Die Europäische Union baut auf der Macht der multinationalen Konzerne auf, die nach Profitkriterien und dem unantastbaren Prinzip des Privateigentums funktionieren. Die EU steht für ein neoliberales Europa, in dem mittels Währungsunion und Stabilitätspakt immer drastischere Sparmaßnahmen durchgezogen werden. Die Alternative zu dieser EU ist ein Europa, in dem die Arbeit Vorrang vor dem Kapital hat und die Gemeinschaft mehr zählt als die Privatinteressen. Ein soziales Europa, das der Überwindung der Arbeitslosigkeit – dem größten Übel unserer Zeit – und der Befriedigung der sozialen Bedürfnisse der breiten Bevölkerungsmehrheit klare Priorität einräumt.
François Vercammen
Meinungsumfragen und soziale Mobilisierungen zeigen, daß ein wachsendes Interesse an einer solchen Alternative besteht. Die Möglichkeit zeichnet sich ab, rund um konkrete Forderungen eine breite Aktionseinheit zwischen verschiedenen Strömungen der sozialen Bewegungen zu bilden. Doch wie läßt sich ein alternatives Europa gegen die aktuellen Strukturen der EU und den Widerstand der Unternehmer durchsetzen? Der vorliegenden Beitrag greift die Diskussion über diese Frage auf. Im folgenden soll – selbst auf die Gefahr einer allzu schematischen Darstellung hin– kurz auf die Sichtweise anderer Strömungen aus der Arbeiterbewegung und der sozialen Bewegungen kritisch eingegangen werden, bevor eigene Vorschläge zur Diskussion gestellt werden.
Ohne die Unterstützung der Sozialdemokratie – die in der europäischen Arbeiterbewegung die Hegemonie innegehabt hat – und ihre Zusammenarbeit mit den konservativen und liberalen bürgerlichen Kräften hätten die EU-Institutionen und Strukturen nicht aufgebaut werden können. Ob aus bewußter Entscheidung oder aus Illusionen heraus, die Sozialdemokratie hat sich an die EU als einzig zählender Alternative geklammert und ihr als Symbol demokratischer und sozialer Werte alle denkbaren Tugenden zugesprochen.
Angesichts des Demokratiedefizits der EU wurde, wenn auch nicht sehr überzeugend, für eine soziale Reform und Demokratisierung der europäischen Institutionen plädiert, wobei die Stabilität und Stärkung der EU-Institutionen stets Priorität hatten. Die Sozialdemokraten betrachten die EU als ein Bollwerk gegen den wachsenden Nationalismus und die Extreme Rechte. Letztere nährt sich in Wirklichkeit von dem im Namen der EU durchgesetzten sozialen Rückschritt, der die europäische Idee in Verruf bringt. Die sozialdemokratische Strategie ist klar gescheitert. Nun soll in einer Rettungsaktion die soziale Dimension in den neuen Vertrag integriert werden, was jedoch wenig überzeugend wirkt.
In der Arbeiterbewegung und den sozialen Bewegungen wächst die Opposition gegen die EU. Allen gemeinsam ist der Wille, sich gegen die katastrophalen Auswirkungen des in Aufbau befindlichen Europas zu wehren. Doch dafür werden unterschiedliche Strategien vorgeschlagen. Ein in manchen Ländern relativ starker nationalistischer linker Flügel in den Sozialdemokratischen oder Kommunistischen Parteien (in Frankreich Chevènement, in Deutschland Lafontaine, in Großbritannien ein breiter Flügel in der Labour-Party) spricht sich gegen die sozialdemokratische Integrationspolitik aus. Er kritisiert den undemokratischen Charakter der EU, die Einheitswährung, die europäische Zentralbank und die zum Sündenbock gestempelte EU-Kommission in Brüssel. Zur Bekämpfung der Krise schlagen sie eine Ankurbelung der Wirtschaft im nationalen Rahmen vor. Sie verteidigen ihre jeweiligen Nationalstaaten, den nationalen Parlamentarismus, die Nationalbanken und die eigenen Währungen und sind selbst vor nationalistisch-chauvinistischen Tönen, die die ArbeiterInnen und Völker gegeneinander ausspielen, nicht ganz gefeit. In letzter Konsequenz ist diese nationale Einigelungsstrategie nicht nur illusorisch, sondern auch schädlich.
