Die Linke hatte lange Zeit Schwierigkeiten, die ökologische Krise wahrzunehmen, aber auch sie zu analysieren. Doch es geht um mehr als nur eine theoretische Analyse und Trumps Rückzug aus dem Klimaabkommen hat die Lage weiter verschärft. Alexandre Araujo Costa sprach darüber mit Daniel Tanuro.
Interview mit Daniel Tanuro
Alexandre Araujo Costa: Die linken Organisationen haben den Umweltfragen im Allgemeinen lange keine sonderliche Beachtung gewährt, aber seit dem XV. Weltkongress scheint sich die IV. Internationale zunehmend um die sog. „Umweltkrise“ zu sorgen. Was hat sich geändert? |
Daniel Tanuro: Tatsächlich haben die meisten linken Organisationen in den 60er Jahren den Moment verschlafen, als die sog. „Umweltkrise“ zu einem allgemeingesellschaftlichen Problem unbekannten Ausmaßes geworden ist. (Die symbolische „Geburtsstunde“ der ökologischen Frage lässt sich auf das Erscheinen des Buches Der stumme Frühling von Rachel Carson im Jahr 1962 datieren.) Der Hauptgrund dafür lag m. E. darin, dass diese Organisationen ihr Hauptaugenmerk auf die antikolonialistischen Kriege und Revolutionen in den imperialistisch beherrschten Ländern (Kuba, Algerien, Vietnam etc.), auf die antibürokratischen Massenbewegungen im Osten (Polen, Ungarn etc.) und auf die gleichzeitige Radikalisierung unter der Jugend und Teilen der Arbeiterklasse im Westen (Mai 68, heißer Herbst 69 in Italien etc.) gerichtet hatten.
Aber dies war m. E. nicht der einzige Grund. Hinzu kam, dass die Umweltkrise die linken Organisationen auch auf dem Gebiet der Theorie in Verlegenheit gebracht hat. So hatten bspw. etliche ihrer theoretischen Köpfe Probleme damit, die kapitalistische Technologie zu kritisieren und sich mit der Theorie von den Grenzen des Wachstums anzufreunden. Das Werk von Karl Marx enthält sehr viele Beiträge zu diesen Themen, aber es war, als hätten seine Nachfolger dessen Beiträge (über die „Einhegungen“ als Auftakt zur Kommerzialisierung der Landwirtschaft, über den Bruch der kapitalistischen Produktionsweise mit dem „gesellschaftlichen Stoffwechsel“ und dem „Mensch-Natur-Verhältnis“ und über deren Auswirkungen auf Forst- und Landwirtschaft etc.) vergessen. Diese Amnesie betraf anscheinend selbst sehr kreative und offene revolutionär-marxistische Denker wie unseren Genossen Ernest Mandel.
Ich will es klar sagen: Von „Marxens Ökologie“ zu reden, wäre wohl ein wenig übertrieben. Im Werk von Marx und Engels gibt es Brüche und Widersprüche, denen wir uns stellen müssen. Zugleich jedoch ist die ökologische Dimension des Vermächtnisses von Marx wahrhaft beeindruckend und seine Kritik der Politischen Ökonomie liefert uns eine ausgezeichnete Handhabe, sie weiterzuentwickeln. Wie soll man also erklären, dass der größte Teil der marxistischen Linken die Umweltfrage in den 60er Jahren verschlafen hat? Natürlich trägt der Stalinismus ein gerüttelt Maß an Verantwortung dafür, aber dies reicht, zumindest was die antistalinistischen Strömungen angeht, keineswegs als Erklärung. Daher muss man weiter gehen. In meinen Augen war die Linke sehr stark von produktivistischen und wissenschaftsgläubigen Konzepten durchdrungen. Dies fing an mit der Sozialdemokratie im späten 19. Jahrhundert und auch die kommunistische Bewegung hat dieses Manko nicht wirklich beseitigt, was vielleicht daran lag, dass mit Russland die Revolution in einem zurückgebliebenen Land stattgefunden hat.
