Ukraine

Sparen? – Zuerst bei den Oligarchen!

Die Linke Opposition erinnert daran, dass die politische Krise in erster Linie eine soziale und Schuldenkrise ist, auch wenn dies in der internationalen Propaganda gerne übersehen wird.

GASLO

Um vom Internationalen Währungsfonds (IWF) einen Kredit von 15 Milliarden Dollar zu erhalten, nimmt die ukrainische Regierung eine soziale Katastrophe in Kauf. Lieber schadet sie der Mehrheit der Bevölkerung, als sich gegen die Interessen einer Handvoll Oligarchen zu stellen. Das ist keine Erfindung der sozialistischen Gruppe „Linke Opposition“, sondern es geht um eine noch nie da gewesene Sparpolitik mit dem Abbau von Sozialleistungen, der Zerstörung des Gesundheitssystems und Preiserhöhungen. „Dass diese Maßnahmen unbeliebt sind, heißt aber nicht, dass sie auch wirksam sind. Die Ukraine wird in noch größere Schuldknechtschaft geraten, das große Business kann seine Macht weiter ausbauen und in den nächsten zwei Jahren wird es keinerlei Anreize zur wirtschaftlichen Entwicklung geben“, so die Sozialisten.

Die neue Regierung hat versichert, die Ukraine sei ein zuverlässiger staatlicher Kreditnehmer und werde sämtliche Verpflichtungen einhalten. Sie ist entschlossen, alle Auflagen des IWF zu erfüllen. Der Finanzminister kündigte folgende Sparmaßnahmen der Haushaltsbehörden an: keine Anschaffung von Berufskleidung, keine Besetzung offener Stellen und keine Zahlung von Gehaltszulagen. Dieser Ansatz betrifft vor allem den Gesundheitssektor und wird dazu führen, dass seine Kader abwandern. „Wie will die Regierung die per Verfassung garantierte kostenlose Gesundheitsversorgung sicherstellen, wenn sie das medizinische Personal nicht bezahlt?“, fragen die linken AktivistInnen.

Wenn die Regierung wirklich sparen wollte, würde sie sich an die Oligarchen halten. Sie haben die privatisierten Unternehmen zu einem Spottpreis erworben und nichts für ihre Modernisierung getan. Wären es echte Patrioten, würden sie mit ihrem Geld das staatliche Haushaltsdefizit ausgleichen. Zurzeit will die Regierung die Ausgaben um 65 bis 80 Milliarden Hrywnja [5 bis 6,25 Mrd. Euro] kürzen. Zu einem solchen Betrag kann man auch ohne massive „Enteignung“ kommen. „Die Entwicklung der Ukraine muss mit der Beseitigung der sozialen Ungerechtigkeit beginnen“, fordern die AnhängerInnen der „Linken Opposition“.

Gemäß Forbes beträgt das Vermögen des Gouverneurs von Dnipropetrowsk, Igor Kolomojskyj, 2,1 Milliarden Dollar. Der Abgeordnete Wadim Nowynskyj besitzt 1,5 Mrd. Dollar, der Abgeordnete Petro Poroschenko 1,3 Mrd., der Abgeordnete Serhij Tihipko 1 Mrd., der Gouverneur der Region Donetsk, Serhij Taruta, 0,59 Mrd. ... Zusammen kommen die reichsten Politiker somit auf ein Vermögen von 6,49 Mrd. Dollar. Gestützt auf den amtlichen Wechselkurs (9,23 Hrywnja für 1 Dollar), verfügen sie schätzungsweise über 59,9 Milliarden Hrywnja. „Das entspricht ziemlich genau der Summe von 60 Milliarden, die Premierminister Jazenjuk den ärmsten BürgerInnen der Ukraine aus der Tasche ziehen will“, folgert die „Linke Opposition“.

Wir sind der Meinung, dass die Ukraine das bedingte Darlehen des IWF, das noch mehr Arme schaffen wird, nicht braucht. Außerdem ist es unsinnig, beim IWF einen Kredit zu beantragen, wenn gleichzeitig ein riesiges Potenzial für andere Reformen vorhanden ist ­ insbesondere solche zur Senkung der ungeheuren Kosten, die die Oligarchen verursachen.

Die „Linke Opposition“ fordert die Umsetzung folgender Maßnahmen:

1. Breite öffentliche Diskussion über den Weg aus der Krise. Man sagt uns, vor Beendigung des Konflikts mit Russland könne die Diskussion über die Krise nicht seriös geführt werden. Doch wenn es möglich ist, dass von oben immer mehr leitende Positionen eingerichtet werden, warum soll es dann nicht möglich sein, die Gesamtbevölkerung über die Sparmaßnahmen entscheiden zu lassen? Die Kürzungen im Staatsapparat sind sofort zu realisieren. Über die Sparmaßnahmen bei den RentnerInnen, den Löhnen der Staatsangestellten und den Sozialleistungen können wir hingegen erst entscheiden, wenn die Buchführungen der Regierungsbehörden und der öffentlichen Betriebe für alle online verfügbar sind.

2. Soziale Musterung: Die Oligarchen müssen Macht und Kapital abgeben. Es besteht ein hohes Risiko, dass es zu Interessenskonflikten kommt. Die neu ernannten Unternehmer werden ihre Posten zur eigenen Bereicherung nutzen und die ganzen Sparopfer werden nur dazu dienen, ihren Wohlstand zu sichern. In den Positionen, die sie nun innehaben, können sie Verträge mit ihren Firmen abschließen: Mit dem im Staatsbudget eingesparten Geld werden sie Beiträge und Subventionen ausrichten, damit die Firmen soziale Verpflichtungen wahrnehmen, die sie ohnehin erfüllen müssten (Entschädigung für die Schaffung von Arbeitsplätzen usw.). Die Forderung der Protestierenden auf dem Maidan ist berechtigt: Jeder der hundert reichsten Ukrainer soll auf seinen Reichtum eine Abgabe für das Allgemeinwohl leisten.

