Spätestens mit dem 20. September dürfte klar sein: Mit Fridays for Future ist nicht einfach nur eine zusätzliche Kraft im Kampf gegen den Klimawandel auf den Plan getreten. Hier ist eine neue Generation aktiv und zwar so massenhaft und so authentisch, dass inzwischen Menschen aller Altersgruppen in Scharen die entsprechenden Aktivitäten unterstützen.
Jakob Schäfer
Die Breite dieser Bewegung und die bisher schon unter Beweis gestellte Ausdauer – aber auch die Klarheit im öffentlichen Auftreten – setzen die Regierung gewaltig unter Druck.
Dies gelingt umso mehr, als sich die Aktivist*innen auf einen breit getragenen wissenschaftlichen Konsens stützen können und alle brauchbaren Expertisen gut belegen, dass die bisher diskutierten Maßnahmen der Regierenden nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind. Somit ist die Regierung in Sachen Klimawandel politisch zunehmend in der Defensive.
Noch ist die herrschende Klasse mit den bisherigen Aktivitäten nicht unter ökonomischem Druck geraten, aber die Regierung verliert zunehmend an Glaubwürdigkeit. Wahlpolitisch kann das zwar im Moment noch auf die Mühlen der Grünen gelenkt werden, aber das führt nicht zur Demobilisierung der Bewegung, auch deshalb nicht, weil die Forderungen der (in manchen Bundesländern mitregierenden) Grünen nicht substantiell über das Regierungsprogramm hinausgehen.
Zur Glaubwürdigkeit der Bewegung gehört, dass auch viele andere Fragen thematisiert werden. Das reicht vom Fleischkonsum (und besonders der Massentierhaltung) über den Import von Palmöl, Tropenhölzern usw. bis zur massenhaften Verwendung von Plastik und vielen Wegwerfprodukten. Auch die unaufhörliche Ausdehnung der Warenproduktion wird zunehmend infrage gestellt. Damit steht in den Augen so mancher Aktivist*innen zunehmend die kapitalistische Produktionsweise auf der Anklagebank.
Da eine offene Repression der Bewegung gerade die systemkritischen Kräfte stärken würde, versucht man es vorläufig weiterhin (allerdings bislang erfolglos) mit Einbindung und gleichzeitig dem Beweis eigener Handlungsfähigkeit. Doch genau dies kann nicht gelingen, denn schließlich ist man seitens der Regierung den Interessen des Kapitals verbunden. Der Widerspruch ist mit kapitalistischer Politik einfach nicht aufzulösen.
Bei aller Freude über die gewaltige Breite und Anziehungskraft der Bewegung sowie ihre Wirkung auf die öffentliche Meinung sollten wir über die noch bestehenden Defizite nicht hinwegsehen: Noch ist die Frage des Klimawandels und all der anderen thematisierten Übel für die Masse der Demonstrierenden keine Frage gegensätzlicher Klasseninteressen. Für solche Erkenntnisse fehlt vielen der Demonstrierenden aufgrund ihres noch sehr kurzen Lebens einiges an politischer Erfahrung. Erst im Laufe der Zeit – wenn die Bewegung anhält und sich weiter politisiert – werden bedeutsamere Teile der Bewegung entsprechende Einsichten gewinnen können. Aber auch heute schon erkennen so manche, weshalb die Regierung nichts Wirksames tut. Viele selbst gemalte Pappen lassen die Erkenntnis vermuten: Die Reichen leben nach der Maxime: Wir selbst können uns ausreichend gegen die Folgen des Klimawandels schützen. Was kümmert uns die Nachwelt? Après moi le déluge (nach mir die Sintflut).
Nun geht es darum, möglichst breit zu vermitteln, dass das Kapital – bei Strafe des eigenen Untergangs – immer mehr produzieren muss, um immer mehr akkumulieren zu können. Und dass diejenigen, die von dieser mörderischen Produktionsweise profitieren, nicht freiwillig abtreten werden. Dabei kommt es darauf an, den viel zitierten System Change fassbarer zu machen, angefangen bei der Erläuterung der Klasseninteressen bis hin zum Skizzieren dessen, was eine menschliche Gesellschaftsordnung ausmacht.
