Palästina

Heuchelei und falsche Komplizenschaft

Fabrizio Burattini

Die israelische Armee belagert den Gazastreifen nach mittelalterlicher Art und hat die 2,5 Millionen Einwohner von der Versorgung mit Lebensmitteln, Treibstoff und Wasser abgeschnitten. Unablässig werden Bombenangriffe auf das palästinensische Gebiet und auch auf den Südlibanon geflogen, um das Eindringen bewaffneter Kämpfer von dort zu verhindern. In der Zwischenzeit richtet die israelische Armee (IDF) den Großteil ihres Zerstörungspotenzials auf den Gazastreifen und bereitet sich auf eine Bodeninvasion vor.


Das Versagen der israelischen Apparate


 

Gaza Stadt

Schäden im Stadtviertel El-Remal, 10.10.2023 (Foto: Wafa)

Dies ist eine „kollektive Bestrafung“, die offen gegen das Völkerrecht verstößt. Die Belagerung und die Bombardements werden dazu führen, dass Kranke und Verletzte in den Krankenhäusern sterben, weil es keinen Strom und keine Versorgung gibt – ein wahrhaftiges „Kriegsverbrechen“.

In der Zwischenzeit behauptet die zionistische Regierung, die Kontrolle über die südlichen Städte, die in den letzten Tagen von militanten Hamas-Kämpfern angegriffen wurden, vollständig wiedererlangt zu haben, was in den Augen der Welt und vor allem in den Augen der israelischen Bevölkerung die viel gepriesene allmächtige Unfehlbarkeit des zionistischen Militär- und Geheimdienstapparats, seine Illusion der totalen Kontrolle (gestützt auf eine Hyper-Überwachung) eindrucksvoll widerlegt hat.

Es war Israels größter militärischer und geheimdienstlicher Misserfolg seit dem Jom-Kippur-Krieg von 1973. Aber schwerer als das Versagen der Geheimdienste wiegen die Unfähigkeit und der Unwille, zu verstehen, dass ein Volk nicht stoisch und passiv Jahrzehnte der Besatzung ertragen kann.


Internationale Komplizenschaft


Der Westen beteiligt sich aktiv an der „kollektiven Bestrafung“: EU-Kommissar Oliver Varhelyi teilte mit, die EU habe bereits „alle Zahlungen“ an die Palästinenser wegen des „Ausmaßes des Terrors und der Brutalität“ der Hamas-Offensive gegen Israel ausgesetzt. In verschiedenen europäischen Ländern (darunter auch Italien) werden Äußerungen gegen Israel und seine Regierung, selbst wenn sie nur versuchen, die Aktionen der Palästinenser vor dem Hintergrund der mehr als fünfzigjährigen brutalen zionistischen Besatzung zu werten, als „pro-terroristisch“ gebrandmarkt und mitunter sogar gerichtlich verfolgt.

Die Bezeichnung „Terrorist“ ist ein wohlfeiles Propagandainstrument, das schon immer von den Unterdrückern gegen diejenigen verwendet wurde, die gegen die Unterdrückung kämpfen: gegen die Befreiungsbewegung in Algerien vom französischen Kolonialismus, gegen die Vietnamesen, die gegen die US-Armee von Johnson und Nixon kämpften, gegen die Kurden, die für ihre nationale Würde kämpften und immer noch kämpfen, gegen Nelson Mandela in seinem Kampf gegen die südafrikanische Apartheid. Schon das österreichisch-ungarische Kaiserreich setzte sie gegen die Partisanen des italienischen Risorgimento ein und die Nazifaschisten gegen die Partisanen im WK II. Und natürlich immer wieder gegen die Palästinenser, sowohl in den 1970er Jahren, als noch unter „säkularen“ Vorzeichen radikaler Widerstand geleistet wurde, als auch heute, wo der Islamismus die nationale Bewegung dominiert.

Washington hat angekündigt, die Regierung von Benjamin Netanjahu bei allen erdenklichen Maßnahmen zu unterstützen, und Joe Biden hat Israel „alle angemessenen Mittel der Unterstützung“ zugesagt, da Israel nach den Worten des US-Präsidenten „das Recht hat, sich und sein Volk zu verteidigen, ohne Wenn und Aber“. Biden und die EU bestätigen damit, dass sie (unabhängig von der politischen Couleur der Regierungen) aktive Beihilfe bei der Unterdrückung des palästinensischen Volkes leisten werden.


