Bei der Debatte über die Wirtschaftsrechnung unter Berücksichtigung der Umweltbelange kann es durchaus nützlich sein, auf ältere Beiträge zur Ökonomie des Sozialismus zurückzugreifen. Anlässlich der bevorstehenden Neuauflage der Neuen Ökonomik von Jewgeni Preobraschenski auf Französisch befasst sich der Autor des folgenden Beitrags mit der möglichen Kontinuität zwischen den alten Theorien des Sozialismus und der theoretischen Ausarbeitung eines Ökosozialismus.
Michel Husson
In seinem 1926 erschienenen Buch versucht Preobraschenski, die Funktionsweise einer sozialistischen Wirtschaft theoretisch darzulegen. Er gebraucht dabei die schöne Formel: „Im Bereich der Wissenschaft weicht die politische Ökonomie der Sozialtechnologie, d. h. der Wissenschaft der gesellschaftlich organisierten Produktion“. Preobraschenski bezieht sich dabei auf die wenigen Passagen, in denen Engels im Anti-Dühring und Marx im Kapital eine gesellschaftliche Organisation skizzieren, in der „die assoziierten Produzenten diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den, ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehn.“ [1]
Aber ein Wirtschaftssystem, das sich im Übergang zum Sozialismus befindet und auf das sich Preobraschenski bezieht, befindet sich noch immer im „Reich der Notwendigkeit“. Die „Gesetze des gesellschaftlichen Tuns“ werden nicht abgeschafft, sondern im Sinne einer Kontrolle der Gesellschaft über ihre Ziele und Prioritäten verändert.
Das konkrete Beispiel, das Preobraschenski anführt, um die unterschiedliche Funktionsweise dieser Gesetze zu illustrieren (gegenüberzustellen), greift zweifelsfrei ein wenig zu kurz. Er geht dabei von einer erhöhten Nachfrage nach Lederschuhen aus. In einem kapitalistischen System, so erklärt er, wird die Anpassung zwischen Angebot und Nachfrage post factum erfolgen, aber nach dem Zufallsprinzip, „wobei das Missverhältnis in dieser oder jener Richtung die Regel ist“. In einer Planwirtschaft hingegen wird dieser Nachfrageanstieg „im Voraus“ kalkuliert, nicht über den Markt, sondern über die „Zahlenkolonnen der sozialistischen Buchhaltung (…), über die die Planungszentren unterrichtet werden“.
Diese Darlegung ist komplett unzureichend und beinahe wäre man versucht, sich angesichts der leeren Regale in den sowjetischen Geschäften über derlei Illusionen zu amüsieren. Diese Lesart ginge in ihrem stereotypen Anachronismus natürlich an der eigentlichen Aussage vorbei und täte Preobraschenski unrecht, weil sein Werk durchaus sehr bereichernd ist.
Die Diskussion hierüber lässt sich besser führen, wenn man von den Mängeln ausgeht, die dieses Fallbeispiel des Autors darlegt, und wenn man die späteren Debatten über den Sozialismus einbezieht. Die Schwäche seiner Argumentation liegt vor allem darin, dass er sich auf ein Konsumgut bezieht. Dass dessen Preis auf dem Markt schwanken kann, ist im Grunde nur ein ziemlich nachrangiger Aspekt der möglichen Kritikpunkte am Kapitalismus. Der zentrale Kritikpunkt müsste tiefer greifen und darauf zielen, dass eine soziale Klasse aus der Aneignung des Mehrwerts das Privileg zieht, die gesellschaftlichen Prioritäten zu bestimmen. Indem sie ihre Investitionen in diesen oder jenen Bereich lenken, entscheiden die Kapitalist*innen über die gesellschaftliche Entwicklung und können sie entlang ihrer eigenen Interessen steuern. Das andere grundlegende Charakteristikum der kapitalistischen Gesellschaft liegt natürlich darin, die Arbeiter*innen zum Proletariat zu machen und sie den Bedürfnissen der Unternehmer*innen zu unterwerfen. Trotz alledem verwundert es, dass sich die Veranschaulichung bei Preobraschenski auf das kurzfristige Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage beschränkt, wo doch der eigentliche Unterschied zwischen Kapitalismus und Sozialismus in ihrer potentiell unterschiedlichen Dynamik liegt.
