Massud Peseschkian wurde auf einer Welle der Ernüchterung gewählt. Die Autorin geht auf die Herausforderungen ein, vor denen der neue Präsident steht.
Yassamine Mather
Ähnlich wie Keir Starmer hat auch Massud Peseschkian, Irans neu gewählter „reformorientierter“ Präsident, im Wahlkampf nicht viele konkrete Versprechen gemacht. Die 16,4 Millionen Stimmen (55 %), die er erhielt, waren eher gegen Sa’id Dschalili gerichtet, seinen Konkurrenten in der zweiten Runde, als dass sie eine Unterstützung für ihn zum Ausdruck gebracht hätten.
Dschalili galt als Verfechter der Politik unter dem verhassten, erzkonservativen früheren Präsidenten Ebrahim Raisi – er war und ist ein Gegner des Atomdeals, den Teheran 2015 mit den westlichen Großmächten geschlossen hat. Einige Jahre vor dem Abkommen war Dschalili von 2007 bis 2012 Irans oberster Atomverhandlungsführer – eine Zeit, in der Iran in den Verhandlungen eine aggressive und kompromisslose Haltung einnahm. Diese Zeit fiel mit dem ersten Paket der gegen das Land verhängten umfangreichen Sanktionen zusammen.
In den letzten Wochen haben viele Menschen darauf hingewiesen, dass die Sanktionen keineswegs die politischen Führer des Irans treffen, sondern vielen von ihnen und ihren Verwandten sogar die Möglichkeit geben, Multimillionäre – in einigen Fällen sogar Milliardäre – zu werden. Die meisten dieser Personen verschieben ihre illegal erworbenen Gewinne regelmäßig ins Ausland auf Konten von Verwandten oder auf Offshore-Bankkonten, ohne dass sie mit Sanktionen rechnen müssen. Gleichzeitig leidet die einfache Bevölkerung unter den Preissteigerungen und grassierender Arbeitslosigkeit oder Unterbeschäftigung, was ihnen das Leben extrem schwer macht.
Am Morgen des 6. Juli, dem Tag nach dem zweiten Wahlgang, schienen die meisten, die den Sieg von Peseschkian feierten, erleichtert darüber zu sein, dass die beiden wichtigsten konservativen Kandidaten und Vertreter einer korrupten Bande von Reaktionären, Sa’id Dschalili und Mohammad Bagher Qalibaf, unterlegen waren. Kurz danach ergingen sich – laut Website Amwadsch – die Fraktionen des konservativen Lagers in gegenseitigen Vorwürfen und beschuldigten ihre Kontrahenten, sich nicht geeinigt zu haben.
Konservative Politiker haben eine bereits im Vorfeld der Wahlen gemutmaßte Intervention des Befehlshabers der Quds-Truppe [internationale Abteilung der iranischen Revolutionsgarden (IRGC)] bestätigt. Esmail Qa‘ani [General der Revolutionsgarden] soll versucht haben, Dschalili dazu zu bringen, zugunsten von Qalibaf zurückzutreten – ein Schritt, der dem Militärkommandeur zum Verhängnis werden könnte.
Niemand zweifelt daran, dass Qalibaf der Kandidat des verhassten IRGC war.
Wie ich jedoch letzte Woche schrieb [1]sollte niemand viel von der neuen Regierung erwarten. Die Befürworter der „Reform“-Fraktionen der Islamischen Republik führen aus: Die Tatsache, dass Peseschkian kandidieren durfte – und dass die Stimmen nicht „manipuliert“ wurden, um einen Sieg der Konservativen herbeizuführen – beweist, dass der Oberste Führer Ali Chamenei an einer Einigung mit den USA interessiert ist. Es gibt keinen Zweifel daran, dass Chamenei mit einer „reformerisch“ geführten Regierung Flexibilität in der Außenpolitik demonstrieren kann, ohne sein Gesicht zu verlieren (was unter Raisi schwieriger war).
In seiner Erklärung, in der er Peseschkian zu seinem Wahlerfolg gratulierte, riet der oberste Führer dem gewählten Präsidenten jedoch, „den Weg“ von Raisi weiterzugehen und „die vielfältigen Kapazitäten im Land zu nutzen“. Anschließend kamen die beiden zu einem fünfstündigen Treffen zusammen. Wir werden mehr über den Kurs des Irans sagen können, sobald Peseschkian sein Kabinett nominiert hat.