Solidarisch gegen die „Normalisierung von Abraham“


In der arabischen und islamischen Welt mehren sich die Solidaritätskundgebungen mit dem Gazastreifen und dem palästinensischen Volk, die sich zugleich gegen alle Bestrebungen zur „Normalisierung“ der Beziehungen mit Israel wenden, die in den letzten Jahren von zahlreichen Regierungen betrieben wurden, wie z. B. die „Abraham-Abkommen“, die im vergangenen Jahr zwischen Bahrain und der zionistischen Regierung geschlossen wurden.

Seit Jahren behauptet der rechtsextreme Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, dass Frieden möglich ist, ohne mit den Palästinenser*innen zu sprechen und ihnen irgendwelche Zugeständnisse zu machen. Mit den Abraham-Abkommen wurde den Palästinensern einer ihrer letzten Trümpfe und Unterstützungsbasis zugleich genommen: die Solidarität der arabischen Regierungen, auch wenn diese Solidarität seit Jahren bloße Augenwischerei ist. Die hohe Wahrscheinlichkeit, dass auch Saudi-Arabien diesen Abkommen beitreten könnte, hat möglicherweise dazu beigetragen, die Hamas zum Handeln zu bewegen.

Nach dem Ausbruch des breit angelegten russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine eröffnet sich nun eine zweite Front des Schreckens, ein neuer Krieg mit all seinen schrecklichen unmittelbaren Folgen und all seinen Auswirkungen auf die Zukunft. Die heutigen Ereignisse sowie das Losschlagen von Putin vor fast 20 Monaten verändern die Welt und das Leben von uns allen für immer.


Israels kollektive Hysterie


Moschee im Gaza-Streifen

Khan Younis, 8.10.2023 (Foto: Wafa)

 

Was Israel betrifft, so geht es nicht nur um Netanjahu und seine Regierungspartner. Es wird vielmehr eine kollektive Hysterie erzeugt, die beispiellos ist in einem Land, das immer durch den zionistischen Mythos von Israel als dem „sicheren Hafen für die Juden“ zusammengehalten wurde. Immer mehr Israelis behaupten, es sei an der Zeit, Gaza komplett auszurotten, und rufen letztlich zum Völkermord auf. Selbst die weniger kriegslüsternen Medien, Journalisten und ausgewogeneren israelischen Politiker rufen zu Massakern in Gaza auf.

In den sozialen Medien kursieren Beiträge mit dem Tenor: „Gaza plattmachen!“, „Das sind Wilde und keine Menschen, mit denen man verhandeln kann“, „Sie töten ganze Familien“, „Mit denen kann man nicht reden“, „Warum stehen in Gaza noch Gebäude?“, „Gaza muss in die Steinzeit zurückgebombt werden“, „Wir müssen die Araber auch aus Israel rauswerfen“. Es kursieren sogar Botschaften, in denen Juden dazu aufgerufen werden, Araber zu lynchen, sobald sie sich zeigen. Angesichts der Tatsache, dass es in Israel etwa 2 Millionen arabische Bürger*innen gibt, die vor allem in den „gemischten Städten“ (Lod [vor 1948 Lydda], Akka und Be'er Sheva) wohnen, weckt dies nicht nur die Angst vor einem neuen Konflikt, sondern auch vor einem totalen Krieg zwischen jüdischen und palästinensischen Bürger*innen in Israel. Hinzu kommt, dass die rassistischen jüdischen Siedler zu immer neuen Pogromen gegen die palästinensische Zivilbevölkerung im Westjordanland bereit sind. Eine neue Nakba zeichnet sich hier ab.

In den vergangenen Monaten hatten Hunderttausende Israelis für „Demokratie und Gleichheit“ demonstriert und viele hatten sogar erklärt, wegen der autoritären Tendenzen von Netanjahu und seiner Regierung den Militärdienst verweigern zu wollen. Zugleich ignorierten sie jedoch, dass dieselbe Regierung eine illegale und unmenschliche militärische Besatzungspolitik in ebenso autoritärer Weise aufrechterhält. Mittlerweile haben viele von ihnen angekündigt, ihre Proteste aufzugeben und sich am Krieg gegen Gaza beteiligen zu wollen.


