Naher Osten

Von der Nicht-Anerkennung zum „Normalisierungs­abkommen“

Gegen Ende von Donald Trumps Präsidentschaft wurden mehrere „Normalisierungsabkommen“ zwischen Israel und einigen arabischen Staaten unterzeichnet: Im September 2020 unterzeichneten die VAE und Bahrain die sog. Abraham-Abkommen, denen sich im Dezember 2020 Marokko und im Januar 2021 der Sudan anschlossen. Zuvor hatten mit Ägypten und Jordanien lediglich zwei arabische Staaten offiziell normale Beziehungen mit dem israelischen Staat unterhalten. Um die Bedeutung dieses Schritts zu ermessen, muss man sie im geschichtlichen Kontext der israelisch-arabischen Beziehungen betrachten, aber auch im Blickwinkel der aktuellen Ereignisse und der Machtkämpfe in der dortigen Region.

Julien Salingue

Als die UNO am 29. November 1947 den Plan für die Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat verabschiedete, wurde er von den Palästinenser*innen und den anderen arabischen Nationen weitgehend abgelehnt. Im Mai 1948 proklamierte Israel seine Unabhängigkeit, nachdem es bereits 400 000 Palästinenser von ihrem Land vertrieben hatte. Dies war der Beginn des ersten arabisch-israelischen Krieges, an dem der Irak, Syrien, Ägypten, Jordanien, Libanon, Saudi-Arabien und der Jemen in unterschiedlichem Maße beteiligt waren. Zum Zeitpunkt der Waffenstillstände (Anfang 1949) hatte Israel 78 % von Palästina erobert und 800 000 Palästinenser waren geflohen und die Waffenstillstandsvereinbarungen waren militärische Vereinbarungen, die in keiner Weise die Anerkennung Israels durch die arabischen Kriegsteilnehmer beinhalteten.


Die Nicht-Anerkennung als offizielle Doktrin


Nach dem Sechstagekrieg im Juni 1967, an dessen Ende Israel ganz Palästina, die syrischen Golanhöhen und die ägyptische Sinai-Halbinsel besetzte, versammelte sich die Arabische Liga zu einem Gipfeltreffen im Sudan und verabschiedete am 1. September 1967 die Resolution von Khartum, in der die drei Neins – „Nein zu einem Frieden mit Israel, Nein zu einer Anerkennung des jüdischen Staates und Nein zu Verhandlungen sowie das Recht des palästinensischen Volkes auf ihr Land“ – bekräftigt wurden. Jahrzehntelang blieb dies die offizielle Position der arabischen Staaten, auch wenn sie 1978/79 durch das Camp David Abkommen von Ägypten unter Sadat und 1994 von Jordanien unter König Hussein durch das Abkommen von Wadi Araba verletzt wurde.

Abraham-Abkommen

 

Auch die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) erkennt im Rahmen des 1993–1994 eingeleiteten Oslo-Prozesses den Staat Israel an, unterzeichnete aber im Gegensatz zu Jordanien und Ägypten zu diesem Zeitpunkt keinen „endgültigen“ Friedensvertrag.

Auf dem Gipfeltreffen der Arabischen Liga im März 2002 in Beirut, inmitten der gewaltsamen israelischen Offensive in den palästinensischen Gebieten, wurde die Arabische Friedensinitiative verabschiedet, die die Anerkennung Israels unter der Bedingung vorsah, dass es sich aus den 1967 besetzten Gebieten zurückzieht, einen unabhängigen palästinensischen Staat mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt anerkennt, der sich über die besetzten Gebiete des Gazastreifens und des Westjordanlandes erstreckt, und zustimmt, dass die Frage der palästinensischen Flüchtlinge einer „gerechten Lösung“ gemäß der UN-Resolution 194 (1948) zugeführt werden sollte. Diese Vorschläge, die vom Staat Israel abgelehnt wurden, wurden aufs Neue auf dem Gipfel der Arabischen Liga in Riad im März 2007 bekräftigt.


Der Iran ins Visier …


Formal verharrte die überwiegende Mehrheit der Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga bis Ende 2020 auf der Position der Nicht-Anerkennung des Staates Israel, solange dieser sich weigert, die nationalen Rechte der Palästinenser zu erfüllen. Gleichzeitig war es jedoch ein offenes Geheimnis, dass eine Reihe dieser Staaten mehr oder weniger inoffizielle Beziehungen zu Israel unterhielt, darunter Marokko, die Golfmonarchien und der Sudan. Darüber hinaus war die Position der Nicht-Anerkennung weniger ein Ausdruck echter Solidarität mit den Palästinenser*innen als vielmehr eine Instrumentalisierung der palästinensischen Frage und ihrer Symbolkraft, bei der es um die innerarabischen Rivalitäten, das Feilschen mit den imperialistischen Ländern und eine opportunistische Haltung gegenüber den arabischen Bevölkerungen ging, die für die Situation der Palästinenser*innen besonders empfänglich sind.

