Salvatore Cannavo
Es ist ein wirksames Zusammenspiel von vier Bestandteilen: der neoliberalen Aggressivität des italienischen Großkapitals, das in den trüben Gewässern des internationalen Wettbewerbs zu überleben versucht; des Populismus, Autoritarismus und der Fremdenfeindlichkeit der beiden Rechtsparteien Alleanza Nazionale und Lega Nord; des neo-christdemokratischen Klerikalismus; und einer geschäftstüchtigen bürokratischen Vetternwirtschaft der Forza Italia und ihrer Obersten. Alles in allem ein gefährlicher Mix, der nicht unterschätzt werden sollte und dem auch der Sarkasmus nicht gerecht wird, der bis anhin die einzige Waffe der Mitte-Links-Parteien zu sein scheint.
Die Antwort auf diese Konstellation mit ihren vier tragenden Säulen muss lauten, einen gesellschaftlichen Block aufzubauen, der eine Alternative zu dem von Berlusconi so geschickt zusammengeführten Lager bildet. Dazu bedarf es einer Aktionsplattform, die sich die Bekämpfung des Neoliberalismus zum Ziel setzt und als wichtigstes Instrument die sozialen Bewegungen im Sinn einer demokratischen Beteiligung breiter Bevölkerungskreise und ArbeiterInnenschichten wiederzubeleben versucht. In diesem Sinn wird entscheidend sein, ob es gelingt, eine Verbindung zwischen der traditionellen ArbeiterInnenbewegung und der neuen Subjektivität herzustellen, die mit der so genannten Seattle-Bewegung sichtbar geworden ist.
Der Artikel von Salvatore
Cannavo beschreibt die Geschichte und Perspektiven der Antiglobalisierungsbewegung
oder der Globalen Ausserparlamentarischen Opposition (GAPO),
wie einige Leute diese Bewegung optimistisch bezeichnen. Der Artikel
wurde Anfang Juni, also kurz vor den Ereignissen in Genua geschrieben. Die
hier aufgeworfenen Fragen sind aber nach wie vor aktuell. In der nächsten Ausgabe
der INPREKORR werden wir noch weiter auf Genua und die Folgen eingehen.
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Marcos Sprache wird weltweit gehört und verstanden, was von einem neuen Klima und von einer neuen politischen Sensibilität zeugt. Der Erfolg des ersten Interkontinentalen Treffens im Sommer 1996 hat dies bestätigt und gezeigt, dass nicht nur ein enger Zusammenhang zwischen globaler Politik und lokalen Fragen besteht, sondern dieser auch weltweit verstanden wird und rasch zu einem bevorzugten Ausgangspunkt politischer Betätigung wurde. Kurz danach machten sich in Europa die Früchte der breiten französischen Protestbewegung des Jahres 1995 bemerkbar, die zur Zurücknahme des Juppé-Plans geführt und Jospin den Weg zum Sieg gebahnt hatte: Im Juni 1997 fand in Amsterdam der ersten Euromarsch für ein soziales Europa statt, der vom Euromarsch-Netzwerk organisiert wurde.
Im Jahr darauf mobilisierte die Kampagne Jubilee 2000 zur Streichung der Schulden der Drittweltländer, die zwischen 1996 und 1997 in Großbritannien entstanden war und an der Gewerkschaften, NGOs, Frauen- und Flüchtlingsbewegungen mitwirken, 70 000 Menschen nach Birmingham zur Jahreskonferenz der G7. Zwischen 1998 und 1999 entstand in Frankreich ATTAC, die Vereinigung gegen die internationale Finanzspekulation, die innerhalb kurzer Zeit (mit der Entstehung von "Sektionen" in einem Dutzend Ländern, darunter Italien) zu einem wichtigen Instrument der Beteiligung und Organisierung der globalen Bewegung wurde.