Andere Teile der europäischen Linken (Sozialdemokraten, Kommunisten, Grüne, GewerkschafterInnen, AktivistInnen der sozialen Bewegungen) mobilisieren gegen die Folgen der EU und ihrer neoliberalen Politik. Doch vor einer radikalen Kritik und einer konsequenten Mobilisierung gegen die EU schrecken sie zurück, da sie politisch und praktisch eine institutionelle Krise der EU fürchten, die den Nationalismus anheizen und damit die extreme Rechte stärken könnte. So beschränken sie sich wider besseres Wissen auf die Verteidigung und Reformierung der europäischen Institutionen, der Einheitswährung und der europäischen Zentralbank als Ausgangspunkt für eine alternative Sozial-, Umwelt- und Demokratiepolitik. Ihre Kritik hat sich in letzter Zeit verschärft, doch zögert sie noch vor einem Bruch. Damit gelingt es dieser europäischen Linken nicht, eine umfassende und überzeugende Alternativstrategie anzubieten.
Die radikale Linke (in Parteien, Sozialbewegungen und Gewerkschaften) lehnt die EU völlig ab. Sie wird zurecht als ein kapitalistisches und imperialistisches Gebilde kritisiert. Dabei wird jedoch übersehen, daß sie ein zusätzliches Machtinstrument in den Händen des Großkapitals darstellt. Eine verkürzte Analyse unterschätzt, welche Bedeutung der fortschreitende Aufbau und eine allfällige Verwirklichung der Europäischen Union für die täglichen antikapitalistischen Abwehrkämpfe der ArbeiterInnen hat. Wie in der reformistischen Linken finden sich auch hier zwei gegensätzliche Haltungen: eine basisbetonte, bei der vor allem Gewicht auf die Auseinandersetzung mit den Unternehmern und der Regierung der einzelnen Länder gelegt wird. Die Arbeiterschaft bekämpft somit den Kapitalismus im nationalen Rahmen, ohne sich um die supranationale Ebene der Europäischen Union zu kümmern, was nicht selten auf eine nationalistische Haltung hinausläuft. Die andere Strategie setzt auf eine internationalistische und sozialistische Propaganda und konzentriert sich auf Solidaritätsaktionen mit anderen europäischen Kämpfen. Ein abstrakter Internationalismus bietet allerdings keine Antwort auf die Krise der EU. Keine der beiden Haltungen stellt eine ausreichende Grundlage zur Erarbeitung eines detaillierten Programms und einer ausgereiften Strategie gegen die EU oder einen ernsthaften Versuch zum Aufbau der Arbeiterbewegung oder der sozialen Bewegungen im europäischen Rahmen dar. Eine wirkliche Antwort muß von Anfang zwei Ebenen miteinander verbinden: die sozialen Bewegungen einerseits und die staatlichen Strukturen andererseits.
Um die Kräfteverhältnisse zu verändern, bedarf es einer kämpferischen Arbeiter- und Sozialbewegung, der Mobilisierung der öffentlichen Meinung und einer aktiven Zivilgesellschaft. Die politischen und sozialen Auseinandersetzungen finden noch immer und vor allem im nationalen Rahmen statt, geraten jedoch mit der EU in Konflikt, die die neoliberale Politik zentral koordiniert. So taucht in den Solidaritätsaktionen, Forderungen, Aktions- und Organisationsformen spontan die europäische Dimension auf. Die sozialen Bewegungen beginnen, sich auf europäischer Ebene zu koordinieren, wenn sie auch gegenüber den Regierungen und der herrschenden Klasse deutlich in Verzug sind. Es handelt sich um Anfänge eines Aufbaus einer aktiven und kämpferischen Gewerkschaftsbewegung. Der Europäische Gewerkschaftsbund selbst stellt keine eigentliche Gewerkschaft dar, sondern ist eine leere Hülle, die von den nationalen Gewerkschaftsapparaten benützt wird, um Druck auf EU-Kommission und -Rat auszuüben.
Die Fortsetzung der neoliberalen Politik durch die EU könnte jedoch zu einer positiven Wende führen. Es könnte nicht nur an der Basis zu übergreifenden Aktionen kommen, sondern Teile des Gewerkschaftsapparates (auf Betriebs-, Branchen- oder regionaler Ebene) könnten unter dem Druck der Entwicklung im europäischen Maßstab initiativ werden. Die Bildung europäischer Betriebsräte (ohne jegliche reale Macht) in einer Reihe von multinationalen Konzernen hat ebenfalls positive Auswirkungen: Sie ermöglicht den AktivistInnen, grenzübergreifende Kontakte zwischen den einzelnen Betriebsstrukturen zu knüpfen.
