… und nicht auf Klimagipfeln. Diese Erfahrung hat sich einmal mehr und noch nachdrücklicher als in der Vergangenheit durch die Ergebnisse des COP25 in Madrid bestätigt.
Daniel Tanuro
Das krachende Scheitern der Madrider Klimakonferenz wirft ein grelles Licht auf die Unfähigkeit des kapitalistischen Systems, die Klimabedrohung abzuwehren. Die Lösung liegt nicht in solchen Gipfelgesprächen, sondern in der außerparlamentarischen Mobilisierung, also in den Kämpfen der Menschen gegen ihre Ausbeutung und Unterdrückung.
In 25 Jahren ihres Bestehens haben die Klimagipfel keine wirksamen und gerechten Maßnahmen hervorgebracht, um die „anthropogene Zerstörung“ des Erdklimas zu verhindern, vor der die Wissenschaft seit Jahrzehnten mit zunehmend präzisieren und dringlicheren Erkenntnissen warnt.
Die Folgen können wir tagtäglich erleben: Brände, Überschwemmungen, Wirbelstürme, Dürren etc. Seit dem Gipfel von Rio (1992) ist soviel Zeit verschwendet worden, dass es inzwischen nicht mehr möglich ist, die Klimaerwärmung zu vermeiden: Zwar sind die Mittel vorhanden, sie aufzuhalten, trotzdem breitet sie sich schnell um uns herum aus und droht, sich in eine schreckliche Katastrophe zu verwandeln. Das Leben von Abermillionen Menschen und anderen Lebewesen steht damit auf dem Spiel.
Über die Ursache für diese unfassbar Schrecken erregende und absurde Lage gibt es keine Zweifel: Die fossilen Energiekonzerne weigern sich, diese Brennstoffe im Boden zu lassen, die Banken und all die anderen großen Wirtschaftssektoren unterstützen sie darin und die Regierungen stehen willfährig zur Seite, weil sie alle nur die Profite und die Wettbewerbsfähigkeit des Kapitalismus vor Augen haben.
Die politisch Verantwortlichen wollen uns versichern, dass der nächste Klimagipfel in Glasgow endlich die „neuen Marktmechanismen“ verabschieden wird, die 2015 in Paris grundsätzlich beschlossen worden waren und auf die sich die Unterhändler*innen in Madrid nicht verständigen konnten. Habt ein wenig Geduld, sagen sie uns, alles wird sich dann lösen, weil die Staaten dann über eine gute Ausgangssituation verfügen werden, um mit „Emissionsgutschriften“ zu handeln und so die Kluft zwischen ihren nationalen Verpflichtungen (die auf eine Erwärmung von 3,3 °C hinauslaufen) und dem 1,5 Grad-Ziel möglichst kostengünstig zu schließen.
Man muss sehr naiv sein, um solche Versprechungen zu glauben. Bereits im Kyoto-Protokoll war ein solcher „robuster“ Marktmechanismus aus der Taufe gehoben worden, dessen Bilanz eindeutig ist: 73 % der Emissionszertifikate waren weitgehend Attrappen und nur knapp 2 % entsprachen wirklich effektiven Reduktionen. [1] Zudem wurden viele dieser Zertifikate zulasten der Bevölkerung des globalen Südens erworben und besonders der indigenen Stämme, die von ihrem Land vertrieben wurden. „Korrekturversuche“ an diesem Instrument haben die gröbsten Betrügereien beseitigt [2], aber im Grundsatz nichts geändert.
Etwa 4,3 Milliarden Emissionszertifikate, die nach dem Kyoto-System generiert worden sind, sind nicht in den Handel gelangt. Das entspricht mehr als den jährlichen Emissionen in der EU. Davon besitzen China 60 %, Indien 10 % und Brasilien 5 %. [3] Obwohl die einfache Generierung dieser Zertifikate durch eine Reihe von Tricks zu einem Preisverfall geführt hat, sind die unverkauften Zertifikate noch immer recht viel wert und die Besitzer weigern sich, darauf zu verzichten.
In Madrid forderten nun Brasilien, China, Indien und Australien, ihre alten „Kyoto“-Emissionszertifikate im Rahmen eines neuen Marktmechanismus weiter verkaufen zu können. Das mindeste wäre gewesen, dieses unverschämte Ansinnen zurückzuweisen, weil es diesen Ländern ganz einfach bloß darum geht, sich weiterhin unter dem Deckmäntelchen des Klimaschutzes betrügerisch zu bereichern. Stattdessen sind sich alle Regierungen darin einig, dass Reduktionen von CO2-Emissionen durch fossile Energieerzeugung durch die CO2-Absorptionen der Wälder „kompensiert“ werden können, was an sich schon ein enormer Betrug ist.
In Wahrheit jedoch ist Betrug ein Gestaltungsprinzip der neoliberalen Umweltpolitik. Denn nur dadurch kann der unüberwindbare Gegensatz zwischen der Endlichkeit der Erde und der unendlichen Profitgier des Kapitalismus überwunden werden. Die Klimapolitik wird nun mal immer eindeutiger und direkter von den multinationalen Konzernen gesteuert. Diese haben dabei ihre Taktik geändert: Statt die Realität weiter zu leugnen, akzeptieren sie sie scheinbar und beteuern ihre Bereitschaft zur verantwortlichen Mitarbeit, wobei sie sich dadurch bloß in die entscheidenden Positionen hieven, um weiter an der Uhr drehen und Kohle, Öl und Gas verbrennen und dabei stets neue Betrugsmechanismen erfinden zu können.
