Syrien

Normalisierung heißt Unterwerfung

Der Autor erläutert, warum die von al-Scharaa angestrebten „normalen“ Beziehungen zu Israel und eine Annäherung an die USA und ihre Verbündeten Syrien keine dauerhafte Stabilität bringen werden.

Joseph Daher

Seit dem Sturz des Assad-Regimes im Dezember hat die neue syrische Regierung unter der Führung von Hajat Tahrir al-Scham (HTC) Syrien auf die von den USA angeführte Achse ausgerichtet, um ihre Macht zu festigen. Dazu gehört auch eine gewisse Normalisierung der Beziehungen zu Israel, sei es direkt oder indirekt. Als jedoch mit Damaskus verbündete bewaffnete Gruppen kürzlich eine Militäroffensive in der südlichen Provinz Suwaida starteten, kam es zu Spannungen zwischen Damaskus und Tel Aviv.

Die israelischen Luftangriffe auf Syrien Mitte Juli wurden offiziell als Ergebnis eines Missverständnisses nach Gesprächen zwischen syrischen und israelischen Vertretern dargestellt. Die syrische Führung soll demnach Israel um Zustimmung zur Wiedereingliederung von Suwaida gebeten haben. Während Israel sich jedoch für eine begrenzte Wiedereingliederung, d. h. die Wiederaufnahme der öffentlichen Dienste und den Einsatz begrenzter lokaler Sicherheitskräfte, offen zeigte, interpretierte Damaskus dies als Genehmigung für eine groß angelegte Militäroperation.

Unabhängig von den Details zeigt sich einmal mehr, dass die syrische Regierung dazu neigt, auf Bestätigung und Unterstützung von außen zu setzen, um bestimmte politische Maßnahmen zu rechtfertigen, darunter auch Zwangsmaßnahmen gegen die einheimische Bevölkerung.

Einige Tage nach den Luftangriffen auf Damaskus musste Israel auf Druck aus Washington seine Operationen einstellen und einen Waffenstillstand schließen. Hochrangige Vertreter der USA, Israels und Syriens (darunter der syrische Außenminister Asaad al-Shibani) trafen sich am 24. Juli, um die Sicherheitslage im Süden Syriens zu erörtern und weitere Krisen zu verhindern. Obwohl das Treffen zu keinem endgültigen Abkommen führte, sollten die Gespräche fortgesetzt werden.

Nach den Ereignissen in Suwaida forderte jedoch ein Großteil der Bevölkerung der südlichen Provinz eine israelische Intervention. Der syrische Präsident Ahmed al-Scharaa erklärte daraufhin zwar zu Recht, dass das Vorgehen Israels die Integrität Syriens untergraben und den Staat schwächen, doch er selbst hat diese Situation herbeigeführt. Letztlich hat die autoritäre und diskriminierende Politik seiner Regierung den Weg frei gemacht für die Gewalttaten gegen die drusische Bevölkerung, weswegen diese auf eine Intervention von außen zu ihrem „Schutz“ drängte. Und zwar umso mehr, als es keine plausible demokratische Alternative auf nationaler Ebene gibt.


David gegen Goliath


Die „entschiedenen Worte“ von al-Scharaa gegenüber Israel wurden zu Schall und Rauch, als das Treffen zwischen dem syrischen Außenminister und einer israelischen Delegation (darunter der Minister für strategische Angelegenheiten Ron Dermer) über Deeskalation und Sicherheit in der Region vor einigen Tagen in Paris angekündigt wurde. Dass diese Ankündigung zum ersten Mal seit Jahrzehnten auch noch offiziell von der syrischen arabischen Nachrichtenagentur (SANA) ausging, zeigt obendrein, dass es darum geht, Tel Aviv zu beschwichtigen.

Dies überrascht nicht, da der Präsident seit Jahresbeginn wiederholt bekräftigt hat, dass sein Regime keine Bedrohung für Israel darstellt, und offenbar gegenüber Präsident Trump erklärt hat, dass er bereit sei, sich unter den „entsprechenden Bedingungen” den Abraham-Abkommen anzuschließen. Außerdem hat er zugegeben, dass es indirekte Verhandlungen mit Israel gäbe, zumal beide Länder „gemeinsame Feinde“ hätten, nämlich den Iran und die Hisbollah. Insofern könne Syrien durchaus „einen wesentlichen Beitrag zur Sicherheit in der Region leisten“.