Nach dem 20. September ist jedenfalls schon mal klar: Diese Bewegung wird nicht in wenigen Monaten erledigt sein, ganz gleich ob bei weiterer Fortdauer mit Einbindungsversuchen oder mit Repressionsmaßnahmen seitens der Herrschenden reagiert werden wird.
FridaysForFuture-Demonstration in Berlin, 20.09.2019, Foto: Stefan Müller |
Mit dem Argument, dass die Maßnahmen breit akzeptiert werden sollen und gleichzeitig die Wirtschaft nicht „abgewürgt“ werden soll, wurden nur Maßnahmen beschlossen, die erstens wenig bewirken und zweitens für einige Kapitalsektoren zu richtigen Förderprogrammen geraten. Zahlen sollen unter dem Strich die Verbraucher*innen, aber in keinem Fall die Kapitaleigner. Oberstes Gebot der Regierung: Es geht darum, den Eindruck zu vermitteln, sie tue etwas. Damit soll der politische Druck gemildert werden.
Noch ganz abgesehen von der Tatsache, dass eine Besteuerung des CO2-Ausstoßes letztendlich auf die Verbraucher*innen abgewälzt wird und in keinem Fall ein sozialer Ausgleich zu erwarten ist: Mit einer nur als symbolisch zu bezeichnenden Bepreisung des CO2-Ausstoßes wird nicht mal im Ansatz eine Lenkungswirkung erzielt, sondern nur Geld eingenommen, das dann größtenteils in Form von Subventionen für die Entwicklung der äußerst fragwürdigen Elektromobiliät (s. u.) wieder auf den Konten der Automobil- und anderer Konzerne landen wird.
Die zweite Achse liegt in der steuerlichen Förderung von neuen Heizungsanlagen oder etwa der Wärmedämmung von Häusern. Dies wirkt – vergleichbar der Verschrottungsprämie von Autos – als Konjunkturprogramm für bestimmte Wirtschaftszweige, aber damit wird keine Begrenzung des tatsächlichen CO2-Ausstoßes erreicht. Von Energieeinsparung oder einem wirksamen Ausbau alternativer Energien ist nichts zu lesen. Selbst die meisten bürgerlichen Institute lehnen das Maßnahmenpaket als völlig unzureichend ab. Auch die gewaltige Subventionierung von Elektroautos (Zuschüsse beim Kauf, Steuerersparnis, Aufbau von Ladestationen usw.) kostet nur viel Geld des Steuerzahlers, bringt aber in der Ökobilanz rein gar nichts. Ein Elektroauto muss mindestens acht Jahre im Betrieb sein, um eine leicht bessere Bilanz im CO2-Ausstoß vorweisen zu können, von den verheerenden Folgen von Abbau und Verbrauch wichtiger Rohstoffe oder der Entsorgung der Batterien noch ganz abgesehen. [1]
Die Mär von der Steuerungswirkung marktwirtschaftlicher Maßnahmen (die also nicht mal ansatzweise die Macht des Kapitals einschränken) ist verlogen. Hier seien nur ein paar Beispiele angeführt, mit denen sofort – und teilweise sogar äußerst wirksam – angefangen werden kann:
Für die Energiewende zum Beispiel ist der sofortige Ausstieg aus der Kohleverstromung (also nicht nur der Braunkohle) unerlässlich. Sechs der zehn klimaschädlichsten Kohlekraftwerke in Europa stehen in Deutschland. Allein die Tatsache, dass die Regierung das grotesk späte Datum 2038 für den Ausstieg aus der Kohle nicht kippt, spricht schon Bände.
Außerdem: Ohne Konversion bedeutender weiterer Sektoren der Wirtschaft ist der Klimawandel nicht zu stoppen. Das betrifft in erster Linie und ganz massiv das Herzstück der Autogesellschaft, also die Herstellung von Fahrzeugen für den motorisierten Individualverkehr, aber nicht nur. Zu einer Verkehrswende gehört natürlich der massive Ausbau und die kostenlose Nutzung des ÖPNV, die Umstellung der Nahverkehrsfahrzeuge auf Straßenbahnen und Trolley-Busse (Oberleitungsbusse), der Ausbau der Flächenbahn, die Beendigung der Steuervergünstigungen für Diesel und Kerosin usw.
