Politik und Natur

Tsunami, Katrina, Kaschmir: Politische Reflexion über die sich häufenden Naturkatastrophen

Über die Häufung von Naturkatastrophen und die politische Antwort darauf diskutierte das Internationale Komitee der IV. Internationale auf seiner Februarsitzung. Dieser Bericht war Grundlage der Diskussion.

Pierre Rousset


1. DER RAHMEN DER DEBATTE


Wir möchten zunächst fünf Punkte vorgeben, die als Rahmen für diesen Bericht dienen.

1.

Ursprünglich war dies ein Unterpunkt der Diskussion um die Weltlage und kein „gesonderter Tagesordnungspunkt“ dieses Treffens. Denn die Weltlage wurde im vergangenen Jahr vom Tsunami im Indischen Ozean, vom Wirbelsturm Katrina in New Orleans und dann vom Erdbeben im pakistanischen Teil von Kaschmir charakterisiert. Die Auswirkungen dieser Katastrophen waren so stark, dass sie zu politischen Fakten geworden sind, die auch so behandelt werden müssen. Und dies umso mehr, als sich auch Fragen der Orientierung hinsichtlich der Intervention von politischen AktivistInnen stellen.

Es ist ziemlich ungewöhnlich, eine solche Fragestellung im Rahmen einer Debatte um die Weltlage aufzuwerfen. Aber es handelt sich dabei um eine gute Neuerung. Dies ermöglicht uns, über die Grundlagen eines effektiven Handelns nachzudenken. Und es leistet einen Beitrag, die „Ökologie“ als Teil einer allgemeinen Reflexion (und nicht als künstlich „angehängtes“ Kapitel einer traditionellen Tagesordnung) zu behandeln.

2.

Ich gebrauche hier den Begriff „Naturkatastrophen“, ohne ein Urteil über ihre (natürlichen oder menschlichen) Ursachen abzugeben. Das scheint mir legitim zu sein, denn es handelt sich um Katastrophen, die sich aufgrund natürlicher Elemente aufbauen (Erdbeben, Überschwemmungen usw.), und darin liegt auch ihre Besonderheit. Auf gleiche Weise kann man auch von Krankheiten sprechen, ohne auf deren Ursachen einzugehen (die zu 100% vom Menschen gemacht sein können, so etwa BSE).

Hinsichtlich des Ursprungs der Naturkatastrophen kann man zumindest drei Fälle unterscheiden:

3.

Kann man das Problem der Naturkatastrophen insgesamt diskutieren, ohne Beachtung der auslösenden Ursachen? Bis zu einem bestimmten Punkt – so meine ich – geht das, denn die sich ergebenden politischen Probleme haben große Ähnlichkeit. Wir sprechen hier zufällig gleichzeitig über den Tsunami, Katrina und das Erdbeben in Kaschmir, weil sie sich vor kurzem ereignet haben und aktuell darüber berichtet wird. Ihre Mechanismen waren recht verschieden: Die Folgen eines unterirdischen Erdbebens auf die Oberfläche des Ozeans und die betroffenen Küstengebiete; die Herausbildung von tropischen Wirbelstürmen; ein Erdbeben in einer Gebirgsregion. Alle werfen sie (trotz der Unterschiede) gemeinsame gesellschaftliche und politische Probleme auf und erfordern teilweise auch gemeinsame Aufgabenstellungen.

4.

Zu diesem allgemeinen Thema der Naturkatastrophen kommt ein spezifischer Diskussionspunkt hinzu, der das Klima betrifft. Wie die britischen GenossInnen zu Recht betonen, muss man die (historische) Bedeutung diese Fragestellung und die gegenwärtig laufenden internationalen Kampagnen in diesem Bereich in die Überlegungen mit einbeziehen. Wir müssen auch die wissenschaftlich bestimmbare Seite des Problems einbeziehen, die Auswirkungen der menschlichen Aktivitäten auf die Biosphäre. Doch ich kann das hier nicht tun! Ein Genosse oder eine Genossin die kompetenter ist als ich, muss diesen Beitrag gesondert vortragen.

Nachdem wir von den Ähnlichkeiten bei den verschiedenen Naturkatastrophen gesprochen haben, müssen wir auch, ausgehend von den „Ursachen“, einen bedeutsamen Unterschied herausstellen. Es kann interessant sein, sich die Tektonik der Platten erklären zu lassen, doch das hat nur beschränkteAuswirkungen auf unsere Aufgaben (wo und wie stellt sich das Problem der Prävention?). Wir brauchen hier nicht ins Detail zu gehen, weil wir eh nichts ändern können. Hingegen stellt sich die Aufgabe, die Auswirkungen der menschlichen Aktivität auf die Klimaentwicklung zu ändern. Man kann nicht wissen, wie man das tun kann, ohne die Erkenntnisse der Wissenschaft auf diesem Feld zusammenzufassen.

5.

Die laufende Klimaveränderung ist eines der wichtigsten Symptome, die das Ausmaß der qualitativen Veränderung aufzeigt, die sich in den letzten Jahrzehnten in der Dynamik der ökologischen Krise(n) ergeben hat. Auch in der Vergangenheit hat es viele ökologische Krisen gegeben, doch diese blieben auf ein Gebiet oder eine Region beschränkt. Die Neuheit im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts besteht darin, dass der Kapitalismus der Gegenwart (seit den sechziger Jahren) zu einer durch menschliche Aktivität verursachten ökologischen Krise mit globaler Dynamik geführt hat. Es ist schon einige Zeit her, dass wir das Ausmaß und die Bedeutung dieser Veränderung erfasst haben; aber dieses Urteil wird heute durch die sich entwickelnde Krise des Klimas bestätigt.