Drei Faktoren haben m. E. einen Wandel hervorgerufen: Erstens hat die atomare Bedrohung zunehmend das Bewusstsein geschärft, dass Technologien nicht neutral sind; zweitens haben die Kämpfe der Indigenen und der kleinen und landlosen Bauern die soziale Dimension der Umweltfragen aufgezeigt und drittens haben einige Autoren damit begonnen, Marx auf seine Beiträge zur Natur hin neu zu lesen und diese „vergessene“ Seite wieder auszugraben. Damit kam Bewegung ins Spiel, aber die Mehrheit der Linken beschränkte sich auf eine rein propagandistische Vorgehensweise, nämlich zu sagen, dass es im Rahmen des Kapitalismus keine ökologische Alternative geben könne. Dies trifft wohl zu, heißt aber nicht, dass man über konkrete Umweltforderungen und Reformvorschläge, die im Rahmen eines Übergangsprogramms mit sozialen Forderungen verknüpft werden, einfach hinweggehen kann.
Ein wichtiger Schritt in die Richtung eines solchen Programms war das von Michael Löwy und Joel Kovel 2001 verfasste Ökosozialistische Manifest. Ausschlaggebend dafür waren die Verschärfung der Umweltkrise und ihre globale Ausprägung durch die massiven Risiken des Klimawandels. Parallel dazu engagierten sich zunehmend mehr Mitglieder unserer Organisationen in den Umweltbewegungen, besonders zu den Themen Klimakatastrophe und Nahrungssouveränität, die angesichts der erheblichen Verantwortung der Agrarindustrie für die Klimaerwärmung eng miteinander verknüpft sind. Seit ihrem letzten Weltkongress definiert sich die IV. Internationale auch explizit als ökosozialistische Organisation.
Wie stark ist Deines Erachtens die Ausprägung des Klimawandels? Geht es einfach darum, geeignete Technologien zu verwenden wie die Ersetzung fossiler Energieträger durch erneuerbare Energien? Kann das Erdklima durch den kombinierten Einsatz von CO2-Speicherung und Geo-Engineering gerettet werden? |
Die Ausprägung ist extrem. Tatsächlich ist der Klimawandel wahrscheinlich die gefährlichste soziale und ökologische Bedrohung, vor der wir stehen. Die Konsequenzen sind sowohl kurz- als auch mittel- und langfristig enorm. Ohne jetzt zu sehr ins Detail zu gehen, will ich bloß darauf verweisen, dass eine Temperaturerhöhung um 3 °C sehr wahrscheinlich einen Anstieg der Meeresspiegel um etwa sieben Meter zur Folge haben wird. Dies wird wohl 1000 oder mehr Jahre dauern, aber es ist unmöglich, den Prozess zu stoppen, wenn er erst einmal in Gang gekommen ist. Die Experten gehen davon aus, dass sich bis Ende dieses Jahrhunderts, kurzfristig also, der Meeresspiegel um 60 bis 90 cm erhöhen könnte. Dies hätte zur Folge, dass Hunderte von Millionen Menschen aus ihrer Heimat fliehen müssten. Berücksichtigt man die anderen Folgen des Klimawandels (extreme Wetterphänomene, Abnahme der landwirtschaftlichen Produktivität etc.), kommt man zu einem erschreckenden Ergebnis: Oberhalb einer bestimmten Schwelle gibt es für die acht bis neun Milliarden Menschen keine Anpassungsmöglichkeit an den Klimawandel. Wo diese Schwelle anzusetzen ist, ist in erster Linie keine ausschließlich wissenschaftliche, sondern eine politische Frage. In Paris haben die Regierungen auf dem Umweltgipfel COP21 entschieden, dass gehandelt werden müsse, um die Erwärmung „deutlich unter 2 °C“ zu halten und zu versuchen, sie auf 1,5 °C zu begrenzen. Tatsächlich käme eine durchschnittliche Erwärmung um 2 °C einer Katastrophe gleich.
Natürlich ist der Klimawandel nicht die einzige Bedrohung: Weitere Risiken liegen im massiven Artensterben, der Versauerung der Ozeane, der Verarmung der Böden, dem Umkippen der Meere durch die Verschmutzung mit Stickstoff und Phosphat, die Umweltverschmutzung mit Chemikalien, die Zerstörung der Ozonschicht, die Verknappung der Trinkwasserreserven und die Anreicherung von Aerosolen in der Atmosphäre. Aber der Klimawandel spielt eine zentrale Rolle und ist direkt oder indirekt an die meisten anderen Risiken gekoppelt: Er ist ein wesentlicher Faktor für den Verlust der Biodiversität, die Versauerung der Ozeane wird durch die steigende Konzentration von CO2 in der Atmosphäre hervorgerufen, die riesigen Mengen Nitrat und Phosphat in den Meeren stammen von der Agrarindustrie, die auch eine zentrale Rolle bei der Verschwendung der Süßwasserreserven und der Abnahme landwirtschaftlich nutzbarer Böden spielt usw. usf. Daraus, dass die meisten Probleme miteinander zusammenhängen, folgt, dass es falsch wäre, die Antworten auf den Klimawandel isoliert von den anderen Problemen zu sehen. Im Übrigen haben all diese Umweltprobleme dieselbe grundlegende Ursache: die kapitalistische Akkumulation, die von der Jagd nach Profiten angetriebene permanente Steigerung des Wachstums.
