Büro der Vierten Internationale
Wir leben in Zeiten von Pandemie, wirtschaftlicher Depression, offenkundiger struktureller Ungleichheit und Unterdrückung infolge des Neoliberalismus, geopolitischer Konfrontation im Kampf um die globale Hegemonie und eines immer näher rückenden ökologischen Zusammenbruchs. All dies kommt in diesem Jahr zusammen, in dem die ganze Welt eine für unsere Generation beispiellose globale Pandemie erlebt.
Die Pandemie hat weltweit mehr als 400 000 Todesopfer gefordert (401 000 am 8. Juni), mit mehr als 6,8 Millionen offiziell registrierten Fällen in 216 Ländern. In der zweiten Märzhälfte – vor der Aufhebung des Lockdowns in Asien – waren mehr als 3 Milliarden Menschen zuhause eingesperrt.
Gegenwärtig lässt sich noch nicht beurteilen, ob und wie ausgedehnt eine zweite Infektionswelle sein und ob das Virus mutieren wird.
Gegenwärtig vereinen sich verschiedene langwierige Prozesse, die sich relativ autonom entwickelt haben und nun abrupt zusammentreffen: die ökologische Krise, die Grenzen der Möglichkeiten des Neoliberalismus und die durch ihn verstärkte Ungleichheit sowie der Kampf um die geopolitische Hegemonie zwischen den alten imperialistischen Mächten und China. Diese Prozesse, die die 1945 geformte Welt strukturell verändern, treten heute deutlicher hervor und interagieren. Zweifellos stehen wir an einem geschichtlichen und für alle politischen Kräfte höchst bedeutsamen Scheideweg.
Die gefährlichen unterschiedlichen Krisen treffen momentan aufeinander und führen zu einer Krise der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, der schwersten seit den Weltkriegen des zwanzigsten Jahrhunderts. Gramsci nannte dies eine organische Krise: Es zeigen sich Risse im Gebälk der bürgerlichen Macht, ihr universeller Vertretungsanspruch beginnt zu bröckeln, und bis dahin hegemoniale Gewissheiten entpuppen sich als das, was sie wirklich sind: Mittel zur Sicherung der kapitalistischen Ordnung. Der gesellschaftliche Konsens bröckelt und die kapitalistische Richtschnur erscheint nicht mehr als das Beste für das Allgemeinwohl. Es kommt zu einer politischen Polarisierung und es öffnet sich ein politischer Raum, der von ökosozialistischen Antikapitalist*innen, aber auch von der extremen Rechten eingenommen werden kann, denn es werden gesellschaftliche Zerfallserscheinungen sichtbar.
Unser Entwurf für eine solidarische Gesundheitspolitik reicht erkennbar über den vom Kapitalismus gesetzten Rahmen hinaus. Unsere Gesundheit hängt von den Bedingungen ab, unter denen wir leben. Sie hängt davon ab, ob wir saubere Luft atmen, ob wir unbelastetes Wasser trinken, ob wir in der Lage sind, uns mit qualitativ hochwertigen Lebensmitteln zu versorgen, ob unsere Städte eine lebenswerte Umwelt bieten und so weiter. Kurzum, sie hängt davon ab, ob wir gut leben und ob unser Lohn ausreicht, uns ein gutes Leben zu sichern. Gesundheit ist ein physisches, soziales, kulturelles und ökologisches Gut, das die Grundlage für ein menschenwürdiges Leben bildet. Da die vom Kapitalismus geschaffenen Lebensbedingungen uns weder sozial noch kulturell noch ökologisch ein gutes Leben ermöglichen, geht eine solidarische Gesundheitspolitik über die vom Kapitalismus gesetzten Grenzen hinaus.
Entwaldung, Extraktivismus, kapitalistischer Produktivismus, die Zerstörung der Ökosysteme, die Massentierhaltung und die Zunahme von Fleischkonsum haben dazu geführt, dass Viren die Artenschranken leichter überspringen können. Drei Viertel der neuen Infektionskrankheiten, die seit 1960 aufgetreten sind, sind Zoonosen [von Tier zu Mensch und von Mensch zu Tier übertragbare Infektionskrankheiten). Dazu gehören Ebola, AIDS, SARS, MERS und Covid-19. Die Globalisierung des Handels hat zu einer raschen weltweiten Ausbreitung der Viren geführt. Durch das Wachstum der Megastädte und der damit einhergehenden Slums verläuft die Ansteckung zwischen den Menschen zunehmend rascher. Insofern ist die Covid-19-Pandemie eine Konsequenz der sich überschneidenden Auswirkungen der Globalisierung.
Der Weltklimarat prognostiziert einen Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperaturen um bis zu 6°C Grad bis 2100, was in den meisten Festlandsregionen und im Nördlichen Eismeer einen noch größeren Temperaturanstieg bedeutet, sowie einen signifikanten Anstieg des Meeresspiegels und weltweit häufigere und stärker ausgeprägte Extremwetterereignisse wie Hitzewellen, Waldbrände, Dürren, Überschwemmungen und verheerende Hurrikane/Taifune. Dies würde dazu führen, dass 3,5 Milliarden Menschen 19 % der Bodenfläche, einschließlich der Küstengebiete und tropischen Regionen, verlassen müssten. Diese Klimakatastrophe hätte neben anderen ökologischen Kipp-Punkten – vor allem dem Verlust der Biodiversität, der Entwaldung und dem Mangel an Trinkwasser – noch schrecklichere Folgen als Covid-19, aber die Pandemie verschafft uns eine Vorstellung davon, zu welch weltweiten Verheerungen solche Katastrophen führen können.
