Buchbesprechung/Ökologie

Klaus Engert: Ökosozialismus – das geht!

Klaus Engert: Ökosozialismus – das geht! Köln: Neuer ISP Verlag, 2010, (isp-pocket 68). 142 S., ISBN 978-89900-068-9, € 12,80.

Michael Löwy

Der Verfasser dieser exzellenten Schrift ist Arzt, aktives Mitglied der IV. Internationale in Deutschland und einer der Koordinatoren des Internationalen Ökosozialistischen Netzwerks. Sein kleines Buch ist eine wertvolle Einführung in den Ökosozialismus, es versteht sich als Beitrag zur Debatte und nicht als ein „schlüsselfertig“ zu übernehmendes Modell.

Das erste Kapitel mit der Überschrift „Haben wir noch eine Chance?“ zieht eine katastrophale Bilanz der Situation, die durch 200 Jahre Industriekapitalismus herbeigeführt worden ist: Der Globus und seine Atmosphäre sind dermaßen stark vergiftet, dass die Gefahr droht, dass er für menschliche Wesen unbewohnbar wird. Anhäufung von Abfällen, Zerstörung der Biodiversität, Erschöpfung der Ressourcen, Klimawandel – dies sind einige Aspekte dieser Verschlechterungen der Lebensbedingungen. Die Veränderung des Klimas (dies ist zweifellos die größte Bedrohung – und der Autor hätte ihr einen zentraleren Platz einräumen sollen), die durch die fossilen Brennstoffe verursacht worden ist, ist eine direkte Konsequenz aus der Logik des kapitalistischen Systems, das auf dem Streben nach dem größtmöglichen Profit, auf schärfster Konkurrenz und unbegrenztem Wachstum beruht. Das Scheitern der Klimakonferenz in Kopenhagen belegt, dass die herrschenden Klassen – in denen die „fossile Oligarchie“ der Erdöl-, Autobahn- und Automobilfirmen großes Gewicht hat –nicht fähig sind, das Problem anzugehen.

Das folgende Kapitel mit der Überschrift „Eine neue Welt?“, in dem die utopischen Projekte von Moses bis in unsere Tage durchgegangen werden, hat für die Stoßrichtung des Buchs insoweit die geringste Bedeutung, als die ökologische Dimension bei den meisten Skizzen einer gerechteren Gesellschaft praktisch ganz fehlt. Weitaus interessanter ist das Kapitel, das dem Thema „Marx, Engels und die Ökologie“ gewidmet ist. Während er anerkennt, dass die beiden Begründer des modernen Sozialismus Kinder ihrer Epoche waren und sich wenig mit Ökologie befasst haben, arbeitet Klaus Engert ihre Kritiken an dem ausbeuterischen und zerstörerischen Verhältnis zur Natur heraus, das dem Kapitalismus innewohnt. Ihr Ziel war das „Reich der Freiheit“, und folglich steht der Marxismus nicht im Widerspruch zu einer ökologischen Sichtweise, die sich dem Produktivismus und dem Konsumismus entgegenstellt. Dieser Widerspruch ist jedoch unübersehbar, wenn es um die – global negative – Bilanz des vorgeblich „realen Sozialismus“ geht, dessen Ziel darin bestand, die fortgeschrittenen kapitalistischen Länder in Bezug auf die Produktionszahlen „einzuholen und zu überholen“. Ein frappierendes Beispiel für das ökologische Desaster in der UdSSR ist die Verwandlung des Aralsees in eine chemische Kloake: vergiftet durch Pestizide und Düngemittel und auf ein Viertel seiner Fläche reduziert.

Natürlich sieht die ökologische Bilanz des „realen Kapitalismus“ ganz gleich aus, wenn nicht noch schlimmer – insbesondere deswegen, weil er in den nächsten Jahrzehnten einen nicht mehr umkehrbaren Prozess des Klimawandels auszulösen droht, der aufgrund der Überschwemmung von immens großen Flächen und der Desertifikation [fortschreitenden Wüstenbildung] von weiteren Flächen einen größeren Teil der Erde unbewohnbar machen wird. Diese Bedrohung, die auf längere Sicht die Lebensbedingungen der menschlichen Gattung auf dem Planeten unterhöhlen kann, ist nicht Resultat von „Wildwuchs“ des Kapitalismus, sondern ergibt sich aus dem Charakter des Systems als solchem. Ein „gezähmter“, „nachhaltiger“ Kapitalismus, ein Kapitalismus ohne Wachstum ist eine reine Illusion.