3. Keine Unterzeichnung des Freihandelsabkommens. Die Ukraine hat die Möglichkeit, das Assoziierungsabkommen zu unterzeichnen, ohne Teil der Freihandelszone zu werden ­ die „Linke Opposition“ hat schon im Oktober 2013 darauf hingewiesen, dass diese Forderung realistisch ist. Der freie Verkehr europäischer Waren in der Ukraine hätte noch schlimmere Folgen als die härtesten neoliberalen Reformen: Die Wirtschaft würde zusammenbrechen.

4. Die Schattenwirtschaft muss dem Gesetz unterstellt werden (rund 170 Mrd. Hrywnja werden schwarz bezahlt, das Gesamtvolumen der Schattenwirtschaft beträgt 350 Milliarden). Die Arbeiter müssen ein Recht auf Streik haben, auch wenn ihnen der Arbeitgeber keinen Arbeitsvertrag ausgestellt hat. Die Strafen für unterlassene Lohnzahlungen und für vertragslose Anstellungen müssen mindestens um den Faktor 10 erhöht werden (gemäß Strafgesetzbuch beträgt die Buße für Schwarzarbeit zurzeit 850 Hrywnja).

5. Eintreiben der Gelder, die illegal in Steueroasen transferiert wurden. Das Doppelbesteuerungsabkommen, dank dem die Oligarchen keine Steuern zahlen müssen, ist sofort zu kündigen. Infolge der Rechtsprechung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung landen jedes Jahr ungefähr 30 bis 40 Milliarden Hrywnja steuerfrei auf Konten in Steueroasen. Insgesamt wurden etwa 350 Milliarden Dollar in Steuerparadiese verschoben. Im Jahr 2010 mussten alle tief in die Taschen greifen, um ihre Steuern zu zahlen ­ außer Pintschuk, Kolomojski, Achmetow, Taruta, Zhevago, Firtasch usw. Sie belegen 7 von 10 Hrywnja der ukrainischen Ressourcen, da sie alle großen Unternehmen besitzen. Sie zahlen in Zypern oder anderswo eine bescheidene Steuer, nicht aber in der Ukraine. Formell gehören die ukrainischen Unternehmen Gesellschaften mit Sitz in Zypern oder auf den Malediven. Und dorthin gelangen auch die ukrainischen Gewinne, in Form von nicht steuerpflichtigen zypriotischen Investitionen. Die kapitalistischen Oligarchen sollen anfangen, ihre Steuern zu zahlen; danach werden wir entscheiden, ob wir die „kostenorientierten“ Preise der öffentlichen Dienste bezahlen müssen.

      
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6. Progressive Steuern auf die Einkünfte der Reichen und ihrer Körperschaften. Der Anteil des persönlichen Einkommens, der über 15 000 Dollar pro Monat oder 150 000 Dollar pro Jahr beträgt, muss bis zu 100 % besteuert werden. Unser Land zählt (offiziell) 127 Millionäre. Als Unternehmer zahlen sie nur 17 % Einkommenssteuer ab einem Einkommen von 15 000 Hrywnja, während die meisten von uns, die monatlich 2000 bis 4000 Hrywnja verdienen, mit 15 % besteuert werden. Und diese Reichen wollen die Löhne der Sanitäter um 20 % kürzen! Sollen wir das akzeptieren? Wir bevorzugen die europäische Lösung! In Europa zahlen die Millionäre mindestens 40 % bis 60 % Steuern auf ihr persönliches Einkommen (und in Frankreich werden Einkommen über einer Million Euro mit 75 % besteuert). Außerdem fordern wir eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Luxusgüter (auf 25 %).

7. Unterstützung von Menschen in Krisensituationen. Es braucht einen kostenlosen Öffentlichen Verkehr, feste Medikamentenpreise, einen Preisstopp bei den öffentlichen Diensten und kostenlose öffentliche Dienste, wenn Löhne oder Sozialleistungen nicht gezahlt werden.

8. Keine Begleichung der Auslandsschulden, zumindest bis zur Rückzahlung des geplünderten Kapitals (die Auslandsschuld beträgt 75 Mrd. Dollar). Alle Schulden, die durch die Anleihen der oligarchischen Regierung entstanden sind, müssen erlassen werden.

Die „Linke Opposition“ sagt schon lange, dass alle im Parlament vertretenen politischen Parteien der neoliberalen Ideologie anhängen und ihre Geschäfte von der Mehrheit der Bevölkerung finanzieren lassen wollen. Die Tatsache, dass die ehemalige Opposition an die Macht gekommen ist und „unpopuläre“ Maßnahmen ankündigt, bestätigt diese These. „Die ukrainische Protestbewegung muss weitergehen, bis die ganze politische Kaste abtritt und der neoliberale Kurs aufgegeben wird. Die Macht im Staat und in den Unternehmen gehört in die Hände von Arbeiterräten ­ also von jenen, die den Reichtum direkt erschaffen“, erklärt die „Linke Opposition“.

Weitere Vorschläge finden sich in unserem „Manifest: 10 Thesen der ‚Linken Opposition‘“

Die Website GASLO (Holownyj Analitytschnyj Sajt Livoji Opozytsiji ­ Hauptwebsite für Analysen der „Linken Opposition“) wird von der sozialistischen Organisation „Linke Opposition“ betrieben: http://gaslo.info/



Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 3/2014 (Mai/Juni 2014). | Startseite | Impressum | Datenschutz