In einigen Teilen der Welt wird die gegenwärtige Pandemie von der Agrarindustrie genutzt, um die Zerstörung der Natur zugunsten kapitalistischer Projekte voranzutreiben. Ein Beispiel dafür ist Brasilien, wo im März und April die Abholzung der Amazonaswälder im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 29,9 % zugenommen hat. Dabei werden nicht nur die Wälder zerstört, sondern zugleich der Mord an den dortigen Völkern forciert, insbesondere an den indigenen Völkern, die von Covid-19 am stärksten betroffen sind. Daher ist es dringend geboten, dass unsere sozial-ökologischen Organisationen sich dem Kampf für den Schutz des Amazonas-Regenwaldes anschließen und für die vitalen Interessen der indigenen Völker während dieser Pandemie eintreten!
Der Kampf um die Hegemonie zwischen China und den USA ist inzwischen verfestigt und spannungsgeladen, wobei beide Seiten eine aggressive Zuspitzung betreiben.
Chinas Wachstum während der letzten 50 Jahre vollzog sich in einer Art strategischer Partnerschaft mit den USA. Die Obama-Regierung hatte allerdings bereits versucht, auf Chinas bedrohliches Wachstum zu reagieren, indem sie es durch den 2015 unterzeichneten Transpazifischen Partnerschaftsvertrag (TPP) untergraben wollte. Doch infolge der geopolitischen Neuausrichtung unter Trump kündigte die US-Regierung das Abkommen im Januar 2017 und ließ damit Peking freien Spielraum. China konnte somit beginnen, sich als Verfechter des Freihandels und der wirtschaftlichen Globalisierung gegenüber dem nationalistischen Protektionismus der Washingtoner Regierung zu positionieren.
Die Auflösung dieser Allianz hat sich weltweit in allen Bereichen niedergeschlagen. Die USA und die Europäische Union (EU) sind von dieser Entwicklung am stärksten betroffen. Die bereits vom Brexit gebeutelte EU wird dabei der größte Verlierer sein. Ihre Unfähigkeit, in der Gesundheitskrise ein gesamteuropäisches Konzept zu vertreten, hat die EU zurückgeworfen: Die Mitgliedstaaten gingen bei Ausbruch der Krise in Europa nicht gemeinsam vor, sondern einseitig, indem sie unkoordiniert Grenzen schlossen, die Freizügigkeit aussetzten und Verkehrsverbindungen stoppten. Wochenlang erhielt Italien keine Hilfe, weder von Nachbarstaaten wie Frankreich oder Deutschland (die zudem den Export von medizinischen Hilfsgütern und Ausrüstungen blockierten) noch auf EU-Ebene. Sogar aus China wurden mehr medizinische Ausrüstungsgüter geliefert.
Verschuldete Länder wie Spanien, Griechenland oder Italien werden an den EFSM (Europäische Finanzstabilisierungsmechanismus) verwiesen, der eine spezielle Pandemie-Krisenhilfe in Höhe von 240 Milliarden Euro bereitstellt. Mit diesem Instrument werden als Ausgleich für die Kredite Sparmaßnahmen und Kürzungen der öffentlichen Dienstleistungen erzwungen.
In den USA gibt es Anfang Juni 40 Millionen Anträge auf Arbeitslosenunterstützung und man erwartet, dass die US-Wirtschaft zum Jahresende einen Rückgang von 5,8 % (IWF) erreichen wird. Vor dem Hintergrund der sozialen Krise (und der anschwellenden antirassistischen Protestwelle) finden im November die Präsidentschaftswahlen statt, was Auswirkungen auf die innen- und außenpolitische Entwicklung haben wird. Trump wird alle möglichen Mittel einsetzen, um wiedergewählt zu werden (einschließlich Betrug). Sein Ziel aber wird er nur schwer erreichen, da sein Ansehen bei der Hälfte der Bevölkerung stark gelitten hat. Die gegenwärtigen radikalen und breiten Mobilisierungen in den USA brachen explosionsartig aus und sind Ausdruck der sozialen und rassischen Ungleichheit und der politischen Unzufriedenheit sowie der Erfahrungen, die eine neue Generation in ihren Kämpfen gesammelt hat. Zugleich erhalten sie Nahrung durch das katastrophale Vorgehen der Trump-Regierung gegen die Pandemie, die die schwarze Bevölkerung unverhältnismäßig stark trifft.
Abgesperrter Stadteil in Wuhan, Foto: Painjet |
In den ärmeren Ländern werden die Menschen gleichermaßen unter Gesundheitsschäden und wirtschaftlichen Auswirkungen leiden. In Brasilien, Peru, Chile und Mexiko gibt es einen ernsten Anstieg der Infektionszahlen. In Brasilien rechnen Gesundheitsexperten im Juni mit einer Explosion der Covid-19-Fälle, die durch die kriminelle Vorgehensweise von Bolsonaro noch verstärkt wird. Das Land leidet zugleich unter der sich explosionsartig verschärfenden Gesundheitskrise und einer wirtschaftlichen Rezession sowie einer schweren institutionellen Krise. Je stärker Bolsonaro isoliert ist, desto mehr appelliert er an seine radikale faschistisch indoktrinierte Basis, die von Teilen der Staatspolizei, der Armee und der Miliz unterstützt wird, um den Kongress und den Obersten Gerichtshof auszuschalten und unverhüllt als Diktator zu regieren.