Daneben machte die Verhaftung von José Bové, dem vorgeworfen wurde, einen McDonald's zerstört zu haben, um gegen globalen Junk-Food zu protestieren, sichtbar, dass eine Bauern/Bäuerinnenbewegung entstanden ist. Via Campesina, eine 1993 gegründete Organisation, die heute weltweit rund 60 Millionen Bauern/Bäuerinnen mobilisieren kann, wird in vielen Kämpfen in den Ländern des Südens eine entscheidende Rolle spielen.
Kein Zufall also, dass die Bewegung "emigrierte" und sich weltweit verbreitete. Die Etappen sind bezeichnend: nach Seattle (November 1999) und Washington (April 2000) kommen Millau (30. Juni 2000 in Solidarität mit José Bové), Melbourne (11. September gegen das Weltwirtschaftsforum), Prag (26. September 2000, erneut gegen den IWF), Seoul (10. Oktober gegen das Asien-Europa- Treffen ASEM), Nizza (6./7. Dezember gegen den EU-Gipfel), Quebec (April 2001, gegen die Schaffung der Freihandelszone der Amerikas FTAA), Göteborg (Juni 2001 gegen den EU-Gipfel). Soweit die "institutionellen" Treffen gegen die Gipfeltreffen von international bestehenden oder geplanten Einrichtungen, Organisationen oder Verträgen. Gleichzeitig kommt es weltweit zu Hunderten anderer Treffen, Demonstrationen und Kämpfe.
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sei hier nur erinnert an den Weltfrauenmarsch gegen Frauenarmut und Gewalt an Frauen, die Streiks und "Märsche" in Lateinamerika, diverse (in Großbritannien Dank der Bedeutung von Reclaim the Street und Global Resistance besonders kämpferische) 1. Mai-Demonstrationen, den Marsch der ZapatistInnen von März des Jahres, die Kämpfe gegen Entlassungen in Frankreich, die Demonstrationen gegen die US-Militärbasen in Japan und vieles mehr.
Das Treffen in Genua im Juli aus Anlass des G8-Gipfels, an dem die "Großen" dieser Erde über die gesamte Welt entscheiden, stellt nur eine Etappe im Rahmen einer allgemeineren und breiteren Bewegung dar.
Angesichts des defensiven Charakters der aktuellen Kämpfe, der Aggressivität der neoliberalen Politik und der Schwäche der antikapitalistischen Linken kann diese Phase zwar noch nicht als beendet betrachtet werden, doch sie ist auch nicht mehr so stabil wie noch vor zehn Jahren, als Ideologen wie Francis Fukuyama den Kapitalismus noch als die beste aller denkbaren Welten bezeichnen konnten. Die Finanzkrisen der Jahre 1997 und 1998, die gegenwärtige Stagnation in den Vereinigten Staaten und Japan, die Widersprüche der EU und sogar die Widersprüchlichkeit des Wahlsiegs von Berlusconi, der zwar die Parlaments-, aber nicht die Bevölkerungsmehrheit hinter sich hat, zeigen, wie ausgesprochen instabil und ungewiss die gegenwärtige Lage ist.
Gegenüber diesem skizzierten "Gleichgewicht" meldet sich langsam eine neue Generation zu Wort, die nicht mehr die Last der vergangenen Niederlagen und alten ideologischen Verkrustungen mit sich schleppt und nicht auf ein organisiertes "Lager" oder dessen nationale Unterorganisationen trifft. Wir erleben eine "Rückkehr zur Politik" nach einer Krise, die sich quer durch die Linke und insbesondere durch die Sozialdemokratie und die stalinistischen Parteien zieht. Beide sind gescheitert und unfähig, die heutigen Kräfte zu beurteilen, zu vertreten, zu organisieren und ihnen Hoffnung zu geben.