Man kann das Problem jedoch durchaus am Beispiel der Konsumgüter abhandeln. Preobraschenski spricht ein heikles theoretisches Problem an, indem er sich fragt, ob es in einer voll entwickelten sozialistischen Wirtschaft noch Preise und Märkte geben müsse. Diese Frage ist für ihn gleichbedeutend mit der Frage, ob das Wertgesetz weiterhin in Kraft ist oder ersetzt werden wird.
Diese zweifache Fragestellung wirft auf, was unter dem Wertgesetz eigentlich genau zu verstehen ist. Die grundlegendste Antwort darauf lautet, dass das Wertgesetz, so wie Marx es versteht, festlegt, dass der Wert einer Ware von der für ihre Herstellung gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit abhängt. Im weiteren Sinne bedeutet dies, dass die Kapitalakkumulation vom Streben nach maximaler Kapitalverwertung geleitet wird.
Die logische Schlussfolgerung ist, dass das Wertgesetz nur „in einer Überflussgesellschaft“ absterben kann, um eine Formulierung von Ernest Mandel in seiner Einführung in Preobraschenskis Buch zu verwenden. Sofern die Entwicklung eines sozialistischen Modells nicht auf der Annahme einer Überflussgesellschaft beruhen kann, bedeutet dies, dass das Wertgesetz nicht abgeschafft ist und dass noch immer eine Wirtschaftsrechnung erforderlich ist, die allerdings auf einer anderen Art und Weise beruht, gesellschaftliche Prioritäten festzulegen.
Preobraschenski hätte auch eine andere Passage aus dem Anti-Dühring zitieren können, wo Engels nähere Hinweise liefert: „Allerdings wird auch dann die Gesellschaft wissen müssen, wieviel Arbeit jeder Gebrauchsgegenstand zu seiner Herstellung bedarf. Sie wird den Produktionsplan einzurichten haben nach den Produktionsmitteln, wozu besonders auch die Arbeitskräfte gehören. Die Nutzeffekte der verschiednen Gebrauchsgegenstände, abgewogen untereinander und gegenüber den zu ihrer Herstellung nötigen Arbeitsmengen, werden den Plan schließlich bestimmen. Die Leute machen alles sehr einfach ab ohne Dazwischenkunft des vielberühmten »Werts«.“ [2]
Die „Abwägung der Nutzeffekte“ wird also den „vielberühmten Wert“ überflüssig machen, aber man wird dennoch wissen müssen, „wieviel Arbeit jeder Gebrauchsgegenstand zu seiner Herstellung bedarf“. Die Wirtschaftsrechnung wird also nicht verschwinden und der „vielberühmte Wert“, von dem hier die Rede ist, bezeichnet die Art und Weise, wie der Kapitalismus seine Ressourcen entlang seiner Privatinteressen zuteilt.
Insofern kann man dem polnischen Ökonomen Włodzimierz Brus nur zustimmen, der vorschlug, der Gleichsetzung von Markt- und Geldkategorien mit dem Wertgesetz „entschieden entgegenzutreten“: „Wenn der Staat mittels eines Plans das Verhältnis zwischen der gesellschaftlichen Produktion und den Preisen festlegt, kann die Tatsache, dass dabei Markt- und Geldkategorien zum Ausdruck kommen, nicht mehr als „Gebrauch des Wertgesetzes“ definiert werden, insbesondere wenn die Preisverhältnisse von den Wertverhältnissen abweichen, und zwar nicht zufällig und temporär, sondern als Effekt einer bewussten Politik“. [3]
Leonid Witaljewitsch Kantorowitsch (1912–1986) war ein russischer Mathematiker und Ökonom (der einzige Russe, der den Nobelpreis für Wirtschaft, 1975, erhalten hat). Er hat in mathematischen Begriffen die Modalitäten einer neuen Wirtschaftsrechnung gefasst: Ein sozialistisches Wirtschaftsprogramm zielt darauf, unter Berücksichtigung der verfügbaren Ressourcen den größtmöglichen Umfang eines Gütersortiments zu produzieren, und zwar in einem Mengenverhältnis, das direkt von der Gesellschaft entlang ihrer Präferenzen festgelegt wird. Das Rentabilitätsprinzip und damit das wirtschaftliche Kalkül verschwinden zwar nicht, spielen aber nur eine untergeordnete Rolle: „In einer sozialistischen Gesellschaft, darf Rentabilität kein Selbstzweck sein (so wie im Kapitalismus), sondern nur ein Mittel, das beste Ergebnis oder ein Minimum an Kosten für die gesamte Gesellschaft zu erreichen. Folglich wird die Anwendung dieses Prinzips den Erfordernissen der bestmöglichen Umsetzung der Ziele des Gesamtplans untergeordnet sein.“ [4]