Dies bedeutet, dass der Klimawandel weit mehr als ein technologisches Problem ist, dass er vielmehr die grundlegende Frage nach einer umfassenden Alternative zu dieser Produktionsweise aufwirft. Dabei ist diese Alternative objektiv betrachtet dringendst geboten, und zwar so sehr, dass selbst unter technologischen Gesichtspunkten die Strategie eines grünen Kapitalismus ins Leere läuft. Natürlich ist es komplett machbar, ausschließlich erneuerbare Quellen zu nutzen, um die gesamte erforderliche Energie zu produzieren. Aber wie sollen die Photovoltaikplatten, die Windräder und die anderen Anlagen zur Umstellung hergestellt werden? Mit welcher Energie? Man muss logischerweise berücksichtigen, dass die Umstellung selbst zusätzliche Energie erfordert und dass diese zusätzliche Energie, die am Anfang dieses Prozesses zu 80 % aus fossilen Quellen stammt, zusätzlichen CO2-Ausstoß hervorruft. Also braucht man einen Plan, wie diese zusätzlichen Emissionen durch anderweitige Einsparungen kompensiert werden können. Wenn nicht, dann könnte zwar einerseits der Anteil erneuerbarer Energien rasch ansteigen, aber andererseits würden die Gesamtemissionen zunehmen. Dies passiert gerade und hat zur Folge, dass das „CO2-Budget“ schnell überschritten werden könnte, d. h. die Menge an CO2, die in die Atmosphäre entlassen werden kann, ohne mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu riskieren, dass ein bestimmter Schwellenwert der Temperaturerhöhung vor Ende dieses Jahrhunderts überschritten wird. Nach Ansicht des Weltklimarats liegt dieses Budget für den Zeitraum von 2011 bis 2100 bei insgesamt 400 Gigatonnen (Gt), wenn mit einer 66 %igen Wahrscheinlichkeit ein Anstieg um 1,5 °C nicht überschritten werden soll. Momentan liegen die Gesamtemissionen bei 40 Gt pro Jahr und die Tendenz ist steigend. Mit anderen Worten heißt dies, dass das Budget bis 2021 aufgebraucht sein wird, wir also bereits gegen die Wand gefahren sind. So sieht die Realität aus und dies ist das konkrete Resultat des kapitalistischen Wahnsinns, bei dem es nur um Profite geht und daher die Energiewende nicht entlang der erforderlichen Emissionsminderungen geplant wird.
In dieser Situation stellt sich tatsächlich die Frage nach der CO2-Abscheidung und Speicherung und nach dem Geo-Engineering. Im Rahmen des produktivistischen kapitalistischen Systems sind diese Methoden die einzigen „Lösungen“, um das Überschreiten des CO2-Budgets zu kompensieren. Ich benutze die Anführungszeichen dafür, weil es sich dabei um Lösungen nach Art des Zauberlehrlings handelt. Eine der fortgeschrittensten Technologien ist der Einsatz von Bioenergie mit der Abscheidung und Verpressung des freiwerdenden CO2 (BECCS). Dabei soll Biomasse die fossilen Brennstoffe in den Kraftwerken ersetzen und das bei der Verbrennung entstehende CO2 in die geologischen Schichten verpresst werden. Ähnlich wie bei den Grünpflanzen, die beim Wachstum CO2 aus der Atmosphäre absorbieren, soll der massive Einsatz dieser Technologie den Treibhauseffekt reduzieren helfen und damit das Budget entlasten. Dies ist eine sehr hypothetische Lösung, u. a. weil niemand weiß, ob es technisch möglich sein wird, das CO2 unter der Erde zu halten und für wie lange. Zugleich ist dies eine extrem gefährliche Methode sowohl in sozialer als auch ökologischer Hinsicht, da die Produktion von Biomasse enorm viel Ackerfläche voraussetzt, nämlich ein Viertel bis ein Fünftel der gegenwärtig landwirtschaftlich genutzten Erdoberfläche. Einerseits würde durch die Umwidmung von Ackerland in Plantagen zur Biomassegewinnung die Nahrungsmittelproduktion in Mitleidenschaft gezogen, andererseits würden solch industriell betriebenen Plantagen zu einem massiven Verlust der Biodiversität und zur Verarmung der natürlichen Arten führen. Insofern ist es, gelinde gesagt, sehr fragwürdig, dass 95 % der Klimaszenarien des Weltklimarates den Einsatz solcher Technologien zugrunde legen. Dies zeigt einmal mehr, dass die Wissenschaft nicht neutral ist, v. a. wenn es um sozioökonomische Planzahlen geht.
