Der Rezensent ist einer der Koordinatoren des Internationalen Ökosozialistischen Netzwerks und Verfasser der Schrift Ökosozialismus - das geht.
Klaus Engert
Um bei dieser Buchbesprechung einmal mit dem Ende zu beginnen: Der im Anhang des Buches abgedruckte bebilderte dystopische Text [1] zu den zukünftigen Folgen der Erderwärmung, der von Michael Löwy und anderen (unter geringfügiger Beteiligung auch des Autors dieser Rezension) für den Klimagipfel in Kopenhagen 2009 verfasst und dort im Rahmen der Gegenveranstaltungen verteilt wurde, illustriert, dass Löwy beileibe nicht nur ein ökosozialistischer Theoretiker, sondern gleichzeitig auch Aktivist ist.
Michael Löwy, Philosoph und Soziologe, geboren in Wien, aufgewachsen in Brasilien und schließlich in Frankreich sesshaft geworden, wo er bis zu seiner Emeritierung in Paris Forschungsdirektor am Centre national de la recherche scientifique (CNRS) war, ist sozusagen ein Veteran unter den Verfechtern einer marxistischen Herangehensweise an das Problem der ökologischen Verheerungen, die die Industriegesellschaft angerichtet hat und noch anrichtet und deren derzeit bedrohlichste Konsequenz der menschengemachte Klimawandel darstellt. Aber Löwy ist, wie eingangs gesagt, nicht nur ein marxistischer Theoretiker in Sachen Umweltzerstörung und Klimawandel, sondern daneben und ebenso sehr ein politischer Aktivist, der aufgrund seiner internationalen Kontakte, besonders nach Brasilien, versucht, den Widerstand gegen die fortschreitende Zerstörung der Grundlagen menschlichen Lebens auf der Erde auch praktisch zu unterstützen und die Idee einer ökosozialistischen Gesellschaft zu verbreiten.
Exakt das macht das Besondere an seinem im letzten Jahr auf Deutsch erschienenen Buch Ökosozialismus – die radikale Alternative zur ökologischen und kapitalistischen Katastrophe (zuerst 2011 auf Französisch erschienen) aus: dass er die Brücke schlägt zwischen der theoretischen Rezeption des Konzeptes Ökosozialismus einerseits und Beispielen konkreter Kämpfe und Organisierung zur Rettung des Globus vor den Konsequenzen der Folgen der tauschwertbasierten Ökonomie andererseits. Löwy weist im Vorwort darauf hin, dass es sich bei seinem Buch nicht um eine systematische Abhandlung, sondern um die Zusammenfassung einer Reihe von ihm in den letzten Jahren veröffentlichten Arbeiten handelt, und betont ausdrücklich, dass das Buch „nicht darauf (abzielt), eine neue Doktrin zu kodifizieren, noch darauf, irgendeine Orthodoxie festzuzurren“. Er möchte „einige Aspekte, einige Felder und einige Erfahrungen des Ökosozialismus ausleuchten“. Entsprechend finden sich, worauf er ebenfalls hinweist, in den im Anhang abgedruckten Dokumenten durchaus auch Widersprüche.
Dennoch bietet das Buch insbesondere für Menschen, die sich mit dem Thema bisher nicht intensiv befasst haben, eine ausgezeichnete Einführung in die ökosozialistische Theoriebildung. Löwy legt in den ersten beiden Teilen des Buches („Der Ökosozialismus“ und „Marxismus und Ökosozialismus“) kenntnis- und quellenreich dar, dass es ebenso ein Irrtum ist, zu meinen, dass die „Väter“ des dialektischen Materialismus, Marx und Engels, sich der Konsequenzen der kapitalistischen Wirtschaftsweise für die natürliche Umwelt nicht bewusst gewesen seien, wie es andererseits unbestreitbar ist, dass sie die „Grenzen des Wachstums“ unterschätzt oder stellenweise sogar ignoriert haben. Er greift diesbezüglich den Vorschlag von Daniel Bensaid auf, nämlich, sich „in die Widersprüche von Marx hineinzudenken und sie ernst zu nehmen“, und macht den Vorschlag, den Satz von Marx aus der Schrift „Der Bürgerkrieg in Frankreich“ über die notwendige Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates folgendermaßen auf die Sphäre des Produktionsapparates zu erweitern: „Die ArbeiterInnen können sich nicht damit begnügen, die kapitalistische Produktionsmaschinerie zu übernehmen und sie auf eigene Rechnung weiter zu betreiben, sondern sie müssen sie radikal verändern“.
