Britannien

George Galloways Brief an den Respect-Nationalrat


GröSSter Höhepunkt, gröSSter Tiefpunkt


Der Sieg bei den Nachwahlen in Shadwell [9.8.07: Respect: 43%, Labour: 40% – d.Üb.] hat das Establishment von New Labour gelähmt, die Stimmung in Tower Hamlets gewendet und uns die reale Möglichkeit eröffnet, zwei Parlamentssitze in Ost-London zu erobern, was uns zusammen mit dem möglichen Sitz in Birmingham zur erfolgreichsten linken Partei der britischen Geschichte machen würde. New Labours Entscheidung, Michael Keith erneut aufzustellen – den früheren Fraktionsführer im Stadtrat von Tower Hamlets, den wir im letzten Jahr geschlagen haben – hat die Bedeutung dieser Wahl dramatisch gesteigert. Ein Sieg für ihn in einem Bezirk, in dem wir alle drei Stadträte stellen, hätte uns in eine ernste Krise gestoßen. Jetzt ist es Labour die eine erschütternde Demoralisierung erlitten hat, und wir erleben einen Nach-Shadwell-Auftrieb. Ealing Southall wenige Wochen zuvor markierte den Tiefpunkt der dreijährigen Geschichte von Respect [19.7.07: Respect: 1,6%, Labour: 41%]. Unser Unvermögen, die bei den Kommunalwahlen vor 12 Monaten gewonnenen Stimmen dieses Wahlkreises auch nur in einem Bezirk zu sichern, war eine scharfe Erinnerung daran, dass alles was aufsteigt auch wieder absteigen kann und sollte alle Selbstgefälligkeit über die Londoner Wahlen im nächsten Mai zerschlagen.

 

Diskussion zur Spaltung von Respect

Einleitung, François Duval

Krise in Respect, Chris Harman

Ein Wirrwarr an Vorwürfen und Verfälschungen, Alan Thornett

● George Galloways Brief an den Respect-Nationalrat

Frühere Artikel

Respect baut sich auf, Frédéric Leplat, Inprekorr 410/411 (2006)

Respect nach Sieg in East London etabliert, Terry Conway, Inprekorr 404/405 (2005)

Geburt einer neuen Linken, Alan Thornett, Inprekorr 390/391 (2004)

Der Augenblick für die radikale Linke ist günstig, Alex Callinicos, Inprekorr 390/391 (2004)

Es war, wenn wir ehrlich sind, für jeden klar, dass Respect nicht ihr ganzes Gewicht in die Waagschale der britischen Politik wirft und ihr Potenzial nicht ausgeschöpft hat – nicht bei dauerhaft gewonnenen Stimmen, nicht bei rekrutierten Mitgliedern und nicht bei eingeworbenen Spenden. Die Hauptgründe dafür sind nicht die objektiven Umstände, sondern selbstgemachte interne Probleme.

Die Bedingungen für das starke Wachstum von Respect sind immer noch dieselben wie damals, als wir unsere Organisation gründeten und unseren historischen Durchbruch 2005 hatten.

Jeder der unter den 1000 Anwesenden bei der Feier nach dem Sieg in Shadwell dabei, wird bezeugen, dass die Idee hinter Respect immer noch sehr lebendig ist und, wie der Parlamentsabgeordnete Jim Fitzpatrick in Tribune sagte, ist es klar, „dass der Irak-Krieg nicht verschwunden ist“.

Michael Lavalettes Zugewinne in Preston zeigen, was wir durch einfallsreiche und entschiedene Arbeit erreichen können. In Bristol mitJerry Hicks und in Sheffield mit Maxine Bowler haben wir uns in die Pole-position gebracht, u in den Stadtrat einzuziehen. Aber um das zu erreichen, müssen wir unsere ernsten inneren Schwächen erkennen, die immer deutlicher werden und das ganze Projekt zu gefährden drohen.


Mitglieder


Obwohl wir eine recht bekannte politische Marke sind, ist unsere Mitgliedschaft nicht gewachsen. Und in einigen Gebieten erleben wir einen steilen Rückgang. Ganze Gebiete unseres Landes sind am Einschlafen, soweit es die Respect-Aktivitäten betrifft. Seit einigen Wochen wurde keine einzige Respect-Aktivität in den Medien angekündigt. […]


Spenden


Spendenwerbung findet einfach nicht statt. Wir stolpern von einer Finanzkrise in die nächste. Und angesichts vorzeitiger Neuwahlen sind wir einfach nicht in der Lage, den größeren Parteien in unseren wichtigsten Wahlkreisen entgegenzutreten. Niemand unter den Respect-Angestellten scheint sich um Mitglieder- oder Spendenwerbung zu kümmern. Es gibt eine tief sitzende Kultur eines amateurhaften und verantwortungslosen Umgangs mit Geld. Aktivitäten werden nicht ordentlich budgetiert und wenn doch werden die Budgets nicht eingehalten. Nehmen wir beispielsweise die Fighting Unions Conference, die voll war bis unter die Dachsparren und es trotzdem geschafft hat, einen Verlust von 5000 Pfund einzufahren. Die Intervention bei Pride, wo wir Werbeartikel verteilten, statt sie zu verkaufen, machte 2000 Pfund Verlust.