Eines der originellsten Kapitel des Buchs ist die Analyse der Beschleunigung aller Lebensbereiche, die dem Kapitalismus innewohnt. Der Imperativ der Schnelligkeit dehnt sich vom Prozess der Zirkulation des Kapitals auf die Produktion, auf den Transport, auf die Kommunikation und auf sämtliche Sphären des gesellschaftlichen Lebens aus, wobei die Folgen für die Ökologie auf der Hand liegen: Ein Hinweis auf die Bedeutung des individuellen Automobils und des Straßentransports der Waren für die Emissionen von Treibhausgasen dürfte reichen.

Die einzige folgerichtige Alternative in Anbetracht dieser immer stärker beunruhigenden Lage der ökologischen Zustände ist der Ökosozialismus oder, wie der dissidente ostdeutsche Kommunist Wolfgang Harich (der von 1956 bis 1964 in der DDR im Gefängnis saß) schrieb, ein „Kommunismus ohne Wachstum“. [1] Oder aber, wenn man so will, eine egalitäre Gesellschaft, die das respektiert, was der Philosoph Hans Jonas (1903–1993) den „ökologischen Imperativ“ genannt hat: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden“. [2] Wie Klaus Engert schreibt, sind die wesentlichen Bedingungen für die Herstellung einer sozial und ökologisch gerechten Ordnung:

      
Mehr dazu
Interview mit K. Hasse: Übergangsprogramm gegen die kapitalistische Umweltzerstörung, die internationale Nr. 4/2017 (Juli/August 2017)
Ökosozialistisches Netzwerk: Ökosozialistische Erklärung, die internationale Nr. 4/2017 (Juli/August 2017)
Friedrich Voßkühler: Marx und die Naturfrage, die internationale Nr. 4/2017 (Juli/August 2017)
Klaus Engert: Michael Löwy - Ökosozialismus, die internationale Nr. 4/2017 (Juli/August 2017)
Interview mit Daniel Tanuro: „Ökosozialismus: Mehr als eine Strategie“, die internationale Nr. 4/2017 (Juli/August 2017)
Daniel Tanuro: Die drohende ökologische Katastrophe, Inprekorr Nr. 6/2015 (November/Dezember 2015)
Alan Thornett: Daniel Tanuro über „grünen Kapitalismus”, Inprekorr Nr. 6/2014 (November/Dezember 2014)
Daniel Tanuro: Die Grundlagen einer ökosozialistischen Strategie, Inprekorr Nr. 6/2011 (November/Dezember 2011)
Michael Löwy: Klimawandel: Ein Beitrag zur Debatte, Inprekorr Nr. 456/457 (November/Dezember 2009)
 

Klaus Engert greift eine Idee auf, die von einem der Vorläufer des Ökosozialismus, dem deutschen Marxisten Ossip K. Flechtheim, stammt; der nahm an, eine ökosozialistische Gesellschaft könne sich von den Werten und Verhaltensweisen der vorindustriellen Gemeinschaften leiten lassen; Klaus bringt diesen Ansatz mit den gegenwärtigen indigenen Bewegungen in Bolivien und Ecuador in Verbindung, die der bürgerlichen Zivilisation den Begriff des „buen vivir“ oder „vivir bien“ [4] in Harmonie mit der Umwelt entgegen stellen.

Die unterschiedlichen Versuche, aus der Logik des Kapitalismus „auszusteigen“, die Initiativen der genossenschaftlichen oder solidarischen Ökonomie und die mannigfaltigen Nischen eines nicht-kapitalistischen Lebens sind als Laboratorien einer künftigen Gesellschaft von Interesse, sie reichen jedoch nicht aus, um das System in Gefahr zu bringen. Es gilt, für eine radikale Gesellschaftsveränderung, für eine Revolution zu kämpfen. Walter Benjamin hat die Revolution so definiert: Sie sei nicht die Lokomotive der Geschichte, sondern die Menschheit, die die Notbremse zieht. Der Zug des Kapitalismus, fügt Klaus Engert hinzu, fährt immer schneller auf den Abgrund des ökologischen Desasters zu. Es gibt aber eine Notbremse – man muss sie nur betätigen!

Aus dem Französischen übersetzt, bearbeitet und mit Anmerkungen versehen von Wilfried Dubois.

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Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 464/465 (Juli/August 2010). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] Vgl. Kommunismus ohne Wachstum? Babeuf und der „Club of Rome“. Sechs Interviews mit Freimut Duve und Briefe an ihn, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1975. Zu Wolfgang Harich (1923– 1995) siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Harich.

[2] Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt/M.: Insel, 1979, S. 36.

[3] „Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“ (1880), in: Karl Marx / Friedrich Engels, Werke, Bd. 19, Berlin: Dietz Verlag, 1962, S. 195.

[4] Wörtlich: des guten Lebens oder gut Lebens; die Bedeutung geht im indigenen Sprachgebrauch darüber hinaus; für die Ausdrücke auf Quechua und Aymara und die Formulierungen als Staatsziele in den neuen Verfassungen von Ecuador und Bolivien siehe K. Engert, S. 130/131.