Eine kritische Analyse zur Klimapolitik der Linkspartei in Brandenburg und anderswo. Der hier vorliegende Beitrag ist eine um die Hälfte gekürzte Fassung des gleichnamigen Textes aus der Schriftenreihe „Ökosozialismus: Analyse + Perspektiven“. [1]
Kai Hasse
Die zunehmende Erhitzung unseres Planeten ist kaum noch zu leugnen. Eine aktuelle Veröffentlichung des IPCC weist darauf hin, dass auf den kontinentalen Landmassen bereits eine mittlere Temperaturerhöhung von 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter festgestellt werden kann [2].
Das ist bereits für breite Massen erfahrbar. In Deutschland erleben wir nach 2018 mittlerweile das zweite Jahr in Folge mit extremer Trockenheit. 2019 erlebten wir den bisher heißesten Juni in Deutschland seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Auf dem Höhepunkt der Juli-Hitzewelle wurden an 25 Messstationen 40 Grad und mehr gemessen [3]. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zitiert eine Studie, nach der in den Jahren 2030 bis 2050 mit 250 000 zusätzlichen Toten durch Hitzewellen zu rechnen ist. Nicht in dem gesamten Zeitraum von zwei Dekaden, sondern pro Jahr [3]. […]
Das ist die Konstellation, in der sich die Partei DIE LINKE befindet. Trotz der Dramatik der Situation hat sie bisher keine wirklich unabhängige linke Position zur Klimapolitik entwickelt, sondern in vielen Teilfragen trabt sie den Grünen hinterher. Dass es noch schlimmer gehen kann, hat die Brandenburger Parteigliederung gezeigt. Von 2009 bis 2019 haben sich die dortigen Genoss*innen mit Haut und Haaren auf eine Koalition mit der SPD eingelassen und sich dabei frontal gegen die Klimabewegung gestellt. Es ist ein wichtiges Fallbeispiel, das dringend ausgewertet gehört, um daraus mögliche Lehren zu ziehen.
Das Fatale: Die Führungsspitzen der Linkspartei um Riexinger, Kipping oder Wagenknecht haben nie versucht, die Brandenburger Parteibasis gegen die klimapolitische Rechtsentwicklung der Potsdamer Landesregierung zu mobilisieren. Das wäre auch gar nicht möglich gewesen, denn der Bundesvorstand der „Linken“ hatte keine unabhängige Position, sondern unterstützte den Brandenburger Koalitionskurs mit der SPD als strategische Option. Das wurde offensichtlich, als Greenpeace-Aktivist*innen im Mai 2014 die Parteizentrale der Linkspartei in Berlin besetzten. Die Besetzer wollten damit gegen die Pläne der rot-roten Potsdamer Landesregierung zur Ausweitung des Braunkohle-Tagebaus protestieren. Eigentlich eine günstige Gelegenheit, um klar Position zu beziehen. Doch die Antwort der Linken-Führung fiel zwiespältig aus. Sie stellte sich zwar gegen den Braunkohleabbau in der Lausitz, nahm aber gleichzeitig die Brandenburger Parteifreunde in Schutz. So erklärte die Linken-Bundeschefin Kipping, dass ja die gesamte Linke, also auch die Brandenburger Parteigenossen, bis 2040 aus der Kohleverstromung aussteigen wollten. Originalton Kipping: „Ich hätte es auch gern schneller. Aber ich muss auch sehen, dass es mit einer SPD auch in Brandenburg nicht schneller geht.“ [4] […]
Wie konnte es dazu kommen, dass die Brandenburgische Linkspartei zu einer vehementen Unterstützerin der Braunkohle wurde? Tatsächlich war das nicht vorgegeben, denn noch in ihrem Landtagswahlprogramm 2009 forderte sie: „Wir wollen keine neuen Braunkohletagebaue.“ Doch nach der Landtagswahl 2009 ergab sich für die Partei die Möglichkeit einer Koalition mit der SPD. Die führenden Brandenburger Genoss*innen waren davon überzeugt, dass dies eine einmalige Gelegenheit sei, die unbedingt genutzt werden müsse. Trotz kritischer Töne aus der Parteibasis bildeten die Spitzenvertreter der Linken 2009 mit der SPD eine gemeinsame Koalition, die ungeniert die Verbrennung der Kohle auf ihre Fahnen schrieb. Klimaschutz war nicht mehr wichtig. Im rot-roten Koalitionsvertrag von 2009 klingt das so: „Braunkohle-Nutzung in Deutschland ist solange erforderlich, bis der Industriestandort Deutschland seinen Energiebedarf sicher und zu international wettbewerbsfähigen Preisen aus erneuerbaren Energien decken kann. Die Koalition hält an der Verstromung des wichtigen einheimischen Energieträgers Braunkohle als Brückentechnologie fest.“ [5] Das ist Hardcore-Kohlepolitik, wie es RWE nicht besser hätte formulieren können. Besonders verwerflich ist, dass die Brandenburger Linkspartei das Märchen von der Kohle als „Brückentechnologie“ mitunterschrieben hat. Dabei kann die nasse Braunkohle anders als Erdgas in Kraftwerken nicht bedarfsgenau geregelt werden. Zudem sind die Braunkohleemissionen mit etwa 1150 Gramm pro Kilowattstunde mehr als dreimal so hoch wie Erdgas (370 Gramm pro Kilowattstunde). […]
2016 war es dann so weit, dass die Brandenburger Linkspartei offen die staatliche Repression gegen die Klimabewegung unterstützte. Fast 4000 Menschen mit Unterstützung des Netzwerks „Ende Gelände“ hatten vom 13. bis 15. Mai in einer Aktion zivilen Ungehorsams den Tagebau Welzow-Süd und das Kohlekraftwerk „Schwarze Pumpe“ in der Lausitz blockiert. Die rechtsradikalen Klimaleugner der AfD sprachen daraufhin von „Ökoterroristen“. Aber auch sächsische CDU-Landtagsabgeordnete, bezeichneten die Klimaaktivist*innen als „Terroristen“ und „Krawallbrüder“ [6]. Statt Solidarität zu üben und sich auf die Seite der Klimaproteste und des zivilen Ungehorsams zu stellen, verabschiedete die Fraktion der Linken gemeinsam mit der SPD eine Erklärung im Landtag, in der es heißt: „Die Ausschreitungen im Rahmen der Aktion „Ende Gelände“ am Pfingstwochenende 2016, bei denen die Demonstrations-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit zur Ausübung von Gewalt und Nötigung missbraucht wurde, verurteilt der Landtag.“ [7] Die Linksjugend [‚solid] fand dazu die richtigen Worte: „Es ist erschreckend, dass sich die Brandenburger Linksfraktion mit diesem Antrag zur Erfüllungsgehilfin des Braunkohlekurses der SPD in Brandenburg macht, anstatt solidarisch mit dem Protest für einen sozial-ökologischen Umbau zu streiten.“
Anfang 2019 ergaben Meinungsumfragen bereits den unvermeidbaren Absturz der brandenburgischen Linken bei der kommenden Landtagswahl. Das Ende der rot-roten-Koalition war damit vorgezeichnet. Doch die Potsdamer Parteiführung der Linken setzte ihre Linie der rechtssozialdemokratischen Anpassung fort. Kurz vor dem Koalitionsende verabschiedete sie noch schnell mit der SPD ein neues Polizeigesetz für Brandenburg. Es beinhaltet tiefe Eingriffe in demokratische Freiheitsrechte und könnte irgendwann auch einmal gegen Klimaaktivist*innen in Brandenburg eingesetzt werden. Dagegen regte sich bundesweiter Protest, auch von Mitgliedern der „Linken“ aus anderen Bundesländern. […]. Doch weder der Vorstand der Brandenburger Linken noch die linke Fraktion ließen sich davon beirren und stimmten mit großer Mehrheit gemeinsam mit der SPD für das neue Polizeigesetz [8]. Immerhin votierte eine linke Abgeordnete gegen das Gesetz und ein Parlamentarier enthielt sich der Stimme.