Nur ein paar weitere Beispiele: Zu einem konsequenten Kampf gegen den Klimawandel gehört es auch, sich für die Abschaffung der Bundeswehr zu engagieren, deren Auslandseinsätze natürlich schon allein aus friedenspolitischen und antiimperialistischen Gründen abzulehnen sind. Die Bundeswehr gehört zu den größten Umweltverschmutzern und Klimakillern in dieser Republik. So ist der Treibstoff-Verbrauch beispielsweise von Kriegsflugzeugen und Kriegsschiffen gewaltig. Ein Eurofighter ohne Nachbrennereinsatz verbraucht ca. 70–100 Liter Flugbenzin pro Minute! [2] „Das US-Verteidigungsministerium ist mit einem Anteil von 77 bis 80 Prozent am gesamten Energieverbrauch der US-Regierung seit 2001 der größte Verbraucher fossiler Brennstoffe. (…) Im Jahr 2017 betrug der Ausstoß von Treibhausgasen im Pentagon über 59 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid-Äquivalent.“ [3] Weiter wird errechnet, dass das US-Militär, wenn es ein Land wäre, Platz 55 unter den größten Treibhausgasemittenten der Welt belegen würde, noch vor Portugal, Schweden oder Dänemark. [4]
Die Zementindustrie gehört zu den größten Klimasündern: Fast ein Zehntel (8 %) aller globalen CO2-Emissionen entsteht bei der Herstellung von Zement. Wäre die Zementproduktion ein Land, wäre es der drittgrößte Treibhausgas-Verursacher der Welt.
Oder nehmen wir etwa die Massentierhaltung. Hier wird (v. a. bei der Rinderzucht) besonders viel Methan produziert. Der Methan-Anteil der Atmosphäre steigt heute sehr schnell. Methan ist mehr als zwanzig Mal wirksamer als CO2 pro Molekül. Ohne völlige Umstrukturierung der Landwirtschaft wird auch aus diesem Bereich kein substantieller Beitrag kommen.
FridaysForFuture-Demonstration in Berlin, 20.09.2019, Foto: Stefan Müller |
Allein diese wenigen Beispiele zeigen, dass unter kapitalistischem Regime ein wirkliches Umsteigen nicht möglich ist.
Für ein tatsächliches Zusammengehen von kampfbereiten Belegschaften in den Betrieben bzw. kämpferischen Gewerkschaften mit der Umweltbewegung müssen noch dicke Bretter gebohrt werden. Am 20. September haben sich noch nicht Belegschaften gegen den Widerstand der jeweiligen Kapitaleigner am Streik beteiligt. Insofern ist der Begriff „Streik“ nur sehr bedingt für die Aktivitäten (Demos und Blockaden) des 20. September die richtige Bezeichnung. Es wurde schließlich nicht die ökonomische Macht der Lohnabhängigen, nämlich die Arbeitsverweigerung und somit die Störung der Kapitalverwertung in die Waagschale geworfen, um Druck auf die Kapitaleigner und damit den Kern der bürgerlichen Klasse ausgeübt.
Dennoch war es vollkommen richtig, zum Streik aufzurufen, auch wenn viele, wenn nicht gar die Mehrheit der Aktiven nur eine diffuse Vorstellung von „Streik“ hatten oder haben. Denn die mobilisierende Wirkung war gewaltig, zum Teil war dies vorhersehbar, aber in der Wirkung dann doch überraschend (insgesamt deutlich mehr als eine Million Teilnehmende allein in Deutschland).
Damit wurde ein ganz entscheidender Beitrag dazu geleistet, dass die am selben Tag von der Regierung verkündeten Maßnahmen als völlig unzureichend bis lächerlich erklärt werden konnten. Die Vertrauenskrise, unter der die Regierenden leiden, verschärft sich damit weiter und es wächst in nennenswerten Teilen der Bevölkerung die Überzeugung, dass ganz andere, nämlich radikale Maßnahmen erforderlich sind, wenn überhaupt etwas erreicht werden soll.
Es treffen somit zwei Bedingungen für wichtige strategische Schlussfolgerungen zusammen, die es in dieser zugespitzten Form seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hat:
Auf der objektiven Ebene wird die Zwangslage, in der die größten Teile der Menschheit stecken, immer dramatischer. Wenn nicht in allernächster Zukunft radikal umgesteuert wird, kommen schreckliche Folgen auf uns zu – und noch mehr auf die nächste Generation. Die Auswirkungen sind bekanntlich heute schon spürbar: heiße und trockene Sommer, verstärkte Taifune, vermehrt Klimaflüchtlinge, vermehrtes Artensterben usw. Mit kapitalistischer Politik ist dem definitiv nicht beizukommen.