Auch deshalb braucht die neue Protestbewegung neue Orte, an denen ihre Politik zusammenfließt, ohne dass diese unmittelbar als alt oder überholt angesehen werden. Sie muss zählen, Gewicht haben, durch Präsenz und Beteiligung ohne zu viel Delegation ihre Nützlichkeit erweisen - ein unverzichtbarer, unveräußerlicher Wert. Sie muss sich selbst als treibende Kraft dieser "neuen, möglichen Welt", die noch in einer Entwurfsphase steckt, sehen. Die Bewegung muss sich Foren und Orte schaffen, die nicht von Politapparaten manipuliert, blockiert oder behindert werden, wie dies in der Vergangenheit geschehen ist. Entweder gibt es diese Apparate nicht mehr oder sie sind, wie beispielsweise die liberale Linke, an der gegenwärtigen Dynamik nicht interessiert bzw. lehnen sie ab, während wieder anderen die Absicht fern ist, etwas zu behindern, oder sie den Prozess sogar mittragen, wie die brasilianische Arbeiterpartei PT in Porto Alegre und Rio Grande do Sul und in viel kleinerem Maßstab die italienische Rifondazione Comunista beweisen.
Wir stehen also vor einer globalen Bewegung, die aber - wie nicht anders zu erwarten -auch von tiefen Widersprüchen durchzogen ist. Das hindert sie jedoch nicht (oder noch nicht) daran, sich linear zu entwickeln, sei es international oder durch Ausweitung auf andere Sektoren. Ohne den Anspruch auf eine objektive, vollständige Einschätzung zu erheben, lassen sich verschiedene allgemeine Kennzeichen der Bewegung benennen: der Versuch, sich bei aller Widersprüchlichkeit in eine internationalistische Perspektive zu stellen, die lange Zeit verloren schien; das widersprüchliche, aber real bestehende Verhältnis zur traditionellen ArbeiterInnenbewegung; und der Versuch, dieser Verbindung mehr Konstanz zu geben und sie weniger dem Zufall zu überlassen; das verbreitete Misstrauen gegen organisierte politische Strukturen, wenn auch verbunden mit dem Willen, gemeinsam Alternativen zu entwickeln.
Diese Fähigkeit zu einer Gesamtvision zeigt sich am Gewicht, das den Diskussionsforen eingeräumt wird (wie in Porto Alegre). Hier wird der laufende Prozess analysiert, hier werden alternative Strategien ausgearbeitet. Diese Konferenzen helfen, einem der möglichen Probleme der Bewegung zuvorzukommen, nämlich einer zu großen Spezialisierung der konkreten politischen Arbeit. In den Foren können dagegen Tausende TeilnehmerInnen die Situation hautnah mitbekommen, einen Überblick über die weltweiten Kämpfe, die auftretenden Probleme und die zu verfolgenden Wege erhalten. Es sind Augenblicke intensiver Politisierung und einer großen kollektiven Reife, die dazu motivieren, globale Alternativen zu entwerfen. Beispielsweise hätte die partizipative Demokratie, ein wesentlicher Beitrag der PT Porto Alegres an das "Volk von Seattle", ohne das Weltsozialforum bei weitem nicht den symbolischen Stellenwert, den sie heute hat.
Diese Treffen und Foren sind aber auch ein wichtiger Beitrag zur Wiederbelebung eines neuen Internationalismus nach Jahren der Passivität. Dieser steht nicht unter dem Vorzeichen der Solidarität mit einem konkret kämpfenden Volk oder einer laufenden Revolution. An deren Stelle ist heute als verbindendes Element in Antwort auf die gegenwärtige kapitalistische Globalisierung ein radikaler Antiliberalismus getreten. Er erlaubt qualitative Sprünge in organisatorischer Hinsicht wie den Aufbau echter internationaler Strukturen (ATTAC, Via Campesina, Weltfrauenmarsch). Dieser Internationalismus ist vorerst noch auf Teilbereiche begrenzt und steht dem traditionellen Antiimperialismus oft mit Unverständnis oder Ablehnung gegenüber. Dennoch lässt er ein günstigeres Klima entstehen, um eine Perspektive der Veränderung entwickeln zu können.