Auch der Ablauf des Madrider Gipfels zeugte von dieser wachsenden Einflussnahme. COP25 wurde noch mehr als seine Vorgänger von den Umweltverschmutzern gesponsert. So haben die beiden größten spanischen Energieerzeuger, Iberdrola und Endesa jeweils zwei Millionen Euro zur Finanzierung beigesteuert. [4] Auf der anderen Seite wurden 200 ONG-Vertreter*innen aus dem Kongresszentrum verjagt und die Vertreter*innen der armen Länder von bestimmten Schlusskonferenzen ferngehalten. [5]
Manche setzen ihre Hoffnung auf die Gipfelgespräche zwischen EU und China im September 2020, also wenige Monate vor Glasgow. Dabei muss man komplett realitätsblind sein, um erwarten zu können, dass ein Abkommen zwischen diesen beiden imperialistischen Mächten – oder auch andere bilaterale Abkommen – den nächsten Klimagipfel zu einem gerechten und wirksamen Ausstieg aus der Klimakrise führen könnte.
Der „Green Deal“, den die EU beim COP25 auf den Weg zu bringen versprochen hat, lässt daran keinen Zweifel. Von einem Ochsen lässt sich nur Rindfleisch erwarten und auch die „nachhaltige Entwicklung“ ändert daran nichts: Dieser „Green Deal“ ist nichts weiter als ein grüner Kapitalismus im neuen Gewand, garniert mit einem Hauch von „gerechtem Übergang“, um die Gewerkschaften einzulullen. Um die Wettbewerbsfähigkeit zu schützen, wird man eine Importsteuer erheben, aber die EU wird weiterhin ihre subventionierten Agrarprodukte billig in den Süden exportieren und damit die heimischen Erzeuger ruinieren.
Die chinesische Regierung hat sich in Madrid zum Interessenswalter des globalen Südens aufgeschwungen und die Anhebung ihrer Klimaziele davon abhängig gemacht, dass die reichen Länder ihre Finanzierungs- und Kompensationszusagen für die „Verluste und Schäden“ in den armen Ländern einhalten. Dies ist ein bloß taktischer Winkelzug. Pekings Sorgen gelten wie bei jedem Imperialismus geostrategischen Überlegungen: Den Zugriff auf fremde Länder auszudehnen und das eigene Militärpotential zu stärken – und sich dabei jedwede Einmischung in innenpolitische Angelegenheiten (Menschenrechtsverletzungen) zu verbitten.
Die EU und China haben nur eines im Sinn, nämlich von der Klimaleugnung der US-Regierung zu profitieren, um sich die Marktanteile des „grünen Kapitalismus“ und damit die globale Hegemonie zu sichern. Die Kehrseite der Medaille liegt in der Auslagerung der umweltschädlichen Produktionszweige in die peripheren Länder, der Verpressung von CO2 unter der Erde, dem sinnlosen Ausbau der Atomenergie, der Nichtanrechnung der grauen Emissionen [6] und der beim internationalen Transport entstehenden Emissionen und dem Zugriff auf die CO2-Absorptionskapazitäten der Böden und Wälder. Es ist kein Zufall, dass China seine Kohleproduktion wieder aufnimmt.
|
||||||||||
Mit zwei Mitstreitern schrieb Greta Thunberg kürzlich, dass „die Klimakrise nicht nur die Umwelt betrifft. Sie ist auch eine Krise der Menschenrechte, der Gerechtigkeit und der politischen Orientierung. Sie ist durch die kolonialen, rassistischen und patriarchalen Unterdrückungssysteme genährt worden. Wir müssen sie alle beseitigen.“ [7] Auf dem Podium des COP erklärte die junge Schwedin, dass die Lösung nicht von den Gipfeln, sondern von den Völkern kommen werde. Genau diese Schlussfolgerung drängt sich nach einem Vierteljahrhundert kapitalistischer Klimamessen auf, dass nämlich nur der Kampf das Problem lösen wird und nicht die COP.
Die durch den Markt hervorgerufene Klimakatastrophe lässt sich durch keinen Marktmechanismus stoppen. Die Zerstörung der Gesellschaft und der Natur sind die beiden Seiten derselben Medaille. Die Gesellschaft und die Natur wieder instandzusetzen setzt unabdingbar voraus, dass weniger produziert und transportiert und mehr geteilt wird, um die realen gesellschaftlichen Bedürfnisse und nicht die der Kapitalakkumulation zu befriedigen. Vor dieser Entscheidung stehen Gesellschaft und Zivilisation. Sie kann nur im Kampf gestellt und getroffen werden. Dabei muss der Feind klar benannt werden, nämlich das kapitalistische, produktivistische, rassistische, patriarchale und todbringende Ausbeutersystem.
16. Dezember 2019 |
Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 1/2020 (Januar/Februar 2020). | Startseite | Impressum | Datenschutz