In Afrika und im Nahen Osten sind die Gesundheitssysteme auf dem niedrigsten Niveau, was durch die ständigen Kriege noch verschlimmert wird. Auch wenn die Zahl der an Covid-19 infizierte Menschen relativ niedrig ist, addieren sich die Risiken dieser Pandemie zu den chronischen Leiden: 2018 starben in Afrika bspw. 380 000 Menschen an Malaria, 607 000 an Tuberkulose und 2 bis 3 Millionen an Unterernährung.
Die Bevölkerung wird mit noch mehr Sparmaßnahmen und Unterentwicklung, fehlender Ernährungssouveränität, zunehmender Verschuldung und einem noch stärkeren Zugriff der multinationalen Konzerne und des einheimischen Großkapitals auf Wirtschaft und Ressourcen konfrontiert werden. Dies sind eben die Ursachen, die schon den revolutionären Prozess während des arabischen Frühlings ausgelöst haben und die nach Abklingen der Covid-19-Pandemie diesem Kampf neuen Auftrieb geben werden.
Die völlige Ungewissheit darüber, ob die wirtschaftliche Erholung V-förmig [mit schnell einsetzender Erholung] verlaufen wird, macht die Kapitalist*innen und ihre Regierungen eher noch aggressiver. Solange der Kapitalismus nicht besiegt ist, wird jede Vorstellung von einer anderen und besseren Welt „danach“ reine Utopie sein; die Welt wird sogar noch ungleicher sein. Der Kampf für eine antikapitalistische Alternative wird daher immer dringender.
Die Wurzeln dieser Krise liegen in der Globalisierung, und alle schon bestehenden Krisen werden nach der Pandemie noch schärfer hervortreten. Außerdem zeigte die Covid-19-Pandemie schon, wie zerbrechlich die globalisierte kapitalistische Produktionsweise ist, deren einziges Ziel die Maximierung des Mehrwerts (mittels Wertschöpfungsketten und Anpassung der Produktion in den abhängigen Ländern an die Interessen der kapitalistischen Konzerne) und der Profitrate ist, die weitgehend unabhängig vom Wachstum ist. Nichtsdestotrotz werden die Kapitalist*innen auch in der nächsten Zeit darauf bestehen, so bald wie möglich das „business as usual" wieder aufzunehmen.
Die forcierte Globalisierung und Sparpolitik waren bereits in den letzten Jahren an ihre Grenzen gestoßen: Seit der Finanzkrise 2008 haben die großen Zentralbanken, darunter die US-Notenbank, die EZB und die Bank of England, riesige Geldmengen in die Privatbanken gepumpt, um das gesamte Wirtschaftssystem am Laufen zu halten. Gleichzeitig ist trotz Null- oder Negativzins die Verschuldung der Staaten und der kapitalistischen Unternehmen sowohl in den USA als auch in Europa in die Höhe geschnellt.
Die Gelder, die die Zentralbanken in Hülle und Fülle verteilt haben, wurden von den Banken und den anderen kapitalistischen Konzernen nicht für produktive Investitionen verwendet, sondern in den Finanzmarkt gesteckt. Dies führte zu einer Spekulationsblase auf dem Aktienmarkt, auf dem Anleihenmarkt (d. h. Schuldverschreibungen) und mancherorts auch im Immobiliensektor. Alle großen Unternehmen waren bereits zu Beginn dieser Krise überschuldet.
Infolge der Pandemie sind die Produktion und der Transport von Waren sowie die Nachfrage schlagartig eingebrochen.
Selbst in weniger stark von der Pandemie betroffenen Gebieten, wie z.B. Afrika (5 125 Tote bis 7. Juni), wo besonders Ägypten, Südafrika, Marokko und der Sudan betroffen sind, hat die Krise, die zunächst in China, dann in den USA und in der EU ausgebrochen ist, massive wirtschaftliche und soziale Auswirkungen: Das UN-Welternährungsprogramm WFP prognostiziert, dass sich 2020 die Zahl der hungernden Menschen, insbesondere in Afrika und im Nahen Osten, verdoppeln wird (2019 waren es dort 135 Millionen infolge von Kriegen und des Klimawandels).
Mit dieser Krise kehrt das Schreckgespenst des Hungers zurück zu den Ärmsten in der Arbeiterklasse in einer Reihe von Ländern. Besonders trifft es diejenigen, die keine oder nur prekäre Beschäftigung haben und keine Arbeitsrechte, zumeist farbige und aufgrund ihrer ethnischen und sozialen Zugehörigkeit ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen. Deswegen ist es von grundlegender Bedeutung, dass soziale Bewegungen Initiativen zur Organisierung der Klassensolidarität ergreifen, um den Hunger zu bekämpfen, was unmittelbare Auswirkungen auf die Möglichkeit der armen Bevölkerung hat, sich selbst politisch zu organisieren. Die Vorreiter solcher Initiativen sind Bewegungen unter den Farbigen und Migrant*innen (insbesondere in Brasilien, den USA und Europa), die eine maßgebliche Rolle bei der Organisierung des Volkswiderstandes gegen die Pandemie spielen.
Die Nahrungsmittelproduktion ist mittlerweile stark zentralisiert, wobei sich eine Handvoll großer Konzerne die verschiedenen Bereiche aufteilen. Viele dieser Produkte sind gesundheitsschädlich und Junk-Food trägt erheblich zu Übergewicht und Krankheiten bei, wovon zumeist die arme Bevölkerung betroffen ist, weil das Zeug billig ist und satt macht.
Die Arbeiter*innenklasse einschließlich der Kleinbauern ist am stärksten von Covid-19 betroffen, was die Zahl der Toten angeht und indirekt durch Entlassungen, Kurzarbeit oder Verlust sonstiger Erwerbstätigkeit sowie durch Lohnkürzungen.