Und auf der subjektiven Ebene wird zunehmend deutlich, dass all die Unzulänglichkeiten und Absurditäten der Regierungspolitik ins breitere Massenbewusstsein dringen. Bedeutende Teile der Bevölkerung werden sich so der Dringlichkeit eines radikalen Umsteuerns bewusst.
Damit sind zwei ganz wesentliche – im Prinzip die wichtigsten – Voraussetzungen für eine neue Aktualität von Übergangsforderungen erfüllt. Adäquat vermittelte Losungen nach entschädigungsloser Enteignung und Vergesellschaftung von wichtigen Betrieben oder ganzen Wirtschaftszweigen unter Kontrolle der Beschäftigten und Verbraucher*innen können damit auf eine ganz andere Zustimmung und Unterstützung treffen, als dies über Jahrzehnte der Fall war.
Eine dritte Voraussetzung ist heute weniger gut gegeben, nämlich eine erhöhte Kampfbereitschaft in den Betrieben. Noch ist die allgemeine Lage von der Defensive geprägt, aber nicht so sehr, weil die Menschen heute von dem kapitalistischen System besonders stark überzeugt sind (wie etwa in der Zeit nach dem Fall der Mauer), sondern weil die Prekarität stark verbreitet ist und weil aufgrund der schlechten Kräfteverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt viele Menschen einen Absturz (eine Deklassierung) befürchten. Dies ist bekanntlich auch der Nährboden für das Verfangen nationalistischer und rassistischer Parolen und des Nach-unten-Tretens.
Aber nicht nur ändert sich die Arbeitsmarktlage in einigen Sektoren spürbar, etwa im Bereich der Bahnen und Busse, in der Pflege, im Schuldienst usw. Vor allem aber – das ist politisch so wichtig – darf man das Ausmaß der Angst vor Repressionen seitens der Chefs nicht als eine unveränderliche Größe ansehen. Die Empörung kann auch in Wut umschlagen. Sicher sind wir zurzeit noch weit von der Kampfbereitschaft etwa der französischen Kolleg*innen und der Gelbwesten entfernt. Aber Bewusstseinsentwicklungen verlaufen längst nicht immer langsam und linear. Das kann sich auch in Sprüngen entwickeln. Auf keinen Fall ist der heutige Stand der Kampfbereitschaft in dem alles entscheidenden Bereich, nämlich in den Betrieben, als Hindernis für die Entwicklung und Propagierung von Übergangsforderungen anzusehen. Die beiden entscheidenden Voraussetzungen für das Vermitteln weiterreichender Perspektiven und der dafür notwendigen strategischen Orientierung (also die objektive Lage und das Bewusstsein, das Erkennen dieser Lage) sind gegeben. Das muss die Ausgangsbasis unserer politischen Arbeit in der nächsten Zeit sein.
Deswegen gilt es bestimmte Forderungen – z. B. nach Vergesellschaftung unter Kontrolle der Beschäftigten und der Verbraucher*innen – zu popularisieren und sie in ein Gesamtkonzept zu betten. Dies ist mit Schlagworten allein nicht zu bewerkstelligen. Dazu braucht es eine enge Verbindung zu den Kolleg*innen in den Betrieben, eine wirksame Zusammenarbeit mit anderen radikalen Kräften, theoretischen Ausarbeitungen usw. Und im Zusammenhang mit dem Kampf um Konversion (nicht nur der Autoindustrie) bekommt auch die Losung einer Arbeitszeitverkürzung bei ungekürztem Entgelt und Personalausgleich eine neue und dringende Aktualität. Hierfür in den Gewerkschaften zu argumentieren, wird eine unserer Hauptaufgaben in der nächsten Zeit sein.
Zunächst aber: Machen wir gemeinsam den nächsten Klimastreik – am 29. November – auch wieder zu einem Erfolg.
21. September 2019 |
Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 6/2019 (November/Dezember 2019). | Startseite | Impressum | Datenschutz