2019 war das ganze Desaster der Linken-Koalition mit der SPD bereits offensichtlich. Gleichzeitig lag bereits die Festlegung der Kohlekommission für einen Kohleausstieg bis 2038 vor. Welche Kohlepolitik schlug die Brandenburger Linke in dieser Situation ein und welche Politik verfolgte sie gegenüber den Kohlearbeitern? Ein Blick auf das Landtagswahlprogramm 2019 ist aufschlussreich. Dort heißt es unter dem Kapitel „Mit Energie und Leidenschaft – für die Lausitz“: „DIE LINKE ist sich der wirtschaftlichen Bedeutung der Braunkohle für die Lausitz bewusst. Der Braunkohleabbau wird und muss aber zweifellos zu Ende gehen.“ [9] Das ist alles. Eine chamäleonartige Anpassung der Brandenburger Linken an das Ergebnis der Kohlekommission. Eine Darlegung der Klimaschäden, die durch die Kohleverbrennung hervorgerufen wird, findet man nicht. Alles wurde glattgebügelt dargestellt, ohne dass auch nur ansatzweise ein selbstkritischer Blick zurück stattfand. […]
Welche Position bezog die Brandenburger Linke aber gegenüber den Kolleg*innen, die noch im Braunkohlebergbau arbeiten? Im Wahlprogramm findet man dazu nur noch eine kurze Anmerkung im Jargon der staatstragenden Regierungspartei [9]: „Der Einstieg in den Kohleausstieg und die damit verbundene Strukturentwicklung in der Lausitz ist einer der anspruchsvollsten Transformationsprozesse im Land, den wir gestalten und begleiten müssen. (…) Es gilt, für die jetzt in den Tagebauen, den konventionellen Kraftwerken und in den Zuliefererbetrieben Beschäftigten langfristig hochwertige Arbeitsplätze in der Region zu sichern und zu schaffen.“ Dann werden allgemeine Projekte der Umsiedelung von öffentlichen Verwaltungseinheiten vorgetragen, weitestgehend abgeschrieben aus der Liste der Kohlekommission. Dazu werden irrwitzige Visionen ausgemalt: Die Lausitz solle eine „5G-Modellregion“ werden und das Ziel sei eine „Gigabit-Gesellschaft“. Mit diesen Forderungen zeigte die Brandenburger Linke einmal mehr, dass sie immer noch nichts verstanden hat. Die Menschheit befindet sich heute ökologisch am Rande des Abgrunds. Für einen kapitalistischen Wachstumsfetischismus im Stil einer „Gigabit-Gesellschaft“ bleibt da schlicht kein Raum mehr. Im Gegensatz dazu findet sich keine Forderung, die die unmittelbaren Interessen der Lohnabhängigen in der Braunkohle und der Lausitz aufgreift. Die können sich nämlich an ihren 5 Fingern abzählen, dass sie sicher keinen Job in den umgesiedelten Verwaltungseinheiten oder in den neuen „Gigabit“-Unternehmen finden werden. Es wundert da nicht, dass sich die Kolleg*innen im Regen stehen gelassen fühlen.
Warum forderte die Brandenburger Linke eigentlich nicht, dass die Lausitzer Kohlearbeiter auch nach dem Ende der Braunkohle eine Weiterbeschäftigungsgarantie erhalten, bis für sie neue Arbeitsplätze gefunden werden? Immerhin hatte die Gewerkschaft Ver.di in einem Papier bereits eine Fortsetzung der Bezahlung für die Beschäftigten auch nach Stilllegung der Kohleanlagen vorgeschlagen [10]. […] Eine unmittelbare Möglichkeit zur Weiterbeschäftigung der Kohlekolleg*innen wäre der Aufbau von Pumpspeicherkraftwerken in den ehemaligen Kohlegruben in der Lausitz. Entsprechende ausgearbeitete Vorschläge existieren bereits für das Rheinland [11] [12]. […]
Aufbau von Pumpspeicherkraftwerken in der LausitzEine mögliche Weiterbeschäftigung der Kolleg*innen im Brandenburger Kohlebergbau könnte darin bestehen, die alten Braunkohlegruben nicht einfach nur zu fluten, sondern sie zu Pumpspeicherkraftwerken umzubauen. Dabei könnten mehrere Wasserbecken auf unterschiedlichen Höhenniveaus in die ehemaligen Tagebaue eingebaut werden. Bei einem Stromüberschuss könnte das Wasser aus einem unteren in ein höheres Becken gepumpt werden. Damit würde die Energie des Stroms in Höhenenergie umgewandelt. Bei Bedarf, also Stromknappheit, würde das Wasser wieder in ein tieferes Becken abgelassen, wobei Turbinen angetrieben würden, die wieder Strom erzeugen. In einer nachfossilen Welt sind Energiespeicher dringend erforderlich. So könnte im Sommer gewonnener Solarstrom zwischengespeichert werden. Insbesondere im Winter gibt es aber Zeiten, in denen Lufthochdruck herrscht, gleichzeitig aber zäher Hochnebel vorhanden ist. Dann ist sowohl die Verfügbarkeit von Solar- und Windstrom gering. Mit ausreichenden Speicherkapazitäten ließe sich diese Situation zeitlich überbrücken. In Deutschland gibt es heute rund 40 eher kleinere Pumpspeicherkraftwerke. Alle zusammen haben eine Speicherkapazität von nur 40 GWh. Es gibt bereits ausgearbeitete Pläne, die vom Wuppertal-Institut unterstützt werden und die für die stillzulegenden rheinländischen Tagebaue Hambach und Garzweiler den Aufbau eines großen Pumpspeicherkraftwerks vorschlagen. Seine Speicherkapazität läge bei fast 400 GWh [11] [12]. Für die Lausitz wären ähnliche Kapazitäten vorstellbar. Mit der Umsetzung dieser Vorschläge ständen schnell riesige Speicherkapazitäten in Deutschland mit einem sehr hohen Wirkungsgrad zur Verfügung. |