Auf europäischer Ebene sieht es völlig anders aus. Natürlich gab es in der Vergangenheit Kontakte zwischen den verschiedenen Teilen der Sozialbewegungen. Zu nennen ist die Demonstration in Amsterdam im Juni 1997, die den Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) dazu veranlasste, im November desselben Jahres in Luxemburg eine eigene Demonstration zu organisieren. Doch das ist nicht zu vergleichen mit den Kontakten in Amerika. Zwar mobilisierte Nordeuropa, Italien, Spanien und Griechenland im September 2000 nach Prag, um gegen IWF und Weltbank zu protestieren, doch die TeilnehmerInnen bestanden mehrheitlich aus Jugendlichen, während die Gewerkschaften fast vollständig fehlten.
Die Demonstration gegen den EU-Gipfel in Nizza im Dezember 2000 stellte einen Wendepunkt dar. Dieses Mal kam auf Betreiben des radikalsten Gewerkschaftsflügels, insbesondere aus Frankreich - SUD, ATTAC, das Euromarschnetzwerk, die Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR), aber auch die italienischen COBAS und generell die alternativen europäischen GewerkschafterInnen - eine Einheitsdemonstration mit dem EGB zustande, auch wenn dessen Losung (Unterstützung für die Europäische Grundrechtscharta) der Haltung der anderen DemonstrantInnen, aber auch der in den Reihen des EGB-Blocks vorherrschenden Stimmung widersprach, wie verschiedene Gewerkschaftsmedien und -führer offenlegten.
Trotz aller Widersprüche hat Nizza gezeigt, dass eine Verbindung zwischen der traditionellen Gewerkschaftsbewegung und einer Bewegung neuen Typs möglich ist, die sich vor allem aus jungen Menschen zusammensetzt, die gegen die neoliberale Globalisierung protestieren. Die Teilnahme der FIOM-CGIL (Metallarbeiterverband des italienischen Gewerkschaftsbundes CGIL) an der Demonstration gegen den G8-Gipfel in Genua im Juli ist in dieser Hinsicht äußerst bedeutsam.
In Porto Alegre wurde die Teilnahme von Parteivertretern einzig durch die Einberufung des Weltforums der ParlamentarierInnen ermöglicht - eine Entscheidung der PT-Leitung von Rio Grande do Sul, die sich des Problems bewusst ist (während die Beteiligung der italienischen PRC an der italienischen Delegation dem besonderen Charakter dieser Partei zu verdanken ist, die sich anerkanntermaßen immer um den Dialog bemüht und Initiativen ergriffen hat).
Das hindert die Bewegung natürlich nicht daran, politisch konkret, wenn auch manchmal mit unterschiedlichen Positionen Stellung zu beziehen. Auf internationaler Ebene lassen sich drei Hauptrichtungen unterscheiden: eine deutlich radikale Richtung mit einer antikapitalistischen Kritik an der Globalisierung; eine Richtung, die dem Dialog mit den supranationalen Institutionen den Vorrang gibt, und schließlich eine Richtung, die vor allem in den nationalstaatlichen Befugnissen ein Gegengewicht gegen die exzessive Macht der multinationalen Konzerne sieht.
Diese unterschiedlichen Haltungen sind zwar spürbar, aber noch kein Anlass zur Spaltung. Sie entsprechen oft Positionen bestimmter Parteien und Bewegungen. Jedenfalls verhindern sie, dass der Bruch zwischen den beiden Welten, der Bewegung einerseits und der politischen Organisationen andererseits, überwunden werden kann. Selbstverständlich gilt dies nicht immer und muss nicht so bleiben. Die spontane Beteiligung jüngerer Generationen am Wahlkampf von Ralph Nader in den Vereinigten Staaten war eine Ausnahme.