Über einen Exkurs zur Aktualität Walter Benjamins schlägt Löwy dann den Bogen zu einem Plädoyer für eine ökosozialistische Ethik, die er ausdrücklich nicht in erster Linie als eine individuelle Ethik der Selbstkasteiung, sondern als eine soziale Ethik begreift – was logischerweise „soziale Akteure, soziale Bewegungen, ökologische Organisationen und politische Parteien (erfordert) – und eben nicht nur Individuen guten Willens“.
Etwas schwach ausgefallen, so scheint mir, ist das Kapitel über die Werbeindustrie. Zwar beschreibt Löwy hier phänomenologisch korrekt den Irrsinn dieser immer weiter wachsenden Branche, aber der lapidare Satz „die Werbung ist das Instrument des Kapitals, um seine Produkte in Umlauf zu bringen, um seinen Schund zu verkaufen, um seinen Investitionen eine Rendite zu verleihen, um seine Profitraten zu erhöhen, um ‚Marktanteile‘ zu gewinnen“, ist doch etwas zu kurz gegriffen. Denn das Ausufern der Werbeindustrie ist heute auch und vor allem dadurch geprägt, dass regelrecht neue Bedürfnisse geschaffen werden sollen, an die niemand gedacht hätte, und illustriert, dass das Kapital auf diese Weise verzweifelt nach neuen Anlagemöglichkeiten sucht. In diesem Abschnitt findet sich übrigens auch ein sachlicher Fehler: Löwy schreibt, dass es Werbung in den Ländern mit bürokratischer Planwirtschaft nicht gegeben habe. Das ist falsch. Peinlicher- und absurderweise – da es ja keine Konkurrenz gab, war Werbung ebenso unnötig wie widersinnig – hat es beispielsweise in der ehemaligen DDR in dem Kampf um das „Aufholen und Überholen“ in Bezug auf die kapitalistischen Länder auch Werbung gegeben, die deutlich vom Westen abgekupfert war, und zwar in Form von Inseraten, Schaufenster- oder Leuchtwerbung (es gab in Leipzig sogar eine staatliche „Kommission für Leuchtwerbung“), und am 1.6.1959 liefen die ersten Werbespots im DDR-Fernsehen. [2]
Im Kapitel zur ökologischen Linken in den USA rezipiert Löwy insbesondere die Arbeiten von Joel Kovel, einem der Mitbegründer des Internationalen Ökosozialistischen Netzwerks, und von John Bellamy Foster, setzt sich aber auch – eher kursorisch – sehr kritisch mit den diversen nichtmarxistischen Strömungen in der US-amerikanischen Ökologiebewegung und ihren Vertretern wie u. a. Al Gore und Murray Bookchin auseinander. Das ist insofern von Wichtigkeit, als diese Denkrichtung insbesondere in Deutschland höchst populär ist.
Das Beispiel von Chico Mendes und seinem Kampf gegen die Regenwaldzerstörung in Brasilien, der ihn durch die Hand der Großgrundbesitzer das Leben kostete, schließlich schlägt er den Bogen von der ökosozialistischen Theorie zur Praxis. Es dient auch als Beleg für Löwys Überzeugung, dass der Kampf gegen Umweltzerstörung im Allgemeinen und Klimawandel im Besonderen erfolgreich nur kollektiv und organisiert erfolgen kann. Folgerichtig dokumentiert er im Anhang einige Ansätze für eine nationale wie internationale Organisierung, wie das Ökosozialistische Netzwerk in Brasilien oder das Manifest des Internationalen Ökosozialistischen Netzwerks.
Auch wenn das Buch bereits einige Jahre alt ist, so hat es doch von seiner Aktualität nichts verloren: Wer einen Ausgangspunkt sucht, um sich mit Theorie und Praxis des Ökosozialismus zu beschäftigen, findet hier eine Menge an unverzichtbarem Quellenmaterial sowohl im Text wie auch in der Liste mit ausgewählten Literaturhinweisen. Ich jedenfalls habe es mit Genuss gelesen.
Michael Löwy: Ökosozialismus. Die radikale Alternative zur ökologischen und kapitalistischen Katastrophe, aus dem Französischen übersetzt von Roland Holst, Hamburg: Laika Verlag, 2016, (Laikatheorie, Bd. 67). – 188 S., ISBN 978-3-944233-63-5, 21 €. |
Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 4/2017 (Juli/August 2017). | Startseite | Impressum | Datenschutz