Es ist fraglich, ob die Wende zum Aufbau der Fighting Unions, die das Nationale Büro vier Monate lang blockiert hat, die richtige Priorisierung unserer dürftigen Ressourcen nach dem Durchbruch bei den Kommunalwahlen im letzten Jahr war. Was nicht fraglich ist, ist dass ein Ereignis, das zur finanziellen Milchkuh hätte werden können, stattdessen ein Fass ohne Boden war.

Ebenso kann die Pride-Intervention, die einen Großteil der Zeit der Organisation beanspruchte (ich selbst wurde dreimal angerufen, ob ich das mache, und andere berichteten von einem ähnlichen Druck) verglichen werden mit der völligen Abwesenheit bei [dem multikulturellen Fest] Barking Mela am letzten Wochenende, dem größten in Europa, oder der minimalen Anwesenheit auf dem Londoner Lateinamerika-Festival. Noch einmal: Man kann diskutieren, ob Pride die Priorität haben sollte, aber man kann nicht diskutieren, ob Spendensammeln hätte geplant werden müssen.

Doch weiter. Was der ungetrübte Erfolg der Pride-Intervention hätte sein sollen, wurde erheblich beeinträchtigt. Statt einer einfachen Aufforderung der Mitglieder zur Teilnahme – logischerweise mit besonderer Betonung der LGBT-Mitglieder [Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle] und jungen Leute – erhielten verschiedene gewählte Funktionsträger die selbstherrliche „Anweisung“ des Nationalen Büros zur Teilnahme. Dies erschien ihnen als eine Art fehlplazierter Test ihrer Unterstützung des Gleichstellungsprogramms der Organisation. Das ist offen gesagt absurd. Es gibt LGBT-ler, die sich auf einem Festwagen in der Parade nicht besonders wohl fühlen. Es wäre ein ernster Fehler jemandem die Unterstützung der Gleichstellung in Zweifel zu ziehen, nur weil er nicht auf der Ladefläche eines Lastwagens auf der Pride-Parade tanzen will.

Nachdem dies getan und 2000 Pfund ausgegeben worden waren, gab es keinerlei Bemühung, unser Eingreifen nach außen hin bekannt zu machen und sicher zu stellen, dass alle relevanten Medien und Organisationen erfahren, dass wir die einzige politische Partei mit einem Festwagen auf der Parade waren.


Personal


Es ist ein Rätsel für mich und andere. Leute werden eingestellt für Jobs, die nie ausgeschrieben wurden, für die es keine Einstellungsgespräche gab und deren Arbeitsplatzbeschreibungen unklar sind und nie veröffentlicht wurden. […]


Weg nach vorne


Es ist völlig klar, dass das Führungsteam aus einer Vielzahl von Gründen gestärkt und alle Talente konzentriert werden müssen. Ich schlage daher die Schaffung eines neuen, hochkarätigen Wahlkomitees vor, dessen Aufgabe es wäre, unsere Wahlstärken und -schwächen und die angestrebten Sitze zu untersuchen, die Auswahl nationaler und lokaler Kandidaten zu überwachen – und eine landesweite Initiative zur Mitglieder- und Spendenwerbung voranzutreiben. Diese Komitee muss aus den führenden Mitgliedern von Respect bestehen, einschließlich Salma, Linda Smith, Yvonne Ridley, Abjol Miah (als Führer unserer 11 Stadträte im Hauptwahlkampfgebiet von Tower Hamlets), mir selbst, Lindsey German, Alan Thornett, Nick Wrack und dem Nationalen Sekretär.

Ich schlage außerdem den wichtigen neuen Posten eines Nationalen Organisators, möglichst Vollzeit, vor, dessen Aufgaben die erwähnte Reorganisation und Wiederbelebung der wichtigsten Kerne der Repect-Unterstützerschaft und die Ermutigung der Mitglieder überall wären. Diese Position wäre neben der Position des Nationalen Sekretärs angeordnet. Sie muss ausgeschrieben und nach vergleichenden Bewerbungsgesprächen unter Aufsicht des Wahlkomitees besetzt werden.

Während dieses Dokument schwarz und weiß gezeichnet sein mag, reflektiert es ein verbreitetes Gefühl, das verschiedentlich zum Vorschein gekommen ist – unter Anderem auf dem Nationalrat – und es ist klar, dass der status quo oder kleinere Flickschusterei keine Optionen sind. Die Zeit ist knapp, die Erneuerung ist dringend nötig und wir müssen morgen damit beginnen.

George Galloway, 23.8.07



Dieser Artikel erschien in der Online-Ausgabe von Inprekorr.