Daneben ist die Bewegung grundlegend von ihren eigenen organisatorischen und analytischen Fähigkeiten sehr eingenommen. Das ist auch gut so, solange diese Abgrenzung zu den Parteien nicht zu Spaltung und Uneinigkeit führt. Das hängt natürlich auch stark vom Verhalten der Parteien selbst ab. Der Versuch, dieses Problem mit den alten Mustern aus dem 19. Jahrhundert zu lösen, wird vermutlich nicht sehr hilfreich sein. Um dieses Misstrauen und diese Distanz zu überwinden, müssen sich die Parteien mehr als in der Vergangenheit an den Bewegungen beteiligen, gleichwertige Beziehungen mit den anderen Kräfte aufbauen und zeigen, dass sie in sozialer Hinsicht nützlich sind und ganz allgemein ihrer Berechtigung haben. Alles in allem müssen sie durch die konkrete Arbeit ihre Legitimität unter Beweis stellen, die ihnen niemand im Voraus zugestehen wird, und gleichzeitig auf der Ebene der Vorschläge und des politischen Programms überzeugende und brauchbare Lösungen aufzeigen können.
Natürlich ist hier von den Parteien der antikapitalistischen Linken die Rede, die weder quantitativ noch qualitativ besonders bedeutsam sind. Dennoch müssen sie diesen Augenblick aber nützen, um mittelfristig wieder Gewicht zu erlangen. Die Bewegung hat sie nötig, denn sie braucht radikale, visionäre Antworten, um bedeutende Sprünge nach vorne zu machen. Die Linke hat sie ebenso nötig, um aus der Krise herauszukommen, die sie seit Jahrzehnten durchläuft, und neue Perspektiven zu entwickeln.
Unabhängig davon hat sich die italienische "Bewegung" weiter verankert und verbreitet. Die Demonstration vom 17. März in Neapel markierte eine wichtige Etappe und hat gezeigt, dass sich auch "gewöhnliche" Menschen vom Kampf gegen die neoliberale Globalisierung angesprochen fühlen und zwischen ihrer eigenen materiellen Situation und der allgemeinen Weltlage sehr wohl einen direkten Zusammenhang herstellen. Nach den ersten internationalen Erfahrungen - Amsterdam, Köln und danach Prag und Nizza (bzw. für viele ItalienerInnen Ventimiglia, wo ihre Züge an der Grenze aufgehalten wurden) - und nach den ersten Mobilisierungsversuchen in Italien - MobiliTebio in Genua, NoOcse (Nein zur OECD) in Bologna, Sull'Ambiente in Triest - bedeutete Neapel einen Wendepunkt hinsichtlich der Breite und Massenbeteiligung, die auch in der Vorbereitung zu Genua spürbar ist.
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Alles in allem ist es - genau genommen für alle Teile der Partei - schwieriger geworden, das nötige Gleichgewicht zwischen dem Aufbau der Bewegung und dem Aufbau der Partei zu finden, ohne in den Irrtum zu verfallen, das eine schließe das andere aus. Das Problem ist nicht einfach lösbar, insbesondere in einer Phase wie der momentanen, die gekennzeichnet ist durch die Zerstörung des Sozialwesens, durch die Niederlagen der Linken und eine zurückgebliebene Politkultur. Gerade darum muss diese Frage ernsthaft und ohne Vereinfachungen und Verteufelungen diskutiert werden. Ausgehend von diesen Überlegungen lassen sich verschiedene Aufgaben definieren - nicht nur im Zusammenhang mit dem Genua-Gipfel, sondern auch für die Zeit danach: Erstens müssen wir an einer Ausweitung der Bewegung arbeiten, sie aufbauen und konsolidieren. Die Bewegung hat bereits bewiesen, dass sie existiert, und hat ihre potenzielle Stärke und ihre Ziele sichtbar gemacht. Nun muss sie wachsen, sich verzweigen, sich auf breitere Bevölkerungsteile, auf die Arbeitswelt, breitere Schichten von Jugendlichen etc. ausweiten. Dafür müssen gewisse Grundbedingungen erfüllt sein: Sie muss pluralistisch sein und unterschiedliche Meinungen zulassen, ausgehend von geeigneten Begegnungsorten, Diskussionen und Mobilisierungen aber auch eine einheitliche Haltung entwickeln. Die Erfahrung des Genoa Social Forum muss weiter verfolgt und gestärkt werden, das heißt, es muss Sozialforen nach dem Vorbild von Porto Alegre geben, aber dezentral auf nationaler und lokaler Ebene. Um qualitative Sprünge zu ermöglichen, müssen die Treffen der Bewegung über den Kreis der Koordination hinaus ausgeweitet und offener werden, um eine möglichst aktive Beteiligung anzuregen.
