Die folgende Erklärung ist am 25. Februar 2014 von dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale angenommen worden.
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Daher standen sich bei der Krise durchaus nicht zwei klar abgesteckte Lager oder Programme gegenüber: Bei den Oligarchen und Eliten zeigten sich Unterschiede und ein Zögern, selbst innerhalb der Partei der Regionen. Und trotz kultureller, sozialer und politischer Unterschiede zwischen den verschiedenen historischen Regionen des Lands traten die Massen als unabhängiger Faktor auf, sie brachten ihre „Empörung" und ihr Misstrauen gegenüber den politischen Parteien zum Ausdruck, sei es durch direkte Beteiligung an der Maidan-Bewegung (vor allem im Westen und in der Mitte des Landes), sei es passiv (die vorherrschende Haltung im russischsprachigen Osten).
Eine Woche blutiger Gewalt hat dazu geführt, dass sich der Standpunkt der Protestierenden durchsetzte und die Forderung nach sofortigem Rücktritt von Präsident Janukowitsch erfüllt werden musste. Er wurde nicht durch einen „Staatsstreich" gestürzt. War er schon vorher zunehmend unpopulär, so wurde er nach den 80 Opfern der Heckenschützen, die mit scharfer Munition auf die Demonstrierenden schossen, absolut abgelehnt. Das führte nach monatelangem Zögern der herrschenden Institutionen zwischen Repression und Dialog zu radikaler Isolierung des Präsidenten in seinem eigenen Lager. Das Parlament stimmte für seine Absetzung, während ein Teil der Polizei und wahrscheinlich auch der Armee in Kiew und in den Regionen erklärte, sie stünden „auf der Seite des Volks", und die Flucht des Präsidenten nach Russland in Donezk, inmitten seiner Bastion, aufgehalten wurde.
2. |
Wir unterstützen die Unzufriedenheit und die Bestrebungen der Bevölkerung nach einem würdevollen und freien Leben in einem Rechtsstaat, der sein oligarchisches und kriminelles Regime losgeworden ist, wie sie in der sog. Euromaidan-Bewegung im ganzen Land zum Ausdruck kommen; aber wir sind davon überzeugt, dass die EU diese Hoffnung nicht erfüllen kann, und wir sagen das auch.
Wir unterstützen das Recht des gesamten ukrainischen Volks, über die in seinem Namen ausgehandelten (oder gebrochenen) internationalen Vereinbarungen, sei es mit Russland oder mit der EU, zu entscheiden, bei voller Transparenz über ihre politischen und sozioökonomischen Auswirkungen.
Wir verurteilen alle internationalen oder nationalen Institutionen und politischen Kräfte, gleich welche Etiketten sie tragen, die die volle und freie Entscheidung der Bevölkerung beschneiden, sei es durch wirtschaftliche oder finanzielle Diktate, durch Freiheiten abwürgende Gesetze und Sicherheitskräfte oder durch physische Angriffe, die den pluralistischen Ausdruck von Alternativen und Meinungsverschiedenheiten unmöglich machen. Von diesem Standpunkt aus verurteilen wir sowohl die Strömungen der extremen Rechten als auch die Sicherheitskräfte des Regimes, die im Übrigen vielfach die gleiche reaktionäre, antisemitische und ausgrenzende nationalistische Ideologie miteinander gemeinsam haben.
Während die tonangebenden organisierten politischen Kräfte bislang zur Rechten oder extremen Rechten gehören, unterstützen wir die sozialen und politischen Kräfte, die versucht haben, innerhalb dieser Bewegung eine linke Opposition aufzubauen. Sie haben es abgelehnt, außerhalb der Bewegung zu bleiben oder sie mit der extremen Rechten gleichzusetzen. Diese eigenständige Orientierung bedeutete eine schwierige Konfrontation mit den faschistischen Strömungen und das Herausstellen von 25 Jahren Privatisierungen, gleich welche politischen Parteien seit der Unabhängigkeit des Landes an der Macht waren.
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3. |
Wir hoffen, dass die ukrainische Bevölkerung in allen Regionen des Landes ihre eigenen Formen der Selbstorganisation und des autonomen Ausdrucks ihrer konkreten Forderungen und des Misstrauens gegenüber den herrschenden Parteien finden wird.
Übersetzung: Friedrich Dorn |
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 3/2014 (Mai/Juni 2014). | Startseite | Impressum | Datenschutz