Dieser Optimierungsprozess führt zur Berechnung von Pseudopreisen, die Kantorowitsch „objektiv bestimmte Evaluationen“ nennt und die eine andere Rolle spielen als die Preise im Kapitalismus. Im Kapitalismus ist der „Signalpreis“ (Schwellenpreis) ein Indikator für die Rentabilität, im Sozialismus hingegen ein Gradmesser für den sozialen Nutzen. Der wesentliche Unterschied zwischen Kapitalismus und Sozialismus liegt daher in der Zuteilungsweise der Ressourcen und hauptsächlich in der Verwendung des Überschusses (Surplus). Diesen Unterschied hat man nicht verstanden und Kantorowitsch wurde zu Unrecht als eine Art Theoretiker der wirtschaftlichen Optimierung (Maximierung) unter sowjetischen Vorzeichen gesehen, etwa von Pierre Naville. [5]
Die Wirtschaftsrechnung findet nicht nur unter veränderten Modalitäten statt, sondern verfolgt auch einen anderen Zweck. Im Kapitalismus geht es um die Profitmaximierung und sie allein bestimmt, in welche Wirtschaftsbereiche die Investitionen vorrangig fließen, während die Belange der gesellschaftlichen Entwicklung eher hinderlich für diese Wirtschaftsrechnung sind (wiewohl die produzierten Waren einer gesellschaftlichen Nachfrage entsprechen müssen). Dem Sozialismus hingegen geht es darum, dass die gesamte Gesellschaft über ihre eigenen Prioritäten befinden kann, denen die Wirtschaftsrechnung untergeordnet ist.
In einer vernünftigen Gesellschaftsordnung wäre das Bedürfnis keine Bedingung mehr ohne wirklichen Inhalt und nur dazu bestimmt, die Realisierung des Werts zu garantieren: Die unterschiedliche Bedeutsamkeit der verschiedenen wirklichen Bedürfnisse bestimmt hier die Hierarchie gemäß den Prioritäten der Gesellschaft. Im Kapitalismus hingegen ist das Ziel die Profitmaximierung und in welchem Verhältnis die verschiedenen Waren angeboten werden, ergibt sich als Nebenprodukt aus diesem Maximierungsprozess, und nicht aus einer gesellschaftlichen Festlegung.
Trotz seines Formalismus hat Kantorowitschs Darlegung den Vorteil, die ganz unterschiedliche Funktionsweise der sozialistischen Wirtschaft hervorzuheben. Deren Ziele werden sozusagen außerökonomisch definiert und stehen im Gegensatz zu den kapitalistischen Marktgesetzen, die einerseits den Markt regulieren und andererseits – entlang eines nicht gesellschaftlich kontrollierten Prozesses – ihre eigenen Ziele schaffen.
Dass man sich eine so anders geartete Funktionsweise vorstellen kann, liegt in der Grundannahme einer sozialistischen Demokratie begründet. Um gemäß dieser höheren Logik zu funktionieren, muss sich die Gesellschaft die Mittel verschafft haben, ihre eigenen kollektiven Ziele über einen demokratisch festgelegten Plan anzusteuern, da ansonsten die Wirtschaftsberechnung auf falschen Tatsachen beruhen würde. Abgesehen von der Entstehung einer bürokratischen Diktatur lag das wirtschaftliche Scheitern der „realsozialistischen“ Staaten hauptsächlich daran, dass dort zwar die Mechanismen unterdrückt worden sind, die den Kapitalismus am Leben erhalten, ohne stattdessen aber die für die Existenz des Sozialismus essentielle Bedingung zu schaffen, nämlich die soziale Demokratie. [6]
Der Grund, weswegen die Wirtschaft im kapitalistischen System eine alles überragende Rolle spielt, liegt darin, dass sie nicht nur die Mittel bestimmt, sondern zugleich wesentlich dazu beiträgt, die Zwecke zu definieren, auszuwählen und zu justieren, während der Sozialismus quasi einer Verengung des wirtschaftlichen Funktionierens entspricht und sich rigoros darauf beschränkt, die Mittel an anderweitig festgelegte Ziele anzupassen. Preobraschenski hat auf diesen Umkippprozess ausdrücklich aufmerksam gemacht: „Mit der Abschaffung des Wertgesetzes in der wirtschaftlichen Realität wird zugleich die alte politische Ökonomie abgeschafft. Ihr Platz wird von einer neuen Wissenschaft eingenommen, der Wissenschaft, die die