Wenn wir von Krise sprechen, dann natürlich aus menschlicher Sicht. Der Biosphäre kann ihre Entwicklung gleichgültig sein. Uns aber nicht, denn es sind die Lebensbedingungen der Menschen, die sich verschlechtern und sogar in Frage gestellt werden können.

Im Folgenden möchten wir eine Reihe von Problemen behandeln, die sich uns stellen, beginnend mit dem Konkreten und zum Allgemeinen fortschreitend, wobei wir von den Ereignissen von Ende 2004 bis Ende 2005 ausgehen.


2. ANTIKAPITALISTISCHE AGITATION UND KONKRETE KÄMPFE


A. Ungerechtigkeit und Fahrlässigkeit des herrschenden Systems offenbaren sich

Der Tsunami Ende 2004 hat auf Weltebene aus zahlreichen Gründen und in selten vorkommendem Ausmaß das Gewissen der Menschen schockiert (Berichterstattung in den Medien, aufgrund der Tatsache, dass zahlreiche TouristInnen vor Ort waren, erleichterte Identifikation usw.). Die Auswirkungen des Wirbelsturms Katrina waren ebenfalls tiefgreifend, da sich die Katastrophe im mächtigsten Land der Erde ereignet hat … und es hat sich dieselbe Ungerechtigkeit und Fahrlässigkeit gezeigt. Beim Erdbeben, das Kaschmir und Pakistan traf, hat sich gezeigt, wie viele Opfer von der internationalen Solidarität „vergessen“ worden sind.

Die rasche Abfolge dieser Katastrophen hat einen sehr bedeutsamen Demonstrationseffekt gehabt. Die Kritik des realen Kapitalismus (und besonders des Kapitalismus der neoliberalen Globalisierung) hat vielen Menschen ganz offensichtlich eingeleuchtet. Denn die Fahrlässigkeit hat sich zu jedem Zeitpunkt der Dramen gezeigt.

Daher stellen diese Naturkatastrophen eine bedeutsame gesellschaftliche Erfahrung dar. Eine komplexe Erfahrung, in der auf unentwirrbare Weise die Politik, menschliche Gegebenheiten, die Gesellschaft, die Geschlechterbeziehungen und die Ökologie miteinander verwoben sind.

B. Aktionsfelder und die Politik der Hilfe

Jenseits der Demonstration der Ungleichheit des kapitalistischen Systems haben diese Naturkatastrophen zahlreiche politische Probleme aufgeworfen. Sie waren ein großer Test für die Organisationen der Bevölkerung der betroffenen Regionen und für die internationale Solidarität. Denn man konnte sich nicht einfach auf antikapitalistische Agitation beschränken. Man musste handeln. Es ist dies eine Frage der Verantwortung angesichts des Elends der geschundenen Bevölkerungsgruppen.

Wir möchten hier auf die Politik der Hilfeleistungen eingehen. Ich möchte aber nicht versuchen, sie in ihrem ganzen Umfang zu behandeln. Denn dies ist eine Frage mit unzähligen Facetten und führt uns zu sehr unterschiedliche Formen der Intervention, bei denen es jedes Mal wieder andere politische Probleme gibt. Die Organisationen der Soforthilfe z.B. helfen nur punktuell. In diesem Bereich ist eines der wesentlichsten politischen Probleme die Frage ihrer Unabhängigkeit von den Regierungen; hinzu kommt, dass auch die Armeen im gleichen Bereich eingreifen (und dies in der Ära von „humanitären Kriegen“).

Ich möchte hier nicht den Versuch machen, die „gute Hilfe“ mit den anderen zu konfrontieren. Die Intervention der Organisationen der Soforthilfe hat ihre Berechtigung. Ich möchte eine Reflexion über einen Bereich eröffnen, der viel eher der „unsrige“ ist, wenn man unsere (bescheidenen) Mittel und unsere Engagement betrachtet.

Sagen wir, dass unser vorrangiges Aktionsfeld – in dem wir direkt engagiert sind – das der Solidarität „von Volk zu Volk“ ist, das von den fortschrittlichen politischen, gewerkschaftlichen oder nachbarschaftlichen Verbänden abgedeckt wird.

Hier müssen wir eine politische Entscheidung treffen: Wir müssen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene Verbindungen zu revolutionären und Volksorganisationen aufbauen und sie stärken. Dies gilt nicht nur aus programmatischen Gründen oder wegen der allgemeinen Orientierung der Mitglieder. Dies gilt auch aus Gründen der Effizienz. Denn alle Erfahrungen aus dem letzten Jahr bestätigen die eigene und unersetzbare Effizienz auf diesem Aktionsfeld. Ich möchte darauf bestehen, denn dies steht im Gegensatz zum „gesunden Menschenverstand“, der meint, die riesigen Interventionen der Staaten oder der großen humanitären Organisationen seien notwendigerweise effizienter.

Diese eigene Effizienz zeigt sich auch in jeder Etappe.