Die Heuchelei der „internationalen Gemeinschaft“


Die Welt ist erschüttert, nicht weil es Tote gibt, mittlerweile wohl über zweitausend Tote, meist Zivilisten. Der Tod von Zivilisten, darunter Frauen, Kinder und hilflose alte Männer, ist für die Palästinenser alltägliche „Normalität“. Diese dunkelhäutigen Toten werden von der internationalen öffentlichen Meinung und von den westlichen Medien kaum als menschliche Opfer wahrgenommen, sondern bloß als peinlicher „Kollateraleffekt“ bei der „Aufrechterhaltung der Sicherheit“ der zionistischen Bastion, die als Brückenkopf des Westens in der chaotischen „arabischen Welt“ gilt.

Die Welt war und ist mitschuldig an der aktiven Entmenschlichung der Bewohner*innen des Gazastreifens, die schon immer kollektiv ihrer grundlegenden Menschenrechte beraubt wurden.

Jetzt ist die Welt zutiefst schockiert, nicht wegen der Zahl der Opfer, sondern weil sie eine Neuheit irritiert: Die Opfer dieses Krieges sind nicht nur Palästinenser, sie sind auch „unsere“. Eine Welt also, die zwischen „uns“ und „ihnen“ unterscheidet. Am Samstag, dem 7. Oktober, widerfuhr einigen hundert Israelis das, was der gesamten Bevölkerung des Gazastreifens seit Jahrzehnten widerfährt, und zwar ohne dass die „internationale Gemeinschaft“ Anteil daran nimmt. Der Terror, den die Israelis in diesen Tagen erlebten, war und ist der Alltag für Millionen von Palästinenser*innen seit Jahrzehnten unter dem Militärregime im Westjordanland und im Gazastreifen.


Verzweiflung gebiert Monster


Selbst unter „normalen“ Bedingungen hat sich das tägliche Leben in Gaza in den letzten sechzehn Jahren der israelischen Besatzung massiv verschlechtert: Das Trinkwasser ist fast durchgängig nicht trinkbar, mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze, 80 % sind von der Hilfe aus dem Ausland abhängig und die Zukunft der meisten jungen Menschen ist düster, da die Jugendarbeitslosigkeit bei 64 % liegt. Seit Jahren leben die Menschen im Gazastreifen, auch die „Mittelschicht“, mit der ständigen Sorge, immer das Nötigste zum Überleben (Medikamente, Dokumente, Handy-Ladegeräte, persönliche Gegenstände, Kulturbeutel usw.) griffbereit zu haben, falls sie fliehen müssen oder vertrieben werden.

 

„Schluss mit der Belagerung von Gaza“

London, 2021 (Foto: Socialist Appeal)

Die meisten Palästinenser*innen, die im Gazastreifen leben, sind Flüchtlinge und befinden sich dauerhaft im Exil, das mit dem Verlust ihrer angestammten Heimat begann, als sie 1948 von den zionistischen und israelischen Streitkräften im Zuge der Nakba vertrieben wurden.

Wir erinnern uns, wie 2018 und 2019 Zehntausende von Palästinensern mit bloßen Händen vor den Stacheldrahtzäunen protestierten, die den Gazastreifen umgeben: beim sogenannten „Marsch der Rückkehr“, als die Armee Hunderte von Menschen tötete. Dies sind physische und psychische Wunden, die nicht verheilt sind und auch nicht heilen können.

Der Angriff am Samstag, den 7. Oktober, erfolgt nach monatelanger massiver Gewalt seitens des israelischen Staates und der Siedler in den besetzten Gebieten, die maßgeblich zu der gegenwärtigen Krise beigetragen haben. Die Palästinenser hatten Alarm geschlagen und davor gewarnt, dass die Blockade, die zunehmende Verarmung, die ständigen israelischen Aggressionen und die Zerschlagung ihrer Gemeinden zu einer Explosion führen würden.

Die Palästinenser im Gazastreifen leben seit Jahrzehnten im größten Freiluftgefängnis der Welt, mit der dichtesten Bevölkerungskonzentration, gehalten wie Tiere hinter Zäunen, ohne sauberes Wasser, ohne Strom, ohne Hoffnung und ohne Würde, laufend unter verbrecherischen Bombardements, die jedes Mal Hunderte und Tausende von Menschenleben gefordert haben. Auch im Westjordanland ist es nicht besser: Allein 2022 wurden 146 Palästinenser aus dem Westjordanland, die meisten von ihnen waffenlos, von Soldaten und waffenstarrenden israelischen Siedlern getötet. Eine wahrlich nicht enden wollende „ethnische Säuberung“.