wirtschaftliche Notwendigkeit in einer organisierten Wirtschaft vorherzusehen und das Nötige durch Produktion und andere Mittel besser zu beschaffen gestattet. Dies ist eine ganz andere Wissenschaft, das ist eine soziale Technologie, die Wissenschaft von der organisierten Produktion, von der organisierten Arbeit, die Wissenschaft von einem System der Produktionsverhältnisse, in dem die ökonomische Gesetzmäßigkeit sich in neuen Formen zeigt, in dem es keine Verdinglichung der menschlichen Beziehungen mehr gibt, in dem zusammen mit der Abschaffung der Ware auch der Warenfetischismus verschwindet …“ [7]
Das Problem der Effizienz einer sozialistischen Wirtschaft ist insofern kein wirtschaftstechnisches, sondern in ganz besonderem Maße und ganz direkt ein politisches. Die Prioritäten, die sich die Gesellschaft gibt, werden dort auf außerökonomische Art und Weise festgelegt und setzen sich als Ziele gegen die Gesetze der Wirtschaftstechnik durch, während gegenteilig die sozialen Zwecke des Kapitalismus erst nachträglich und als ein Nebenprodukt des Warenhandels auftauchen. Demokratie ist insofern die Grundvoraussetzung für das Funktionieren einer solchen Gesellschaftsorganisation und diese Vorstellung zwingt dazu, den Zusammenhang zwischen Plan und Markt anders zu gestalten.
Diese Herangehensweise erfordert heute eine zusätzliche Legitimationsgrundlage, indem man ökologische Kriterien einbezieht. Man könnte hier wieder einen linearen Zusammenhang herstellen und sagen, dass das Kriterium der Profitmaximierung Wertformen schafft, die mit der Einhaltung ökologischer Normen nicht vereinbar sind. Der Kapitalismus gibt vor, sie zu berücksichtigen, indem er Pseudomärkte schafft oder die Signalpreise verändert.
Die Wirtschaftsmodelle sind, selbst wenn sie „Klima-orientiert“ sind, in Begriffen der Kosteneffizienz gefasst. Sie „schätzen die gesellschaftlichen Nettovorteile des klimawirksam verausgabten Geldes und vergleichen diese Vorteile dann mit denen, die die Menschheit hätte erzielen können, wenn sie dieses Geld in ein anderes, weniger riskantes Finanzinstrument investieren würde, etwa in Staatsanleihen.“ [8] Eine solche Kalkulationsweise führt zu folgenden Einschätzungen: „Der wirtschaftliche Nettoschaden einer Erwärmung um 3 Grad liegt in der Größenordnung von 0,25 % des Nationaleinkommens der USA.“ Wohl stammt diese irrige Annahme von 19929 [9], aber ihr Autor William Nordhaus hat seine fehlerhafte Herangehensweise niemals revidiert und trotzdem 2018 den Nobelpreis in Ökonomie erhalten.
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Diese Pseudomonetarisierung der Umwelt kann das Prinzip der Profitmaximierung am Rande beeinflussen, aber längst nicht in dem Umfang der erforderlichen Emissionssenkungen. Daher hat Servaas Storm in seinem Beitrag, der eine lesenswerte Zusammenfassung der Thematik liefert [10], doppelt Recht, wenn er den Wirtschaftswissenschaftlern vorwirft, der Bekämpfung des Klimawandels im Wege zu stehen, und daneben unterstreicht, dass grünes Wachstum eine Illusion ist.
Das Anliegen dieses kurzen Überblicks ist es, zu zeigen, dass die inzwischen nahezu inexistente Debatte über die sozialistische Planung wieder aufgenommen werden muss, weil der Klimawandel ihr wieder Aktualität verschafft hat. Die dringend gebotene Bekämpfung der Klimaerwärmung wirft die Frage nach einer anderen Wirtschaftsrechnung auf, die die Umweltbelange angemessen berücksichtigt, auch wenn eine solche theoretische Debatte abstrakt bleiben mag. Daher ist es wohl angebracht, auch auf frühere Beiträge zurückzugreifen und dabei festzustellen, dass die Ignoranz der gegenwärtigen Politik gegenüber diesem Thema unmittelbar auf einer ideologisch begründeten Ablehnung einer Wirtschaftsplanung beruht, die die Profitlogik angreifen würde.
Aus A l’encontre vom 12.7.2019 Übersetzung: MiWe |
Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 5/2019 (September/Oktober 2019). | Startseite | Impressum | Datenschutz