Notabene sollten wir keinesfalls, auch wenn das Budget zur Erreichung des 1,5°-Ziels in Kürze aufgebraucht und das für das 2°-Szenario ebenfalls höchstwahrscheinlich recht bald überschritten sein wird, die kapitalistischen Technologien als kleineres Übel hinnehmen. Die Lage ist im Gegenteil inzwischen so ernst, dass die Reduzierung der Kohlendioxidemissionen selbst auf Null nicht ausreichen wird. Zur Rettung des Klimas wird man vielmehr zusätzlich Kohlendioxid aus der Atmosphäre entnehmen müssen. Dieses Ziel kann aber erreicht werden, ohne auf BECCS und andere gefährliche Technologien zurückzugreifen. Der Grund, weswegen der Kapitalismus auf solche Technologien setzt, ist, dass auch diese zur Mehrung der Profite und zur Akkumulation beitragen. Die Alternative besteht darin, eine umweltgerechte und regionale bäuerliche Landwirtschaft zu entwickeln und durchgängig auszubauen, ebenso einen nachhaltigen Umgang mit Wald und Boden zu betreiben, der die Interessen der Ureinwohner und der umliegenden Gemeinden berücksichtigt. Auf diese Weise wird es möglich sein, große Mengen von Kohlendioxid aus der Atmosphäre zurückzugewinnen und sie im Boden zu verbringen und zugleich die Biodiversität zu fördern und eine ausreichende und qualitativ gute Ernährung für alle Menschen zu gewährleisten. Diese Option setzt jedoch eine strikt antikapitalistische Ausrichtung der Bekämpfung des Agrarbusiness und der Großgrundbesitzer voraus. Mit anderen Worten wird die Lösung nicht auf dem technologischen Sektor, sondern in der politischen Arena zu finden sein.
Kürzlich hat Oxfam eine Studie veröffentlicht, wonach acht Menschen über fast genauso viel Reichtum verfügen wie die Hälfte der Menschheit. Zugleich haben wir wieder einmal eine neue Rekordtemperatur aufgestellt und die CO2-Konzentration in der Atmosphäre hat 400 ppm überschritten. Hängen Klimawandel und soziale Ungleichheit zusammen? |
Natürlich ist es so. Es ist allgemein bekannt, dass die Armen die Hauptleidtragenden bei Katastrophen im Allgemeinen und der Klimakatastrophe im Besonderen sind. Selbstverständlich gilt dies auch für die Klimakatastrophen, die durch menschliche Einwirkung (in ihrer kapitalistischen Ausprägung) verursacht sind. Dies ist bereits heute der Fall, wie sich in allen Regionen der Erde gezeigt hat: beim Taifun Haiyan auf den Philippinen 2014, beim Hurrikan Katrina in den USA 2005, bei den großen Überschwemmungen in Pakistan 2010, bei der Gluthitze in Europa 2003, bei den Dürrekatastrophen und dem Anstieg des Meeresspiegels in Benin und anderen afrikanischen Ländern usw. usf.
Daneben vertiefen die Gegenmaßnahmen des Kapitalismus auf den Klimawandel noch die soziale Ungleichheit, da sie auf Marktmechanismen zurückgreifen, besonders auf die Kommerzialisierung und Privatisierung der natürlichen Ressourcen. Dieses Konzept funktioniert nach dem Prinzip der Internalisierung externer Faktoren, will heißen, dass der Preis für die Umweltschäden beziffert und auf den Preis für Waren und Dienstleistungen aufgeschlagen wird. Bezahlen muss diese Preiserhöhungen anschließend natürlich der Endverbraucher. Diejenigen, die Geld haben, können in die saubersten Technologien – etwa Elektroautos – investieren, den anderen bleibt nur, für dieselbe Dienstleistung (im o. g. Fall für Mobilität) mehr zu zahlen.