Dafür ist es unerlässlich, einen klaren politischen Fahrplan, eine Plattform für die anstehenden Kämpfe zu formulieren und die eigenen Absichten offenzulegen. Wenn es sich gegenwärtig tatsächlich um eine neue Phase handelt, ist eine grundlegende Tatsache, dass der Widerstand allein nicht mehr genügt. Die jüngeren Generationen verlangen nach Lösungen, Ideen, umsetzbaren Projekten, die man aufzeigen und diskutieren kann. Selbst das "Ritual" der Gegengipfel droht zu einer Versteinerung der Bewegung zu führen, deren Potenzial und Aktionsmöglichkeiten wesentlich reichhaltiger sind. Sie müssen also gefüllt werden durch gemeinsame Forderungen, die den laufenden Prozess konkret veranschaulichen und die Widersprüche des Neoliberalismus berühren: den Konflikt zwischen Kapital und Arbeit, die ungezügelte Ausbeutung der Erde, die Vermarktung und Unterdrückung der Frauen, die Prekarisierung einer ganzen Generation, Krieg und Hunger und so weiter. Sie müssen jedoch in den Rahmen einer grundsätzlichen Einschätzung gestellt werden.
Der Zusammenhang zwischen global und lokal, zwischen Alltagsfragen (Arbeitslosigkeit, Löhnen, Renten, Bildung, Information, Kultur usw.) und der an internationalen Gipfeltreffen beschlossenen globalen Politik sowie deren Zusammenhang mit der staatlichen Politik müssen klar aufgezeigt werden. Das Beispiel Danone ist hier bezeichnend. In diesem Fall war der konkrete Zusammenhang zwischen dem wahren Funktionieren eines Multis und der Bedeutung von Entscheidungen auf lokaler Ebene allen offensichtlich.
Genauso entscheidend ist der Aufbau einer stabilen Beziehung zwischen der ArbeiterInnenbewegung und den neuen politischen Kräften, die in der Bewegung aktiv sind. Die Fähigkeit zur Begegnung zwischen den beiden wird entscheidend dafür sein, welches Gewicht die Bewegung erhalten kann. Um noch einmal auf Danone zurückzukommen: Die Kündigungen seitens eines Unternehmens, das Gewinne einfährt, wurde spontan als große Ungerechtigkeit empfunden. Die ArbeiterInnen griffen zu ihrer traditionellen, noch immer wirksamen Waffe, dem Streik. Doch Tausende von BürgerInnen griffen zur Waffe des Boykotts, um ihre Solidarität in einem Kampf auszudrücken, den sie als den ihren verstehen.
Die Bewegung muss eine antikapitalistische, radikale Ausrichtung erhalten. Die Antiglobalisierungsbewegung ist eine pluralistische Bewegung, die ihre gemeinsamen Wurzeln in der Ablehnung des Neoliberalismus hat, und das ist auch gut so. Im Übrigen handelt es sich um eine Bewegung, die noch in einer Phase des Wachstums, der Bildung und der Selbstbehauptung ist. Dennoch sind innerhalb der Bewegung bereits verschiedene Denkrichtungen und Orientierungen mit unterschiedlichen Zielen sichtbar. Es ist folglich nützlich und gerechtfertigt, wenn sich eine klassenbewusste, antikapitalistische Ausrichtung darin behauptet, die gegen Profit und Ausbeutung und für die Revolutionierung der Produktionsverhältnisse kämpft. Natürlich darf dies nicht auf sektiererische, dogmatische oder gar doktrinäre Weise erfolgen, sondern muss Ausdruck eines konkreten Austausches mit der Bewegung unter Respektierung ihrer Rhythmen und Formen sein.