Es gibt eine weitere Problemstellung im südöstlichen Brandenburg, die viel mit Arbeitsplätzen und Ökologie zu tun hat, nämlich die Krise des Lausitzer Eisenbahn- und Waggonbaus. Eigentlich sollte DIE LINKE Brandenburg hierauf ein zentrales Augenmerk richten. Denn eine Abkehr vom Individualverkehr erfordert den massiven Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel. Und in der Lausitz gibt es eine jahrhundertelange Tradition des Eisenbahn- und Waggonbaus. Zu DDR-Zeiten gab es in Bautzen die Vereinigung Volkseigener Betriebe des Lokomotiv- und Waggonbaus, kurz VVB LOWA. Nach der Wende wurde das Unternehmen von der Treuhandanstalt an einen Finanzinvestor verscherbelt und landete schließlich beim kanadischen Bombardier-Konzern. Das heute existierende Werk mit rund 1000 Beschäftigten ist innerhalb des Bombardier-Konzerns für die Konstruktion und den Bau von Stadtbahn- und Straßenbahnfahrzeugen zuständig. Ein weiteres Bombardier-Werk existiert in unmittelbarer Nachbarschaft, nämlich im sächsischen Görlitz. Der Görlitzer Bombardier-Standort mit zuletzt 1900 Beschäftigten hat eine hohe Kompetenz bei der Entwicklung von Triebfahrzeugen und Doppelstockwagen. Zusätzlich gibt es in Brandenburg in Hennigsdorf einen weiteren Bombardier-Standort, der auf den Bau von Fahrzeugen ausgerichtet ist. Alle Werke befinden sich in einer krisenhaften Situation. Der Bombardier-Konzern will massiv Personal abbauen und auf längere Frist evtl. sogar einzelne Werke schließen. Mit der IG Metall wurde ausgehandelt, dass bis zum 31. Dezember 2019 keine betriebsbedingten Kündigungen stattfinden [13]. Allerdings musste die Gewerkschaft schlucken, dass Bombardier bis dahin die Belegschaften um 1513 Beschäftigte per Abfindungsverträge oder Verrentung reduziert. Zudem wurde vereinbart, dass der Standort Görlitz auf einen reinen Wagenrohbau reduziert wird. […]
Die Linke Brandenburg könnte den Eisenbahn- und Straßenbahnbau in der Region zu einem zentralen Thema machen. Warum eigentlich nicht die Vergesellschaftung der Eisenbahnwerke in Hennigsdorf, Bautzen und Görlitz fordern? Und ihre Zusammenfassung zu einem Unternehmen für Öffentliche Verkehrsmittel. Dazu passen könnte dann auch die von der Deutschen Bahn geplante Wartungshalle für ICEs in Cottbus. Für den deutschlandweiten Ausbau des ÖPNV sind die Werke in der Lausitz und in Hennigsdorf von strategischer Bedeutung. […] Man denke nur an die Rüstungsausgaben, die in Deutschland immer weiter ansteigen. In den 5 Jahren von 2019 bis 2023 belaufen sich die laufenden und geplanten deutschen Militärausgaben auf 221,2 Mrd. Euro. Die Kosten für eine neue Straßenbahnlinie einschließlich der dafür erforderlichen Straßenbahnen liegen bei rund 240 Millionen Euro [14] [15]. Das bedeutet, dass man allein durch eine pauschale fünfjährige Kürzung der deutschen Militärausgaben um 50 % hierzulande 461 neue Straßenbahnlinien aufbauen könnte. Sie könnten in vielen kleinen und mittleren deutschen Städten aber auch auf dem Land in Brandenburg den ÖPNV deutlich verbessern. Das wäre ein qualitativer Sprung in Richtung eines autofreien und klimaschonenden Verkehrssystems. Und die Arbeitsplätze im Straßenbahn- und Eisenbahnbau in Brandenburg wären mehr als gesichert. […]
Die wirtschaftliche Entwicklung von Regionen hat erhebliche Folgen für den langfristigen Ressourcenverbrauch und die Treibhausgasemissionen. Wenn es in den Regionen zu einer Verringerung der Einkaufsmöglichkeiten, der ärztlichen Versorgung und vor allem zu einem Abbau von Arbeitsplätzen kommt, dann entsteht automatisch eine Zunahme des Verkehrs. Das bedeutet meist eine Zunahme des Autoverkehrs mit seinen Emissionen, da die öffentlichen Verkehrsmittel in Deutschland normalerweise nicht ausgebaut werden. Eine andere Folge ist der Wegzug vom Land in die Ballungszentren. Die Konsequenz: Die Wohnungen auf dem Lande werden abgerissen und dafür neue Wohnungen an anderer Stelle, nämlich in den Ballungszentren, gebaut. Das ist genau der Wahnsinn, den wir heute in Deutschland haben. Die Bauindustrie boomt. Doch sie verschlingt riesige Mengen an Rohstoffen. So frisst sie allein 25 % des deutschen Stahls [16] und 22 % aller Kunststoffe [17]. Gleichzeitig kommt, mengenmäßig betrachtet, die Hälfte aller in Deutschland entstehenden Abfälle aus dem Bausektor. Die Bauabfälle einschließlich des Bodenaushubs umfassen nach Angaben des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2017 rund 202 Millionen Tonnen. Mengenmäßig sind sie die wichtigste Abfallgruppe in Deutschland. Diese Materialmengen müssen dann wieder transportiert werden. In der Konsequenz verursacht die Bauindustrie damit einen sehr hohen Anteil der LKW-Transporte auf deutschen Straßen. So entstehen wieder verkehrsbedingte Treibhausgasemissionen. Das alles sind gute ökologische Gründe, warum linke Kräfte sich gegen eine Verödung der ländlichen Regionen stellen sollten. Dazu kommt natürlich das Schicksal der Menschen, die zur Landflucht getrieben werden.
Welche Position hat nun die Linkspartei in Brandenburg zur Frage der Regionalentwicklung bezogen? Im Landtagswahlprogramm von 2009 heißt es: „Wir wollen ein starkes, ein solidarisches Brandenburg für alle. Ein Brandenburg der Regionen, in dem es sich überall gut leben lässt und wo die Maßstäbe für ein gutes Leben von unten wachsen.“ Was ist aus diesen guten Vorsätzen während und nach der zehnjährigen rot-roten Regierung geworden? Hat sich das Leben in den ländlichen Regionen in Brandenburg verbessert, konnte die Landflucht verringert werden oder sind dauerhaft abgehängte Landesteile entstanden?