Erste Untersuchungen, bspw. in den USA, Brasilien oder Frankreich, zeigen durchgängig, dass die meisten Covid-19-Todesfälle unter der einfachen Bevölkerung zu beklagen sind. Von 3,3 Milliarden Erwerbstätigen sind nach Schätzungen der ILO mehr als 80 % von einer vollständigen oder teilweisen Betriebsschließung betroffen. In den USA wurden im April 20 Millionen Arbeitsplätze abgebaut und im März haben sich 30 Millionen Menschen neu arbeitslos gemeldet. In Großbritannien liegt die Zahl der Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe mit 950 000 zwischen dem 16. und 31. März zehnmal so hoch wie normal. In Europa hat die Kurzarbeit sprunghaft zugenommen. In Deutschland haben fast 500 000 Unternehmen im März Kurzarbeit eingeführt, zwanzigmal mehr als nach der Finanzkrise von 2008 in einem Monat.
In Afrika, Lateinamerika und Asien arbeiten viele Menschen in der informellen Wirtschaft, in Indien sind es sogar 90 %. Diese informell Beschäftigten haben mit Covid-19 ihr Einkommen verloren und haben praktisch keine soziale Absicherung, keine Arbeitslosenunterstützung und kaum Zugang zur Gesundheitsversorgung. In etlichen Ländern sind darunter viele Migrant*innen, die entweder innerhalb des Landes vom Land in die Städte ausgewandert sind (Indien, große Teile Afrikas) oder aus anderen Staaten stammen (in den Golfstaaten aus Asien, in den USA aus Süd- und Mittelamerika etc.). Diese Arbeiter*innen sind zweifach gefährdet, nicht nur durch die verheerenden wirtschaftlichen Folgen, sondern auch durch rassistische Diskriminierung. Die IAO geht davon aus, dass weltweit 1,6 Milliarden Menschen – drei Viertel der informell Beschäftigten weltweit – im zweiten Quartal Gefahr laufen, ihre Existenzgrundlage zu verlieren. Sie schätzt, dass das weltweite Arbeitsaufkommen im zweiten Quartal um 6,7 % zurückgehen könnte, was 195 Millionen Vollzeitstellen bei einer 48-Stunden-Woche entspricht, davon 125 Millionen in Asien, 24 Millionen in Nord- und Südamerika und 20 Millionen in Europa. Eine Studie der Afrikanischen Union geht von 20 Millionen weniger Arbeitsplätzen auf dem Kontinent und einer Zunahme der Verschuldung aus.
Am stärksten von der Pandemie betroffen sind in der Regel diejenigen, die unter den prekärsten Bedingungen arbeiten. In New York ist dies die schwarze Bevölkerung in der Bronx und in den gesamten USA sind es die Ureinwohner*innen und die Schwarzen; in der Region Paris sind es die rassisch diskriminierten Einwohner*innen von Seine St. Denis, in Brasilien die Schwarzen in den Favelas. In Indien sind viele Prozent der Menschen, die auf der Straße oder in den Schlafstätten der Slums leben, Muslime, die von den Vermieter*innen und dem Staat umgehend verjagt wurden, als Modi sehr schnelle und drakonische Maßnahmen zum Lockdown verhängte – was zu einer gewaltigen Binnenmigration führte. Für die Philippinen wird geschätzt, dass mehr als 70 000 Wanderarbeiter*innen im Ausland zur Rückkehr gezwungen werden, nachdem sie infolge der Pandemie ihren Arbeitsplatz verloren haben. Einige von ihnen arbeiteten im Baugewerbe, aber die Mehrheit im Gastgewerbe, einschließlich der Kreuzfahrtschiffe. All diese Bevölkerungsgruppen haben ein höheres Krankheitsrisiko infolge prekärer Ernährungs- und Wohnverhältnisse und ihrer Tätigkeit als Wanderarbeiter*innen.
In Europa, den USA und Kanada, Lateinamerika, Indien, China und im Nahen Osten haben Gewalt gegen Frauen und die Ermordung von Frauen unter den obwaltenden Umständen um 30-100 % zugenommen.
In den USA, der Karibik und Südamerika (insbesondere in Brasilien) leiden die Bevölkerungsgruppen afrikanischer Herkunft, da sie mehrheitlich zu den Armen zählen, viel stärker unter Pandemie, Arbeitslosigkeit, Einkommensverlust aus informeller Beschäftigung und staatlicher Gewalt.
Alle vertriebenen Bevölkerungsgruppen und Flüchtlinge, die in Lagern leben (Syrer*innen, Palästinenser*innen, Uigur*innen, Rohingyas in Bangladesch), sind von dieser Situation noch stärker betroffen.
Am Arabischen Golf befinden sich heute Millionen von Arbeitsmigrant*innen aus Südasien in einer äußerst prekären Situation, da sie ohne Arbeit und mittellos sind.
Schüler*innen und Student*innen aus einfachen Verhältnissen leiden am meisten unter der Schließung der Bildungsstätten und der Umstellung auf Online-Unterricht, da keinerlei Maßnahmen ergriffen wurden, um Computer und Internetzugang für alle zu gewährleisten. Besonders bei jüngeren Kindern ist die Wahrscheinlichkeit am größten, dass sie dabei zuhause nicht ausreichend unterstützt werden können.