C. Grundüberlegungen zu drei Typen von Initiativen

Konkret hat sich die Frage von Hilfsmaßnahmen je nach Fall von Ende 2004 bis heute sehr unterschiedlich gestellt. Der Tsunami hat ein riesiges und spontanes Gefühl der Solidarität hervorgerufen und zahlreiche Initiativenaus dem Boden sprießen lassen. Dies war beim Erdbeben in Pakistan und Kaschmir nicht der Fall; in diesem Fall handelten die wenigen engagierten Hilfsorganisationen als Freiwillige. Katrina schließlich stellte einen politischen Schock dar (dass ein solches Desaster in den USA geschehen konnte!), hat aber meiner Kenntnis nach nicht zu internationalen öffentlichen Kampagnen geführt: Denn die Frage war, ob man ins reichste Land der Erde Hilfe schicken sollte.

Angesichts der Menge von Initiativen, die sich im Gefolge des Tsunami engagierten, mussten wir auf die Frage antworten: Wem soll die Hilfe zukommen? In Frankreich haben wir anfangs die Aufrufe der humanitären Hilfsorganisationen aufgegriffen, die unabhängig von den Staaten Hilfe organisieren (Secours populaire, Médecins sans Frontières – Volkshilfe, Ärzte ohne Grenzen), dann aber haben wir uns auf zwei Typen von Kampagnen konzentriert. Die drei Arten von Initiativen im Einzelnen:

1.

Die Hilfe für die „Schwesterorganisationen“: Dabei ging es zunächst um die Hilfe für die NSSP in Sri Lanka; sodann um die Hilfslieferungen für „Schwesterorganisationen“ in den von den Katastrophen betroffenen Zonen: von Partei zu Partei, von Gewerkschaft zu Gewerkschaft usw. Diese Hilfe ist legitim und notwendig. Sie kann für eine Organisation, die sie erhält, ganz wichtig sein, denn sie stärkt ihre Handlungsmöglichkeiten in Notfällen. Doch gewöhnlich mobilisiert sie nur die Mitglieder und Sympathisanten der betroffenen Organisationen (z. B. die Sektionen der IV. Internationale oder die Partner von Frères des Hommes).

Diese Art von Hilfe hat offensichtliche Grenzen. Sie wendet sich an begrenzte Milieus oder Netze und gibt keine Antwort auf die Frage: Was tun in den viel größeren Bereichen? Sie setzt die soziale Bewegung nicht in Marsch.

2.

Unterstützung von kollektiven Kampagnen, die von sozialen Bewegungen initiiert wurden: Zum Beispiel haben wir kollektive Kampagnen, die aus der globalisierungskritischen Bewegung kamen, aktiv unterstützt. Dabei ging es um Appelle, die z.B. Via Campesina (weltweite Bauernorganisation, d.Ü.) herausgebracht hat und denen sich viele Organisationen anschlossen, die am Prozess der Sozialforen beteiligt sind. Tatsächlich hatte Via Campesina auch Mitgliedsorganisationen in einigen betroffenen Ländern (Sri Lanka, Indonesien).

In diesem Rahmen nahm die Hilfe von „Volk zu Volk“ (oder von sozialer Bewegung zu sozialer Bewegung) kollektive Form an. Die Finanzkampagne konnte an Umfang zunehmen. Die zahlreichen Solidaritätsbande, die im Rahmen der globalisierungskritischen Bewegung bestehen, konnten verstärkt werden.

Die für diesen Typ von Kampagnen notwendigen Vorbedingungen sind nicht überall erfüllt. Die politischen Auswirkungen der Katastrophe müssen ausreichend stark sein, damit zumindest eine in der Bewegung „anerkannte“ Organisation (Gewerkschaft, Globalisierungskritik) ein lokales oder nationales „Bindeglied“ abgeben kann.

3.

Eine Solidaritätsinitiative entfachen: Im Fall von Pakistan und Kaschmir stellten sich die Verhältnisse anders dar: Die genannten Bedingungen waren nicht erfüllt. Aus den sozialen Bewegungen kam keine kollektive Initiative, so wie dies beim Tsunami der Fall gewesen war. Einerseits gab es keine spontane Mobilisierung des Gewissens (und somit keinen Druck auf die Politik noch die sozialen Bewegungen, zu handeln)! Andererseits hatten weder Via Campesina noch die französischen Gewerkschaften in den direkt betroffenen Regionen (die Berge von Kaschmir) eine Partnerorganisation. Allgemein gilt, dass die Bande der Solidarität zwischen Pakistan und Frankreich von einigen NGOs gehalten wurden.

Nach dem Erdbeben wurden natürlich Spendenaufrufe erlassen, aber sie betrafen vor allem die hier zunächst genannte Gruppe (die „Schwesterorganisationen“): Die westlichen NGOs sammelten Gelder für ihre pakistanischen PartnerInnen und die politischen Strömungen taten es ihnen nach. Aber die „breite“ Solidarität blieb in einem Zwergenzustand, verglichen mit der nach dem Tsunami, wiewohl die Lage der betroffenen Bevölkerung wirklich dramatisch war. In diesem Rahmen hat Europe solidaire sans frontières (ESSF, Solidarisches Europa ohne Grenzen) eine Initiative mit Freiwilligen gestartet, die bescheidene – aber dennoch höhere als erwartet – Ergebnisse erbracht hat. Ich glaube, dass es sich um ein interessantes Experiment handelt.