Die sozialen Bewegungen außerhalb der Arbeiterbewegung haben zwar einen geringeren Einfluß auf das gesellschaftliche Kräfteverhältnis, aber lebendigere Strukturen und sind in ihren Aktionen energischer und vielfältiger. Solche gemeinsamen, grenzüberschreitenden Aktivitäten müssen durch breite Kampagnen und Aktionen gefördert und durch gemeinsame Forderungskataloge und Bündnisse gefestigt werden. Beispiele dafür sind die Gewerkschafter von Renault, die einen europäischen Tarifvertrag für alle zum Konzern zählenden Betriebe und davon ausgehend für den gesamten Automobilsektor in Europa fordern; die Ansätze zur Koordinierung oder Vereinigung verschiedener Branchengewerkschaften unter einem gemeinsamen europäischen Dachverband auf der Basis gemeinsamer Forderungen (z.B. im Druckereibereich) oder gemeinsame Aktionen der EisenbahngewerkschafterInnen. Nach und nach kristallisieren sich gemeinsame Forderungen nach sozialen Mindeststandards in der gesamten EU heraus (garantierter Mindestlohn, garantierte minimale Sozialversicherung, Höchstarbeitszeiten, Sicherheitsnormen, hygienische Standards etc.)
Es genügt allerdings nicht, es bei diesen ersten Ansätzen einer europäischen Strategie zu belassen; daneben muß auf EU-Ebene eine eigene politische Perspektive eröffnet werden. Diese kann je nach Situation und Geschichte der einzelnen Mitgliedsländer unterschiedliche Formen annehmen. Manche Länder (insbesondere Skandinavien) sind erst seit kurzem in der EU, der Beitritt war sehr umstritten, die EU-Opposition setzt sich vorwiegend aus Linken zusammen, die Wirtschaft ist noch nicht so eng eingebunden und die sozialen Normen, die von der EU vorgeschrieben werden, bedeuten oft einen deutlichen Rückschritt gegenüber den sozialen, ökologischen und demokratischen Standards dieser Länder. Unter diesen Bedingungen bedeutet der Kampf für einen Austritt aus der EU eine Schwächung derselben. Doch erfordert dies eine klar internationalistische und linke Grundlage.
In den Kernländern der EU, deren Wirtschaften eng miteinander verflochten sind, macht in den Augen der ArbeiterInnen eine Ablehnung der EU keinen Sinn, solange ihr nicht eine soziale und wirtschaftliche Alternative auf europäischer Ebene gegenübergestellt werden kann. Ein Austritt aus der EU im Namen der nationalen Souveränität wird in diesen Ländern vor allem von der extremen Rechten gefordert. Um eine radikale Umorientierung der Wirtschaft und der Gesellschaft durchsetzen zu können, müßte auf jedem Fall eine andere Regierung gebildet, ein politischer Machtwechsel vollzogen werden. Ein solches Vorgehen hatte in den letzen 150 Jahren seine Berechtigung, ist heute aber auf nationaler Ebene nicht mehr glaubwürdig und sinnvoll. Denn erstens scheint sich der politische Einfluß zu verflüchtigen, da die Macht auf nationaler Ebene abgegeben wird, ohne jedoch vollständig auf die EU überzugehen – in der im übrigen die wichtigen Entscheidungen von den Regierungen der Mitgliedsländer getroffen werden. Zweitens liegt die wirtschaftliche Macht mittlerweile in den Händen der multinationalen Konzerne. Die Finanzmärkte reagieren unmittelbar auf jede abweichende nationale Wirtschafts- oder Sozialpolitik, was durch die EU verstärkt wird. Und drittens sind alle großen Aufgaben (Wirtschaftsankurbelung, Kontrolle über die Finanzmärkte, Überwindung der Arbeitslosigkeit, großflächige Infrastrukturen, Regionalausgleich, Migrationsbewegungen, Abbau des Atomwaffenarsenals, Verkehrsachsen, Sozial-, Wirtschafts- und Umweltpolitik) im nationalen Rahmen nicht mehr lösbar. Sie erfordern eine verstärkte und institutionalisierte Zusammenarbeit. Die Mehrheit der Bevölkerung ist sich dieser Entwicklung sehr wohl bewußt, da sie täglich im Kulturellen (Medien), in der Arbeit oder beim Konsum damit konfrontiert ist. Doch das führt in erster Linie zu einem immensen Gefühl der Ohnmacht. Denn die traditionelle Arbeiterbewegung stellt keinen geeigneten Rahmen dar, um diese Hindernisse zu überwinden – und das wird sich in absehbarer Zeit nicht ändern.
