Ökonomie

Trumps Deal mit der EU: kein Ende der Krise

Das Wehgeschrei in Europa ist groß: Trump gefährde den regelbasierten Welthandel und habe mit dem „Deal“ vom 28. Juli die EU über den Tisch gezogen.

Jakob Schäfer

Neben der Kritik an der US-Regierung wurde vor allem der EU-Kommission vorgehalten, sie habe zu viel nachgegeben. Martin Schirdewan (Europa-Abgeordneter der LINKEN) meinte, die EU agiere kopflos. Doch die EU konnte gar nicht anders, schließlich ist sie der geopolitische Juniorpartner der USA und hatte auf der strategischen Ebene schlechte „Argumente“.


Protektionismus der USA


 

„Krise ist jetzt“

Foto: Paul Goyette

Der protektionistische Kurs der USA ist nicht neu. Schon in Trumps erster Regierungszeit wurden Strafzölle gemäß Abschnitt 301 des Handelsgesetzes von 1974 erlassen. Biden ließ die Zölle bestehen und hat sie 2022 mit dem Inflation Reduction Act (IRA) sogar auf 18 Milliarden US-Dollar für Importe aus China erhöht (auf Elektrofahrzeuge wurden sogar 100 Prozent Zoll erhoben). Aber auch Halbleiter, Batterien, wichtige Mineralien, Stahl, Aluminium, Solarkomponenten und medizinische Güter sind seitdem betroffen. Diese Politik wird in den USA parteiübergreifend geteilt und ist eine Reaktion auf den Positionsverlust der US-Wirtschaft und auf das Dilemma, in dem sich die US-Wirtschafts- und Geldpolitik wegen der Funktion des Dollars als Leitwährung befindet. [1]

In diesem Zusammenhang ist China als Hauptfeind ausgemacht worden, weil dort seit vielen Jahren die Wachstumsraten am größten sind (weswegen der Abstand zur US-Wirtschaft immer kleiner wird) und vor allem, weil China technologisch gewaltig aufholt.

Trumps Beweggründe für den verschärften Kurs in seiner zweiten Amtszeit sind darin zu suchen, dass die Maßnahmen der Vergangenheit an dem gesunkenen Gewicht der USA nichts geändert haben. Jetzt soll mit rabiateren Mitteln die US-Industrie geschützt werden, um verlorenes Terrain am Weltmarkt zurückzugewinnen und – nicht zuletzt – um die US-Rüstungsindustrie in die Lage zu versetzen, ihren technologischen Vorsprung aufrechtzuerhalten.

Hinzu kommt, dass Trumps „großes schönes [Steuer]gesetz“ (zur Bereicherung der Reichen) ein Riesenloch in den Haushalt reißt und die Zolleinnahmen dies wenigstens zum Teil ausgleichen sollen. Heute, Stand Anfang August 2025, sind die USA allein auf Bundesebene mit 36,9 Billionen USD verschuldet, das sind aktuell 124 % des BIP. Mit Trumps „Big Beautiful Bill“ wird die Staatsverschuldung bis Ende 2034 um mindestens 3,3 Billionen Dollar steigen. (Ergänzend sei angemerkt: Die Gesamtschulden aller US-Bundesstaaten beliefen sich zum Ende des Fiskaljahres 2024 auf 3,02 Billionen USD.)

Die Folgen sind schon sichtbar: Moody‘s, die größte US-Ratingagentur, die die Ausfallwahrscheinlichkeit von Unternehmen überwacht, hat die Kreditwürdigkeit der US-Staatsschulden herabgestuft. Damit steigen die Zinsen, die von den Finanzinstituten für den Kauf von US-Staatsschulden verlangt werden. Die Rendite 30-jähriger Staatsanleihen ist inzwischen auf 5,04 % gestiegen, den höchsten Stand seit 2023, und belastet damit den US-Haushalt zusätzlich. Die USA müssen inzwischen jedes Jahr mehr als 1,1 Billionen USD Zinsen zahlen. Laut Moody‘s werden die Zinszahlungen bis 2035 voraussichtlich 30 % der Einnahmen der Bundesregierung ausmachen, verglichen mit 9 % im Jahr 2021.