Angesichts der wichtigen Rolle des ehemaligen Außenministers [2013–2019] Mohammad Javad Zarif bei den Präsidentschaftswahlen gibt es reichlich Spekulationen, dass er in dieses Amt zurückkehren könnte. Auf einer Wahlkampfveranstaltung zur Unterstützung von Peseschkian am 3. Juli forderte Zarif die Wähler auf, „diejenigen abzuweisen, die außer Sanktionen, Demütigung und Elend nichts für das Land erreicht haben“. Am Tag nach dem zweiten Wahlgang schrieb Zarif auf Twitter, dass der Iran unter Peseschkian „geeinter, entschlossener und besser denn je darauf vorbereitet sein wird, seine Herausforderungen zu bewältigen, seine Beziehungen zu den Nachbarländern zu stärken und seine Rolle in der entstehenden globalen Ordnung zu behaupten“.
Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass Zarif für das iranische Parlament, das weiterhin von den Konservativen unter der Führung von Qalibaf beherrscht wird, akzeptabel ist – es sei denn, der Oberste Führer greift ein. Der designierte Präsident traf sich auch mit seinem ehemaligen Rivalen Qalibaf, der Sprecher des Madschles [des iranischen Parlaments] ist, so dass wir davon ausgehen, dass es bei diesem Treffen um die Rolle des Madschles bei der Billigung oder Ablehnung von Ministerkandidaten ging.
Peseschkian wird bald die Grenzen des höchsten Regierungsamtes in der Islamischen Republik Iran kennenlernen. Die Erfahrungen seiner Vorgänger, der „Reformer“ Mohammad Chatami (1997–2005) und Hassan Rohani (2013–21), belegen dies zur Genüge.
Zunächst steht er vor der Aufgabe, die Hindernisse zu überwinden, die von den konservativeren Fraktionen aufgebaut werden. Während seiner Präsidentschaft sah sich Chatami regelmäßig mit Protesten und Demonstrationen von Gruppen wie Ansar-e Hisbollah, kuttentragenden Demonstrantinnen und Motorradfahrern der Basidsch (Miliz) konfrontiert, die sich über die Toleranz der Regierung gegenüber „antiislamischem“ Verhalten ärgerten, sowie mit der Verhaftung und Inhaftierung von Journalisten (sogar einiger Unterstützer des Präsidenten sowie Kritiker des Regimes). All dies stellte die Regierung vor große Probleme.
Eine der bedeutendsten Herausforderungen in der Vergangenheit war ein Schreiben von 24 hochrangigen IRGC-Kommandeuren an den seinerzeitigen Präsidenten. Nach einem Zwischenfall an der Teheraner Universität im Juli 1999 warnten sie, dass „unsere Geduld am Ende ist“ und sie Maßnahmen ergreifen würden, wenn die Proteste der Studierenden nicht beendet würden. Dieser Brief war eine kaum versteckte Drohung gegen die zweitmächtigste Person in der Islamischen Republik und wurde von einigen als Anspielung auf einen Staatsstreich verstanden.
Während der Präsidentschaft von Hassan Rohani gab es Probleme und Herausforderungen anderer Art. So genannte „autonome“ Gruppen wurden aktiv. Die Öffentlichkeit erwartete von der „Regierung der Hoffnung“ (Rohani) eine Verbesserung der wirtschaftlichen Bedingungen. Die Unfähigkeit der Regierung, die gemachten Versprechungen einzulösen, führte zu den blutigen Protesten von 2017 und 2019 sowie zu einer Reihe von Streiks.
Der wirtschaftliche Misserfolg ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass die Regierung Rohanis ihre Pläne auf das Atomabkommen stützte. Als dieses nach Trumps Ausstieg aus dem Abkommen scheiterte, verabschiedete das Parlament eine Resolution, die den Weg für eine Wiederaufnahme der Verhandlungen blockierte.
Wie ich bereits erwähnt habe, hat Peseschkian während seines Wahlkampfs zwar nicht viele Versprechungen gemacht, aber er hat gesagt: „Ich garantiere, dass sich die gesamte Regierung entschieden gegen die Zwangskontrollen, die Rügen … und den Druck von außen wehren wird“.
Viele derjenigen, die für ihn gestimmt haben, sind vermutlich der Meinung, dass Maßnahmen gegen die „Sittenpolizei“ und die Zensur eine Priorität sein sollten. Ein Erfolg auf diesen Gebieten ist allerdings schwer zu erzielen, da beispielsweise das obligatorische Tragen des Hidschabs nach offiziellen Angaben eine „staatliche Verpflichtung“ ist und Chamenei wiederholt betont hat, dass er in dieser Frage keine Kompromisse eingeht. Anfang 2022 erließ Ebrahim Raisi eine Durchführungsverordnung mit der Bezeichnung „Hijab- und Keuschheitsplan“ für die Exekutiv- und Strafverfolgungsbehörden, und ein Gesetzentwurf mit demselben Namen wurde nach mehreren Runden zwischen dem Parlament und dem Wächterrat angenommen. Seine Umsetzung wurde lediglich durch die Parlamentswahlen im vergangenen Jahr und die jüngste Präsidentschaftswahl verzögert.