Der Aufbau der Europäischen Union in ihrer heutigen Form erfolgte mit voller Unterstützung der sozialdemokratischen Parteien und Gewerkschaften. Sie haben erfolgreich verhindert, daß die Fülle an sozialen Rechten und taktischen Mittel, die sich die Arbeiterbewegung auf nationaler Ebene durch ein Jahrhundert harter Kämpfe erobert hat, auf EU-Ebene übernommen wird (kollektive Tarifverträge, gewerkschaftliche und soziale Rechte, Kontrolle des Produktions- und Arbeitsprozesses in den Betrieben, sozialpartnerschaftliche Einrichtungen und Mitbestimmungsorgane auf allen Ebenen des wirtschaftlichen und politischen Lebens, Einfluß auf die Gesetzgebung durch die traditionellen Parteien, die Taktik von Druck, Mobilisierung und Verhandlung in Arbeitskämpfen etc.). Daraus muß die strategische Schlußfolgerung gezogen werden, daß es vermutlich zuerst in einem Mitgliedsland der EU zu einem Bruch kommen wird, doch die Lösung der Krise auf EU-Ebene zu suchen ist.
Heute kann unmittelbar weder auf die traditionelle Arbeiterbewegung gezählt werden (die es auf europäischer Ebene nicht gibt), um den Kampf für die wesentlichen sozialen Forderungen aufzunehmen und der EU entgegenzutreten, noch auf eine revolutionäre Erhebung in einem Land, die sich auf weitere EU-Länder ausbreiten könnte. Die wahrscheinlichste Perspektive ist eine politische Krise in einem Land, die die Regierung zum Rücktritt zwingt oder stürzt, sei es durch eine mächtige und globale soziale Bewegung, sei es durch Parlaments- oder Präsidentschaftswahlen, die auf eine starke gesellschaftliche Mobilisierung hinauslaufen und über die nationalen Grenzen hinweg ein breites Echo auslösen würde. So ein Durchbruch auf nationaler Ebene würde unmittelbar mit der neoliberalen Politik, den Regeln und Institutionen der EU (Maastricht-Kriterien, Stabilitätspakt, Unabhängigkeit der Zentralbank etc.) in Konflikt geraten. Eine derartige nationale Krise würde fast automatisch auf die europäische Ebene übergreifen. Da die EU auf dem Prinzip der Regierungsvereinbarungen beruht, wäre der Ministerrat der EU gezwungen, auf die Einhaltung der Abkommen zu achten und eine Regierung, die ausschert, zur Ordnung zu rufen. Damit wäre das gesamte Europa betroffen: die EU-Institutionen, alle nationalen Regierungen, die herrschende Klasse, die Arbeiterklasse, die sozialen und politischen Bewegungen. Je nach der Stärke der Bewegung könnte eine politische und institutionelle Krise der EU ausgelöst werden.
Eine antikapitalistische und internationalistische Antwort muß entwickelt werden, die dieser Dimension gerecht wird: ein soziales Europa, das radikal neue Prioritäten setzt und alle politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen darauf abstimmt. Was würde eine tatsächlich soziale Regierung machen? Als erstes würde sie die neoliberale Politik beenden und dem Sozialen den Vorrang geben. Sie würde ganz Europa auffordern, diesem Beispiel zu folgen. Sie würde auf nationaler Ebene unverzüglich eine Reihe von konkreten Maßnahmen zugunsten der ArbeiterInnen, der Frauen, der Jugendlichen, der ImmigrantInnen und insbesondere der Ärmsten unter ihnen ergreifen (Einkommen, Wohnungen, Gesundheit, Bildung, soziale Einrichtungen, öffentlicher Verkehr etc.). Sie würde den europäischen Völkern über die Köpfe der einzelnen Regierungen hinweg eine solche soziale Politik als Ausweg sowohl für Europa als auch für jedes einzelne Mitgliedsland vorschlagen. Die Wirtschafts- und Sozialpolitik einer solchen Regierung wäre eng an eine politische Strategie geknüpft, weitere soziale Mobilisierungen auszulösen und auszuweiten. Die Krönung dieses Gesamtprogramms wäre das Bemühen, die Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Dies könnte Dank eines Plans erfolgen, dessen zentraler Ansatzpunkt eine radikale Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnverlust im Rahmen einer Umorganisierung und Wiederankurbelung der Wirtschaft wäre. Dafür müßte die Regierung die Währungspolitik in die eigenen Hände nehmen und sie ihren sozialen Zielen unterstellen, d.h. Nichtrespektierung der Konvergenzkriterien und des Stabilitätspaktes sowie Aufhebung des unabhängigen Status der Nationalbank. Gleichzeitig würde sie sich mit drei Forderungen an ganz Europa, an alle Länder und deren Bevölkerung richten: die Ausweitung dieser neuen Politik auf alle Länder und den Aufbau eines Europas der sozialen Rechte; die Infragestellung der freien Zirkulation von Spekulationskapital, wobei ein Abkommen mit den USA und Japan über die Besteuerung der spekulativen Transaktionen am besten wäre oder Europa andernfalls allein darüber bestimmen könnte, da es über eine starke und relativ autonome Wirtschaft verfügt; eine Abkehr von den Bestrebungen, eine Einheitswährung einzurichten und der Vorschlage an die verschiedenen EU-Mitgliedsländer, eine stabile Währungszone zu schaffen, die auf ökonomischer und sozialer Konvergenz beruht und mit der neoliberalen Politik bricht. Dieses andere Europa wäre ein harmonisierter europäischer Großraum auf der Grundlage eines Wachstumsmodells, das der Befriedigung der gesellschaftlichen Bedürfnisse, der Vollbeschäftigung, dem Schutz der Umwelt und der internationalen Zusammenarbeit dient.
