Naher Osten

Israel hat einen Plan zur ethnischen Säuberung des Gazastreifens

Jemand hat ihn entworfen, es gab Diskussionen über Vor- und Nachteile, Alternativen wurden erwogen – alles in klimatisierten Konferenzräumen.

Gideon Levy

Zum ersten Mal seit Beginn des Rachekriegs in Gaza ist klar: Israel hat einen Plan – und er ist weitreichend.

 

Bulldozer in Gaza

Foto: IDF

Adolf Eichmann begann seine Nazi-Karriere als Chef der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ im Sicherheitsdienst des Reiches. Joseph Brunner, der Vater des heutigen Mossad-Chefs David Barnea, war drei Jahre alt, als er mit seinen Eltern aus Nazideutschland floh – noch bevor der Evakuierungsplan umgesetzt wurde.

In der vergangenen Woche reiste Barnea, der Enkel, nach Washington, um über die „Evakuierung“ der Bevölkerung des Gazastreifens zu sprechen. Auf dem Sender Channel 12 News berichtete Barak Ravid, dass Barnea seinen Gesprächspartnern mitgeteilt habe, Israel habe bereits mit drei Ländern Gespräche über dieses Thema aufgenommen – und die Ironie der Geschichte musste sich vor lauter Scham verstecken. Ein Enkel eines wegen ethnischer Säuberung aus Deutschland Geflohenen spricht über ethnische Säuberung – und es kommt keine Erinnerung hoch.

Um zwei Millionen Menschen aus ihrem Land zu „evakuieren“, braucht man einen Plan. Israel arbeitet an einem solchen. Die erste Phase besteht darin, große Teile der Bevölkerung in ein Konzentrationslager zu verlegen, um eine effiziente Abschiebung zu erleichtern.

Vergangene Woche veröffentlichte die BBC einen investigativen Bericht auf Grundlage von Satellitenbildern, die eine systematische Zerstörung durch die IDF (israelische Armee) im gesamten Gazastreifen zeigen. Dorf um Dorf wird ausgelöscht, das Land wird eingeebnet für den Bau des Konzentrationslagers, sodass Leben in Gaza nicht mehr möglich sein wird.

Die Vorbereitungen für das erste israelische Konzentrationslager laufen auf Hochtouren. Die systematische Zerstörung schreitet im gesamten Küstenstreifen voran – damit es keinen Ort mehr gibt, an den man zurückkehren könnte, außer dem Lager.

Für diese Arbeit braucht man Bulldozer. Die BBC zeigte zwei Stellenanzeigen. Eine beschrieb die Arbeit folgendermaßen: „Für ein Projekt zum Abriss von Gebäuden in Gaza suchen wir Bulldozer-Fahrer für 40-Tonnen-Fahrzeuge. Der Job beinhaltet eine Bezahlung von 1200 Schekel (ca. 357 US-Dollar) am Tag, inklusive Verpflegung und Unterkunft, mit der Möglichkeit eines Privatfahrzeugs.“ Die zweite Anzeige lautete: „Arbeitszeit: Sonntag bis Donnerstag, 7:00 bis 16:45 Uhr, hervorragende Arbeitsbedingungen.“

Weitere Leseempfehlungen in diesem Zusammenhang

Der israelische Haaretz-Publizist Zvi Bar’el: „Gaza hat Israel in einen anderen Staat umgewandelt. Im Namen des Krieges darf man schon die Meinungsfreiheit aufheben, Journalisten festnehmen, ‘unwürdige’ Vorstellungen und Kulturveranstaltungen verhindern, einen Knesset-Abgeordneten entlassen und/oder einen Lynch an ihnen verüben, Angehörige von entführten Geiseln verprügeln, Häuser von Palästinensern im Westjordanland verbrennen und Gefangene foltern.”

Dem fügte er hinzu: „Gaza hat auch die israelischen Bürger entstellt, ihre Sprache, ihre Identität vertauscht. Aus Bürgern, die einst Menschenleben zu würdigen wussten, sind sie im Namen ihrer heiligen Mission in Gaza zu solchen geworden, die Menschen opfern – Geiseln opfern, ihre eigenen Söhne opfern, tausende Kinder, Frauen und Alte eines anderen Volkes opfern. Israel unter der ‘Herrschaft’ von Gaza, ist ein zerfallender, rachsüchtiger, unmoralischer Staat, vor allem aber ein Staat ohne Horizont und Hoffnung. Kein Sieg, der mit einem dermaßen schweren Preis gezahlt werden wird, wird in der Lage sein, die tiefe Narbe, die in die Geschichte des Staates und den Charakter der israelischen Gesellschaft bereits eingebrannt worden ist, heilen und rehabilitieren können.”