ESSF ist eine kleine Vereinigung, die im Rahmen der globalisierungskritischen Bewegung einen Beitrag zur Stärkung der Solidarität zwischen Europa und Asien leisten möchte. Sie griff den Aufruf der Labour Education Foundation (LEF) aus Pakistan auf, was zur Labour Relief Campaign(LRC) geführt hat. Diese Auswahl war naheliegend wegen den Verbindungen mit der Labour Party Pakistan (LPP), die an der LRC teilnimmt. Die Wahl wurde auch getroffen, um die pakistanischen Volksorganisationen „vor Ort“ zu unterstützen (statt der NGOs), die unabhängig von der Militärregierung und den fundamentalistischen Parteien sind, und die mit einer solidarischen Zielsetzung arbeiten. D.h. dass sie nicht nur für eine Gemeinschaft eintreten und religiös ungebunden (aber mit Bezug zu den Werten der Arbeiterbewegung) sind. Da im LRC auch Gewerkschaften und ein Frauennetzwerk vertreten sind, konnte dies helfen, die Kampagne für finanzielle Mittel zu verbreitern.

Die Kampagne wurde mit beschränkten Mitteln geführt (Artikel in der Parteipresse, Internet-Auftritt des ESSF, einige Verschickungen von E-Mails …). Der Appell wurde (zusammen mit zwei andern) von einer Gewerkschaft aufgegriffen (Website von SUD). Ein wichtiger Gesichtspunkt: Die direkt aus Pakistan eingehenden Nachrichten (Weg der Lastwagen mit Hilfsgütern, Bau von Häusern …) haben es ermöglicht, die Kampagne in Europa am Leben zu erhalten. Der LRC wurden 16 500 € übergeben; außer aus Frankreich kamen (bis Ende März) Spenden aus Katalonien, Deutschland, der Schweiz, Griechenland und Dänemark.

Es war das erste Mal, dass ESSF eine solche Art von Initiative ergriffen hat. Die Vereinigung profitierte von ihrer früheren Solidaritätsarbeit zwischen Europa und Asien und ihrer sehr „natürlichen“ Partnerschaft mit der Labour Relief Campaign. Auch hier gilt, dass solche Bedingungen nicht immer gegeben sind. Doch diese Initiative, die ohne Vorlauf auf kleiner Ebene ins Werk gesetzt wurde, ermöglicht ein Nachdenken über die besondere Rolle von Verbänden wie dem ESSF bei der Entwicklung einer Politik der Hilfeleistungen.

Die konkreten politischen Probleme

Wenn man im Bereich der Hilfsleistungen arbeitet, wird man natürlich mit politischen Problemen konfrontiert. Auf allgemeiner Ebene haben wir bereits eine Reihe erwähnt: Wie die Unabhängigkeit der Kampagnen im Verhältnis zu den Staaten garantieren, die Kriterien der Wahl der Partner, welche Konzeption von Solidaritätsarbeit. Viele konkrete Probleme tauchen auf, sobald wir uns in einer konkreten Lage befinden. Die Auswirkungen einer Naturkatastrophe in einem Bürgerkriegsgebiet können seht unterschiedlich sein: Beginn von Friedensverhandlungen in Aceh auf Sumatra, nicht aber auf Sri Lanka.

Ich möchte mich hier mit einem weiteren Beispiel begnügen: In Kaschmir fehlte es vor allem an Hubschraubern zum Transport der Hilfsgüter ins Hochgebirge, während es sie in Afghanistan, dem angrenzenden Land, zahlreich gab. Zu Recht haben wir die Passivität der westlichen Mächte angeprangert. Gleichzeitig (und aus gutem Grund) haben wir ein Eingreifen von Armeen der NATO in Kaschmir (und auch in Indonesien und Sri Lanka) unter dem Deckmantel einer humanitären Intervention abgelehnt. Wie kann man dieses Paradox überwinden? Nachdem wir erfahren hatten, dass die Hilfsprogramme der UNO sich die Hubschrauber für ihre Hilfsaktionen (zu teuren Preisen) mieten müssen (wobei es an Geld mangelte), haben ich geschrieben, die Armeen müssten ihr Gerät kostenlos ausleihen, damit sie im Rahmen einer zivilen Mission eingesetzt werden können.

Ist dies eine gute Antwort? Sie blieb jedenfalls vertraulich. Wir müssen in der Lage sein, die sich uns stellenden politischen Probleme konkret zu diskutieren, um gute Antworten zu finden und eine wirksame Kampagne zu machen.

Es gibt hier GenossInnen aus New Orleans, Sri Lanka und Pakistan, die noch sehr viel mehr über die gemachten Erfahrungen sagen können.

D. Statt eines Schlusswortes zum Thema Hilfslieferungen

Katastrophenszenarien kommen auf der Welt häufig vor, auch wenn wir hier nur von dreien gesprochen haben. Für die Organisationen der am meisten betroffenen Regionen ist dies ein tagtägliches Problem. Solches müsste auch für die internationale Solidarität gelten.

Natürlich können wir nicht auf alle diese Appelle antworten. Aber mehr als in der Vergangenheit müssen wir den Bereich der Hilfeleistungen als Interventionsfeld begreifen, als einen permanenten Bestandteil einer internationalistischen Politik.

Dies gilt umso mehr, wenn wir annehmen oder befürchten, dass sich große Naturkatastrophen in Zukunft häufen werden. Dies ist eine gute Überleitung zur Frage des Klimas.