Eine erste Antwort liefert der Zukunftsatlas, der vom Baseler Beratungsunternehmen Prognos regelmäßig herausgegeben wird [18]. Er bewertet alle deutschen Landkreise nach ihren Zukunftschancen. Dazu zählen Demografie, Arbeitsmarkt, Wettbewerb, Innovation sowie Wohlstand und soziale Lage. Gleich vier der 14 Kreise Brandenburgs landen im aktuellen bundesweiten Ranking von 2019 in der Kategorie mit den höchsten Zukunftsrisiken. […]
Ein anderes Kriterium ist die ärztliche Versorgung der Bevölkerung auf dem Land. Ärzte auf dem Lande, die in Rente gehen, haben oft Schwierigkeiten, Nachfolger für ihre Praxen zu finden. Junge Nachwuchsmediziner wollen sich aber kaum noch in bestimmten ländlichen Regionen niederlassen. Wie sieht nun die Situation in Brandenburg aus? Das Bundesland ist auch heute noch das Land mit der geringsten Ärztedichte in Deutschland. Erschreckend ist auch der Mangel an Kinderärzten: Auf 100 000 Einwohner kommen in Brandenburg gerade mal 8 Mediziner für Kinder. Eine andere Zahl: Bei den Brandenburger Hausärzten sind 11 % bereits älter als 65 Jahre [19].
Das geht aus den Zahlen des Bundesarztregisters von 2018 hervor [20]. Demnach praktizierten hier Ende 2018 pro 100 000 Einwohner rund 186 Praxisärzte. Der verbreitete Eindruck, der Speckgürtel sei grundsätzlich besser versorgt als der Berlin-ferne Raum, stimmt so nicht. Barnim und Dahme-Spreewald etwa kommen auf 130 Ärzte pro 100 000 Einwohner. Die Prignitz bringt es auf 161, die Uckermark auf 152. Wenig überraschend dagegen ist, dass Städte wie Cottbus (243) und Frankfurt (226) besser als der ländliche Raum bestückt sind. Der Vergleichswert von Berlin sieht deutlich besser aus: (286) [21]. Immerhin hat es zwischen 2001 und 2017 eine Zunahme der Ärztedichte in den meisten Landkreisen Brandenburgs gegeben [19]. […]
Die Qualität von ländlichen Regionen wird auch von der schulischen Bildungsinfrastruktur beeinflusst. Zu den abgehängten Regionen in Brandenburg gehört die Uckermark. Sie hat besonders stark unter der Zerstörung der ländlichen Infrastruktur nach dem Ende der DDR gelitten. Die Ergebnisse sind bis heute unübersehbar. So wird der Uckermark in einer Studie von 2019 eine schlechte Bildungsinfrastruktur. […]
Der Ausbauzustand der Öffentlichen Verkehrsmittel bestimmt in einem hohen Maße das Lebensgefühl in den Regionen. Das hat auch die Linkspartei in Brandenburg so gesehen. So versprach die Partei in ihrem Landtagswahlprogramm von 2014 [22] an zahlreichen Stellen, dass sie den ÖPNV ausbauen will. […] Da sich rund um Berlin ein wirtschaftlicher Speckgürtel entwickelt hat, nahm die Zahl der Pendler rasant zu. Doch die Öffentlichen Verkehrsmittel wurden demgegenüber sträflich vernachlässigt. Im Ergebnis ist die Taktrate des ÖPNV zu gering und die Regionalzüge sind in den Hauptverkehrszeiten bis zum Bersten überfüllt. So der Regional-Express RE1 von Cottbus über Berlin nach Brandenburg an der Havel. Es gab zunehmende Klagen und Proteste angesichts dieses Zustands. Und die lokalen Zeitungen waren voll von Berichten darüber. […]
Diese Ignoranz gegenüber den realen Problemen der Menschen im Lande war sicher einer der Gründe, warum die rot-rote Potsdamer Koalitionsregierung in der Bevölkerung so massiv an Unterstützung verloren hat. Die Regierungsmitglieder in Potsdam waren von den Problemen der Menschen zu weit weg, um das überhaupt zu merken. Auf seine gestelzte Art brachte das der Brandenburger Wirtschaftsminister zum Ausdruck, wenn er „eine Diskrepanz zwischen dem Zustand, der sich an Statistiken und volkswirtschaftlichen Kennziffern ablesen lässt und dem von der Bevölkerung empfundenen Zustand“ feststellt [23]. […]
Ein zentrales Thema in der klimapolitischen Auseinandersetzung ist heute der Autoverkehr. Er verursacht einen enormen Ressourcenverbrauch und rund 20 % der Treibhausgase gehen in Deutschland auf sein Konto – allein im Fahrbetrieb, die indirekten Emissionen durch die Ausbeutung und die Verarbeitung der Rohstoffe, die vielfach auf anderen Kontinenten stattfinden, noch nicht einmal mitgerechnet. Statt die Emissionen zu reduzieren, versuchen die deutschen Autokonzerne immer mehr und immer größere Fahrzeuge in den Markt zu drücken. So lag die Zahl der Neuzulassungen von Geländewagen (SUV) 2017 bereits bei 23,8 % [24]. Ein neuer Rekordwert, doch der SUV-Anteil steigt immer weiter. Von den Autokonzernen ist keine Einsicht zu erwarten. So antwortete ein Daimler-Vorstandsmitglied auf die Kritik an den SUVs: „Wenn wir sie nicht anbieten, verkaufen sie andere.“ [25] Es ist notwendig, dass dieser katastrophalen kapitalistischen Logik Einhalt geboten bzw. dass eine Umkehr erzwungen wird. Damit die Menschheit auf der Erde überleben kann, muss nicht nur die Kohleverbrennung schnellstens beendet werden, sondern es bedarf auch eines Ausstiegs aus dem massenhaften Autoindividualverkehr. Die Alternative kann aus Klimaschutz- und Ressourcengründen nur eine weitgehende Umstellung auf einen deutlich ausgebauten öffentlichen Personenverkehr sein.
