Naher Osten

Einen solchen „Frieden“ brauchen wir nicht!

Die Abraham-Abkommen dienen der Verstetigung der Apartheid-Politik. Bloß die zionistische Linke will dies immer noch nicht begreifen.

Haggai Matar

Am 15. Oktober fand in der Knesset ein einzigartiges Ereignis statt. Die viel umworbene Vereinbarung zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten wurde dem Parlament zur Abstimmung vorgelegt, wenige Wochen nachdem Premierminister Benjamin Netanjahu sie auf dem Rasen des Weißen Hauses unterzeichnet hatte. Eine überwältigende Mehrheit von 80 Mitgliedern der Knesset ratifizierte das Abkommen – von der liberalen zionistischen Meretz-Partei über Naftali Bennetts nationalistische und religiöse Jamina bis hin zu Netanjahus Likud. Nur 13 der 120 Mitglieder der Knesset stimmten dagegen: Alle waren Mitglieder der Gemeinsamen Liste, dem Bündnis von vier Parteien, die die palästinensischen Bürger*innen Israels vertreten.


Palästina im Schraubstock


Für die israelische Rechte geht es bei diesen Abkommen hauptsächlich um die Konsolidierung ihrer Macht und die weitere Schwächung des palästinensischen Kampfes gegen Besatzung und Apartheid. Obendrein verschafften sie den Regierungen Netanjahu und Trump den nötigen Rückenwind, sind sie doch bei der eigenen Bevölkerung inzwischen wegen ihres Versagens bei der Bekämpfung der Korona-Pandemie und deren wirtschaftlichen Auswirkungen höchst unbeliebt und obendrein wegen Korruption unter öffentlichen und juristischen Druck geraten.

Wahlkampf der Meretz

(Foto: Shalom)

 

Netanyahu selbst macht keinen Hehl daraus, inwiefern sein Normalisierungsprogramm mit der israelischen Besatzungspolitik zusammenhängt. „Die Palästinenser sagen, dass wir uns auf die Grenzen von 1967 zurückziehen und Jerusalem teilen sollten, was absurd ist“, sagte er im August im israelischen Armeesender nach der Ankündigung des Abraham-Abkommens. „Ich bin davon ausgegangen, dass wir ein ganz anderes Konzept haben müssen: Frieden im Tausch für Frieden, Frieden aus einer Position der Stärke.“

Somit tragen die Abkommen nicht nur nichts zum Ende der Besatzung bei, sondern zementieren sie vielmehr. Wie der Vorsitzende der Balad-Partei, Jamal Zahalka, kürzlich vor der Bekanntgabe des Normalisierungsabkommens mit dem Sudan sagte, sind die Abraham-Abkommen i. W. ein Bündnis dreier Apartheidstaaten: Israel mit seiner Apartheid gegen die Palästinenser*innen; Bahrain und seine Unterdrückung der schiitischen Mehrheit durch Sunnit*innen, die von den Saudis unterstützt werden; und die VAE, wo eine Million emiratische Bürger mit acht Millionen rechtlosen „Ausländern“ zusammenleben.


Die zionistische Linke auf dem Prüfstand


Damit sind wir bei den Differenzen innerhalb der israelisch- jüdischen Linken, deren Bruchlinien sich i. W. anhand ihres Verhältnisses zum Zionismus skizzieren lassen. Während die antizionistischen und nicht-zionistischen Aktivist*innen der jüdischen Linken die Position der Gemeinsamen Liste gegen die Abkommen unterstützen, sprechen sich die Arbeitspartei und Meretz dafür aus und stimmen entsprechend ab. Es überrascht nicht, dass diese Position die Meinung der Palästinenser*innen selbst völlig ignoriert, wonach die Abkommen bloß ein Deckmantel zur Verschärfung der Apartheid sind. Was für die Palästinenser*innen und die israelische Rechte eindeutig ist, scheint die liberalen Zionisten zu überfordern.

      
Mehr dazu
Julien Salingue: Von der Nicht-Anerkennung zum „Normalisierungs­abkommen“, die internationale Nr. 3/2021 (Mai/Juni 2021)
Yumna Patel: Wir pfeifen auf diese „Normalisierung“, die internationale Nr. 3/2021 (Mai/Juni 2021)
Haidar Eid: Die Normalisierung der Anomalität, die internationale Nr. 3/2021 (Mai/Juni 2021)
Internationales Komitee der IV. Internationale: Erklärung der IV. Internationale zu Palästina, Inprekorr Nr. 3/2015 (Mai/Juni 2015)
Jakob Taut: Über den Charakter des Zionismus und der Palästinensischen Befreiungsbewegung, Inprekorr Nr. 342 (April 2000)
 

Wenn man bedenkt, dass Netanjahus Winkelzüge gegen die israelische Friedensbewegung und die Palästinenser*innen zielen, mag die positive Reaktion der zionistischen Linken auf die Abkommen überraschen. Seit Jahren vertritt diese Linke zwei zentrale Argumente für einen Frieden mit den Palästinenser*innen: ein Ende der Gewalt und des Blutvergießens sowie Normalisierung der Beziehungen mit den arabischen Ländern. Netanjahu hat diese beiden Bedingungen quasi erfüllt. Die Zahl der israelischen Todesopfer in dem Konflikt hat sich in den letzten zehn Jahren um 90 % verringert und damit die Kosten der Besatzung an Menschenleben reduziert. Und mit diesen „Friedensabkommen“ wird den Israelis nun klar, dass sie die Palästinenser nicht einmal „brauchen“, um sich mit den Ländern des Nahen Ostens und darüber hinaus zu arrangieren. In der Zwischenzeit kann Israel weiterhin von der Besatzung profitieren, d. h. von „billigem“ (sprich: gestohlenem) Land für Wohnraum, vom Zugriff auf Wasser und andere natürliche Ressourcen sowie auf abhängige Absatzmärkte und Arbeitskräfte etc.

Wie auch in der Frage der Boykott-, Divestment- und Sanktionsbewegung (BDS) stellen die Abraham-Abkommen die linken israelischen Juden auf den Prüfstand. Ein wirklicher Widerstand gegen die Kolonialpolitik setzt voraus, dass wir unsere Privilegien in Frage stellen und uns somit auch den „Friedensabkommen“ widersetzen, von denen nur die Israelis profitieren.


Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 3/2021 (Mai/Juni 2021). | Startseite | Impressum | Datenschutz