Corona-Schutz in Frankreich, Foto: Patrice Calatayu Photographies |
Viele Länder haben mit der Verhängung des Ausnahmezustands (Lockdown) Einschränkungen der demokratischen Rechte vorgenommen. In vielen Ländern wurden Ausnahmegesetze verhängt und Oppositionelle verhaftet. Auf den Philippinen zum Beispiel nutzte Duterte die Pandemie, um seine repressive Politik und die Kontrolle der Bevölkerung weiter auszubauen. Dasselbe gilt für Hongkong, wo die Regierung in Peking die demokratischen Rechte weiter einschränkt. In Lateinamerika gilt das Gleiche bspw. für Brasilien, Kolumbien, Chile, Ecuador und Bolivien. In vielen Ländern sind die Isolations- und Kontrollmaßnahmen eine willkommene Gelegenheit, neue polizeiliche Methoden auszuprobieren, mit denen Bewegungen der Menschen mit technischen Mitteln nachverfolgt und überwacht werden können.
Das Ziel dabei ist natürlich, diese Maßnahmen zu verstetigen. Dies gilt umso mehr, als es vor der Pandemie in vielen Ländern, etwa in Hongkong, Algerien, Chile und Frankreich, zu zahlreichen sozialen Mobilisierungen gegen die Folgen der kapitalistischen Politik gekommen war. Da die herrschenden Klassen die sozialen Ungerechtigkeiten weiter verschärft hatten, befürchten sie zu Recht ein Wiederaufleben der sozialen Mobilisierungen. Sie bereiten sich deshalb darauf vor, indem sie ihre repressiven Arsenale verstärken. Nichtsdestotrotz sind in Hongkong trotz Covid-19 bereits Menschen gegen die demokratiefeindlichen Gesetze der Pekinger Regierung auf die Straße gegangen, und in Brasilien entsteht eine breite Bewegung, die Bolsonaros Amtsenthebung fordert. In den nächsten Monaten ist mit vielen sozialen und politischen Mobilisierungen zu rechnen.
Die gegenwärtigen Proteste in den USA als Reaktion auf die Hinrichtung von George Floyd durch die Polizei von Minneapolis (eine Truppe mit einer langen Tradition von besonders eklatantem Rassismus) stehen in der Kontinuität der Black Lives Matter-Bewegung. Zugleich sind sie Ausdruck der überproportionalen Betroffenheit der schwarzen Bevölkerung von den politischen Maßnahmen der Trump-Regierung gegenüber der Pandemie.
Da die Gesundheitsrisiken immer noch stark vorhanden sind und das einzige Ziel der herrschenden Klasse darin besteht, ihre Profite wiederherzustellen, steht die Arbeiter*innenklasse vor zweierlei Gefahren. Unternehmensschließungen und Entlassungen werden zunehmen und Löhne werden eingefroren oder gekürzt werden. Zugleich sind aber auch Gesetze zum Schutz der Arbeitsrechte (wo es sie gibt) während des Lockdowns weithin beschnitten worden und es gibt Tendenzen, dies noch auszuweiten. In Indien z.B. drängt die Regierung Modi die Bundesstaaten zu solchen Maßnahmen und in Uttar Pradesh und Madhya Pradesh wurden die Rechte der Gewerkschaften ausgesetzt, gleichzeitig wurden die Hygiene- und Sicherheitsvorschriften für neue Inbetriebnahmen und Entlassungen erleichtert.
In verschiedenen Ländern wie Deutschland, dem spanischen Staat, den USA und Brasilien demonstrierten während des Lockdowns rechtsextreme Gruppen gegen die Isolationsmaßnahmen und verbreiteten rassistische und fremdenfeindliche Propaganda mit einem Mischmasch aus Verschwörungstheorien, Nationalismus und weißem Vorherrschaftsdenken. In Indien waren die 200 Millionen Muslime Zielscheibe rassistischer Kampagnen, in denen ihnen vorgeworfen wurde, für die Epidemie verantwortlich zu sein. Diese Gruppen versuchen, aus der sozialen und politischen Krise, die in vielen Ländern während und nach dem Lockdown herrscht, Kapital zu schlagen.
Aber in zahlreichen Ländern waren trotz der Isolationsmaßnahmen soziale Bewegungen, Gewerkschaften und Gemeinschaften aktiv, um die zahlreichen Aktionen und Mobilisierungen fortzuführen, die vor dem Lockdown von Gewerkschaften, politischen Organisationen oder sozialen Bewegungen betrieben wurden. Dies waren bspw. Mobilisierungen gegen sexuelle oder rassistische Gewalt oder für das Recht auf Wohnraum, betriebliche Kämpfe wie die der Beschäftigten des Gesundheitswesens in Frankreich, antiautoritäre und demokratische Bewegungen in Chile, Libanon, Algerien, Hongkong und natürlich die Klimabewegung mit ihren Aktivitäten während der vorangegangenen Monate. In einigen Ländern ist aus dieser Situation eine neue soziale Bewegung entstanden, in der es um gegenseitige Hilfe und um die interessante Frage geht, ob man in der gegenwärtigen Lage „innerhalb und zugleich gegen den Staat" etwas unternehmen kann, was vielleicht auch längerfristig Bestand hat und zum Aufbau von Gemeinschaftsstrukturen führt, wo es solche vorher nicht im gleichen Umfang gab. Die Pandemie und was damit über die Gesellschaft offenbart wurde, in der wir leben, wird sicherlich diese Mobilisierungen und die Entschlossenheit der Bewegungen stärken, solange für ihre Ziele zu kämpfen, bis sie Erfolg haben.