Dass die Ungleichheit wächst, liegt auch am Gebaren der Versicherungswirtschaft, die sich weigert, die steigenden Risiken in den Regionen zu versichern, wo die Armen wohnen, oder die Versicherungsprämien für die Betroffenen erhöht. Ganz generell spielt der Finanzsektor eine wesentliche Rolle, weil er in den hochspekulativen Emissionshandel investiert, bspw. in Wälder, weil diese als Kohlenstoffsenken fungieren und weil eben diese Eigenschaft zur Ware, zum Finanzprodukt geworden ist. In der Folge werden die Ureinwohner daraus vertrieben und so um ihre Subsistenzmittel gebracht – vorgeblich im Namen des Naturschutzes, obwohl sie es waren, die diese Natur über Jahrhunderte hinweg geformt und geschützt haben. Ein ähnlicher Prozess vollzieht sich im Agrarsektor, wo bspw. für die Produktion von Biokraftstoffen und Biodiesel die Menschen enteignet und in die Lohnabhängigkeit gezwungen werden. Auch hier dient der Klimaschutz als Vorwand für eine gnadenlose Politik, die die Ungleichheit verschärft und Mensch und Umwelt dem Diktat der Konzerne unterwirft.
Aufgrund der inneren Logik des Kapitalismus steht zu befürchten, dass diese Mechanismen zur Kommerzialisierung und Privatisierung der Ressourcen in Zukunft weiter zunehmen und die soziale Ungleichheit verstärken werden. Dies habe ich bereits am Beispiel des Geo-Engineering und besonders des BECCS angerissen. Aber dies ist nur der Anfang. Der letzte Bericht der Weltkommission für Wirtschaft und Klima, eines sehr einflussreichen Expertengremiums unter Sir Nicholas Stern, widmet sich der Rolle der Infrastrukturen beim Übergang in die sogenannte grüne Ökonomie. Darin wird die Natur im Allgemeinen als „Infrastruktur“ bezeichnet und erklärt, dass Investitionen in die Infrastrukturen für das Kapital attraktiv gestaltet werden müssen. Die wichtigste Voraussetzung hierfür sei, gut abgesicherte Eigentumsrechte durchgängig und verbindlich einzuführen. Das Kapital will sich möglichst die Natur als Ganzes einverleiben, so wie es sich der Arbeitskraft bemächtigt (die übrigens auch eine natürliche Ressource darstellt; insofern handelt das Kapital „logisch“).
Was lässt sich über den Zusammenhang zwischen Umweltkrise und Flüchtlingsbewegungen sagen und welche Entwicklung steht uns bevor? |
Dies ist eine der schrecklichsten Konsequenzen des Klimawandels. Wie erwähnt, gibt es oberhalb einer bestimmten Schwelle für die acht bis neun Milliarden Menschen keine Anpassungsmöglichkeiten mehr an den Klimawandel. Am stärksten gefährdet sind diejenigen, die gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. Dieser Prozess ist in mehreren Regionen bereits im Gange, bspw. in Westafrika, und verschärft die vorbestehenden Auswirkungen durch Krieg, Diktatur, Terrorismus und Landraub durch die multinationalen Konzerne. Auch in Bangladesch, Vietnam und auf manchen kleinen Inseln läuft dieser Prozess bereits. Den Menschen dort bleibt nur, sich in den Elendsvierteln der Städte niederzulassen. Ihre Sozialstruktur wird über den Haufen geworfen, besonders die Beziehungen zwischen Mann und Frau, wobei letztere jede wirtschaftliche Selbständigkeit verliert. Manche, v. a. Männer, versuchen in die Länder des Nordens zu emigrieren. Wenn sie die Überfahrt überleben, versuchen sie ihrer Familie Geld zu schicken – eine einzige Katastrophe.
Wie ist in diesem Zusammenhang Trumps Wahlsieg zu werten? |
Was ich über das Kohlendioxidbudget bei einer Erhöhung um 1,5 °C gesagt habe, bedeutet, dass Trump in dem Moment an die Macht kommt, wo wir uns ohnehin auf des Messers Schneide befinden, an der Schwelle zu einem Umkippen des Klimas. Im Wahlkampf hat Trump erklärt, dass der Klimawandel eine von „den Chinesen“ erfundene Finte ist, um die Wettbewerbsfähigkeit der US-Industrie zu schwächen, und er hat versprochen, aus dem Pariser Abkommen auszusteigen. Seine Regierungsmannschaft besteht aus lauter Klimanegationisten und der von ihm ernannte Chef der Umweltbehörde EPA will diese nun von innen aushöhlen, nachdem er jahrelang (sic!) versucht hat, sie als Generalstaatsanwalt von Oklahoma von außen her zu torpedieren.