Zitiert nach Moshe Zuckermann: Von Menschen, Maschinen und Ungeheuerlichkeiten,

Lesenswert ist auch Moshe Zuckermanns Artikel: Orwell in Israel, auf den sein erstgenannter Beitrag zurückgeht und in dem er die Bildung eines KZs im Gazastreifen sowie die Herzlosigkeit des größten Teils der israelischen Gesellschaft beklagt.

 

Israel begeht stillschweigend ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es geht nicht um ein Haus hier und ein Haus dort, nicht um „operative Notwendigkeiten“, sondern um die systematische Vernichtung jeglicher Lebensmöglichkeit dort – während gleichzeitig die Infrastruktur errichtet wird, um Menschen in einer „humanitären“ Stadt zu konzentrieren, die als Durchgangslager dienen soll – vor der Abschiebung nach Libyen, Äthiopien oder Indonesien, den laut Channel 12 von Barnea genannten Zielorten.

Das ist der Plan zur ethnischen Säuberung Gazas. Jemand hat ihn entworfen. Es gab Diskussionen zum Pro und Kontra, Alternativen wurden erwogen, die Optionen kompletter oder gestufter „Säuberung“, alles in klimatisierten Sitzungszimmern, mit Protokollen und Beschlüssen. Zum ersten Mal seit Beginn des Rachekriegs in Gaza ist klar: Israel hat einen Plan – und er ist weitreichend.

Dies ist keine wahllose Kriegsführung. Man kann Benjamin Netanjahu nicht mehr vorwerfen, einen Krieg ohne Ziel zu führen. Dieser Krieg hat ein Ziel – und es ist ein verbrecherisches. Man kann den Armee-Kommandeuren nicht mehr sagen, dass ihre Soldaten umsonst sterben: Sie sterben in einem Krieg zur ethnischen Säuberung.

Der Boden ist bereitet, nun kann zur „Umsiedlung“ der Menschen übergegangen werden. Die Stellenanzeigen sind veröffentlicht. Nachdem die Bevölkerung verlegt sein wird und die Bewohner der „humanitären Stadt“ beginnen, inmitten der Trümmer und gezeichnet von Hunger, Krankheit und Bombardierung ihrem früheren Leben nachzutrauern, kann die letzte Phase beginnen: das gewaltsame Verladen in Lastwagen und Flugzeuge, Richtung neues, ersehntes „Heimatland“ – Libyen, Indonesien oder Äthiopien.

      
Mehr dazu
Büro der Vierten Internationale: Eine weltweite Bewegung gegen den Völkermord in Palästina aufbauen, die internationale Nr. 5/2025 (September/Oktober 2025) (nur online). Auch bei intersoz.org.
Meron Rapoport: Die Hügeljugend in Israels Militärstrategie in der Westbank, die internationale Nr. 5/2025 (September/Oktober 2025).
Dave Kellaway: Solidarität mit Gaza ist nicht antisemitisch – Tod der Heuchelei, die internationale Nr. 5/2025 (September/Oktober 2025). Auch bei intersoz.org.
Jakob Schäfer: Siedlerkolonialismus, ethnische Säuberung und Völkermord, die internationale Nr. 5/2025 (September/Oktober 2025). Auch bei intersoz.org.
 

Wenn das humanitäre Hilfsprojekt bereits Hunderte Menschenleben gekostet hat, wird die Abschiebung Zehntausende kosten. Aber nichts wird Israel auf dem Weg zur Umsetzung dieses Plans aufhalten.

Ja, es gibt einen Plan – und er ist noch teuflischer, als es den Anschein hat. Irgendwann saßen Menschen zusammen und schmiedeten diesen Plan. Es wäre naiv zu glauben, dass all dies „einfach so“ geschehen ist. In 50 Jahren werden die Protokolle freigegeben – und wir werden erfahren, wer dafür war und wer dagegen. Wer vielleicht erwogen hat, ein Krankenhaus unversehrt zu lassen.

Neben den Offizieren und Politikern waren auch Ingenieure, Architekten, Demographen und Leute aus dem Finanzministerium dabei. Vielleicht sogar Vertreter des Gesundheitsministeriums. Wir werden es in 50 Jahren wissen.

In der Zwischenzeit hat der Leiter der Zentralstelle für die Auswanderung der Palästinenser, David Barnea, die nächste Stufe umgesetzt. Er ist ein gehorsamer hoher Beamter, der sich nie mit seinen Vorgesetzten angelegt hat. Kommt Ihnen das bekannt vor? Er ist der Held der Kampagne für Massenamputationen per Walkie-Talkie. Wenn man ihn losschickt, um Geiseln zu retten – geht er. Wenn man ihn losschickt, um die Deportation von Millionen vorzubereiten – auch kein Problem. Schließlich befolgt er nur Befehle.

20. Juli 2025
Quelle: It's Clear - Israel Now Has a Plan for the Ethnic Cleansing of Palestinians From Gaza, Haaretz, Übersetzung: J.S.



Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 5/2025 (September/Oktober 2025). | Startseite | Impressum | Datenschutz