3. DIE FRAGE DES KLIMAWANDELS: WELCHE ART VON ÜBERGANGSFORDERUNGEN?


Bei der Frage des Kampfes gegen den Klimawandel stoßen wir auf die gleiche Forderung wie bei den Hilfeleistungen: Wie – angesichts der Unfähigkeit der Regierungen, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen – die antikapitalistische Agitation mit Kampagnen für konkrete Ziele verbinden? Doch diese kombinierte Forderung stellt sich hier unter deutlich verschiedenen Bedingungen.

Angesichts der Gefahr von Tsunamis und Erdbeben lässt sich eine Liste mit einfachen und präzisen Maßnahmen erstellen: Warngeräte für den Tsunami im Indischen Ozean aufstellen, das internationale Warnsystem verbessern, die natürlichen Schutzvorrichtungen wie die Küstenvegetation (Mangrovenwälder, Sümpfe …) wieder aufbauen, einen öffentlichen Gesundheitsdienst errichten, beim Häuserbau Normen über Erdbebensicherheit einführen usw. An und für sich haben diese Maßnahmen nichts „Revolutionäres“ an sich. Der Skandal besteht drin, dass sie nicht umgesetzt wurden, wo doch die meisten von ihnen sowohl elementar wie wirksam sind. Aber natürlich ergeben sich dahinter eine ganze Reihe von Fragen: Diejenigen nach den sozialen Ungleichheiten und den Geschlechterverhältnissen, nach der kapitalistischen Profitlogik, die der Entwicklung einer öffentlichen Vorbeugung im Wege steht etc. Doch der Kampf kann um einfache Forderungen herum aufgenommen werden.

Im Hinblick auf den Klimawandel besteht der Unterschied darin, dass, wenn er ein bisschen erfolgreich sein soll, die Maßnahmen die gesamte Produktionsordnung betreffen. Man kann sich nicht damit zufrieden geben, nur „elementare“ Forderungen aufzustellen. Wenn man beispielsweise den Schadstoffausstoß deutlich senken möchte, muss nicht nur der gesamteEnergiebereich umstrukturiert werden, sondern auch der Transportsektor – und somit der Welthandel – und der Agrarbereich (der „bäuerlicher“ und weniger „industriell“ werden muss), sodann muss sich die Politik der Verstädterung und der Raumplanung ändern. Es handelt sich hier nicht um eine künstliche oder „maximalistische“ Verkettung. Man kann den Verbrauch von Energie im geforderten Sinn nicht radikal umstellen, ohne die Transportfragen aufzugreifen (von Waren, von Menschen zwischen Wohnung und Arbeitsort) und die Frage des Ortes der Produktion und der Art und Weise des Konsums (mit der dazu nötigen Kulturrevolution) aufzunehmen. Die Sofortmaßnahmen (ich betone: Sofortmaßnahmen) folgen der Logik des Bruchs mit dem Kapitalismus. Hierin liegt eine Besonderheit der Klimafrage, die mit ihrer globalen Natur verbunden ist (sowohl was ihren Ursprung wie auch die Konsequenzen angeht).

Angesichts der Schwere der Klimakrise (für das Menschengeschlecht), den Umfang und den Charakter des Problems scheint es, als würde das „Maximalprogramm“ zum „Minimalprogramm“ werden; die Übergangsdynamik, die es normalerweise ermöglicht, im Kampf die Verbindung von beidem zu suchen, ist hier gleichsam ineinander geschoben. Der Bruch mit dem Kapitalismus erscheint völlig logisch als „elementare“ Antwort auf die sich stellenden Fragen. Der Widerspruch, mit dem wir konfrontiert sind, liegt darin, dass die sozialistische Perspektive immer noch nicht wieder als nahe liegend erscheint. Es gibt also eine besondere Spannung zwischen den konkreten Forderungen (es ist lebenswichtig, jetzt zu handeln) und der Glaubwürdigkeit der realen Lösungen.

Diese Situation verkompliziert bestimmte Diskussionen. Das Kyoto-Protokoll beispielsweise ist einerseits ungenügend und pervers (wegen seines Krämergeistes). Aber dass es z. B. von den USA noch nicht einmal unterzeichnet wird, muss natürlich angeprangert werden.

Wir können jedoch beginnen, einen Ausweg aus diesem Widerspruch zu finden. Denn es gibt einen Anfang eines Zusammenkommens zwischen der globalisierungskritischen Bewegung und der ökologischen Tradition, was vor allem bei Mobilisierungen zu Klima-Fragen vonstatten geht (auch bei weiteren Fragen, etwa die Echos der Kämpfe der indigenen Völker). Dies ist erst ein Anfang, der je nach Land sehr unterschiedlich ausfällt. Doch zumindest ermöglicht er eine Handlungsperspektive. Wir haben hier eine große Verantwortung: Dieses Zusammentreffen zu beschleunigen und zu erweitern, indem wir uns mehr in die das Klima betreffenden Kampagnen einbringen (vgl. dazu den Beitrag der GenossInnen aus Britannien).

Natürlich stoßen wir hier auf (zahlenmäßige) Grenzen. Aber auch auf politische. Die Sicht des Problems schwankt und es gibt wenig Orte der kollektiven Erfahrung und Reflexion. Aber die Klimakrise zwingt uns dazu, die ökologische Frage umfänglicher als in der Vergangenheit in unser Denken und Handeln zu integrieren, was immer die Fortschritte sind, die wir hier bereits gemacht haben. Und dies geht nicht von selbst. Ich komme zum letzten Punkt meiner Intervention.