Doch damit nicht genug: Die erhöhten Zinssätze wirken sich auch auf die Unternehmenskredite aus, was Investitionen erschwert. Der Haushaltsausschuss des Kongresses schätzt, dass die höheren Zolleinnahmen im ersten Jahr zwar mehr als 200 Mrd. USD einbringen, aber in den Folgejahren wird die Summe sinken, weil die Warenströme teilweise umgeleitet werden. Und selbst diese 200 bis 230 Mrd. USD sind nur ein Bruchteil des für dieses Jahr erwarteten Haushaltsdefizits von 1,8 Billionen US-Dollar.


Die EU konnte in der Tat erpresst werden


Der industriepolitische Sprecher der Bundestagsfraktion Die LINKE, Mirze Edis, hält den Deal für „eine Unterwerfung“ der EU. Eine solche Einschätzung setzt aber voraus, dass die EU mit der US-Regierung auf Augenhöhe verhandeln konnte.

Klar ist, die EU hat Federn gelassen: Die USA belegen EU-Waren mit einem Importzoll von 15 %, während die EU-Zölle – sie betrugen bisher im Schnitt 10 % – weitgehend abgeschafft werden. EU-Handelsbarrieren für Agrarprodukte werden abgebaut (in diesem Bereich wird also TTIP durch die Hintertür eingeführt [2]), der Handel mit Digitalprodukten wird für die USA erleichtert, auch Arzneimittel (außer Generika) werden in den USA mit Zöllen belegt usw. Vor allem aber: Die EU soll in den nächsten 3 Jahren jeweils Energie im Wert von 250 Mrd. USD kaufen (also v. a. Öl und Fracking-Gas) und in diesem Zeitraum soll die EU für 600 Mrd. USD in den USA investieren.

Die beiden letzten Posten sind der Hauptknackpunkt: 2024 hat die EU fossile Energie im Wert von 76 Mrd. USD gekauft. „Entweder müssten die US-Ölexporte vollständig in die EU umgeleitet werden oder der Wert der LNG-Importe aus den USA müsste sich versechsfachen“ so Arturo Regalado, Analyst beim Datenanbieter Kpler). Und bei den Investitionen ist der „Deal“ mindestens genauso abenteuerlich, schließlich ist die EU (etwa im Gegensatz zum staatskapitalistischen China) nicht in der Lage, auf dirigistische Weise die Investitionen der hier ansässigen Unternehmen umzulenken oder gar als Staat in diesem Umfang selbst zu investieren.

Diese beiden Knackpunkte sind damit gleichzeitig das Mittel, die es der US-Regierung erlauben werden, bei ihrer Nicht-Erfüllung den Deal vom 28. Juli 2025 aufzukündigen. All dies ist der EU-Kommission und der Bundesregierung natürlich voll bewusst und dennoch haben sie dem Abkommen zugestimmt, aus zwei Gründen:

Erstens ist die EU kaum minder protektionistisch. Sie weiß nicht nur um das Dilemma, das sich aus der Leitwährung Dollar ergibt, sondern auch um die eigene handelspolitische Abschottung, und zwar nicht nur gegenüber Afrika und Südamerika, sondern auch gegenüber den USA (etwa bei den eigenen Importzöllen, bei den Agrarexporten usw.) So schreibt der Thinktank der Bundesregierung, die Stiftung Wissenschaft und Politik:

„Es gibt eine hohe ausländische Nachfrage nach Dollar, etwa in Form von US-Staatsanleihen – was verhindert, dass er abwertet und die Währungen der Handelspartner aufwerten. Wäre der Dollar nicht Reservewährung, so Miran, würden Volkswirtschaften wie China und Deutschland ihre Überschüsse aus dem bilateralen Handel mit den USA in die eigene Landeswährung Yuan oder Euro wechseln, diese würden gegenüber dem Dollar aufwerten. […] Die USA haben 60 Jahre lang mit 2,5 Prozent einen sehr niedrigen Zoll auf die Einfuhr von Personenwagen […] erhoben. Die EU wiederum berechnet für Pkw einen Zoll von 10 Prozent […]. Fraglos war vor Trumps Zollerhöhungen das Schutzniveau in der EU deutlich höher als jenes in den USA. Ein in der Slowakei hergestellter Porsche-Geländewagen wurde so bis April 2025 bei der Einfuhr in die USA mit lediglich 2,5 Prozent Zoll belegt. […] Das Ergebnis der partiell protektionistischen Politik der EU ist eindeutig – auf ihrer Seite wachsen die Handelsbilanzüberschüsse. War 2011 im Warenhandel noch ein Fehlbetrag von 41,6 Milliarden Euro zu verzeichnen, so gab es 2020 einen Überschuss von 216,7 Milliarden Euro. […] Heute hat es […] den Anschein, als ob Deutschland als Blaupause für die gesamte EU fungierte. Zugespitzt formuliert: Die Länder der EU haben ebenso wie China das vielkritisierte Modell Deutschland übernommen und sind zu gigantischen Waren- und Kapitalexportmaschinen geworden. Die Folgen der enormen Überschüsse für den Rest der Welt werden in Brüssel und Peking geflissentlich übersehen. [Hinzu kommt:] Kapital bleibt angesichts [des] Zinsgefälles in den USA, was eine anhaltende Überbewertung des Dollar mit sich bringt. […] Das brutal erscheinende Vorgehen des heutigen US-Präsidenten ist auch eine Folge der Selbstgefälligkeit Europas, das seit langem darauf verzichtet, die Folgen seiner Geldpolitik jenseits der engen Beobachtung des Inflationsziels zu bedenken. Entsprechend wenig Hoffnung setzte US-Präsidentenberater Miran im November 2024 auf die Kooperationsbereitschaft der anderen Seite: Es gebe keinen Anlass zu erwarten, dass die Europäer (und die Chinesen) bereit seien, Maßnahmen zur Aufwertung ihrer Währung zu ergreifen.“ [3]

Die Bundesregierung weiß also mindestens aufgrund der Erkenntnisse ihres eigenen (staatlich finanzierten) Thinktanks bestens Bescheid, stellt aber in der Öffentlichkeit die Lage entgegengesetzt dar.

Zweitens ist die EU ein Teil der „westlichen Wertegemeinschaft“, also des Blocks, der letztlich vor allem mit Hilfe der NATO dem Rest der Welt diktieren will, wo es lang geht. Und in dieser NATO sind die Karten klar verteilt: Die USA sind die Macht, die im Verständnis und in der Logik imperialistischer Macht ihren militärischen Schutzschild zur Verfügung stellt, und zwar nicht nur atomar, sondern auch mit ihrem auf Satelliten gestützten Aufklärungssystem, ihrem umfangreichen Raketenarsenal, mit Hightech-Waffen usw.

Insofern hat Fabio de Masi in gewissem Umfang Recht, wenn er schreibt: „Die EU hat sich mit der Sanktionsspirale und den Aufrüstungszielen in eine strategische Sackgasse manövriert.“ Diese besteht darin, statt auf Deeskalation zu setzen, das Wettrüsten hochzufahren, die Blockkonfrontation neu zu beleben und mit der Militarisierung auch die Kriegsgefahr hochzutreiben.

China ist kein Vasall der USA und auf dieser Ebene nicht direkt erpressbar. Vor allem aber: China kann mit seiner staatskapitalistischen Wirtschaft viel flexibler reagieren und hat auch – mit seiner Marktmacht bei Seltenen Erden und anderen Waren – eine gewisse ökonomische Sicherheit, die es ihm erleichtert, Erpressungen zu widerstehen.

Dass es Trump nicht nur um rein ökonomische Ziele (und speziell die Bereicherung seiner Klasse) geht, zeigt das Beispiel Brasilien. Die brasilianische Regierung ist (noch) nicht Trumps Aufforderung gefolgt, für das Kassieren der Anklage gegen Bolsonaro zu sorgen. Also beschloss Trump am 30. Juli, brasilianische Waren mit Einfuhrzöllen von 50 % zu belegen. Trump setzt die Handelspolitik für politische Ziele ein, ist aber flexibel genug, schon nach wenigen Stunden den Export von Rohöl in die USA von der Liste zu nehmen, nachdem man ihm klar gemacht hatte, dass mit einem faktischen Öl-Exportstopp in die USA beide Seiten hart getroffen würden.