All dies ist äußerst beunruhigend. Wir halten nichts vom Pariser Abkommen und von den nationalen Klimaschutzbeiträgen (NDC) der USA in diesem Abkommen: Beides ist hochgradig unzureichend aus ökologischer Sicht und zutiefst ungerecht in sozialer Hinsicht. Insbesondere ist uns klar, dass es eine enorme Kluft gibt zwischen dem Ziel des Pariser Abkommens (nämlich den Anstieg auf 1,5–2 °C zu begrenzen) und dem Effekt, den diese Selbstverpflichtungen der Unterzeichnerstaaten in der Summe mit sich bringen: nämlich eine Erhöhung um 2,7–3,7 °C. In Emissionen ausgedrückt wird diese Kluft 2015 ungefähr 5,8 Gt betragen. Um die Auswirkungen eines Rückzugs der USA aus dem Abkommen zu ermessen, muss man bedenken, dass die Selbstverpflichtung der USA eine Reduktion der Emissionen bis 2015 um 2 Gt vorsieht und dass dies etwa 20 % des Gesamtvolumens ausmacht, zu dem sich die 191 Unterzeichnerländer verpflichtet haben. Wenn Trump sein Wahlprogramm umsetzt, dann würden die USA 2 Gt zusätzlich zu den o. g. 5,8 Gt emittieren, die bereits jenseits des 1,5°-Szenarios liegen. Dies bedeutet, dass, wenn es schon unter Mitwirkung der USA sehr schwer wird, das 2°-Ziel zu erreichen, dann dürfte es ohne deren Mitwirkung aussichtslos werden.
Die Mehrheit der weltweit Herrschenden ist wohl inzwischen davon überzeugt, dass der Klimawandel eine Realität und eine enorme Bedrohung für ihre Herrschaft darstellt und dass diese drohende Realität „anthropogen“ ist. Daran hat auch die Wahl von Trump nichts geändert, wie die Reaktionen aus China, Indien, der EU etc. zeigen. Selbst Saudi-Arabien hat seine Verpflichtungen aus dem Pariser Abkommen und seine NDC bestätigt. Wenn nun aber die USA abspringen, werden die anderen Länder noch weniger bereit sein, ihre Anstrengungen zu intensivieren, um die o. g. Kluft von 5,8 Gt zu schließen. In dieser Hinsicht spricht auch die sehr zurückhaltende Position der EU Bände. Wir sollten fordern, dass die Regierungen ihre Bemühungen zum Klimaschutz verstärken, um erstens diese Kluft von 5,8 Gt und zweitens das durch den Ausstieg der USA entstehende Defizit zu kompensieren. Aber dieses zweifache Ziel ist im Rahmen der gegenwärtigen kapitalistischen Politik nicht erreichbar. Denn es erfordert Reformen, die über die Marktlogik hinausgehen: kostenlose öffentliche Verkehrsmittel, ein öffentliches Programm zur energetischen Dämmung der Gebäude, Unterstützung der Bauern gegenüber der Agrarindustrie, Unterstützung der indigenen Völker gegen die Bergbaukonzerne und die Rodung der Wälder durch Agrarkonzerne etc.