4. ÖKOLOGIE, KULTUR DER MITGLIEDER UND POLITISCHES PROGRAMM


Man kann die ökologische Frage nicht ins Denken und Handeln integrieren, ohne sich der Frage der Natur gewärtig zu sein. Dies ist keineswegs einfach und des Weiteren der Kultur der Mitglieder der Organisationen der Arbeiterbewegung und der antikapitalistischen Organisationen ziemlich fremd.

Natürlich gibt es (fast) keine „unberührte“ Natur mehr. Die Natur hat eine mit der Geschichte des Menschen verbundene Geschichte, und zwar seit langer Zeit (seit der neolithischen Revolution?). Heute müssen wir uns den Folgen der menschlichen Aktivität auf die Biosphäre stellen. Man greift zumeist die Produktion von Kohlendioxyd auf (den Treibhauseffekt) – das hat den Vorteil, messbar zu sein.

Aber es geht nicht nur um die Treibhausgase und die Aufwärmung der Atmosphäre. Bevor sie durch die gesellschaftliche Produktion verändert wurde, bestand die Biosphäre aus Ökosystemen und war gleichzeitig deren Produkt. Man kann wissenschaftlich die ideale Zusammensetzung der Biosphäre (für den Menschen) nicht bestimmen und sie dann künstlich aufbauen. Hingegen lässt sich feststellen (und dies ist ein guter Ausgangspunkt), dass der frühere Zustand günstig für uns war und dass ein Mittel, ihn zu bewahren, darin liegt, die Ökosysteme zu bewahren, die ihm entsprechen. Die Transformation der logischen Formen der Produktion (und des Konsums) soll es nicht nur ermöglichen, den Kohlenstoffausstoß zu verringern; wir müssen das Verhältnis zwischen Natur und menschlicher Gesellschaft radikal verändern.

Wir können auch nicht einfach abstrakt die menschlichen Aktivitäten in einen Gegensatz zu den natürlichen Artenbringen. Viele reiche Milieus hängen von einer besonderen sozialen Produktion ab (abgeheute Wiesen, Wälder usw.) Gleichermaßen dienen viele natürliche Milieus besser den menschlichen Bedürfnissen als teure künstliche Lösungen (vgl. die vielfältige Rolle von Feuchtgebieten, Schutz zu bieten bei Überschwemmungen bis hin zur Reinigung von verschmutztem Wasser und der Erhaltung der biologischen Vielfalt). Aber die Vernunft des Kapitalismus ist eine andere als die der Sozio-Ökologie: Im Namen des Fortschritts setzt er Produktionsweisen durch, die sowohl unter sozialen wie ökologischen Gesichtspunkten irrational sind.

Die (aus Gattungssicht) globale ökologische Krise, wie sie durch die Entwicklung des Kapitalismus seit dem Zweiten Weltkrieg eröffnet wurde, betrifft nicht nur das Klima, sondern die Gesamtheit der Beziehungen zwischen Mensch und Natur. Das Eingreifen in Fragen des Klimas kann helfen, diese Dimension stärker in unserem Programm zu verankern. Es verpflichtet uns insbesondere, die natürlichen Mechanismen zu studieren, um unser politisches Handeln zu begründen, was viel zu wenig passiert. Aber wir stoßen dabei auf verschiedene Schwierigkeiten.

Die erste Art von Schwierigkeiten: Es ist gar nicht einfach, wissenschaftliche Kenntnisse zu vereinfachen und politisch zu assimilieren. Hinzu kommt die Schwierigkeit, dass wir dabei auch noch auf die Grenzen des Wissens im Hinblick auf äußerst komplexe Systeme stoßen, was die Sache ganz und gar nicht einfacher macht: Wie genau kennen Klimatologen oder Ozeanologen die Biosphäre, die Ozeane und die Dynamik des Klimas?

Die zweite Art von Schwierigkeiten: Wir treffen bei solchen Fragen, bei denen die kritische Tradition in den kämpferischen Milieus weit weniger verankert ist als auf dem gesellschaftlichen Terrain, auf den „gesunden Menschenverstand“. Es scheint beispielsweise, dass mit dem technischen Fortschritt es scheinbar möglich geworden ist, die Zwänge der Natur quasi völlig zu überwinden (vgl. als extremes Beispiel die Landwirtschaft, die ohne Sonne auskommt). Der Bumerang-Effekt des Klimawandels zeigt, dass der Prozess sehr viel widersprüchlicher ist.

Eine zusätzliche Schwierigkeit: Für MarxistInnen lässt sich die Beziehung zwischen Gesellschaften und Natur nicht verstehen, wenn man die sozialen Verhältnisse in den Gesellschaften nicht mit berücksichtigt: Man kann die Beziehungen zwischen Gesellschaften und Natur qualitativ nur verändern, wenn man auch die gesellschaftlichen Verhältnisse ändert. Die MarxistInnen haben diesbezüglich Recht, auch wenn zahlreiche nicht-sozialistische ÖkologInnen dieses Verhältnis gerne vergessen. Doch daraus darf man nicht schließen, dass es genüge, sich an die Frage der gesellschaftlichen Verhältnisse zu halten, ohne die Auswirkungen der menschlichen Tätigkeit auf die Natur und die natürlichen Mechanismen zu analysieren.