Während der Abriegelung entstanden vielerlei autonome Initiativen in den Betrieben und in den Regionen im Widerstand, auf dem Land und in den Städten. Beispiele für solche Initiativen in der Bevölkerung oder organisierte Strukturen finden sich in der Landwirtschaft, unter Indigenen, Arbeitslosen, Menschen und Gemeinschaften in den Außenbezirken der Großstädte, feministischen Solidaritätsnetzwerken u.a. Daraus entstanden sehr interessante alternative Ansätze, wie z.B. die kollektive Herstellung von Stoffmasken, die der Bevölkerung gespendet werden, um Ansteckungen zu vermeiden, Spenden und alternative Produktion von Nahrungsmitteln, Verteidigung des öffentlichen und allgemein verfügbaren Gesundheitswesens, Kritik an der wachsenden Gewalt gegen Frauen und der zermürbenden Bestreuungsarbeit, die von diesen während der Isolation zu Hause geleistet werden muss, etc.
Eine Folge der Krise ist, dass sie viel breiteren Bevölkerungsschichten gezeigt hat, dass es verschiedene Arten von Arbeit gibt, nämlich die, die Gebrauchswerte schafft – unabdingbare Arbeit –, und diejenige, die bloß um des Profits willen existiert. Es ist deutlich geworden, dass die Arbeit in der sozialen Reproduktion im Gesundheits- und Pflegebereich lebenswichtig ist, sei es zu Hause oder (schlecht) bezahlt im staatlichen oder privaten Sektor. Dies ist deutlich geworden sowohl im Allgemeinen als auch im Besonderen durch Aktionen der Wertschätzung, die Gemeinschaften der Arbeiter*innenklasse dieser lebensnotwendigen Arbeit entgegenbringen. In vielen Ländern wurden diese Aktivitäten (Beifall), die zunächst die Leistung des Gesundheitspersonals würdigten, dahingehend ausgeweitet, dass sie alle „systemrelevanten“ Arbeitskräfte einschlossen, insbesondere im Post- und Transportwesen sowie im Lebensmittelvertrieb und im Einzelhandel. Dabei wurde der hohe Anteil von Frauen, Schwarzen und Migrant*innen in diesen Sektoren besonders gewürdigt.
Gleichzeitig hat der massive Rückgang des Flugverkehrs und in geringerem Maße auch des Straßenverkehrs zu unerwarteten „Kollateralgewinnen“ geführt. Die Abnahme der Luftverschmutzung in Tausenden von Städten, die „normalerweise" im Smog ersticken, und auch der Lärmbelästigung hat dazu geführt, dass viele zum ersten Mal seit Jahrzehnten – oder überhaupt jemals – die Vögel singen hören konnten.
In vielen sozialen Bewegungen und Teilen der Arbeiter*innenbewegung beginnen Diskussionen unter dem Stichwort #buildbackbetter, die die alte „Normalität" infrage stellen: Armut trotz gesellschaftlichen Wohlstands, Obdachlosigkeit, prekäre Arbeitsbedingungen, Gewalt gegen Frauen, Diskriminierung von Schwarzen und Migrant*innen, Umweltverschmutzung und weite Lebensmitteltransportwege und andere Aspekte der Umweltkatastrophe.
Während des Lockdowns und nach seiner Aufhebung gab es auch viele Aktionen und Streiks von Arbeiter*innen, in denen es um mehr Sicherheit, Herstellungsstopp für nicht-notwendige Produkte, Sicherstellung der Arbeitsrechte und der Lohnfortzahlung ging. So streikten bspw. in vielen Ländern Beschäftigte von Amazon oder Beschäftigte in Catering- und Transport- oder Logistikunternehmen.
Insofern werden die sozialen Bewegungen in den kommenden Monaten vor der wesentlichen Herausforderung stehen, die lohnabhängige Bevölkerung für die Verteidigung ihrer Gesundheit und ihrer Rechte und gegen den drohenden sozialen Kahlschlag zu organisieren, der sich gegen die Arbeitsplätze, sozialen Rechte und demokratischen Freiheiten richten wird, und zugleich eine nachhaltige Beziehung zwischen der menschlichen Bevölkerung und der Umwelt herzustellen.
Überall, und insbesondere in den von der Pandemie betroffenen Regionen, müssen ausreichend Mittel bereitgestellt werden, damit Screening-Kits breit verfügbar sind und die Zahl der Intensivbetten und Beatmungsgeräte erhöht wird. Geeignete Schutzmasken und immunologische Tests für die gesamte Bevölkerung müssen überall gewährleistet werden.
Wiederaufnahme der Arbeit in den Betrieben nur mit Gesundheitsschutz der Beschäftigten: Bereitstellung von Schutzmitteln (Masken, Desinfektionsmittel, Schutzbrillen, Handschuhe) zum Schutz für alle Beschäftigten und Anrecht auf sofortige Einstellung der Arbeit, wenn die Sicherheitsbedingungen nicht eingehalten werden.
100 %ige Übernahme der Verantwortung der Unternehmen und/oder des Staates für die Lohnfortzahlung der Beschäftigten in Kurzarbeit, einschließlich der Migrant*innen, prekär Beschäftigten, Zeitarbeiter*innen, Hausangestellten, (Schein-) Sselbständigen und Saisonarbeiter*innen, ohne die Verpflichtung, Urlaubstage zu nehmen oder die nicht geleistete Arbeitszeit nachzuholen. Verpflichtung des Staates, die Löhne der Beschäftigten zu zahlen, deren Betriebe während der Krise die Lohnfortzahlung verweigern. Die Regierung muss dann die Kosten dafür wieder hereinholen, indem sie die Unternehmen, die die Löhne zurückgehalten haben, mit einer Geldstrafe belegt.