Trump wird sein Vorhaben sicherlich nicht ohne weiteres umsetzen, da ein Teil der Klimapolitik den Bundesstaaten, den Gemeindeverwaltungen und den Unternehmen unterliegt und weil zudem CO2 im Clean Air Act, einem vom Kongress verabschiedeten Bundesgesetz, als Luft verschmutzend definiert wird. Das Problem muss jedoch in einem weiteren Kontext gesehen werden, denn nicht allein Trumps Klimapolitik ist die Crux, sondern seine Politik im Gesamten. Sein Konzept besteht darin, die Hegemonialstellung der USA in der Welt aufrecht erhalten zu wollen. Dies war zwar auch Obamas Ziel, aber Trump verfolgt eine andere Methode. Während Obama dies im Rahmen einer multilateralen Weltordnungspolitik mit neoliberaler Agenda umsetzen wollte, setzt Trump dabei auf eine nationalistische, rassistische, sexistische, islamophobe, antisemitische und knallharte Politik. Seine Hauptsorge gilt dem kapitalistischen China, das mit zunehmender Macht die US-Hegemonie künftig infrage stellen könnte. Dieses Konzept birgt die ernsthafte Gefahr, dass es zum Krieg, gar zu einem III. Weltkrieg kommen könnte. Es gibt gewisse Ähnlichkeiten mit dem Niedergang des britischen Empires und dem Aufstieg Deutschlands vor dem I. Weltkrieg und mit dem Aufstieg Hitlers vor dem Hintergrund einer massiven wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krise vor dem II. Weltkrieg (was nicht heißen soll, dass Trump ein Faschist ist, dies wäre das falsche Wort). In dieser Situation würde zwangsläufig der dringende Handlungsbedarf gegenüber der Klimakrise zu einem nachrangigen Problem herabgestuft werden, auch wenn der hellsichtige Teil der herrschenden Klasse anderer Meinung ist.
Wo Schatten ist, ist auch Licht. Die positive Seite dieser Situation ist, dass nicht nur die Rechte Nutznießer dieser Polarisierung in den USA ist, sondern auch die Linke. Der Frauenmarsch, die Massenproteste gegen das Einreiseverbot für Muslime oder der Klimamarsch am 29. April zeigen, dass auch Siege gegen Trump möglich sind. Nicht nur die Menschen in den USA stehen vor einer gewaltigen Herausforderung, sondern wir alle überall auf der Welt. In der gegenwärtigen Lage sind Niederlagen für Trump zugleich Erfolge im Kampf für die Klimarettung. Wir sollten in allen Ländern versuchen, an die Proteste in den USA anzuknüpfen, etwa an den internationalen Aufruf der US-Frauenbewegung, sich ihren Protesten anzuschließen. Dasselbe gilt für den 22. und 29. April, wo in den USA ein Marsch gegen die Wissenschaftsfeindlichkeit der Regierung Trump bzw. Protestaktionen gegen den Klimawandel stattfinden. Natürlich nicht, um das Pariser Abkommen zu unterstützen, sondern um radikale ökosozialistische Forderungen zu propagieren.
Angesichts der tiefgreifenden Veränderungen auf der Welt durch menschliche Einwirkungen sprechen zahlreiche Wissenschaftler schon von einer neuen geologischen Epoche, dem Anthropozän. Was ergibt sich daraus für das Programm und die Strategie der revolutionären Linken? |
Dies ist in der Tat eine sehr interessante Diskussion. Die Wissenschaftler sind der Ansicht, dass das Anthropozän nach dem II. Weltkrieg begonnen hat. Und zwar deswegen, weil erst ab da durch Einwirkung der Menschen geologische Veränderungen ausgelöst worden sind, wie der Anstieg des Meeresspiegels, Atommüll, Anhäufung chemischer Moleküle, die es zuvor nicht gab und die sich kaum abbauen etc. Aus geologischer Sicht ist dies nicht zu bezweifeln, da die Datierung auf objektiven Tatsachen beruht. Aber darunter liegen zwei soziale und politische Streitfragen, nämlich über die dieser objektiven Veränderung zugrunde liegenden Mechanismen und über die sich daraus ergebenden programmatischen und strategischen Schlussfolgerungen. Beide Punkte hängen miteinander zusammen.
Die Diskussion über die Mechanismen gilt den Gründen, weswegen die Menschheit die Umwelt zerstört. Natürlich ist der Kapitalismus der Hauptverantwortliche für diese Zerstörung: Die ihm inhärente Logik erfordert Wachstum, abstrakte Wertproduktion und Profitmaximierung, was mit ökologischer Nachhaltigkeit nicht vereinbar ist. Der exponentielle Verlauf der Kurven, die die Entwicklung der verschiedenen Facetten der Umweltkrise im Verhältnis zu der Zeit illustrieren, sprechen eine beredte Sprache: All diese Kurven (Emission von Treibhausgas, Schwinden der Ozonschicht, Chemikalienverschmutzung, Belastung der Atmosphäre mit Aerosolen, Artensterben etc.) zeigen einen Wendepunkt nach dem II. Weltkrieg. Der Zusammenhang mit der langen kapitalistischen Expansionswelle ist absolut zwingend. Die Hauptverantwortung des Kapitalismus hierfür zu bestreiten und zu behaupten, das Anthropozän wäre eine Folge der menschlichen Existenz und nicht des Kapitalismus, ist lächerlich.