Der Aufbau von einheitlichen Foren darf nicht bedeuten, dass die konkreteren Ausdrucksformen, in denen sich die Bereitschaft äußert, an einer umfassenderen, internationalen Bewegung beteiligt zu sein, unterschätzt oder übersehen werden. Es gibt weltweit neue Strukturen, die zum Teil miteinander verbunden sind und dieses Bedürfnis und Potenzial zum Ausdruck bringen. ATTAC ist eine solche Struktur. Die bevorstehende Gründung von ATTAC in Italien ist eine wichtige Erfahrung. Der Versuch lohnt sich, gerade um eine spezifische Form für eine neues Bedürfnis nach politischer Beteiligung anbieten zu können. Die Gründung und der Aufbau von ATTAC kann andere Aufgaben natürlich nicht ersetzen, wie die Gewerkschaftsarbeit im traditionellen Sinn oder in neuen, noch zu entwickelnden Formen zur Organisierung der Erwerbstätigen in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Sie kann schon gar nicht die Partei ersetzen, die im Gegenteil in diesem neuen Rahmen wieder aufgebaut werden muss.
Der aktive Parteiaufbau ist eine notwendige und unerlässliche Konsequenz aus allem, was bisher festgestellt wurde. Die Partei ist kein Gegengewicht zur Bewegung und auch keine Übergangsstruktur, die man ablegt, wenn die Bewegung ungestümer wird. Sie ist ein unerlässlicher Ort der kollektiven Erarbeitung und Planung der gesellschaftlichen Intervention. Sie ist das, was bleibt, wenn die Bewegung abflaut. Sie ist eine grundsätzlichere, längerfristige Aufgabe. Rifondazione Comunista versucht gegenwärtig, sich inmitten der ArbeiterInnenkämpfe und der Antiglobalisierungsbewegung aufzubauen. Dies muss in Respekt vor diesen Kämpfen und ihren Foren, aber auch im Bewusstsein des eigenen Beitrags und der eigenen Bedeutung geschehen. Um den eigenen Aktionsradius und die eigenen Ideen sichtbar zu machen, müssen auch oder vor allem besondere Anstrengungen in der inhaltlichen Erarbeitung unternommen werden, um die Kernfragen herauszuarbeiten, sie mit der eigenen Geschichte und Identität und vor allem mit dem eigenen Projekt zu verbinden. Es gibt zwei Bereiche, in denen dieser Ansatz versucht werden kann: in der Neudefinition von öffentlichem Raum in Abgrenzung zum verabsolutierten Profitdenken des Neoliberalismus, aber auch - angesichts der Fehlentwicklungen des 20. Jahrhunderts - in Abgrenzung zur Bürokratie der so genannten sozialistischen Länder einerseits und dem sozialdemokratischen Staatssozialismus andererseits; zweitens durch eine kommunistische, revolutionäre Auslegung der partizipativen Demokratie - ausgehend von den Erfahrungen von Porto Alegre, aber auch darüber hinaus - als Mittel der direkten Demokratie, des Einbezugs der Basis nicht nur in die lokale Verwaltung, sondern auch bei umfassenderen Entscheidungen. Diese beiden Bereiche könnten den Prozess der kommunistischen Neubegründung (Rifondazione Comunista) befruchten.
Salvatore Cannavo ist stellvertretender Chefredakteur von Liberazione (der Tageszeitung von Rifondazione Comunista), Mitglied der Redaktion der Monatszeitschrift Bandiera Rossa (die von den italienischen GenossInnen der IV. Internationale herausgegeben wird) und der Leitung von ATTAC Italien. Dieser Artikel ist übernommen aus Bandiera Rossa Nr. 9 von Juni 2001. |