      
Mehr dazu
Michel Roberts: Donald Trumps „großes, schönes“ Steuergesetz, die internationale Nr. 5/2025 (September/Oktober 2025).
Michel Roberts: Zollkrieg verschärft die Krise, die internationale Nr. 5/2025 (September/Oktober 2025).
Büro der Vierten Internationale: Die ersten sechs Monate von Trump:. Eine Bedrohung für unseren Planeten und seine Bewohner, die internationale Nr. 5/2025 (September/Oktober 2025) (nur online).
Against the Current: Stand des Widerstands, die internationale Nr. 5/2025 (September/Oktober 2025) (nur online).
Jakob Schäfer: Protektionismus kontra Kapitallogik, die internationale Nr. 3/2017 (Mai/Juni 2017).
Yann Cézard: Können Grenzen die ArbeiterInnen schützen?, die internationale Nr. 1/2017 (Januar/Februar 2017).
 

Krise der kapitalistischen Wirtschaft


Der verschärfte Protektionismus der USA kann die amerikanische und erst recht die weltweite Wirtschaftskrise nicht lösen, sondern nur verschärfen. Schließlich ist das Kapital – aufgrund des tendenziellen Falls der Profitrate – ständig bestrebt, den äußeren und inneren Markt auszudehnen. Der Ausweg über historisch bedeutsame technologische Neuerungen, die der Kapitalverwertung Auftrieb verschaffen könnte, sind nicht absehbar. Ein Ausdruck davon sind die Erkenntnisse des bundesdeutschen Finanzministeriums von 2017, an denen sich nichts geändert hat:

„In Deutschland war das Wachstum der Arbeitsproduktivität, gemessen als Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Arbeitsstunde, im Zeitraum von 1990 bis 2015 in der Tendenz zwar positiv, die Zuwachsraten schwächten sich jedoch in diesem Zeitraum deutlich ab […]. Wurden Anfang der 1990er Jahre – aufgrund des Booms nach der deutschen Einheit – noch vergleichsweise hohe Raten von deutlich über 2 % verzeichnet, so stieg die Arbeitsproduktivität in den vergangenen Jahren nur noch mit rund 0,6 %.“ [4]

Auch im zweiten Quartal 2025 haben wir in der BRD einen Rückgang des BIP. Die Stagnation droht sogar in eine handfeste Rezession umzukippen. Für die weltweite Stagnation sind seit Jahren die zu geringen Kapitalverwertungsmöglichkeiten verantwortlich. [5] Die weltwirtschaftliche Krise kann sich schon ab Ende dieses Jahres verschärfen, wenn – als Folge der Zollpolitik – in den USA die Inflation anzieht. An diesen weltwirtschaftlichen Sachverhalten und der Krise des Kapitalismus kann auch das Investitionsprogramm der Bundesregierung nichts ändern. Das massive Aufrüstungsprogramm wird diese Krise sogar noch verschärfen, denn es sind rein konsumtive Ausgaben, die mit der Erhöhung der Zinszahlungen für die Kreditgeber nur deren Reichtum steigern werden, von den sonstigen Nachteilen militaristischer Politik noch ganz zu schweigen.


Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 5/2025 (September/Oktober 2025). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] Mehr dazu in Jakob Schäfer: Krise und Empire, die internationale Nr. 4/2025 (Juli/August 2025). Auch bei intersoz.org

[2] Was an TTIP und CETA abzulehnen ist, siehe auf der Website des BUND.

[3] SWP aktuell vom 23. Mai 2025, Heribert Dieter: Die unterschätzten Risiken in der US-Ökonomie. Trumps Zollpolitik ist fragwürdig, aber Handlungsbedarf besteht.

[4] https://www.bundesfinanzministerium.de/Monatsberichte/2017/10/Inhalte/Kapitel-3-Analysen/3-1-Produktivitaetsentwicklung-Deutschland.html

[5] Siehe dazu: Michael Roberts: „Trump’s slump“sowie: A capitalism in crisis, predatory and authoritarian, Interview with Romaric Godin.