Bereitstellung eines garantierten Mindesteinkommens durch den Staat, das für ein menschenwürdiges Leben ausreicht, auch für die Beschäftigten im informellen Sektor, für Arbeitslose, für Studierende und für alle Bedürftigen.
Verbot von Entlassungen und Betriebsschließungen durch die Kapitalist*innen, Wiedereinstellung von Beschäftigten, die seit Beginn der Pandemie entlassen wurden.
Wiedereröffnung der Schulen unter sicheren Bedingungen für Schüler*innen und Lehrer*innen. Keine Bestrafung von Studierenden für ausgefallenen Unterricht.
Ablehnung jeglicher zwangsverordneter und außerordentlicher Maßnahmen zur Aussetzung sozialer Rechte, einschließlich des Streikrechts, und insbesondere der Aufrechterhaltung dieser Maßnahmen nach Aufhebung des Lockdowns.
Stopp aller Zwangsräumungen von Mieter*innen, Aussetzung von Mieten, Privatkrediten und Wasser-, Strom und Gasrechnungen, Bereitstellung von angemessenem Wohnraum für alle, die in prekären Verhältnissen oder ohne Unterkunft leben, Beschlagnahme leerstehender Wohnungen.
Bereitstellung angemessener sozialer Fürsorge für Behinderte, ältere Menschen und all jene, die durch den Lockdown sozial isoliert sind oder waren.
Einrichtung sofortiger Nothilfemaßnahmen zum Schutz von Frauen und Kindern, die Opfer von Gewalt geworden sind, mit unverzüglicher Entscheidung, gewalttätige Ehepartner fernzuhalten oder alternative Unterkünfte für die Opfer bereitzustellen. Garantierter und unverzüglicher Zugang zu Verhütungsmitteln und Abtreibungen als lebenswichtige medizinische Maßnahmen.
Umwandlung von geschlossenen Heimen für Flüchtlinge in offene Aufnahmezentren mit sanitären Einrichtungen. Sofortige Legalisierung aller Migrant*innen und Flüchtlinge ohne Papiere, um ihnen den Zugang zu allen sozialen Sicherungssystemen zu ermöglichen und Beendigung aller Ausweisungen. Sofortige Schließung der massiv überfüllten Auffanglager für Migrant*innen, insbesondere in Moria auf Lesbos und entlang der US-mexikanischen Grenze.
Alle wesentlichen Bereiche des Gesundheitssystems, einschließlich der Krankenversicherung und der pharmazeutischen und biotechnologischen Industrie sowie der gesamten medizinischen und pharmazeutischen Forschung und Entwicklung, müssen entprivatisiert und unter öffentliche Kontrolle gestellt werden. Patente auf Medikamente, Wissen und medizinische Produkte müssen abgeschafft werden. Medizinische Forschung muss international und im Sinne der Solidarität stattfinden und ausschließlich dem Dienst an der Menschheit gewidmet sein. Wissen und Technologien müssen jedem Land frei zugänglich gemacht werden.
Dies muss mit der Entwicklung einer kostenlosen sozialen Infrastruktur für Pflege, Betreuung und Gesundheit einhergehen. Die wesentlichen Arbeitsplätze der sozialen Reproduktion, die überwiegend oder sogar ausschließlich von Frauen besetzt sind, müssen sozial aufgewertet und besser entlohnt werden.
Es versteht sich von selbst, dass im Rahmen dieser Umstrukturierung des Gesundheitswesens alle privaten Krankenhäuser unter öffentliche Kontrolle gestellt und in gesellschaftliches Eigentum überführt werden müssen. Ein einheitlicher Gesundheits- und Krankenhaussektor ist unerlässlich.
Reinigungs- und andere Dienste, die für den Betrieb von Krankenhäusern und anderen Pflegeeinrichtungen notwendig sind, müssen wieder in öffentliche Hände gelegt werden. Die dort Beschäftigten müssen angemessen bezahlt und ihre gesundheitliche Unversehrtheit am Arbeitsplatz gewährleistet werden.
Um all dies finanzieren zu können, muss die gesamte Rüstungsproduktion eingestellt und die Produktion auf sozial nützliche Erzeugnisse umgestellt und die dabei freiwerdenden Mittel in den Ausbau des Gesundheitswesens investiert werden.
Finanzierung der Kosten für den Ausbau des Gesundheitssystems durch Sondersteuern auf hohe Einkommen, Gewinne und Vermögen. Es muss alles getan werden, um sicherzustellen, dass die Kosten der Krise von denen getragen werden, die in den letzten Jahrzehnten auf Kosten der Allgemeinheit riesige Gewinne eingefahren und Vermögen angehäuft haben.
Die Arbeitsbedingungen dürfen die Menschen nicht krank machen, sondern müssen ihrer Weiterentwicklung und Gesundheit förderlich sein. Dies ist besonders dringlich für ungelernte Arbeitskräfte in der Fleischindustrie, Landwirtschaft, Altenpflege und den Lieferdiensten. Arbeitssicherheit, angemessene Sanitär- und Hygienemaßnahmen müssen gewährleistet sein. Verkürzung der Arbeitszeiten und bessere Pausenregelungen.
Beschlagnahme menschenunwürdiger Wohnungen und städtisch geplanter Ersatz durch qualitativ hochwertige Sozialwohnungen.
Stärkung und Erweiterung des öffentlichen Bildungssystems statt Privatisierungen. Aufbau von Unternehmen, die Internet-Lernpakete anbieten.