Der Energieverbrauch von Li-Ionen-ElektroautosDie 47,1 Millionen Pkws [31], die Anfang 2019 auf Deutschlands Straßen unterwegs waren, haben in 2018 630,8 Mrd. Kilometer zurückgelegt. Nimmt man die Gesamtkilometer aller Kfz, also auch LKW und Busse, so kommt man sogar auf 736 Mrd. gefahrene Kilometer [32]. Der Stromverbrauch eines Elektroautos beträgt nach realistischen Messungen des Verkehrsinstituts der Technischen Universität Dänemark 183 Wh/km [33]. Getestet wurden dabei die eher kleineren Autos Citroën C-Zero, Mitsubishi i-MiEV und Peugeot iOn. Der Stromverbrauch größerer E-Fahrzeuge (SUVs) dürfte sogar noch deutlich darüber liegen. Aber selbst, wenn man diese vereinfachte Annahme von 183 Wh/km trifft, kommt man auf einen Energieverbrauch für die 47,1 Millionen deutschen Elektro-Pkw von: 630,8 Mrd km * 0,183 kWh/km = 115,4 TWh Berücksichtigt man zusätzlich noch die Wirkungsgrade für Stromtransporte, das Lade-Equipment und das Laden der Batterie mit Verlusten von 14 %, so erhält man: 115,4 TWh/0,86 = 134,2 TWh. Wegen der zugrunde gelegten kleinen E-Autos dürfte dies eine eher konservative Rechnung sein. |
Wie sieht nun die Position der Linkspartei zum wichtigen Thema Verkehrspolitik aus? […] Die meisten Forderungen in den Wahlprogrammen der Partei DIE LINKE wenden sich gegen den immer weiter zunehmenden Verkehr, der das Leben der Menschen durch Lärm und Abgase insbesondere in den Städten immer stärker beeinträchtigt. Entsprechend ist die Programmatik zu dem Thema in den meisten Punkten richtig und sinnvoll. Allerdings sind die Programme auch von vielen Positionen durchsetzt, die angesichts der Klimakatastrophe in eine falsche Richtung weisen oder nur sehr halbherzig sind. So steht im Bundestagswahlprogramm von 2009, dass DIE LINKE für eine „ökologische Verkehrswende“ kämpft und dass sie „für den Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel“ eintritt. Das ist richtig, aber leider nicht ausreichend. Es müssen insbesondere in den Städten Maßnahmen getroffen werden, die den automobilen Verkehrsfluss zurückdrängen. Dazu gehören autofreie Innenstädte. Nach einer Umfrage wird dies von 60 % der Bevölkerung unterstützt [26]. Diese Forderung ist allerdings in den Wahlprogrammen der Linkspartei nicht zu finden. Wer die Debatten in der Partei kennt, weiß, dass das kein Zufall ist: Eine neurotische Parteihierarchie fürchtet, dass sie damit Wähler verlieren könnte. Doch das Gegenteil dürfte der Fall sein, denn das Thema gewinnt politisch an Fahrt. So hat in den Niederlanden die Stadt Houten (50 000 Einwohner) bereits eine autofreie Innenstadt. Und noch 2019 soll die Osloer Innenstadt ebenfalls vom Verkehr befreit werden. Die Grünen haben die Bedeutung der Forderung längst verstanden. So haben sie im Sommer 2019 unter großer öffentlicher Zustimmung für Frankfurt eine autofreie Innenstadt gefordert. Für die Partei DIE LINKE hat das bittere Folgen, denn durch ihre anpasslerische Leisetreterei gerät sie insbesondere bei der klimapolitisch sensibilisierten Jugend politisch ins Abseits. Man muss sich nur einmal die Frage stellen, was für ein positives Feedback die Partei hätte bekommen können, wenn sie zur Kommunalwahl in Hessen plakatiert hätte: „Für eine autofreie Frankfurter Innenstadt“. Aber dazu hätte es eine mutigere Parteiführung gebraucht.
Auch die in den Wahlprogrammen dokumentierte langjährige Eierei der Linkspartei um den ÖPNV-Nulltarif ist angesichts des immensen Reichtums der deutschen Gesellschaft schwer erträglich. So konnte sich die Partei in ihrem Bundestagswahlprogramm 2009 den Nulltarif nur „langfristig“ vorstellen. 2013 wurde daraus „perspektivisch“. Also alles unter Vorbehalt, wobei unklar ist, worauf eigentlich gewartet werden soll. Sollte damit die Finanzierung gemeint sein, ist es besonders irritierend. Denn der Fahrkostenanteil beim ÖPNV macht nur 12 Mrd. Euro aus (Zahlen nach VDV für 2017 [27] [28]). Zum Vergleich: In 2017 wurden in Deutschland allein für den Bau, den Betrieb und den Erhalt der Straßen 30 Mrd. Euro ausgegeben [29]. Erst im Bundestagswahlprogramm 2017 hat die Linkspartei offensichtlich so viel Mut gesammelt, dass aus dem zeitlichen Vorbehalt zumindest „unser Ziel“ gemacht wurde. Aber auch da klingen noch Selbstzweifel mit. Erst nachdem im September 2019 hunderttausende Schüler*innen für Klimaschutz auf die Straße gingen, wurde dann daraus in einem Infoblatt des Parteivorstands [30] die deutlichere Aussage: „Wir bauen den öffentlichen Nahverkehr aus und machen ihn kostenfrei.“ Es stellt sich die Frage, wie der Parteivorstand das meint: Erst den Ausbau und dann kostenfrei? Im selben Text steht dann: „Sofortmaßnahme: Kinder und Jugendliche haben freie Fahrt und die Jahrestickets kosten nicht mehr als 365 Euro.“ [30] Der Nulltarif ist demnach nicht als Sofortforderung gemeint.
Im Jahr 2017 – immerhin 25 Jahre nach der Konferenz von Rio – findet dann die Erkenntnis, dass der „wachsende Verkehr eine Hauptursache für den Klimawandel“ ist, endlich Eingang in das linke Bundestagswahlprogramm. Die Konsequenz davon, ein klares Bekenntnis zum Ausstieg aus dem Autoindividualverkehr, sucht man allerdings weiter vergebens. Und das obwohl die Grünen seit 2016 gefordert haben, dass ab 2030 keine Autos mit Verbrennungsmotoren mehr zugelassen werden sollen, was danach eigentlich auch von der Linkspartei übernommen wurde. Der klimapolitisch notwendige Rückbau von überdimensionierten Straßen taucht zwar auf, steht aber unter dem illusorischen Vorbehalt „bei Unterschreitung von Mindestnutzungsfrequenzen“. […] Den Satz hätte man sich eigentlich sparen können, denn die Zahl der Autos nimmt von Jahr zu Jahr immer mehr zu. Und die überörtlichen Asphaltpisten in Deutschland, die mittlerweile die stolze Länge von 229 800 Kilometer zählen, sind im Berufsverkehr fast immer überfüllt.