Stellen wir die Fragen: Was hat sich in unserem Vorgehen durch die neue Schärfe der ökologischen Frage geändert? Wenn die Antwort „nichts“ ist (weil ja alles vom Sozialen abzuleiten ist), haben wir ein Problem! Wir spüren oft noch großen Widerwillen, die ökologische Frage umfänglich in unser Programm zu integrieren (und somit die Frage der Natur: die Kenntnis der Ökosysteme, der Mechanismen des Klimas usw.).

Die dritte Art von Schwierigkeiten: Die Kohärenz und die Darstellung unserer Vorschläge. Wir müssen die ökologische Frage insgesamt in Betracht ziehen. Wir kämpfen z. Bsp. gleichzeitig für eine Reduzierung der Treibhausgase (und gegen die Diktatur der Öllobby) und gegen die Atomkraft (und die Diktatur der Atomlobby). Wir sind für eine Politik der Wiederaufforstung, aber nicht um jeden Preis; denn die Holzindustrie begünstigt Formen der Aufforstung (gemäß ihren Rentabilitätskriterien), die verheerende sozioökologische Auswirkungen haben (werden). Das Aktionsprogramm, das wir in den verschiedenen Bereichen vortragen, kohärent werden zu lassen, verlangt erhebliche Aufmerksamkeit.

Das heißt, dass wir die kollektive Reflexion über den Einsatz verschiedener Technologien (und die zentrale Bedeutung der Sonnenenergie usw.) wieder aufgreifen müssen, die in den 1970er Jahren begonnen hatte, doch in den 1980er Jahren nicht fortgesetzt wurde. Dies brauchen wir, um der von den Multis durchgedrückten „Modernisierung“ eine andere entgegensetzen zu können.

Was ich hier vortrage, ist fragmentarisch und hat nur das Ziel, in die Diskussion einzuführen. Wir müssen uns die Mittel verschaffen, die Erfahrungen, Kenntnisse und Reflexionen zu kollektiven Erfahrungen zu machen (Vorschläge für Seminare, Einsatz von Webseiten …). Wir müssen aber nicht auf alles eine Antwort haben, um praktische Politik zu machen und an einheitlichen Kampagnen teilzunehmen. Das Ziel ist dabei, zwischen verschiedenen Bereichen eine Verbindung zu schaffen: Klassenstruktur und Produktionsweise, Kultur und Tradition der AktivistInnen, Natur und Technologien.


NACH DER DISKUSSION: ANMERKUNGEN ZU SIEBEN FRAGESTELLUNGEN


Ich möchte hier nur auf einige Punkte der Diskussion eingehen:

1.

Humanismus und Natur: Man hat mich gebeten, meine Positionen in Bezug auf meine Aussagen über die Natur zu präzisieren. Ich wiederhole: Der Begriff ökologische Krise ist ein Begriff des Menschen. Die Biosphäre ist gegenüber der Macht und Häufigkeit von Wirbelstürmen, gegenüber dem Aufziehen einer Eis- oder Trockenzeit oder auch gegenüber der Artenvielfalt gleichgültig. Wir nicht.

Ich habe immer gefunden, dass ein das Leben respektierender Humanismus reicher ist als einer, dem das tierische und pflanzliche Leben egal ist. Ich glaube, dass man keine „utilitaristische“ Rechtfertigung braucht, um bedrohte Arten zu schützen. Aber für diejenigen, die davon nicht überzeugt sind, möchten wir betonen, dass in der Stunde der globalen ökologischen Krise diese Präferenz nicht nur eine „politisch-kulturelle“ Wahl, sondern eine Bedingung für Effizienz darstellt.

Ich denke, dass die Menschheit wie alle Arten (aber in einem Grad höherer Spannung) ein doppeltes Verhältnis zur Natur aufweist, eines der Zugehörigkeit und eines der Opposition. Aber aufgepasst! Die Oppositionsbeziehung funktioniert im Rahmen der Zugehörigkeit. Dies ruft uns die Klimakrise deutlich ins Bewusstsein!

2.

Über die Politik von Hilfseinsätzen nachdenken: Der hier vorgetragene Ansatz muss ausgeweitet werden. Wir haben nur von Hilfen bei Naturkatastrophen gesprochen. Es ergeben sich ähnliche Probleme bei der Hilfe für durch militärische Kämpfe vertriebenen Volksgruppen; unsere GenossInnen aus Mindanao können davon berichten. Und es wäre interessant, auf die Geschichte der „materiellen“ Solidarität in der internationalistischen Tradition einzugehen (denn es gibt eine solche; gemeint ist finanzielle oder medizinische Hilfe etc.). Dies ist ein weites Feld.

3.

Wohin führt uns die Dynamik der Klimakrise? Die Biosphäre ist ein äußerst komplexes System eines dynamischen Gleichgewichts. Quantitative Veränderungen können zu einem „sektoriellen“ (etwa Richtungsänderung der Meeresströme) oder globalen Zusammenbruch des Gleichgewichts führen. Man kann unmöglich die Bruchpunkte im Voraus angeben. Ein Bruch des globalen Gleichgewichtes würde zu einer langen chaotischen Periode führen, bis sich irgendwann ein neues dynamisches Gleichgewicht einstellte, was man auch nicht vorhersehen kann. Dies zeigt uns den Umfang des Problems!

4.