Insofern ist die Unterzeichnung der jüngsten Abkommen über die Normalisierung der Beziehungen zu Israel weniger ein Bruch als vielmehr die Formalisierung eines zuvor offenen Geheimnisses. Die jüngsten Abkommen, die auf Betreiben der Trump-Administration (und unter dem beifälligen Nicken der Demokraten) unterzeichnet wurden, sind realiter Teil einer Strategie, gegen den Iran eine Front zu errichten, um Saudi-Arabien herum, das beim Vorgehen der Ölmonarchien (Bahrain und VAE) natürlich die Hand im Spiel hat, auch wenn es selbst offiziell kein Abkommen unterzeichnet hat. Die Annäherung zwischen Saudi-Arabien unter Mohammed Bin Salman und dem Staat Israel beruht letztlich darauf, dass beide gemeinsam den iranischen Einfluss eindämmen wollen. Beide Staatsoberhäupter eint daneben „die Lust am starken Staat, das Misstrauen gegenüber den demokratischen Bestrebungen der arabischen Bevölkerung in der Region [und] die Ablehnung der palästinensischen Ansprüche“. [1]


… und Palästina ins Abseits


      
Mehr dazu
Erklärung des Büros der Vierten Internationale: Solidarität mit den Palästinenser*innen gegen die neokoloniale Aggression, die internationale Nr. 3/2021 (Mai/Juni 2021) (nur online). Auch bei intersoz.org
Haggai Matar: Einen solchen „Frieden“ brauchen wir nicht!, die internationale Nr. 3/2021 (Mai/Juni 2021)
Yumna Patel: Wir pfeifen auf diese „Normalisierung“, die internationale Nr. 3/2021 (Mai/Juni 2021)
Haidar Eid: Die Normalisierung der Anomalität, die internationale Nr. 3/2021 (Mai/Juni 2021)
Internationales Komitee der IV. Internationale: Erklärung der IV. Internationale zu Palästina, Inprekorr Nr. 3/2015 (Mai/Juni 2015)
Julien Salingue: Oslo – 20 Jahre danach, Inprekorr Nr. 6/2013 (November/Dezember 2013)
 

Die Normalisierungsabkommen dokumentieren darüber hinaus die schwindende Bedeutung der palästinensischen Frage in der Regionalpolitik und tragen zur zunehmenden Isolierung der Palästinenser bei: Der König von Marokko erhielt im Gegenzug für die Normalisierung der Beziehungen zu Israel Trumps Anerkennung der Souveränität Marokkos über die Westsahara, während der Sudan dafür von der US-Liste der Staaten, die den Terrorismus unterstützen, gestrichen wurde und eine Finanzhilfe der USA in Höhe von einer Milliarde Dollar pro Jahr erhält, um damit seine Schulden bei der Weltbank begleichen zu können.

Seit der Unterzeichnung der einzelnen Abkommen wurden viele Dinge umgesetzt: Visafreiheit, Abkommen über Telekommunikation und Kooperation in Sicherheitsfragen oder Ausbau von Handel und Tourismus. Alles deutet darauf hin, dass in naher Zukunft noch engere wirtschaftliche und diplomatische Beziehungen geknüpft werden. Gleichzeitig setzt Israel seine Kolonialpolitik gegenüber den Palästinenser*innen fort und konterkariert damit die Ankündigungen der Führer der Golfmonarchien, dass die Abraham-Abkommen das Ende der Annexionspläne bedeuten. Was also momentan passiert, ist eine Art von Normalisierung, wie sie von palästinensischen Organisationen, die an der BDS-Kampagne beteiligt sind, definiert (und abgelehnt) wird, wonach jede Annäherung an israelische Unternehmen oder Institutionen kritisiert wird, „die nicht das Ziel haben, sich aktiv gegen die israelische Besatzung zu wenden und alle Formen von Diskriminierung und Unterdrückung des palästinensischen Volkes anzuprangern.“


Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 3/2021 (Mai/Juni 2021). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] René Backmann, „Israël-Émirats: la normalisation sur le dos des Palestiniens“, Mediapart, 14. August 2020.