Ukraine

USA und Russland streiten um die Ukraine

Droht ein Krieg?

Dan La Botz

Die Ukraine befindet sich im Zentrum eines gefährlichen Wettstreits zwischen den Vereinigten Staaten und Russland, der zu einer russischen Invasion, zu westlichen Wirtschaftssanktionen, zu gegenseitiger Cyberkriegsführung und, weil zwei Atommächte beteiligt sind, sogar zu einem Atomkrieg führen könnte. Im Mittelpunkt stehen die NATO-Beitrittspläne der Ukraine. Sowohl der US-Präsident Joseph Biden als auch der russische Präsident Wladimir Putin haben sich auf die imperiale Geschichte und die aktuellen Ziele ihrer Nationen berufen und die Ukraine zum Anlass genommen, ihren Anspruch auf Vorherrschaft in Osteuropa zu bekräftigen.

Russisches Militär auf der Krim (2014)

Foto: Sasha Maksymenko

 

Vor einiger Zeit beklagte Putin den Zusammenbruch der Sowjetunion und nannte ihn „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“. Sowohl unter der zaristischen Monarchie als auch unter der Sowjetunion war die Ukraine Teil des Imperiums, und Putin scheint sich danach zu sehnen, sie zurückzuerobern und wieder einzugliedern. Jetzt hat Putin, der behauptet, die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten würden Russland bedrohen, indem sie die Ukraine unterstützen, etwa 100 000 Soldaten mobilisiert, die zum Einmarsch bereit sind.

Von Biden gab es eigene aggressive Aussagen. Im Juni letzten Jahres sagte er den westeuropäischen Verbündeten: „Amerika ist wieder im Geschäft, die Welt an der Seite von Nationen zu führen, die unsere am tiefsten verwurzelten Werte teilen … Wir glauben, dass die NATO für unsere Fähigkeit, die amerikanische Sicherheit für den Rest des Jahrhunderts aufrechtzuerhalten, von entscheidender Bedeutung ist.“ Er bemerkte ausdrücklich: „Wir sind solidarisch mit unseren geschätzten Partnern Ukraine und Georgien, und wir werden ihre Reformen weiterhin unterstützen und sie näher an die NATO heranführen.“ Biden erklärte auch, dass die USA Artikel 5 des NATO-Vertrags – der besagt, dass ein Angriff auf ein Land ein Angriff auf alle ist – als „eine heilige Verpflichtung“ betrachten.

Die Ukraine, lange Zeit eine Kolonie Russlands und zwischen Russland und Westeuropa gelegen, ist geographisch und politisch tief gespalten zwischen pro-westlicher und pro-russischer Politik und so zu einem Brennpunkt geworden. Nach ihrer Unabhängigkeit durch den Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahr 1991 nahm die Ukraine zunächst Beziehungen sowohl zur Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (ehemalige Sowjetstaaten) als auch zur NATO auf. Als der frühere Ministerpräsident Viktor Janukowitsch, der ein Bündnis mit der Sowjetunion befürwortete, die Präsidentschaftswahlen 2004 manipulierte, erzwang die Orangene Revolution eine Wiederholung und der westlich orientierte Viktor Juschtschenko wurde gewählt. Janukowitsch gewann jedoch die Präsidentschaftswahlen 2010 und beschloss 2013, die Assoziierung mit der Europäischen Union auszusetzen und sich stattdessen der Eurasischen Wirtschaftsunion Russlands anzuschließen. Das führte zu den Euromaidan-Protesten und der ukrainischen Revolution von 2014, in der Janukowitsch gestürzt und von einem pro-westlichen Präsidenten abgelöst wurde.

      
Mehr dazu
Philippe Poutou (Neue Antikapitalistische Partei, NPA): Nieder mit den imperialistischen Kriegen!Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung gegen Putins militärische Aggression!, die internationale Nr. 2/2022 (März/April 2022) (nur online)
Erklärung ukrainischer Sozialist*innen: Internationale Solidarität gegen den Krieg!, die internationale Nr. 2/2022 (März/April 2022) (nur online)
Erklärung der Russischen Sozialistischen Bewegung (RSD): Für Frieden und Deeskalation, die internationale Nr. 2/2022 (März/April 2022) (nur online)
Büro der Vierten Internationale: Gegen die militärische Eskalation der NATO und Russlands in Osteuropa, die internationale Nr. 2/2022 (März/April 2022) (nur online)
Gilbert Achcar: Ein Memorandum zu einer radikal antiimperialistischen Position zum Krieg in der Ukraine, die internationale Nr. 2/2022 (März/April 2022) (nur online)
Nationales Komitee von Solidarity: Russland raus aus der Ukraine ‒ Solidarität mit dem Volk der Ukraine! Nein zur NATO ‒ jetzt und in Zukunft!, intersoz.org (2.3.2022)
Internationales Komitee der IV. Internationale: Resolution zur Ukraine, Inprekorr Nr. 3/2015 (Mai/Juni 2015)
 

Als Reaktion auf diese Entwicklungen entsandte Putin 2014 russische Streitkräfte, um in die ukrainische Halbinsel Krim einzudringen und sie zu erobern, und beanspruchte sie für Russland. Er provozierte auch einen Krieg in der ostukrainischen Donbass-Region und erkannte zwei „Republiken“ in der Ukraine an, die Autonomie fordern; bis heute unterstützt er dort Guerilla-Truppen. Seit April 2014 wurden in diesem Konflikt etwa 13 000 Menschen getötet.

Im Zentrum des amerikanisch-russischen Streits steht die Frage der Zugehörigkeit der Ukraine zur NATO. Die Ukraine trat 1991 dem NATO-Kooperationsrat bei, kooperierte seitdem mit der NATO und plant immer noch, ihr beizutreten. Auf ihrem Gipfeltreffen 2021 bekräftigten die NATO-Führer ihre Pläne für eine Vollmitgliedschaft der Ukraine und versicherten, dass Russland kein Vetorecht gegen diese Entscheidung haben würde. Putin sagt, die Ukraine dürfe der NATO nicht beitreten und die NATO-Truppen müssten aus Osteuropa zurückgezogen werden. Wenn sie der NATO beitritt, würde sich Russland „so verhalten, wie die Vereinigten Staaten sich verhalten würden, wenn sich Offensivwaffen in der Nähe der Vereinigten Staaten befänden“. Als die Sowjetunion 1962 Raketen auf Kuba stationierte, setzten die USA die UdSSR unter Druck, sie abzuziehen, und die Welt stand kurz vor einem Atomkrieg.

Die europäische radikale Linke ist sowohl gegen Biden als auch gegen Putin, aber es gibt keine Antikriegsbewegung in den Vereinigten Staaten und in Russland ist keine möglich. Wir müssen uns jetzt zu Wort melden, uns zuerst gegen den US-Imperialismus aber auch gegen die russische Einmischung stellen und eine Bewegung für eine unabhängige Ukraine unterstützen, die nicht von den reaktionären Oligarchen des Landes kontrolliert wird.

4. Januar 2022
Dieser Artikel wurde für L'Anticapitaliste geschrieben, die Wochenzeitung der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) Frankreichs.
Dan La Botz lebt in den USA und ist Lehrer, Schriftsteller und Aktivist. Er ist Mitglied des Nationalkomitees der US-Organisation Solidarity.
Quelle: newpol.org
Übersetzung aus dem Englischen: Björn Mertens



Dieser Artikel erschien in der Online-Ausgabe von die internationale Nr. 2/2022 (März/April 2022) (nur online). | Startseite | Impressum | Datenschutz