Dazu passt auch, dass aus Damaskus kein Protest gegen die massiven israelischen Luftangriffe gegen den Iran erfolgte, da Syrien jede Schwächung der Islamischen Republik (und der Hisbollah im Libanon) zupass kommt. Diese Haltung rührt nicht nur aus der seinerzeitigen Unterstützung des Irans für Assad gegen die aufständischen Kräfte, sondern entspricht auch der politischen Ausrichtung der neuen Machthaber, die sich an der US-Politik orientieren. Syrien hat sogar die Grenzkontrollen zum Libanon verschärft und konfisziert regelmäßig für die Hisbollah bestimmte Waffen.


Letztlich deutet alles auf eine Normalisierung der Beziehungen zu Israel hin.


Auch wenn die US-Sanktionen gegen Syrien bisher noch nicht offiziell aufgehoben worden sind, ist klar, dass dies nur passieren kann, wenn zuvor Verhandlungen und Zugeständnisse hinsichtlich der Kontrolle palästinensischer politischer und bewaffneter Akteure und der Normalisierung der Beziehungen zu Israel erfolgt sind. Tatsächlich wurden bereits mehrere palästinensische Führer in Syrien festgenommen, darunter Mitglieder des Palästinensischen Islamischen Dschihads (PIJ) und der Führer der Volksfront für die Befreiung Palästinas – Generalkommando, der ein Verbündeter des ehemaligen Assad-Regimes war. Einige Führer palästinensischer bewaffneter Fraktionen, die größtenteils mit dem ehemaligen syrischen Regime verbunden waren, wurden ebenfalls gezwungen, das Land zu verlassen.

Die Verantwortlichen beider Länder führten direkte Gespräche, angeblich unter Vermittlung der Vereinigten Arabischen Emirate, die einen geheimen Kommunikationskanal eingerichtet hätten. Kürzlich erklärte der israelische Außenminister öffentlich seine Bereitschaft zu diplomatischen Beziehungen mit Syrien und dem Libanon, vermied jedoch eindeutig jede Diskussion über die seit 1967 von Israel besetzten Golanhöhen.

Erschwerend kommt hinzu, dass der ehemalige Direktor des Krankenhauses von Aleppo und langjährige Befürworter einer Normalisierung, Shadi Martini, im Juli direkt aus Syrien nach Israel gereist ist, um an einer Sitzung der Knesset teilzunehmen und somit den Normalisierungsprozess voranzutreiben. Vor seiner Reise hatte Martini al-Scharaa getroffen, der das Ereignis laut Martini als „einzigartige Chance für den Nahen Osten“ bezeichnet hatte.


Syriens Zukunft bleibt düster


Die Positionierung Syriens fest an der Seite der USA (und ihrer regionalen Verbündeten) dient auch dazu, ausländische Investitionen anzuziehen. Bereits in den letzten Monaten haben diese zugenommen, insbesondere von Investoren aus den Golfstaaten. Dies fügt sich ein in eine zunehmende Liberalisierung der Wirtschaft, insbesondere durch die Privatisierung staatlicher Vermögenswerte und Sparmaßnahmen in der Sozialpolitik.

      
Mehr dazu
Joseph Daher: Voraussetzungen für den Wiederaufbau, die internationale Nr. 5/2025 (September/Oktober 2025).
Joseph Daher: Die Revolution im Nahen Osten und die „Achse des Widerstands“, die internationale Nr. 3/2025 (Mai/Juni 2025).
Büro der Vierten Internationale: Nein zu den Massakern an den Alawit:innen in Syrien!, die internationale Nr. 3/2025 (Mai/Juni 2025). Online bei intersoz.org.
18. Weltkongress – 2025: Keine Aggression gegen Syrien!, die internationale Nr. 3/2025 (Mai/Juni 2025). Auch bei intersoz.org.
Interview mit Joseph Daher: Die Rebellion in Syrien verstehen, die internationale Nr. 1/2025 (Januar/Februar 2025).
Gilbert Achcar: Wohin treibt Syrien?, die internationale Nr. 1/2025 (Januar/Februar 2025) (nur online).
Joseph Daher: Was lehrt uns die Geschichte der syrischen Revolution?, die internationale Nr. 5/2020 (September/Oktober 2020).
 