In der Praxis ticken viele Parteioberen sowieso ganz anders als die vielen schönen Worte in den Programmen. So der Linken-Fraktionschef im Bundestag, Dietmar Bartsch, der sich im August 2019 in einer Presseerklärung darum sorgte, dass „ein Drittel des Bundesstraßennetzes und jeder sechste Autobahnkilometer (…) substanziell marode“ sind. Maßnahmen gegen die steigende Zahl von Autos und Lastwagen, die die Ursache für diesen Verschleiß sind, kommen Bartsch dabei nicht in den Sinn. Er will in seiner öffentlichen Stellungnahme nur eins: „Wenn Straßen kaputt sind, müssen sie schnellstmöglich erneuert werden.“ [34] Der Mann hat offensichtlich von Klimapolitik nichts verstanden. […]
Auch die hessische Linkspartei ist nicht ganz frei von klimapolitischen Halbheiten. Statt eines echten Votums gegen den Individualverkehr stimmte sie auf ihrem 10. Landesparteitag im November 2017 für folgenden Forderung: „Der motorisierte Individualverkehr in Deutschland muss um ein Prozent pro Jahr zurückgehen.“ [35] Aber damit hätten wir 2050 immer noch 70 % der Autos. Die Klimakatastrophe ist mit so einer Politik nicht zu verhindern. […]
Die hier aufgeführte Betrachtung von kritischen Elementen der Linkspartei in der Klimapolitik mag vielleicht kleinlich erscheinen. Denn immerhin ist die Partei DIE LINKE auf vielen Demonstrationen und Veranstaltungen der Klimabewegung präsent. Doch es geht in der Klimapolitik um eine Überlebensfrage. Und die Analyse zeigt eins auf: DIE LINKE ist kein Vorreiter in der Klimapolitik. Bisher eher die Nachhut. Insbesondere grundsätzliche Kritiken am Autoverkehr kommen erst in die linke Programmatik, wenn sie von einer größeren Strömung in der Gesellschaft getragen werden. Ein Beispiel ist das zögerliche Herangehen an den Nulltarif. Auch die Forderung gegen die Neuzulassung von Verbrennungsmotoren ab 2030 wurde erst aufgenommen, nachdem die Grünen damit vorweg gegangen sind. Genauso verhielt es sich mit der Forderung nach autofreien Innenstädten. Sie tauchte im Forderungskanon der Linken erst auf, nachdem die Grünen sie popularisiert hatten. Es ist irritierend, dass ausgerechnet die Grünen den Schrittmacher geben müssen, denn diese Partei hat den Rubikon zu einer systemtragenden Partei seit langem überschritten. […]
Aber könnte man mit Elektroautos nicht eine bessere Verkehrswelt schaffen? Bernd Riexinger, Bundesvorsitzender der Linken, scheint dies zu glauben. In einem Interview antwortete er auf die Frage, ob er sich Sorge mache, dass die deutschen Autokonzerne beim Elektroauto abgehängt werden könnten: „Ich hoffe darauf, dass die deutschen Hersteller weiterhin genug davon verstehen, wie man Autos und eben auch Elektroautos baut, so dass sie die Produktion schnell genug hochfahren können und nicht abgehängt werden. Dann wird das Volks-Elektroauto vielleicht doch aus Deutschland kommen.“ [36] Hinter dieser Vorstellung vom Elektroauto als Lösung für die CO2-Emissionen im Verkehrssektor steckt die Ideologie vom Grünen Kapitalismus. Danach reicht es, angeblich grüne Technologien einzuführen, und die Ökologiefrage ist gelöst. Das kapitalistische Wachstum kann dann ungebremst weitergehen. Das ist die Position der Grünen, die deswegen auch voll auf das Elektroauto setzen.
Doch E-Autos sind keineswegs emissionsfrei, sondern sie starten mit einem gewaltigen ökologischen Rucksack. Eine jüngere Studie im Auftrag des schwedischen Umweltministeriums legt dar, dass für die Batterieherstellung eines Tesla Model S mit 85 kWh rund 17 Tonnen CO2 freigesetzt werden. Das nicht zuletzt deswegen, weil die Batterien in China oder in Polen hergestellt werden, wo vornehmlich Kohlestrom eingesetzt wird. Die Bilanz der Studie: Ein Fahrzeug mit einem benzingetriebenen Motor vom Typ Golf müsste 8 Jahre gefahren werden, bevor er die Umwelt so stark belastet wie allein die Akku-Produktion für einen Tesla Model S. Die Rechnung ist transparent und es gibt zahlreiche andere Analysen, die dies bestätigen, so z.B. eine Studie des Trancik Lab vom Massachusetts Institute of Technology [37].
Ein weiteres Problem der E-Autos: Erneuerbare Energien sind nicht unerschöpflich. 2017 wurde in Deutschland 548 TWh Nettostrom erzeugt. Davon wurden 211 TWh (38,5 %) aus erneuerbaren Energien gewonnen [38]. Würde man alle heutigen Pkw durch kleinere Elektroautos ersetzen, also keine großen SUVs, würde man dafür 134 TWh Strom benötigen. Allein damit wären schon 64 % des im Jahr 2017 erzeugten Ökostroms verbraucht. Noch nicht einmal der Treibstoff für Lastwagen, Traktoren, Baufahrzeuge, Schiffe oder Flugzeuge sind in der Zahl enthalten. Und natürlich benötigen wir zukünftig auch erneuerbaren Strom, um unsere Häuser im Winter zu wärmen und Industriegüter sowie Lebensmittel zu produzieren.
Die Zahlen zeigen eine einfache Wahrheit: In der zukünftigen Welt hat die Menschheit keinen Zugriff mehr auf unendlich erscheinende Mengen an fossilen Energieträgern, die in Jahrmillionen durch die Sonne und geologische Prozesse auf der Erde erzeugt und konzentriert wurden. Erneuerbare Energien stehen natürlich zur Verfügung. Aber sie müssen recht mühsam dezentral eingesammelt werden. Und in Deutschland und auch anderen Industrieländern stehen sie aus Platzgründen nur begrenzt zur Verfügung. Nach Berechnungen von verschiedenen Instituten im Auftrag des Umweltbundesamtes kommt man in Deutschland auf eine maximal gewinnbare Energiemenge in Form von Strom von 1 052 TWh. Diese Zahl dürfte sogar zu optimistisch sein, denn es gibt einen massiven Widerstand gegen die Aufstellung von Windkraftanlagen. Neben der Gewinnung erneuerbaren Stroms aus Wind und Sonne können zusätzlich auch noch kleinere Energiemengen als Solar- und Erdwärme in die Rechnung miteinbezogen werden.
Dagegen steht ein Endenergieverbrauch in Deutschland im Jahr 2017 von 2 591 TWh [43]. Legt man die gewinnbare Energie von 1 052 TWh zugrunde, dann können maximal 40 % dieser Menge in Deutschland mit Sonne, Wind und Wasser erzeugt werden. Maßnahmen zur Energieeinsparung sind damit unvermeidlich. Dazu gehört eine bessere Isolierung der heutigen Häuser. Eine wichtige Heizquelle können dann Wärmepumpen sein, die aber für ihren Betrieb wieder Strom benötigen. Gleichzeitig muss die Produktion kurzlebiger und nicht reparierbarer Güter drastisch eingeschränkt werden, denn ihre industrielle Herstellung frisst große Energiemengen. Und für einen ausufernden Individualverkehr dürfen zukünftig keine Energien mehr verschwendet werden. Stattdessen müssen öffentliche Verkehrsmittel massiv ausgebaut und für die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen eingesetzt werden.