Übertragung der wichtigsten Social-Media-Plattformen in öffentliches Eigentum. Facebook, WhatsApp, Amazon und Zoom, die massiv vom Lockdown profitieren und Daten sammeln, die in Zukunft enorme Gewinne versprechen, müssen entschädigungslos enteignet werden (sie haben bereits zu viel gescheffelt) und als gemeinnützige, transparente, öffentliche Dienste betrieben werden.
In jedem Land sollten die Bestattungsunternehmen in öffentliches Eigentum überführt werden. Privatunternehmen darf nicht gestattet werden, vom Tod zu profitieren und die Trauer der Menschen für ihre Profitmaximierung zu missbrauchen.
Nachhaltige Landwirtschaft und globale Nahrungsmittelgerechtigkeit, Neuordnung der Produktions- und Verteilungskreisläufe entlang der sozialen Bedürfnisse. Reduzierung der Lebensmitteltransportwege und des Fleischkonsums. Schluss mit der Entwaldung, besonders der zum Wohle der Agrarindustrie.
Enteignung der Privatbanken ohne Entschädigung der Großaktionäre und Vergesellschaftung des Finanzsystems unter der Kontrolle der Bürger*innen, Aufhebung aller Bankgebühren auf Privatkonten und Bereitstellung von zinslosen Krediten für die Arbeiter*innenklasse zur Befriedigung ihrer unmittelbaren Bedürfnisse, Einfrieren der Bankschulden von Familien, Mikrokredite und Mieten sowie sichere Versorgung aller mit Wasser, Strom, Gas und Internet.
Sofortige Aussetzung der Rückzahlung öffentlicher Kredite, um ausreichende Mittel zu mobilisieren, die die Länder für die Befriedigung der Bedürfnisse der Bevölkerung während der Pandemie benötigen. Die Aussetzung der Schuldendienste muss mit einer Überprüfung unter Bürgerbeteiligung kombiniert werden, um den unrechtmäßigen Teil auszumachen und zu streichen.
Öffnung der Grenzen für die sichere Aufnahme von Migrant*innen, mit Schaffung eines legalen Status und Zugang zu Gesundheits- und Sozialdiensten.
Die Bekämpfung der Diskriminierung bei der Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen für Indigene, Migrant*innen, Schwarze, Frauen, LGBTIQ und Behinderte kann nur durch positive Maßnahmenprogramme zur Bekämpfung jahrhundertelanger institutioneller Diskriminierung und durch die ständige Konsultation und Beteiligung dieser Gemeinschaften an einer echten Entscheidungsfindung erfolgen, um Dienste zu schaffen, die wirklich den Bedürfnissen aller entsprechen.
Die gegenwärtig zusammenfallenden Krisen erfordern eine antikapitalistische Politik mit einer ökosozialistischen Perspektive, da sie die Lebensgrundlagen der Menschen gefährden. Sie zeigen, wie dringend geboten eine Gesellschaft auf der Grundlage sozialer Bedürfnisse ist, die von und für die Arbeiter*innenklasse organisiert ist und in der die Banken und die wichtigen Produktionsmittel in öffentlichem Besitz sind. Und diese Krise zeigt die dringende Notwendigkeit, die Ursachen des Klimawandels zu bremsen, den Umweltzerstörungen Einhalt zu gebieten, die „unser gemeinsames Haus" zerstören, die Biodiversität verringern und den Weg für die heutigen Seuchen, wie z.B. durch Viren induzierte schwere Atemwegssyndrome, freimachen.
So wie es in den ersten Jahren des Neoliberalismus Bestrebungen und soziale Bewegungen gab, die sich unter der Parole „Eine andere Welt ist möglich" zusammenschlossen, so müssen wir uns heute zusammenschließen, um zu erklären: „Eine andere Welt ist dringend geboten"! Wir brauchen gemeinsame internationalistische Aktionen, die uns Wege zu einer Welt aufzeigen, in der das Leben mehr wert ist als der Profit und in der die Natur aufhört, eine Ware zu sein. Die gegenwärtige Krise zeigt deutlich, dass ein bedeutender Teil der kapitalistischen Produktion rein räuberisch, völlig überflüssig und verschwenderisch ist.
Anfang der 2000er Jahre brachte die Bewegung für globale Gerechtigkeit Millionen von Menschen aus sozialen Bewegungen und Gewerkschaften unter Beteiligung radikal linker Organisationen zusammen. Heute müssen wir solche Zusammenschlüsse herstellen, die zum Kampf gegen Kapitalismus, Klimawandel und Diskriminierungen aufrufen. Um dieses Ziel zu erreichen, gibt es in verschiedenen Ländern und auf internationaler Ebene bereits einige Initiativen. Die Organisationen und Aktivist*innen der Vierten Internationale werden sich für den Erfolg solcher Initiativen einsetzen. Es besteht ein dringender Bedarf an sozialen, antikapitalistischen und revolutionären Organisationen und Strömungen, die gemeinsame Aktionen auf regionaler und internationaler Ebene koordinieren, diskutieren und durchführen.
Es wird unmöglich sein, zum sogenannten Normalzustand vor der Corona-Krise zurückzukehren, der ein kapitalistischer „Normalzustand" war, der als solcher schon die Zukunft der Menschheit und des Planeten bedrohte. Es ist dringend notwendig, zu einer neuen Gesellschaft überzugehen, die auf sozialen Bedürfnissen basiert, die von und für die Arbeiter*innenklasse organisiert ist und in der die Banken und die wichtigen Produktionsmittel in öffentlichem Besitz sind. Deshalb braucht es eine radikale sozial-ökologische Umbauperspektive.
8. Juni 2020 |
Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 4/2020 (Juli/August 2020). | Startseite | Impressum | Datenschutz