Ökologie

Energiesteuer auf Kosten der Dritten Welt

Es ist schon bemerkenswert, daß in allen Diskussionen über eine Energiesteuer nur Auswirkungen auf der Nachfrageseite, bei den Verbrauchern, betrachtet werden. Die Anbieter, also im wesentlichen die OPEC-Staaten, werden ausgeblendet. Doch diese Ignoranz wird sich rächen. Mohssen Massarrat, Politikprofessor in Osnabrück, meint, daß die Besonderheiten des internationalen Energiemarkts verhindern werden, daß eine derartige Steuer verbrauchssenkend wirken könnte. [1]

Gerd Kersten

Er bezieht sich in seinen Überlegungen auf eine alleinige Besteuerung von (fast ausschließlich) importiertem Mineralöl und -gas, was er für die wahrscheinlichste Form hält, da hierfür ein größerer Konsens zu finden wäre als für eine CO2-Steuer (die auch Kohle trifft) oder die ökologisch sinnvollste Steuer auf alle nichterneuerbaren Energien (die auch die Atomkraft trifft).

In einem normalen Markt würden Verbraucher auf eine Preissteigerung mit Verbrauchseinschränkung reagieren. Die Anbieter hingegen würden versuchen, die Produktion auszuweiten - und zwar so lange, wie ihre Grenzkosten (die Kosten für die letzte, zusätzlich produzierte Einheit) noch unter dem Marktpreis liegen, weil sie dann immer noch einen Gewinn machen können. Klassischer Fall wäre die Einführung von Sonderschichten, für die zwar ArbeiterInnen und Rohstoffe aber keine zusätzliche Technik erforderlich sind. Bei niedrigen Marktpreisen würden sie hingegen die unwirtschaftlichsten Produktionskapazitäten stillegen (bei dauerhaftem Preisverfall würden die unwirtschaftlichsten Produzenten Bankrott gehen). Das Angebot steigt also gewöhnlich mit steigendem Marktpreis, die Nachfrage hingegen fällt.

Bei diesem über den Marktpreis vermittelten Wechselspiel von Angebot und Nachfrage würde die Steuererhöhung den Verbraucher zu Einschränkungen drängen und die verringerte Nachfrage den Preis drücken und damit das Angebot sinken lassen. Die Steuer würde also je zur Hälfte vom Verbraucher und vom Anbieter bezahlt, der Verbrauch würde zurückgehen.

Anders die Situation bei der Ölproduktion. Die Grenzkosten sind extrem niedrig (das Öl läuft [heute noch] „fast von selbst“ aus dem Boden), so daß die Preisgestaltung ausschließlich politisch erfolgt. Die OPEC hätte zwei Möglichkeiten, auf sinkende Nachfrage zu reagieren: sie könnte die Produktion einschränken, um das Preisniveau zu halten, sie kann aber auch die Produktion weiter steigern, um die Gesamteinnahmen zu stabilisieren. Zu welcher der Alternativen sie greift, ist eine Frage ihrer politischen und ökonomischen Stärke und Geschlossenheit. Nur 1973/74 und 1979/80 war sie stark genug, die erste Alternative, das eigentlich klassische Marktverhalten, durchzusetzen. Seither - und der Golfkrieg hat dies festgeschrieben - herrscht nur noch die zweite Taktik der Produktionsausweitung.

      
Mehr dazu
Daniel Tanuro: Was steckt hinter der CO2-Steuer?, die internationale Nr. 4/2017 (Juli/August 2017)
Alan Thornett: Daniel Tanuro über „grünen Kapitalismus”, Inprekorr Nr. 6/2014 (November/Dezember 2014)
Alan Thornett: James Hansens „Ausstiegsstrategie“ aus der globalen Erwärmung, Inprekorr Nr. 3/2014 (Mai/Juni 2014) (nur online)
Daniel Tanuro: Die Grundlagen einer ökosozialistischen Strategie, Inprekorr Nr. 6/2011 (November/Dezember 2011)
Ökologie-Kommission der SAP (NL): Öko-Steuern - eine kritische Betrachtung, Inprekorr Nr. 281 (März 1995)
Gerd Kersten: Öko-Steuern - einige kritische Anmerkungen, Inprekorr Nr. 281 (März 1995)
 

Der Süden zahlt die Steuer


Bei diesem Marktverhalten des Anbieters ist die Wirkung der Ölsteuer scheinbar paradox: das vergrößerte Angebot führt zu sinkenden Preisen und damit steigendem Absatz. Im Ergebnis sind der Verbrauch und der Endverbraucherpreis derselbe wie vor der Steuererhöhung, nur der Verkaufspreis der OPEC-Staaten ist gefallen - einziges Ergebnis ist ein Wertetransfer von der Dritten in die Erste Welt, der ökologische Nutzen ist gleich Null.

Mohssen Massarat weist darauf hin, daß aus dieser Zwickmühle nur ein globaler Konsens herausführt (etwas „orthodox“ würde man von einem globalen Wirtschaftsplan sprechen). Eine Obergrenze der Energieproduktionsmenge (getrennt nach Energieträgern und Erzeugerländern) müßte beschlossen werden. Die Ölanbieter würden sich dazu verpflichten, sie nicht durch Niedrigpreispolitik oder Schwarzmarktgeschäfte zu unterlaufen und im Gegenzug Ausgleichszahlungen für entgangene Einnahmen erhalten (vielleicht auch in Form der Finanzierung konkreter nützlicher Projekte). Die eigentliche Preisgestaltung nach einer global erhobenen und verwalteten, auf Schadstoffmengen bezogenen Energiesteuer könnte dann der Markt übernehmen.

Mohssen Massarats Überlegungen werden durch die jahrzehntelange Praxis der Mineralölsteuererhöhungen bestätigt. Ihr einziges Ergebnis war ein Einnahmezuwachs für die Finanzminister der Industrieländer und ein Einnahmerückgang für die Ölminister der OPEC-Staaten - bei gleichbleibendem Absatz. Die wirklich drastischen Verbrauchssenkungen in den 70er Jahren waren Folge der konsequenten Politik der OPEC, deren drastische Ölpreissteigerungen ökologisch viel mehr bewegt haben als alle Steuern. Anders als in der „Ölschock“-Hysterie der 70er Jahre tritt heute eine große Mehrheit dafür ein, daß Energie teurer werden muß. Warum nicht zusammen mit den ölproduzierenden Ländern statt gegen sie?


Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 281 (März 1995). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] Mohssen Massarat: Energiebesteuerung aus der Sicht des Nord-Süd-Konfliktes, in: Politische Ökologie Nr. 31 und 33 (1993); derselbe: Endlichkeit der Natur und Überfluß in der Marktökonomie, Metropolis Verlag Marburg (1993).