Statt dass wir die Treibhausgasemissionen zurückfahren und den Energieverbrauch reduzieren, müssen wir heute Auseinandersetzungen mit den Konzernen und ihren Vertretern in der Politik führen. Der Verkehrsfachmann und Autor eines aktuellen Buches über Elektroautos, Winfried Wolf [44], hat darauf hingewiesen, dass die Autoindustrie immer dann, wenn sie in der Diskussion politisch unter Druck geriet, eine neue Taktik eingeschlagen hat. So in der Folge des Kyoto-Abkommens, als die EU versuchte, die CO2-Emissionen zu senken. Das Ergebnis war eine „freiwillige Selbstverpflichtung“ des Verbandes der europäischen Autoindustrie ACEA. Eine CO2-Senkung sollte durch eine „Verdieselung“ des Fahrzeugbestandes und durch Bio-Sprit erreicht werden. Das wurde dann auch mit massiven staatlichen Subventionen umgesetzt. Als das ganze Diesel-Lügengebäude zusammenkrachte, erfand die Autoindustrie ein neues Märchen: Von nun an soll das Elektroauto das Klima retten. So einfach geht es: Nur der Motor wird ausgetauscht, aber die Profitmaschine der Autoindustrie läuft weiter.
Wie steht nun die Partei „Die Linke“ zum Elektroauto? Leider geht nicht nur Riexinger sondern momentan wohl auch eine Mehrheit DIE LINKE dem interessengetriebenen E-Auto-Märchen der Konzerne auf den Leim. Im Bundestagswahlprogramm von 2013 fand sich noch der Hinweis „Elektroautos sind keine nachhaltige Alternative: Ihre Produktion belastet die Umwelt über die Maßen.“ (S. 67, [45]) Das war allerdings zu einem Zeitpunkt, als die deutsche Autoindustrie auf den Diesel als dem angeblichen „Klimafreund“ setzte. Das Elektroauto war bei VW noch abgemeldet. Danach kam 2015 der Dieselskandal, der insbesondere den VW-Konzern erschütterte. Das Unternehmen setzt seitdem in einem Teilsegment massiv auf Elektroautos, insbesondere um mögliche Strafzahlungen an die EU und den chinesischen Staat zu vermeiden. Seitdem propagiert auch die deutsche Bundesregierung das Elektroauto zunehmend als Lösung des Klimaproblems im Verkehrssektor. Und die Linkspartei?
Im Bundestagswahlprogramm 2017 wurde der noch 2013 vorhandene kritische Hinweis auf Elektroautos klammheimlich entsorgt [46]. Geblieben ist nur noch eine Ablehnung von allgemeinen Kaufprämien für Elektroautos (S. 88). Einzelne Landesverbände haben sogar noch eine deutlich geringere Schamgrenze. So forderte die hessische Linkspartei auf ihrem 10. Landesparteitag im November 2017 „die Förderung der Elektromobilität und alternative Antriebstechnologie (z.B. Brennstoffzellen) in Hessen“ [47]. Und 2019 heißt es zustimmend im Landtagswahlprogramm der Thüringer Linkspartei: „Eine Veränderung unserer Mobilität ist aus sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Gründen dringend erforderlich. […] In den Städten nehmen Carsharing und Elektromobilität zu. Elektroautos werden in wenigen Jahren normal auf unseren Straßen sein.“ [48] Ein weiteres Beispiel lieferte DIE LINKE in Nordrhein-Westfalen. Sie forderte in ihrem Landtagswahlprogramm von 2017 eine „Image- und Werbekampagne für die Photovoltaik, den Einsatz von Wärmepumpen und die Nutzung von Elektroautos“ sowie eine „Verbesserung der Infrastruktur für die Elektromobilität“ [49]. Es ist offensichtlich: Die Linkspartei setzt in ihrer großen Mehrheit weiter auf die Automobilisierung, auch wenn es gewisse Beschränkungen in den Städten geben soll. Und wenn es nicht mehr der Verbrennungsmotor sein darf, dann eben das E-Auto. Automobilkritische Klimaaktivist*innen haben es bei dieser Frage innerhalb der Linken nicht einfach. […]
Ein absolut blinder Fleck in allen bisherigen Parteiprogrammen und Erklärungen der Linkspartei ist die Frage, was aus der heutigen Autoindustrie werden soll. Denn aus klimapolitischen Gründen muss die deutsche Autoproduktion massiv reduziert werden. Eigentlich eine zentrale Frage für eine Partei, die einerseits vorgibt, die Interessen der Lohnabhängigen zu vertreten und die andererseits zumindest für eine Verringerung der Autozahl eintritt. Es handelt sich dabei um kein kleines Problem, denn in den deutschen Automobilfertigungsstätten einschließlich Zulieferern arbeiteten in 2017 rund 820 000 Menschen und es wurden 5,7 Millionen Autos im Inland produziert [24]. Auch die Klimabewegung darf sich nicht um diese wichtige Fragestellung herumdrücken. Wenn man sie nicht richtig beantwortet, schafft man einen politischen Raum für die Autokonzerne, die dann versuchen werden, die Belegschaften gegen die Klimabewegung zu mobilisieren. Anders ausgedrückt: Wenn die Klimabewegung die Automobilarbeiter*innen nicht gewinnt, könnten sie von der AfD abgeholt werden. Tatsächlich sind die Sorgen der Lohnabhängigen um ihre Arbeitsplätze in den Automobilwerken mehr als gerechtfertigt. Die wirtschaftliche Rezession ist Ende 2019 in den Unternehmen bereits massiv zu spüren. Dazu kommen einschneidende Produktionsänderungen, die ebenfalls viele Arbeitsplätze kosten werden: Einerseits die Umstellung auf Elektroautos und andererseits die Einführung arbeitsplatzfressender digitaler Rationalisierungsstrategien. Dies schürt ganz enorm die Ängste der Belegschaften.
Doch es gibt eine schlüssige Antwort, die sowohl Klimapolitik als auch Arbeitsplätze verbindet. Die Öffentlichen Verkehrsmittel müssen zu einer wirklichen Alternative gegenüber dem heute noch dominanten Autoindividualverkehr ausgebaut werden. Das ist eine gewaltige Infrastrukturaufgabe. Eine überschlägige Rechnung zeigt, dass dies den Bau von mehreren zehntausend Eisenbahnen, Straßenbahnen und auch urbanen Seilbahnen erfordert. Dazu kommen O-Busse, neue Gleisanlagen und eine sichere Fahrradinfrastruktur. Es ist unmöglich, dass diese große Zahl von Straßen- und Eisenbahnen von den wenigen heutigen Bahnherstellern (z.B. Bombardier, Siemens) gefertigt werden, denn in diesem Sektor sind bisher nur 50 000 Beschäftigte tätig. In Deutschland gibt es nur eine Branche, die dies von ihrer Größe und ihren technischen Fähigkeiten leisten kann: die heutige Automobilindustrie. Deren Produktion muss auf Fahrzeuge für den Öffentlichen Personenverkehr umgestellt werden (Konversion) und sie sollte zusammen mit den heutigen Bahnherstellern zu einer großen Mobilitätsbranche zusammengefasst werden. Das ist unvorstellbar, ohne sie dabei in öffentliches Eigentum zu transferieren, denn die Spitzen und Eigentümer der heutigen Automobilunternehmen würden das Vorhaben ansonsten massiv sabotieren.