Entgegen den Aussagen der neuen Machthaber und ihrer Anhänger gibt es jedoch keine Garantie dafür, dass das Bündnis mit den westlichen Mächten und die Normalisierung der Beziehungen zu Israel die wirtschaftliche und politische Lage des Landes verbessern werden. Man muss sich nur die Entwicklung Ägyptens nach dem Friedensabkommen mit Israel im Jahr 1981 ansehen. Trotz einer jährlichen Finanzhilfe von etwa 1 Milliarde Dollar durch die USA hat sich die sozioökonomische Lage seitdem stets verschlechtert. Die soziale Ungleichheit hat erheblich zugenommen, ebenso die Armut, sodass 2024 mehr als ein Drittel der Bevölkerung als arm galt.

Anfang des Jahres haben die ägyptischen Behörden Millionen von Menschen den Zugang zu vergünstigten Lebensmitteln wie Brot etc. entzogen und gleichzeitig den Preis für staatlich subventioniertes Brot erhöht, um den Staatshaushalt zu „entlasten”. Diese jüngsten Sparmaßnahmen wurden nach wiederholten Abwertungen der ägyptischen Währung und einer drastischen Kürzung der Subventionen für Strom, Kraftstoff und Trinkwasser ergriffen. Diese Situation hat zu Frustration und zunehmenden Protesten unter den armen ägyptischen Bevölkerungsschichten, die nun zur Kasse gebeten werden, geführt.

Die ägyptische Wirtschaft im Ganzen steckt in einer tiefen Krise. Die Auslandsverschuldung ist von 55,8 Milliarden Dollar im Jahr 2016 auf 164,5 Milliarden Dollar im Jahr 2023 gestiegen, was durch die Aufnahme weiterer Auslandskredite und die hohen Zinssätze noch verschärft wird.

Gleichzeitig hat Ägypten nach und nach seine Souveränität verloren und sich den Interessen der USA und Israels angepasst. Davon zeugen seine Rolle bei der Blockade des besetzten Gazastreifens (insbesondere während des aktuellen Völkermords) sowie die gewaltsame Unterdrückung der Solidaritätsaktionen mit Palästina während des Marsches für Gaza.

Wenn das alles ist, was das „neue Syrien“ erwartet, dann ist der Kurs, den die derzeitige Führung des HTC eingeschlagen hat, zutiefst beunruhigend.

Es klingt einfach, aber die Zukunft liegt in einem politischen und wirtschaftlichen System, das auf Demokratie, Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit basiert und sich mit dem palästinensischen Volk und anderen Völkern der Region gegen alle Formen der Unterdrückung solidarisch zeigt. Keine anderweitigen Zugeständnisse werden das Volk aus der Armut und Unterdrückung befreien, denen es seit langem ausgesetzt ist. Um es mit den Worten eines syrischen Revolutionärs zu sagen, der im Sommer 2014 aus den von Israel besetzten syrischen Golanhöhen schrieb: „Freiheit – ein gemeinsames Schicksal: Gaza, Yarmouk und der Golan.“

Quelle: The New Arab vom 21. August 2025
Französische Version in inprecor
Joseph Daher ist ein syrisch-Schweizer Forscher mit Schwerpunkten Syrien, Libanon, Palästina und Mitglied der sozialistisch-feministischen Organisation solidaritéS in der romanischen Schweiz.
Übersetzung aus dem Französischen: MiWe

Quelle: L’avenir de la Syrie ne sera pas assuré par la normalisation avec Israël, Inprecor, Übersetzung: MiWe
Quelle: Syria's future won't be secure through Israel normalisation, The New Arab



Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 6/2025 (November/Dezember 2025). | Startseite | Impressum | Datenschutz