Am 22. September ist unser Genosse Willy Boepple im Alter von 81 Jahren gestorben. Noch drei Tage zuvor hatte er an der Inprekorr-Konferenz in Mannheim teilgenommen. Bis zuletzt ist er trotz seiner angeschlagenen Gesundheit aktiv für den internationalen revolutionären Sozialismus eingetreten.
wa
Politisch beeinflußt wurden Willy und sein Bruder durch ihren Vater, der als Mitglied der USPD aktiv an der Novemberrevolution teilnahm und später der SPD beitrat. In seinen leider unvollendet gebliebenen autobiographischen Erinnerungen schreibt Willy: „Politisch aktiv zu sein, wurde mit zwar nicht in die Wiege, aber doch gewissermaßen in den Schulranzen gelegt. Schon zu Lebzeiten meines Vaters war ich politischer „Aktivist“. Als neun- oder zehnjähriger Steppke stand ich mit einem Wahlplakat um den Hals vor dem Wahllokal oder setzte mich etwas später im Schulhof mal verbal, mal handgreiflich mit „Stahlhelmern“ und „Hakenkreuzlern“ auseinander. Auch praktische Arbeit für die Partei lernte ich als Schuljunge schon kennen. Die USPD hatte in Mannheim in der Tulla-Straße ein kleines, dürftiges Büro. Dort halfen wir, d. h. mein Bruder und ich, öfter mal Rundschreiben oder Propagandamaterial der Partei zu kuvertieren, zu frankieren und in Waschkörben zur Post zu bringen. Das war für uns ein Heidenspaß, weil die Briefmarken so süß schmeckten.“
Nach dem Besuch der Oberrealschule lernte Willy den Beruf des Hotelkaufmanns, fand aber nach seiner Ausbildung zunächst keine Arbeit. Gemeinsam mit seinem Bruder, einem Metallarbeiter, trat er 1930 in die KPD ein. Bereits vorher hatte er sich für die Rote Hilfe engagiert. „Eine Mitgliedschaft in der SPD“, erinnerte sich Willy, „lag für uns außerhalb jeder Erwägung.“ Die Wutausbrüche des Vaters bei der Lektüre der SPD-Parteizeitung waren für die beiden Buben „so eine Art politischer Elementarunterricht“. Das intensive Studium marxistischer Literatur, darunter grundlegende Schriften von Karl Marx, prägte den jungen Willy sehr stark.
Im März 1933 wurde er als 22jähriger KPD-Funktionär von den braunen Machthabern verhaftet und nach vierzehn Tagen Untersuchungshaft in die Konzentrationslager Heuberg und Kislau verlegt. Nach seiner Entlassung aus der „Schutzhaft“ Ende 1933 konnte er nur zeitweise Arbeit in seinem erlernten Beruf finden. Obwohl als „politisch unzuverlässig“ eingestuft, zog ihn die Nazi-Wehrmacht 1940 zum Kriegsdienst ein, dem er sich erst 1945 durch Desertion entziehen konnte.
Nach dem Kriegsende gehörte Willy zu denjenigen, die die KPD in Mannheim wiederbegründeten. Seine politischen Bedenken wegen der stalinistischen Linie der „friedlichen Koexistenz“ mit dem Imperialismus und der sowjetischen Besatzungspolitik führten zum Bruch mit der Partei. Der entscheidende Wendepunkt war eine heftige Auseinandersetzung mit Walter Ulbricht bei einer gemeinsamen Sitzung der Führungsspitzen von SED und KPD in Ost-Berlin 1948. Willy hatte sich erlaubt, die Unfehlbarkeit des „Genossen Stalin“ anzuzweifeln. Unter anderem als KPD-Redakteur der „Badischen Neuesten Nachrichten“, als Abgeordneter im ersten baden-württembergischen Landtag und als stellvertretender Landesvorsitzender war Willy an prominenter Stelle für die Ziele der Partei eingetreten. Die wütenden Angriffe seitens des Parteiapparates bestärkten ihn in der Ansicht, „daß ein Kommunist in dieser Partei nichts mehr zu suchen hat“.
Obwohl von der KPD in der Öffentlichkeit als „Parteifeind“ denunziert, resignierte Willy nicht. Über die Gruppe „Arbeiterpolitik“ kam er Anfang 1950 zur IV. Internationale. Den Ausschlag dafür gaben die Lektüre von Trotzkis Analyse des Stalinismus und intensive Diskussionen mit Georg Jungclas und Ernest Mandel.
|
|||||||||
In den 50er und 60er Jahren, der schlimmsten Phase des „kalten Krieges“ bildeten Georg und Willy das Leitungsduo der deutschen Sektion der IV. Internationale. Offiziell war Willy im Schuhgeschäft seiner Frau tätig. In Mannheim begründete er eine Ortsgruppe, die ihr Standbein „beim Benz“ hatte. Aufgrund der Entrismus-Taktik waren die Mitglieder der IV. Internationale damals in der SPD aktiv. Willy unterstützte gemeinsam mit seinen Genossinnen und Genossen aktiv den algerischen Befreiungskampf und die Bewegungen gegen Aufrüstung und Militarismus in der BRD. Als Redaktionsmitglied von „Pro und Contra“, „Sozialistische Politik“ (SOPO) und „die internationale“ entfaltete er seine journalistischen Talente. Theo Pirker, damals wissenschaftlicher Mitarbeiter des DGB und später bekannter Industriesoziologe, bemerkte zu seiner Mitarbeit bei SOPO: „Ich habe sehr eng und besonders gern mit dem Genossen Boepple aus Mannheim zusammengearbeitet. Den kannte ich durch meine gewerkschaftlichen Beziehungen. Er war kein so hundertfünfzigprozentiger Trotzkist. Mit dem konnte ich reden.“
Die turbulente Zeit der APO, Ende der 60er Jahre, wirkte sich auch auf Willys politisches Leben aus. Durch die politische Radikalisierung vor allem an den Universitäten wandelte sich die Sektion von einer Arbeiter- in eine Studentenorganisation. Organisationspolitische Auseinandersetzungen und gesundheitliche Gründe förderten Willys Rückzug. Die Verletzungen, die er sich im politischen Getümmel zugezogen hatte, blieben auch Jahrzehnte später noch spürbar.
Trotz alledem knüpfte Willy Ende der 70er Jahre wieder engere Kontakte zu den jüngeren Genossinnen und Genossen. Zahllose Übersetzungen für Inprekorr und den isp-Verlag (u. a. Ernest Mandels „Einführung in den Marxismus“ und Petr Uhls „Die Herausforderung“) zeugen von seinem Einsatz. Als Mitglied der Bezirksgruppe Rhein-Neckar der VSP und der IV. Internationale mischte er sich bis zuletzt in die aktuellen Debatten ein.
Seine persönliche Sorge in den letzten Jahren galt vor allem dem sich verschlechternden Gesundheitszustand seiner Frau Bertel.
In seinem Gruß zum 80. Geburtstag schrieb Ernest Mandel, daß Willy „heute in Deutschland und in der Welt“ zu den wenigen gehört, „die in ihrer Person die Kontinuität und die Ehre des Kommunismus verkörpern und seine Zukunft garantieren“. Wir werden jedenfalls den aufrechten Gang, die Geradlinigkeit und die Ernsthaftigkeit nicht vergessen, die in Willy Boepples Leben zum Ausdruck kommen.
wa (23.9.92) |
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 252 (Oktober 1992). | Startseite | Impressum | Datenschutz