Alle Arbeitsplätze in der heutigen Automobilindustrie werden für die anstehenden Konversionsaufgaben benötigt. Das sollte die Klimabewegung klar kommunizieren. Und bereits vor der Lösung der Gesamtaufgabe sollten die Linkspartei, die IG Metall und Klimaschützer fordern, dass die Autoindustrie staatliche Aufträge zur Fertigung öffentlicher Verkehrsmittel erhält. Das wird auch die Arbeitsplätze sichern, die heute von der kapitalistischen Krise und von Rationalisierungen bedroht sind. Damit die Autokonzerne dabei keine schnelle Profitmacherei betreiben, bedarf es zwingender Vorgaben. So müssen sichere Veto- und Kontrollrechte für die Belegschaften und Vertreter*innen der Klimabewegung bei der Abwicklung dieser Aufträge vorgegeben werden. Die Partei DIE LINKE hat mit ihren vielen Kontakten in die Gewerkschaften hinein eine große Verantwortung, dass Gewerkschafts- und Klimabewegung zusammenfinden. Aber die Erfahrungen zeigen leider, dass man sie zu einer solchen Politik wird schieben müssen.
In vielen Landesverbänden der Linkspartei gibt es starke Vorbehalte gegen eine radikale Klimapolitik. Insbesondere aus Kreisen der Hauptamtlichen, der Landtags- und Bundestagsabgeordneten oder aus den Vorständen, hört man immer wieder gebetsmühlenartig, dass man keine „Verbotspartei“ sein will. Dahinter steckt die panische Angst, dass man womöglich Wähler verprellen könnte und dass die bürgerliche Presse einen Shitstorm gegen DIE LINKE lostreten könnte. Doch wie will man eine neue Heißzeit auf unserem Planeten verhindern ohne neue Regeln und auch Verbote?
Beim Straßenverkehr gibt es heute überall Regeln und Verbote: Vor einem Kindergarten gilt Tempo 30 und vor einer roten Ampel muss man warten. Niemand mit klarem Verstand käme deswegen auf die Idee von einer „Verbotskultur“ zu sprechen oder Deutschland eine „Verkehrsregeldiktatur“ zu nennen. Beim Klimaschutz sind Verbote und Regeln aber umso wichtiger. Wir werden das Überleben der Menschheit auf unseren Planeten nur sichern können, wenn wir nicht nur die Produktion massiv umstellen, sondern auch die Regeln unseres Umgangs mit der Natur und mit den Ressourcen neu justieren. Selbst die SPD-Umweltministerin Schulze oder der bayerische Ministerpräsident Markus Söder fordern heute ein Verbot von Plastiktüten [50]. Der CSU-Entwicklungshilfeminister Müller fordert ein Müllexportverbot nach Südostasien und die EU-Kommission hat Einwegbesteck und Plastikstrohhalme verboten. Und die Grünen haben sogar ein Verbot für die Neuzulassungen von Verbrennungsmotoren gefordert, lange vor der Partei DIE LINKE. Hat es ihnen wahlpolitisch geschadet? Sicher nicht. Alle Welt propagiert also im Bereich der Ökologie administrative Einschränkungen.
In zentralen Kreisen der Linkspartei ist man dagegen der fixen Idee verfallen, dass man ja keine Verbote fordern dürfe. Dabei geht es dann nicht mehr um die Durchsetzung politischer Ziele, sondern nur noch um den möglichen Verlust von Wählerstimmen. Wenn man einen Blick auf die Wahlergebnisse der hessischen Linken wirft, sieht man, dass sie bisher immer nur knapp über die 5 %-Hürde gekommen ist. Diese knappen Ergebnisse haben dazu beigetragen, dass in der Parteiführung eine fast schon neurotische Angst entstanden ist, nicht mehr in den Landtag einzuziehen. Insbesondere für viele Landtagsabgeordnete und ihre Mitarbeiter*innen könnte dies wohl auch ein existenzielles Problem sein. Und es ist gerade dieser Kreis, der einen besonders großen Einfluss in der kleinen Partei hat. […]
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Generell gilt: Eine linke Organisation darf sich nicht an den politisch rückständigsten Schichten der Lohnabhängigen orientieren, sondern sie muss deren objektive Interessen in der Auseinandersetzung mit dem Kapital vertreten. Und dazu gehört der Erhalt der lebendigen Biosphäre unseres Planeten. […]
Die Angst, Wähler*innen zu verprellen, kann auch zu ziemlich karikaturhaften Positionen in der Umweltfrage führen. Als Anfang August 2019 nach der Aufdeckung eines neuen Fleischskandals Tierschützer forderten, die Fleischpreise mit einer Steuer zu belegen, setzte die agrarpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag Kirsten Tackmann dagegen: [51] Man kann nun tatsächlich mit Fug und Recht bezweifeln, dass eine höhere Steuer auf Fleischprodukte etwas gegen die Massentierhaltung, den viel zu hohen Fleischkonsum und die Tierquälerei in den Mastställen ausrichten kann. Aber die soziale Frage und den Fleischkonsum in einem Atemzug zu benennen, ist doch etwas skurril. Insbesondere, wenn man bedenkt, dass 250 Gramm Hackfleisch aktuell bei einer Supermarktkette für 1,11 Euro im Angebot zu haben sind [52].
[…] Klimaaktivist*innen sollten die Realität so sehen, wie sie ist. Das bedeutet in Bezug auf die Linkspartei: Die Partei ist in der Ökologiefrage zaudernd und zögerlich. In ihrer ökologischen Programmatik gibt es zahlreiche unbearbeitete weiße Flecken: So das Thema Ressourcenknappheit, die Wegschmeißproduktion, die Kunststoffproblematik oder auch das notwendige Schrumpfen der industriellen Produktionsmenge. Die klimapolitische Avantgarde repräsentiert DIE LINKE leider nicht. In Brandenburg hat sie sogar eine offen feindliche Position gegen Klimaaktivist*innen bezogen, nur um Regierungsposten zu erhalten. Aber es kann den linken Kräften in Deutschland nicht egal sein, welche Position die linke Partei in der Klimapolitik bezieht. Man muss sie dazu bringen, auch radikalere Forderungen, z.B. gegen das E-Auto, zu unterstützen. Eine leichte Arbeit wird das nicht sein. Die ökologisch orientierten Kräfte innerhalb und außerhalb der Partei sollten dabei eng zusammenarbeiten. Im Zentrum sollte neben klaren inhaltlichen Antworten die Mobilisierung der Menschen gegen die Klimakatastrophe stehen. Das verspricht den meisten Erfolg und verhindert eine zu enge Fixierung auf den Parlamentarismus und ein rein parteitaktisches Herangehen an die ökologischen Fragen.
Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 1/2020 (Januar/Februar 2020). | Startseite | Impressum | Datenschutz