Gerd Kersten
Uns ist klar, daß alle etwas entschiedeneren Eingriffe in die Gesellschaft schnell die Macht des Kapitals und seiner Gesetze (Recht auf Eigentum) zu spüren bekommen. Da versuchen beispielsweise Landesregierungen, Atomanlagen stillzulegen oder zu verhindern - und werden prompt zu Schadenersatz verurteilt.
Dennoch predigen wir nicht nur von den goldenen Zeiten des Sozialismus, sondern machen Politik heute. Aber wir machen sie - und das ist Kern unserer politischen Identität - um Menschen zum Kampf für Teilforderungen zu ermutigen, in denen sie Bewußtsein für weitergehende Forderungen entwickeln. Und somit stellt sich sofort die erste Frage: lassen sich um die Forderung für Ökosteuern Kämpfe entwickeln?
Die zweite Frage ist: würden die Ökosteuern wirklich etwas ändern? Dabei muß man zwei Zielgruppen (oder handelnde Subjekte) auseinanderhalten: die Industrie und die einzelnen Menschen. Letztere handeln gewiß nicht nach scharfen Rentabilitätskriterien: denn das Auto wird genutzt, obwohl es so ziemlich das teuerste aller Verkehrsmittel ist - und dann werden wieder von vielen „Ökoprodukte“ gekauft, obwohl sie teurer sind. Bei dieser Gruppe würde ich ausschließlich auf Information und geduldige Überzeugungsarbeit setzen; jeder Versuch, sich dieser Mühe zu entziehen, endet damit, die Menschen durch irgendwelche Hebel (Steuern, Verbote) zu etwas zu zwingen, was sie nicht wollen, sie „zu ihrem Glück zu zwingen“. Und da sind wir beim zweiten Kern unserer politischen Identität: nichts und niemand kann die Selbsttätigkeit der Menschen ersetzen - das ist unsere Bilanz von Gewerkschaftsbürokratie und Stalinismus. Wer soll denn die Steuern kassieren, die Verbote überwachen? Finanzbeamte, Polizisten, also mehr Staat statt mehr Selbstorganisation - auch damit zielt die Forderung politisch in die falsche Richtung.
Doch der Grund, warum trotz Bewußtsein so wenig passiert, liegt tiefer: ich zahle zwar die Gasrechnung, aber der Heizkessel und die Fenster gehören meinem Vermieter - er müßte investieren, damit ich Energie sparen kann: Die Zersplitterung des kapitalistischen Marktes verhindert ganzheitliche Lösungen.
Ganz anders liegt die Frage bei der Industrie. Das Kapital rechnet sehr genau nach maximaler Rentabilität (wobei die Natur „natürlich“ als gratis betrachtet wird). Viele ökologische Maßnahmen wären heute schon rentabel, passieren aber trotzdem nicht. Zum einen gibt es immer noch Unkenntnis und Skepsis, die durch mehr Beratung vielleicht zu überwinden wäre. Zum andern ist „rentabel“ aber eine Frage des Zinsniveaus: bei hohen Zinsen unterbleiben auch Energiesparinvestitionen, die sich schon nach drei Jahren bezahlt machen würden, weil die Abzinsung den Effekt auffrißt bzw. anderswo kürzere Kapitalrücklaufzeiten zu realisieren sind. Oder anders ausgedrückt: wenn schon Spekulationsgeschäfte interessanter als produktive Investitionen sind, dann allemal interessanter als langfristige ökologische Investitionen. Daran würden Ökosteuern nichts ändern, höchstens zweckgebundene günstige Kredite.
Von ähnlicher Bedeutung, „eigentlich rentable“ ökologische Investitionen kaputtzurechnen, sind die im obigen Text bereits erwähnten degressiven Preise: hohe Grundgebühr und niedriger Verbrauchspreis verleiten zu Mehrverbrauch und machen Einsparinvestitionen, die sich gegen den niedrigen Verbrauchspreis rechnen müssen, unrentabel. Der Privatverbraucher kennt es vom Auto: nachdem es bezahlt ist (und bis die nächste Reparatur kommt) ist der Benzin-Kilometerpreis viel billiger als der Kilometerpreis der Eisenbahn. Industriestrom wird genauso abgerechnet: hoher Grundpreis und spottbillige Kilowattstunde. Derartige Preisgestaltung gibt es nur in geschlossenen Märkten (Monopole) und es wäre eine Aufgabe der Politik, dagegen wegen Wettbewerbsbehinderung anzugehen. Bei den Strompreisen hat die Ökologiebewegung einen langen und teilweise erfolgreichen Kampf um lineare Tarife geführt; bei der Konkurrenz Auto/Eisenbahn ging sie den umgekehrten Weg, auch bei der Eisenbahn einen degressiven Preis zu fordern, was mit der Einführung der BahnCard Erfolg hatte - und jetzt zur Vielfahrerei ermutigt.
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Wir sprechen hier nicht über eine sozialistische Wirtschaftsordnung, sondern über Reformen. Es sollte (uns) klar sein, wie eng die Grenzen sind, die kapitalistische Marktwirtschaft durch Steuern dazu dressieren zu wollen, daß sie das tut, was wir von ihr wollen. Erstes Indiz dafür ist, daß bei allen wirklich realisierten Ökosteuerprojekten die Großindustrie die erste war, die Ausnahmen für sich durchsetzte. Tatsächlich wird das Kapital es sich nicht gefallen lassen, mit nennenswerten „künstlichen“ Kosten beaufschlagt zu werden. Wer wirklich fühlbare Abgaben durchsetzen will, sollte sich überlegen, wo die Kraft dafür herkommen soll.
Auch wer die Forderung nach Ökosteuern kritisch sieht, wird sicher keinen Kampf dagegen organisieren, höchstens gegen unsoziale Konsequenzen. Doch unser Ansatz muß eher sein, umweltfeindliches Verhalten schrittweise, durch Schaffung von Alternativen aber auch durch Verbote, zurückzudrängen, was nur von breiten Bündnissen durchgesetzt werden kann. Ferner sollte zentrale Forderung sein, daß nicht ökonomisch verhindert werden darf, was ökologisch sinnvoll ist.
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 281 (März 1995). | Startseite | Impressum | Datenschutz