Sechs der 13 Mitglieder des Ausschusses, der das „Filtern“ des Internets und der sozialen Medien kontrolliert, werden von der Regierung benannt, doch scheinen die anderen Mitglieder, die von nicht gewählten Stellen ernannt werden, mehr Einfluss zu haben. Am 15. Mai erklärte der damalige Minister für Kommunikation: „Internetbeschränkungen liegen nicht in unserer Hand. Der ‚Filterausschuss‘ ist dafür zuständig, die Sperren von Websites und sozialen Medienplattformen aufzuheben.“ Unter diesen Umständen ist unklar, wie Peseschkian diesen „externen Druck“ in Sachen Zensur überwinden kann.
|
|||||||||||
Was die „Sittenpolizei“ betrifft, so stellt sich die Frage, wie der Präsident reagieren wird, wenn sie weiterhin gegen Frauen vorgeht, die sich weigern, den Hidschab auf der Straße zu tragen. Wird er sein Versprechen einhalten?
Neben den unmittelbaren Herausforderungen steht der neue Präsident auch vor einer langen Liste gravierender politischer und wirtschaftlicher Probleme, von denen einige mit den Außenbeziehungen zusammenhängen. Ganz ähnliche Probleme gab es auch während der Amtszeit von Rohani. Sie blieben bis zum Ende seiner Amtszeit ungelöst.
Vor den Präsidentschaftswahlen bemerkte der Wirtschaftsprofessor Sa’id Laylaz, dass Peseschkian aufgrund seines Potenzials, „die schwerwiegenden wirtschaftlichen Ungleichgewichte in Iran zu lösen“, kandidieren durfte. Laylaz führte aus, die Lösung der wirtschaftlichen Probleme erfordere eine Regierung mit größtmöglicher Legitimität. Eine „reformistische“ Regierung würde eine Lösung besser ermöglichen. Während des Wahlkampfs verknüpfte Peseschkian einige seiner wirtschaftlichen Versprechen mit der Verbesserung der Außenbeziehungen: Sein Ziel war ein Wirtschaftswachstum von 8 %, das von der Anwerbung ausländischer Investitionen in Höhe von jährlich 200 Milliarden Dollar abhing.
Obwohl Peseschkian zugesagt hat, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um den Namen des Irans von der schwarzen Liste der Financial Action Task Force (FATF) [2] zu streichen, gehe ich davon aus, dass dies im Zusammenhang mit der finanziellen Unterstützung der Hisbollah durch den Iran steht. Angesichts der derzeitigen Instabilität im Nahen Osten und einer möglichen Eskalation zwischen Israel und der Hisbollah ist es schwer vorstellbar, dass der neue Präsident die finanziellen Zuwendungen des Irans an die schiitische Gruppe reduzieren wird.
Was die Beziehungen zu den USA angeht, so hat Ali Abdolalizadeh, der Leiter der Peseschkian-Kampagne, versprochen, „mit Trump über die Aufhebung der Sanktionen zu verhandeln. Er ist ein Geschäftsmann, und wir verstehen die Sprache des Handels gut“. Es könnte sein, dass der neue Präsident von Chamenei grünes Licht bekommen hat, aber wenn nicht, werden die Auslandsbeziehungen des Irans sehr begrenzt bleiben (auf Länder wie China und Russland).
Der Wirtschaftswissenschaftler Hadi Kahalzadeh erklärte gegenüber BBC Persian, dass eine der größten Schwierigkeiten für Peseschkian darin besteht, dass die Regierung praktisch ihrer politischen Entscheidungsbefugnisse in den Bereichen Wirtschaft, Wohlfahrt, Gesundheit und Soziales beraubt wurde, so dass sich der Iran praktisch in einem Zustand der „Nicht-Regierung“ befindet. Kahalzadeh erklärte fest, dass die Fähigkeit der Regierung, Politik zu machen und nationale Probleme zu lösen, daher drastisch eingeschränkt wurde.
Auch die finanziellen Mittel der Regierung sind begrenzt, und ihre Ausgaben sind sehr hoch, so dass sie weiterhin mit einem Haushaltsdefizit konfrontiert ist. Dies hat zu einer Verknappung der Ressourcen geführt. Wird Peseschkian also das tun, was andere iranische Präsidenten bereits getan haben, nämlich sich Geld bei der Zentralbank leihen, was wiederum die Inflation anheizt?
Wie ich bereits mehrfach angemerkt habe, sollten wir zwar nicht mit einem baldigen Zusammenbruch des Regimes rechnen, aber es befindet sich auch nicht gerade in einer sicheren oder stabilen Lage.
Übersetzung: J. S. |
Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 5/2024 (September/Oktober 2024). | Startseite | Impressum | Datenschutz