Die israelische Armee führt regelmäßig Razzien in palästinensischen Städten und Flüchtlingslagern durch, während die Siedler völlig ungehindert neue illegale Außenposten errichten und Pogrome in palästinensischen Städten und Dörfern veranstalten können. Dabei werden sie noch von Soldaten eskortiert, die auf Palästinenser, die ihre Häuser zu verteidigen versuchen, einschlagen oder sie gar töten. An islamischen Feiertagen entweihen jüdische Extremisten mit Unterstützung von fundamentalistischen, rassistischen und halbfaschistischen Politikern unter Missachtung internationaler Konventionen die Esplanade der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem.

Ganz zu schweigen davon, dass die rechtsextreme und rassistische israelische Regierung die Kolonisierung zum Kernpunkt ihres Regierungsprogramms erhoben hat, wobei der Ausbau der Siedlungen, die ethnischen Säuberungen und die Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung immer stärker zunehmen. Damit ist die Aussicht auf „zwei Völker und zwei Staaten“ völlig illusorisch geworden.

Was die Welt nicht versteht, ist, dass das palästinensische Volk das Recht hat, in seinem Kampf um Freiheit bewaffneten Widerstand zu leisten und sich gegen die israelische Aggression zu verteidigen. In der Tat haben sich viele von denen, die heute die Angriffe der Hamas auf Zivilisten verurteilen, in unfassbares Schweigen gehüllt, als Israel unsägliche Verbrechen gegen das palästinensische Volk begangen hat, einschließlich der ständigen „Kollektivstrafen“ gegen die Bewohner des Gazastreifens. Jede Analyse oder jeder Kommentar, der diese Realität nicht anerkennt, ist nicht nur hohl, sondern auch unmoralisch und menschenverachtend. Seit Jahrzehnten und seit mehr als drei Generationen ist das Leben der Palästinenser segregiert, kontrolliert, überwacht, täglichen Demütigungen und willkürlichen Verhaftungen, Folter und Misshandlungen und den Anmaßungen der Siedler unter Beihilfe der Armee ausgesetzt.

Es ist unmöglich zu verstehen, was heute in Gaza geschieht, ohne dies zu berücksichtigen. Ein Volk, das die Freiheit liebt, die ihm tagtäglich verwehrt wird; ein Volk, dem jede Perspektive zunichte gemacht wird und das in mehreren „Abkommen“ (seit Oslo) zu ständig neuen erniedrigenden Zugeständnissen gezwungen wurde, ohne dass diese Abkommen von den Israelis beachtet würden; solch ein Volk wird zwangsläufig mit allen Mitteln zum Widerstand greifen.

Die israelische „Sicherheitsdoktrin“ hat immer (mehr aus politischen als aus militärischen Erwägungen) zu einer „Disproportionalität“ zwischen israelischen und palästinensischen Opfern geführt: für jeden getöteten israelischen Soldaten oder Zivilisten haben israelische Politiker und Generäle immer mindestens zehn palästinensische Köpfe gefordert. Gemäß dieser „Logik“ dürften nun Tausende von Frauen, Kindern und Männern in Gaza diesen Preis mit ihrem Leben bezahlen.

      
Mehr dazu
Adam Shils: Palästina-Solidaritätsbewegung mobilisiert gegen die israelische Offensive, die internationale Nr. 6/2023 (November/Dezember 2023) (nur online)
Edouard Soulier: Dreißig Jahre nach Oslo, die internationale Nr. 6/2023 (November/Dezember 2023)
Internationales Komitee der Vierten Internationale: In Solidarität mit den Kämpfen der Völker gegen den ungezügelten Imperialismus, für die Befreiung der Völker und die Rettung der Umwelt, die internationale Nr. 6/2023 (November/Dezember 2023) (nur online)
Daniel Berger: Krieg im Gazastreifen: Es droht eine Verschärfung der ethnischen Säuberung, die internationale Nr. 6/2023 (November/Dezember 2023)
Jewish Voice for Peace: Stoppt den Völkermord, die internationale Nr. 6/2023 (November/Dezember 2023)
Helmut Dahmer: Israel in Palästina, die internationale Nr. 6/2023 (November/Dezember 2023) (nur online)
Dan La Botz: Ein Überraschungsangriff – aber nichts Überraschendes daran, die internationale Nr. 6/2023 (November/Dezember 2023) (nur online)
Büro der IV. Internationale: Solidarität mit dem palästinensischen Volk – Schluss mit der Besatzung!, die internationale Nr. 6/2023 (November/Dezember 2023) (nur online). Auch bei intersoz.org
BfS Zürich und Basel: Israel-Palästina: Eine sozialistische Positionierung, sozialismus.ch (11.10.2023)
Abdaljawad Omar: Dschenin - das Bemühen um Widerstandsfähigkeit, die internationale Nr. 5/2023 (September/Oktober 2023)
Koordination der ISO: Palästinasolidarität. Wider die deutsche Staatsräson, die internationale Nr. 4/2023 (Juli/August 2023). Bei intersoz.org
Erklärung des Büros der Vierten Internationale: Solidarität mit den Palästinenser*innen gegen die neokoloniale Aggression, die internationale Nr. 3/2021 (Mai/Juni 2021) (nur online). Auch bei intersoz.org
Jakob Taut: Über den Charakter des Zionismus und der palästinensischen Befreiungsbewegung, Inprekorr Nr. 342 (April 2000)
 