Aber dies ist nicht die ganze Wahrheit. Denn Umweltzerstörungen gab es auch vor dem Kapitalismus und wurden auch in den nichtkapitalistischen Gesellschaften im 20. Jahrhundert in massivem Umfang verübt. Es gibt Parallelen zur Unterdrückung der Frau: Diese Unterdrückung existierte schon vor dem Kapitalismus und gab es auch weiterhin im Rahmen des „real existierenden Sozialismus“. Aus beidem ergibt sich dieselbe Schlussfolgerung: Die Abschaffung des Kapitalismus ist eine notwendige Voraussetzung für die Emanzipation der Frau und für ein nichtparasitäres Verhältnis der Menschheit zum Rest der Natur, aber keine ausreichende. Was den Kampf für die Befreiung der Frau anlangt, ergibt sich daraus eine zweifache Schlussfolgerung: Die Frauen brauchen eine autonome Bewegung und die Revolutionär*innen müssen in dieser Bewegung eine sozialistische Tendenz aufbauen. Hier enden aber die Parallelen, weil natürlich keine autonome Umweltbewegung in die sozialen Auseinandersetzungen eingreifen kann.
Was folgern wir daraus? Dass es Menschen geben muss, die im Namen der Natur in die sozialen Belange intervenieren müssen! Genau dies wollen die Ökosozialist*innen tun, und zwar mit einer antikapitalistischen Perspektive. Somit ist der Ökosozialismus weit mehr als eine Strategie, um die sozialen und ökologischen Anliegen miteinander zu verbinden. Er ist ein zivilisatorisches Projekt, das darauf abzielt, ein neues, ökologisches Bewusstsein zu entwickeln, das Verhältnis zur Natur auf einem anderen Niveau zu beleben, eine neue Naturphilosophie zu begründen. Natürlich kann niemand dieses neue Bewusstsein im Voraus inhaltlich vollständig definieren. Die Leitlinien sollten jedoch von Achtung, Fürsorge und Umsicht getragen sein. Bekanntlich haben die Menschen eine enorme Macht, Herrschaft auszuüben. Dies ist Folge unserer Intelligenz. Aber Beherrschen kann zweierlei bedeuten: sich gewaltsam Eigentum anzueignen oder aber komplizierte Dinge zu verstehen und verrichten zu können. Und in der ersten Bedeutung dieses Wortes müssen wir dringend aufhören, die Natur, deren Teil wir sind, zu beherrschen und sie vielmehr so behandeln, wie es der zweiten Bedeutung des Worts entspricht: Ein guter Schüler eben zu sein, der seine Materie beherrscht. Wir haben viel Zerstörung angerichtet, aber es gibt keinen Grund zu unterstellen, dass wir unsere Intelligenz nicht dazu nutzen können, uns um die Natur zu kümmern und möglichst das wieder herzustellen, was wir zerstört haben. Anders, als es der Evolutionsbiologe Jared Diamond behauptet, haben andere Gesellschaften in der Vergangenheit die Natur sehr für- und vorsorglich behandelt, weil sie ein tiefgehendes Verständnis von ihr hatten.
Kurzum, wir brauchen nicht nur eine soziale, sondern auch eine Kulturrevolution. Wir müssen damit sofort beginnen, indem wir unsere Verhaltensweisen ganz konkret ändern, wobei dies nicht bloß individuell zu verstehen ist. Solche Veränderungen müssen gesellschaftlich gefördert werden, was nur durch konkrete Kämpfe möglich ist. Die indigenen Gesellschaften sind ein Quell der Inspiration. Auch die Kleinbauern werden m. E. aus naheliegenden Gründen eine entscheidende Rolle in diesem Prozess spielen. Ebenso die Frauen, aber nicht, weil sie für ökologische Fragen angeblich „naturgemäß“ empfänglicher sind, sondern wegen ihrer spezifischen Unterdrückung. Einerseits sind die Frauen, weil sie 80 % der landwirtschaftlichen Produktion verrichten, direkt damit konfrontiert, dass die Natur immer mehr leidet. Andererseits obliegt ihnen infolge der patriarchalen Unterdrückung in der Regel die Familienfürsorge, was automatisch ihre Sinne für die Relevanz der drei o. g. Faktoren schärft: Achtung, Fürsorge und Umsicht.
Übersetzung: MiWe |
Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 4/2017 (Juli/August 2017). | Startseite | Impressum | Datenschutz