|
|||||||||||||
Wenn eine Krise der EU provoziert und ein soziales Europa aufgebaut werden soll, beinhaltet das eine Neudefinition der Beziehungen zwischen den Mitgliedsländern. Das erfordert ein demokratisches und selbstbestimmtes Vorgehen, das mit dem Despotentum der EU bricht: Nicht den Regierungen, sondern den Bevölkerungen, von denen sie eingesetzt sind, obliegt die Entscheidung, wie sie zusammenleben wollen. Es geht nicht nur darum, den Grad der Supranationalität festzulegen, also zu entscheiden zwischen Föderalismus, Konföderalismus, einfacher zwischenstaatlicher Zusammenarbeit oder institutionellen Formen der politischen Machtausübung (Art der Machtorgane, Wahlen, Parlament, mit welcher Macht, welches Maß an Subsidiarität, Transparenz, Kontrolle etc.), sondern auch die Grundprinzipien jeder Gesellschaft zu bestimmen: welche Eigentumsform (privat oder gesellschaftlich), das Verhältnis zwischen Männern und Frauen, den Status der Arbeit, die grundlegenden sozialen Rechte, die demokratischen Freiheiten, die ständigen Organe des Staates, die Unternehmerrechte und die Arbeitnehmerrechte in den Betrieben, die Außenbeziehungen etc. In diesem Bereich wie in der Wirtschafts- und Sozialpolitik würde eine Linksregierung eine Taktik entwickeln, um eine möglichst breite Unterstützung der Bevölkerung und europaweite Mobilisierungen zu erreichen und damit den eröffneten Freiraum auszudehnen. Die Frage, ob die bestehenden Verträge neu ausgehandelt, ein rasches oder langsames Vorgehen gewählt, das Bestehende kritisiert oder damit umgegangen würde, wäre rein taktisch. Es müßte jedoch ein eindeutiges und klar demokratisches Vorgehen in Richtung auf Europa (die EU und darüber hinaus) eingeschlagen und verfolgt werden: Es würde den europäischen Völkern obliegen, eine Verfassung zu entscheiden und auszuarbeiten, die ihre Zusammenarbeit regelt. Die Verfassung könnte den Vorschlag eines Kongresses der Völker Europas enthalten, über den dann in allgemeinen Wahlen in jedem Land abgestimmt würde. Dieses radikal demokratische Vorgehen könnte auch dann aktuell werden, wenn die EU in eine politische Krise stürzt, die nicht von einer Offensive der Arbeiterklasse ausgelöst wird, beispielsweise, wenn die Währungsunion in eine Krise gerät oder der Vertrag in einem Mitgliedsland durch ein Referendum abgelehnt wird.
Die herrschenden Klassen würden sich zweifellos gegen jede Infragestellung der EU und insbesondere gegen die Errichtung eines tatsächlichen sozialen Europas, das ihre Interessen bedroht, zur Wehr setzen. Das könnte zu einem Kräftemessen führen: Eine Linksregierung, die sich auf Mobilisierungen im eigenen Land und über die Grenzen hinweg stützen kann, würde auf wirtschaftliche und finanzielle Sabotage, politischen Boykott und Einschüchterungsversuchen von außen reagieren und in ihrem Kampf gegen das Kapital bis zum Äußersten gehen.
Übers.: Birgit Althaler |
Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 308 (Juni 1997). | Startseite | Impressum | Datenschutz