Der Konflikt mit Grotewohl und Ulbricht führte ihn von der KPD zur IV. Internationale. Jetzt ist eine Biographie Willy Boepples erschienen, die in mehrfacher Hinsicht zum Lesen reizt.
Manfred Behrend
Das Buch erweckt erstens wegen des Lebensweges seines Helden Interesse. Boepple, der 1931 zur KPD fand, geriet nach 1933 zum Glück nicht in eines jener Himmelfahrtskommandos, mit denen die Partei ohne Rücksicht auf Verluste zeitweise offen die faschistische Staatsmacht attackierte. Er überstand Konzentrationslager und Krieg, zählte 1945 zu den Wiederbegründern der KPD und stieg 1946 in Nordbaden zum jüngsten Bezirksvorsitzenden der Partei auf.
Zugleich gehörte er dem gemeinsamen Vorstand von SED und KPD an. 1947/48 hatte er Konflikte mit Grotewohl und Ulbricht. Erstgenannter warf ihm seiner klassenkämpferischen Haltung wegen vor, einen „Weltbrand der Revolution" entfachen zu wollen. Letzterwähnter empörte sich über Boepples Kritik an Stalins Nachkriegskurs. (S. 24 f.) Einem Rat Anton Ackermanns folgend, verließ der Delinquent Ostberlin.
Später trat er aus der KPD aus und schloß sich der in Brandler-Thalheimer-Tradition stehenden „Gruppe Arbeiterpolitik" an. Bald aber stieß ihn deren Geschichtsfatalismus ab, der Stalins Diktatur als „historisch notwendig" erscheinen ließ. (S. 265) Antwort auf Fragen nach Herkunft und Funktion der bürokratischen Diktatur in der Sowjetunion fand er in Trotzkis Schrift „Verratene Revolution" von 1936. Boepple stieß zur IV. Internationale. Mit Ernest Mandel und Georg Jungclas wirkte er in der BRD für deren Ziele.
Zweitens machen Ausführungen über die linke Organisations- und Pressegeschichte den Band interessant. Der Unabhängigen Arbeiterpartei (UAP), die 1951/52 von Jugoslawien gesponsert zum Kampf gegen die Anti-Tito-Kampagne genutzt wurde, gehörten neben Wolfgang Leonhard und ehemaligen KPD-Mitgliedern Trotzkisten an. (Nicht Boepple allerdings, der schon in der Vorbereitungsphase von dem Unternehmen Abschied nahm.)
Sie wurden bald wegen ihrer Kritik am autoritär-antikommunistischen Führungskurs in der UAP ausgeschlossen, traten in Ausführung eines „Entrismus"-Beschlusses einzeln der SPD bei und waren zeitweise auf deren linkem Flügel erfolgreich. Gemeinsam mit kritischen Sozialdemokraten wie Theo Pirker, Wolfgang Abendroth und Peter von Oertzen bezogen sie und Boepple in der Monatsschrift „Sozialistische Politik" (SOPO) Position. Wichtigster Redakteur war Letztgenannter, der daneben auch an anderen Zeitschriften mitwirkte und mit Übersetzungsarbeiten befaßt war.
Durch die SOPO sowie Diskussions- und Schulungsveranstaltungen übten Anhänger der IV. Internationale Einfluß auf SPD- und Gewerkschaftsfunktionäre aus. Der Rechtstrend in der Sozialdemokratie seit Godesberg 1959 schadete dem SOPO-Projekt, bis es 1966, fast nur noch von Trotzkisten getragen, eingestellt werden mußte.
Die Anhänger der IV. Internationale, Boepple eingeschlossen, waren allein auf Verbindung zur Arbeiterklasse fixiert. Daher konnten sie Möglichkeiten, die sich aus dem Bruch der SPD-Führung mit dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) ergaben, organisatorisch nicht für sich nutzen.
Spätere Spaltungen und Wiederzusammenschlüsse von Angehörigen der deutschen Internationale-Sektion, die hier rapportiert werden, sind wesentlich für Experten von Belang. Wichtig war die Unterstützung, die Trotzkisten dem algerischen Befreiungskampf erwiesen; sie reichte bis zur Waffenfabrikation in Marokko.
Drittens verdienen Boepples Artikel unsere Aufmerksamkeit. Die Vielfalt der Themen ermöglicht einen Überblick über wichtige innen- und außenpolitische Probleme der damaligen Zeit. Dabei kommt den Leserinnen zugute, daß die journalistischen Fähigkeiten des Autors beachtlich waren. Boepple ergriff für fortgeschrittene Teile der Arbeiterschaft und Hochrüstungsgegner Partei.
Seine Artikel sind auch dann aufschlußreich, wenn sie Fehlurteile enthalten. So die nach 1945 gehegte Annahme, es werde bald zum Ausbruch eines dritten Weltkriegs kommen, der zur Radikalisierung des Proletariats führen müsse. Sie wurde auch von anderen Vertretern der westdeutschen Opposition geteilt.
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Viertens sind – speziell für frühere DDR-Bürger – Boepples Äußerungen zur „Entstalinisierung" in der UdSSR und deren mögliche Auswirkungen auf ihren eigenen damaligen Staat von Interesse. Der Autor war vom XXII. Parteitag der KPdSU 1961 beeindruckt, auf dem der Stalin-Terror erstmals öffentlich und grundsätzlicher als beim XX. Parteitag gebrandmarkt wurde. Boepple baute auf die Unumkehrbarkeit der Entwicklung und erhoffte sich positive Auswirkungen auf SED und DDR. S. 197 ff.) Seinen Zorn erregte besonders Walter Ulbricht, dieser „Inbegriff eines verabscheuungswürdigen Diktators, dessen eigene Macht ... in umgekehrtem Verhältnis zu seiner Brutalität, Borniertheit und Kulturlosigkeit steht". Doch seien andere, im Westen tätige Kräfte mit an der Konservierung des Regimes schuld. (S. 208)
In einem Offenen Brief an Robert Havemann von 1979 (S. 241 ff.) bezeigte Boepple dem Dissidenten seine Hochachtung, übte aber gleichzeitig an Mängeln in dessen Ansichten Kritik.
So mißbilligte er Havemanns Neigung zum Eurokommunismus und Sozialdemokratismus und seine mangelnde Kenntnis vom Systemcharakter politbürokratischer Regime. Boepple bestritt nunmehr die Selbstreinigungskraft der KPdSU und ihrer Schwesterparteien. (S. 243) Inhalt des letzten nachgedruckten Artikels ist eine Nachwende-Polemik wider Georg Fülberth, der die Hauptverantwortlichen für den Zusammenbruch der DDR – ihre Regenten quasi entschuldigt hatte. Sie gipfelten in dem Satz: „Nach 40 Jahren ‚real existierendem Sozialismus‘ hat der Untergang des DDR-Regimes dem deutschen Kapitalismus den größten Triumph seiner Geschichte beschert." (S. 291)
Den im Buch nachgedruckten oder erstveröffentlichten 42 Texten Boepples hat Herausgeber Wolfgang Alles, ein Experte auf dem Gebiet der trotzkistischen Bewegung und ihrer deutschen Sektion, informative Anmerkungen vorangestellt. Das Vorwort schrieb Ernest Mandel. Am Schluß finden sich ein Nachruf Jakob Monetas und Lebensdaten von Boepple.
Wolfgang Alles (Hg.): Gegen den Strom. |
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 315 (Januar 1998). | Startseite | Impressum | Datenschutz