Ist es möglich, einen ganzen Bereich der Produktion schnell umzustellen? Das ist möglich. Ein gutes Beispiel bietet Frankreich mit seiner Umstellung der Stromproduktion auf die Atomenergie. Innerhalb von zehn Jahren wurde der Atomstrom von Null auf 80% der Gesamtproduktion gesteigert. Natürlich gab es zu diesem Zweck eine massive Zusammenarbeit zwischen dem Staat (auch der Armee – hier geht es um den Zusammenhang zwischen ziviler und militärischer Nutzung des Atoms) und dem Privatsektor im Rahmen einer aktiven Planung (Staatskapitalismus). Dieser vielseitige Einsatz fand aus politischen Gründen statt (Frankreich als Atommacht), die man nicht auf das Profitstreben zurückführen kann (die technologischen Entscheidungen bürgerlicher Staaten und großer kapitalistischer Firmen folgen auch der Logik der Macht). Heute ist das Problem nicht vorwiegend „technisch“, es ist ein politisches und gesellschaftliches Problem. Sehr mächtige Interessen verweigern sich der notwendigen Umstellung des Energie-, Transport-, Handelssektors usw.

5.

Noch ein Wort zum grundsätzlichen Herangehen: In meiner Einleitung zur Debatte habe ich die Notwendigkeit der Kohärenz der ökologischen Forderungen betont (damit etwa die vorgesehenen Maßnahmen zur Reduzierung des Ausstoßes von Treibhausgasen nicht die Artenvielfalt in Gefahr bringen). Natürlich müssen wir auch für eine Kohärenz zwischen den gesellschaftlichen und umweltpolitischen Vorgehensweisen sorgen.

Die Umweltmaßnahmen, für die wir eintreten, dürfen nicht zu einer Zunahme der sozialen Ungleichheit (oder der Ungleichheit zwischen Regionen) führen. Dies wäre ungerecht; es gibt genügend Ungerechtigkeit auf der Welt, so dass wir nicht noch etwas hinzufügen müssten! Und dies wäre auch wirkungslos. Ohne Unterstützung der Bevölkerung wird die Schlacht um ökologische Reformen (die sich gegen die Logik des Kapitals zur Wehr setzen) nicht gewonnen werden! Wir müssen ein günstiges gesellschaftliches Kräfteverhältnis aufbauen, was einen Weg der Gleichheit voraussetzt.

Wenn man dies im Hinterkopf hat, kann man auch die Fragen des „gerechten Energiepreises“ oder der „Ökosteuer“ diskutieren. Der Zugang zu Energie ist ein Grundrecht, für das wir kämpfen. Wir können diesen Kampf nicht in Frage stellen, indem wir die ökologische Schlacht im Namen der wahren Kosten und der Reduzierung des Energieverbrauchs um eine massive Erhöhung der Energiekosten herum zentrieren (denn dann würden die wenig Begüterten die Zeche bezahlen müssen). Genauso muss eine Umweltsteuer wirksam sein und gleichzeitig auf sozial egalitäre Weise umgesetzt werden, damit wir sie fortschrittlich nennen können: Dies geschieht nicht häufig.

Es gilt aber auch folgender Sachverhalt: Man kann nicht mehr im Namen drängender sozialer Probleme Maßnahmen treffen, deren Konsequenz eine Verschärfung der ökologischen Krise ist. Die Lösung der Umweltkrise ist drängend und unaufschiebbar.

Um die Dinge anders zu sagen: Wir können nicht zwei Programme parallel haben, die nicht aufeinander Bezug nehmen: ein soziales und ein Umweltprogramm (was bei grünen Parteien häufig vorkommt). Eine der wichtigsten Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind, ist, das eine mit dem andern zu verbinden.

6.

Ausrichtung und Übergang: Eine Politik der energetischen Revolution muss eine klare Ausrichtung haben (Dezentralisierung, Anpassung, Bedeutung der Sonnenenergie, Priorität für erneuerbare und effiziente Energieformen), aber auch auf die Frage des Übergangs vom gegenwärtigen System zur Zielausrichtung eingehen. Wir müssen über die Übergangstechnologien arbeiten, die ggf. auch fossile Energieträger einschließen können (Techniken, die eine „saubere“ Verarbeitung der Kohle gewährleisten). Wir möchten nochmals betonen, dass die Atomenergie keine akzeptable Übergangsenergie ist: Sie steht im Gegensatz zu einer Logik der Reformen; denn sie ist das Paradebeispiel für eine Energie, die eine Hyperzentralisierung und maximale Produktion erfordert, und die nicht unter demokratische Kontrolle gestellt werden kann … Sie kann das Problem der Treibhausgase nicht lösen, sie bringt wegen der Weiterverbreitung wachsende Risiken und lässt auf endlose Zeiträume radioaktive Abfälle als Erbe zurück.

7.

Kollektive Arbeit: Wir möchten wiederholen und unterstreichen: Wir können unserem Vorgehen in den verschiedenen Bereichen der Umwelt, wie auch den ökologischen und sozialen Bereichen keine Kohärenz verschaffen ohne eine kollektive Arbeit. Diese kollektive Arbeit ist auch unverzichtbar, um in ein kritisches politisches Denken die Frage technologischer Entscheidungen (welche Modernisierung?) und Entscheidungen über Ökosysteme (die Natur) einzuverleiben. Diese kollektive Arbeit ist das Gebot der Stunde.

Übersetzung: Paul B. Kleiser


 
   
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Daniel Tanuro: Kyoto-Protokoll: Kleiner Kompromiss mit perversen Auswirkungen, Inprekorr Nr. 394/395 (September/Oktober 2004)

Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 416/417 (Juli/August 2006).