Am vergangenen Wochenende wurden große chinesische Städte wie Urumqi, Shanghai, Nanjing, Chengdu, Wuhan, Guangzhou und Peking sowie über 50 Universitäten – darunter Elite-Institutionen – von Unruhen, Massendemonstrationen und Mahnwachen erschüttert. Eine Protestbewegung dieser Größenordnung und mit so offen politischen Forderungen wie „Freiheit“ und „Demokratie“ hat es in China seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr gegeben, und wir von der internationalen Linken sollten ihrer Entwicklung große Aufmerksamkeit schenken und Solidarität anbieten.
Redaktion „Against the Current”
In den letzten Tagen wurden die Menschen durch Wut und Empörung über den Tod von mindestens zehn Menschen (und weit mehr Verletzten, sowohl Han- als auch Uiguren-Chines*innen) in Urumqi, der Hauptstadt der Provinz Xinjiang, auf die Straße getrieben. Die Todesfälle wurden durch einen Brand verursacht, der drei Stunden lang in mehreren Stockwerken eines Hochhauses wütete, bevor er gelöscht wurde. Die Bewohner*innen glaubten, dass die Verzögerung bei der Rettung teilweise durch die Absperrung des Stadtviertels verursacht wurde, die die Mobilität von Notfallhelfer*innen einschränkte.
Mahnwache für die Opfer von Ürümqi Studierende von Jiaotong halten weiße Blätter und singen die „Internationale“, Foto: Wikimedia |
Dies war der letzte Auslöser für eine Öffentlichkeit, die in den letzten Monaten unter zunehmend drakonischen und willkürlichen COVID-Lock-downs gelitten hat. Diese haben die Existenzgrundlage vieler Menschen angegriffen, insbesondere arbeitender Menschen mit geringen Ersparnissen, und in einigen Fällen zu unnötigen Todesfällen geführt. Staatliche Unterstützung für die kapitalistische Ausbeutung chinesischer Arbeiter*innen, die bei Foxconn in den Produktionsanlagen für elektronische Geräte eingesperrt wurden, ist ein weiteres empörendes Beispiel für die Grausamkeit dieser Politik. Während die Lock-downs in der frühen Phase der Pandemie sicherlich Leben in China gerettet und breite öffentliche Unterstützung gefunden haben, sind die Menschen skeptisch geworden und glauben nicht mehr, dass dies der humanste oder effektivste Weg sei, mit Covid umzugehen. Aber ihre Stimmen wurden ignoriert und ihre Beschwerden in den sozialen Medien zensiert, da sie in einem der am stärksten überwachten Länder der Welt leben.
Schließlich hat sich die seit Monaten aufgestaute öffentliche Unzufriedenheit auf die Straßen ergossen. Im Laufe des Wochenendes eskalierten die Proteste und drückten vielfältige Forderungen aus, die den klassenübergreifenden Charakter der Bewegung widerspiegeln. Die Demonstranten riefen Parolen wie „Aufhebung der Einschränkungen“, „Freiheit“, „Demokratie“, „Würde“, „Ende der Diktatur“, „Rechtsstaatlichkeit“, „Redefreiheit“ und in den extremeren Fällen „Rücktritt der KPCh“ und „Rücktritt von Xi Jinping“, was sowohl die gemeinsamen als auch die unterschiedlichen Anliegen der Demonstrant*innen bei Massendemonstrationen zeigt. Im Wesentlichen wird jedoch nicht der Sturz der Regierung, sondern ihre Demokratisierung gefordert; die Regierung soll auf die Stimmen und Bedürfnisse des Volkes hören; Das sind keineswegs sozialistische Forderungen, aber im chinesischen Kontext progressive – und aus Sicht des Staates subversive – Forderungen, denen mit Unterdrückung begegnet wird. Tatsächlich hat die Regierung bereits begonnen, Demonstrant*innen festzunehmen und zu schikanieren und wichtige Protestorte und öffentliche Plätze abzusperren, um Demonstrant*innen fernzuhalten.
Es ist mehr als nur der Lock-down, was diese Proteste motiviert, sondern das Gefühl, von einem politischen System nicht gehört zu werden, das so arrogant die öffentliche Meinung missachtet. Dieses Gefühl der Entfremdung vom politischen System wurde weiter verstärkt, als Xi Jinping die Amtszeitbeschränkungen abschaffte und sich seine dritte Amtszeit als Parteisekretär sicherte. Das erklärt die politischen Forderungen nach Demokratie.
Um Masseninfektionen zu vermeiden, die sich aus der Aufhebung der COVID-Beschränkungen ergeben können, werden sowohl eine höhere Impfrate als auch effektivere Impfstoffe erforderlich sein. Es wird auch mehr Investitionen in das Gesundheitssystem erfordern, um Zugang für alle und bessere Pflege zu erreichen. Aber es steht uns nicht an, außerhalb Chinas für die Menschen in China zu entscheiden, ob und wie die COVID-Beschränkungen, die ihr Leben in einer Weise einschränken, die wir nicht erleben, gelockert werden können. Und im Gegensatz zu den rechtsgerichteten Lock-down- und Impfgegnern in den USA, Europa und anderswo hat die chinesische Öffentlichkeit weder die Existenz des Virus oder seine Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen bestritten noch die Notwendigkeit von Impfungen in Frage gestellt. Sie sollten nicht mit rechtsgerichteten Bewegungen im Westen verglichen werden, und wir sollten Versuche ablehnen, die Demonstranten auf diese Weise zu charakterisieren, um sie zu diskreditieren.
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Unsere Solidarität mit den Demonstrierenden in China zu zeigen, sollte nicht umstritten sein. Leider gab es entweder völliges Schweigen oder nur sehr zögerliche Anerkennung von Teilen der Linken, die in der Vergangenheit den chinesischen Staat und darüber hinaus sein autoritäres kapitalistisches System verteidigt oder Kritik daran abgewiegelt haben. Wenn sich die Menschen in China gegen eine brutale, unmenschliche Parteidiktatur erheben, können wir nicht schweigen, oder schlimmer noch, die Protestbewegung bagatellisieren oder ihre Bedeutung abtun. Als Sozialist*innen und Internationalist*innen sollten wir bei diesen Protesten jedes Anzeichen eindeutigen Widerstands gegen das herrschende Regime in China und Forderungen nach Demokratie unterstützen.
Die Menschen in China, wie an vielen anderen Orten der Welt, fordern eine gerechtere Regierung und Gesellschaft – mit anderen Worten: Demokratie. Ein demokratisches System in China, in dem das Volk und nicht eine sich selbst bejubelnde Elite das Sagen hat, ist auch entscheidend für den Kampf gegen den Imperialismus aller Arten und für die Bewältigung der vom System hervorgerufenen Umwelt- und Klimakrise. Von einer prinzipientreuen internationalistischen sozialistischen Position aus bekunden wir unsere Solidarität mit den an den Demonstrationen beteiligten Menschen und ihren Zielen.
7. Dezember 2022
Against the Current ist die Zeitschrift von Solidarity, einer radikalsozialistischen Gruppierung in den Vereinigten Staaten. |
Dieser Artikel erschien in der Online-Ausgabe von die internationale Nr. 1/2023 (Januar/Februar 2023) (nur online). | Startseite | Impressum | Datenschutz