Wider das Lagerdenken


Die Linke kritisiert zu Recht die Doppelmoral des Westens, der in der Ukraine die Bevölkerung gegen die russische Aggression unterstützt, während er im Nahen Osten die israelische Unterdrückung gegen die Rechte und die Menschenwürde der Palästinenser unterstützt. Diese Kritik wird jedoch unglaubwürdig, wenn die Linke in einer „campistischen“ Logik mit zweierlei Maß misst und im Ukrainekrieg den Standpunkt des russischen Aggressors verteidigt. Umgekehrt trägt auch der ukrainische Präsident Selenskyj mit seiner beschämenden und absurden Parallele zwischen der Ukraine und Israel einerseits und Russland und Gaza andererseits zu dieser Verkehrung der Verhältnisse bei. Das elendige Freiluftgefängnis in Gaza mit dem imperialistischen Russland zu vergleichen, macht absolut keinen Sinn.

Wenn Selenskyj das „Recht Israels auf Selbstverteidigung“ unterstützt, müssen wir genau das Gegenteil tun: den herrschenden Neofaschismus in Moskau genauso anprangern wie den in Tel Aviv, den legitimen Kampf des palästinensischen Volkes gegen Kolonialherrschaft und Enteignung durch den zionistischen Staat genauso unterstützen wie den legitimen Kampf des ukrainischen Volkes gegen Kolonialherrschaft und Enteignung durch den „großrussischen“ Staat.

Diese Unterstützung für das palästinensische Volk impliziert ebenso wenig eine politische Unterstützung für die Hamas wie die Unterstützung für das ukrainische Volk eine politische Unterstützung für Selenskyj bedeutet. Diese absurde „campistische“ Parallele, die der ukrainische Präsident gezogen hat, wird tödlich, wenn sich die Linke desselben Lagerdenkens befleißigt.

Internationalismus kann nicht Solidarität mit Staaten sein: Er ist die Solidarität mit Völkern, die für ihre legitimen Rechte kämpfen, in der Ukraine, in Palästina, in Xinjiang, in der Westsahara und überall dort, wo die Ausgebeuteten und Unterdrückten ihren Ausbeutern und Unterdrückern Widerstand leisten.

Es kann keinen Frieden ohne politische Lösungen geben, und es kann keine politischen Lösungen ohne Sanktionen gegen Israel geben, so wie Sanktionen gegen Putin notwendig sind, um die Repression beider Regime zu beenden und sie zur Einhaltung des Völkerrechts und der UN-Resolutionen zu zwingen. Also Schluss mit der Besatzung und der Kolonialpolitik sowie der Verweigerung der Rechte des palästinensischen und des ukrainischen Volkes.

Der einzige Weg zum Frieden ist die Beendigung jeglicher Kolonisierung in Palästina wie in der Ukraine, jeglicher Unterdrückung und jeglicher rassistischer Vorherrschaft, sei es der „Weißen“ in den USA, der Zionisten in Israel oder der „Großrussen“ unter Putin und Dugin.

Diese Prinzipien aufzugeben, führt letztlich zur Katastrophe …

10. Oktober 2023
Quelle: Sinistra anticapitalista (Antikapitalistische Linke, Italien)
Übersetzung: MiWe



Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 6/2023 (November/Dezember 2023). | Startseite | Impressum | Datenschutz