieren, erheblich erschwert. Aber auch da, wo keine Massenbewegungen wie in Chile oder Thailand stattfinden, gibt es in Arbeitsstätten, Vierteln und Gemeinschaften örtlich begrenzte Kämpfe, die die Ablehnung jener repressiven Lockdown-Maßnahmen deutlich machen, mit denen das Versagen der Regierung, für die vorhersehbare zweite Welle zu planen, kaschiert werden soll. Es wird immer klarer ersichtlich, dass die Strategien der Regierung vor allem der Großindustrie zugutekommen, auch wenn dafür bestimmte Sektoren (vor allem Hotellerie und Reiseunternehmen für den Massentourismus) bis zu einem bestimmten Grad geopfert werden müssen. Wo immer die öffentlichen Ausgaben verstärkt werden, wird das durch eine Explosion der öffentlichen Schulden gegenfinanziert, wodurch sich das aktuelle Problem weiter verschlimmert und letztendlich der Arbeiterklasse sämtliche Kosten aufgebürdet werden.
Feminist*innen haben sich weiterhin vor allem, wenn auch nicht ausschließlich, auf die Frage der Gewalt gegen Frauen fokussiert. Die Zunahme von häuslicher Gewalt während des Lockdowns war unübersehbar und brachte einige Regierungen dazu, Projekte einzuführen, die es Frauen ermöglichen sollten, Vorfälle zu melden und Haushalte zu verlassen, die sie mit gewalttätigen Partnern teilten. Diese Projekte erwiesen sich, genau wie andere aufgrund der Pandemie eingeführte Maßnahmen, als unzureichend und leider allzu kurzlebig.
Einer der Sektoren, in denen die Widersprüche besonders augenfällig sind, ist der Bildungssektor. Hier besteht das Infektionsrisiko darin, dass verschiedene Generationen unter Bedingungen zusammengebracht werden, in denen Abstandhaltung und physische Barrieren nur sehr schwer zu implementieren sind. Junge Menschen haben jedoch ein Recht auf gute Bildung. Nun kann aber einerseits Online-Unterricht oft nur unzureichend stattfinden, weil Geräte, zuverlässiger Internet-Zugang und entsprechende Arbeitsbedingungen nicht garantiert werden können, andererseits haben jedoch die Lehrkräfte das Recht, in sicherer Umgebung zu arbeiten und mit geeigneten technischen Ressourcen für Online-Unterricht ausgestattet zu werden. Regierungen nutzen den Anspruch der Menschen auf das Recht auf Bildung und eine Zukunft für die junge Generation, um Bildungseinrichtungen offen zu halten trotz der sehr realen Gefahr, dass dadurch die Ausbreitung von Covid-19 möglicherweise unterstützt wird.
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Die gegen den Klimawandel kämpfende Bewegung hat sich über virtuelle Meetings weiterhin organisiert und ist in ihrer Radikalität und Vielfalt so lebendig und aktiv wie eh und je. Sie ist in einer guten Position, Biden auf sein Versprechen festzunageln, dass die USA unter seiner Präsidentschaft der Weltklimakonferenz (COP) wieder beitreten werden. Das Thema des Kampfes für Klimagerechtigkeit, für ein Ende der Kohlenstoffemissionen und für eine tiefgreifende Veränderung unseres Energie- und Produktionssystems muss wieder einen Platz ganz oben auf der Liste einnehmen, damit für eine echte Alternative für das kapitalistische und extraktivistische System gekämpft werden kann.
Das Thema Demokratie ist in vielen der aktuellen Kämpfe das herausragende Prinzip. Die Menschen fordern das Recht, sich gegen den wachsenden Autoritarismus und die Abkopplung der politischen und neoliberalen Klassen vom Elend der Volksklassen zu entscheiden. Wir fördern diese Kämpfe für Selbstorganisation und Selbstbestimmung.
Wir unterstützen und kämpfen sowohl auf lokaler als auch auf breiterer Ebene leidenschaftlich für einen Sieg der Kämpfe und Bewegungen und versuchen dabei gleichzeitig, ihre objektive Konvergenz deutlich zu machen. Wir stellen das Versagen aller kapitalistischer Regierungen, auf die Pandemie angemessen zu reagieren, an den Pranger, ihren zunehmenden Rückgriff auf Verschwörungstheorien, reaktionäre Ideologie und Autoritarismus. Es ist daher eine überaus dringende Notwendigkeit, für antikapitalistische Strukturmaßnahmen (Enteignung von Banken, Pharma- und Energiekonzernen u. a.) zu kämpfen, für eine Sonderbesteuerung der reichen und großen Konzerne sowie für eine globale Alternative, die auf sozialer, wirtschaftlicher, Gender- und Umweltgerechtigkeit basiert.
30. November 2020 |
Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 1/2021 (Januar/Februar 2021). | Startseite | Impressum | Datenschutz