Schweden

Zur Frage der Regierungsmacht

Kürzlich konnten wir lesen, dass Anticapitalistas, die Organisation der Vierten Internationale im spanischen Staat, sich gezwungen sah, das breite Linksbündnis Podemos zu verlassen, weil Podemos zusammen mit der sozialdemokratischen PSOE die Regierung gebildet hat. [1] Peter Widén will im Folgenden am Beispiel von Podemos etwas zur prinzipiellen Diskussion, wie eine antikapitalistische Linke sich zur Frage der Regierungsmacht verhalten soll, beitragen.

Peter Widén

Anticapitalistas und „Socialistisk Politik“ sind beide Teile der internationalen sozialistischen Koordination Vierte Internationale, welche in etwa fünfzig Ländern repräsentiert ist und tiefe Wurzeln im radikalen Humus der Arbeiterbewegung hat.


Minister-Sozialismus


Schon in den ersten Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts verwarf die sozialistische Linke den Gedanken, dass Personen aus der Arbeiterbewegung sich an nicht-sozialistischen Regierungen beteiligen sollten, um „Einfluss“ ausüben zu können. Solche Teilhabe (die es gab) wurde als „Minister-Sozialismus“ bezeichnet und konnte letztendlich nur dazu führen, dass die „sozialistischen“ Minister vom bürgerlichen Establishment beeinflusst und aufgesogen wurden.

Minister-Sozialisten beim Bad (Noske und Ebert 1919)

Gegen Ende des ersten Weltkrieges und in der Zeit unmittelbar danach, sahen wir einen revolutionären Aufschwung in Europa. In vielen Ländern schien die Einrichtung von sozialistischen Arbeiterstaaten in Reichweite. Abgesehen von Russland gelang es der bürgerlichen Konterrevolution, diese Bestrebungen der Arbeiter zu ersticken, oft auf blutige und rücksichtslose Art und Weise. Die radikale Welle ebbte ab und in der Arbeiterbewegung kam es meist zu einer Dominanz der reformistischen Sozialdemokratie.

Die seriöse sozialistische Linke meinte, dass es in manchen Lagen richtig wäre aufzufordern, für die Sozialdemokraten zu stimmen, um die Möglichkeiten der bürgerlichen Rechten (und rein faschistischen Kräften), die Regierungsmacht zu übernehmen, zu blockieren. Aber dies bedeute nicht, dass man sich unkritisch hinter eine etwaige sozialdemokratische Regierung stellte.

In den dreißiger Jahren diskutierte die Vierte Internationale, ob eine stets aktivere Arbeiterklasse erreichen könnte, dass die Führungen der Arbeiterparteien weiter nach links rücken und damit eine Zusammenarbeit mit tatsächlichen Arbeiterregierungen möglich wäre. Regierungen, die beginnen antikapitalistische Veränderungen durchzuführen. Solchen Regierungen könnte die Vierte Internationale nicht nur unterstützen, sondern auch an ihnen teilhaben.


Mittelweg


Es gibt auch einen Mittelweg, und Anticapitalistas weist darauf hin, wie sozialistische Linkskräfte sich gegenüber sozialdemokratischen Regierungen in Dänemark und Portugal verhalten haben. In Dänemark organisieren sich die Mitglieder der Vierten Internationalen in der „Socialistisk Arbejderpolitik“. SAP war bei der Bildung der Partei „Enhedslisten“ [2] dabei. „Enhedslisten“ hat heute 6,9 Prozent Stimmanteile und 13 Mandate im „Folketinget“. Zusammen mit der „Socialistisk Folkeparti“ und der liberalen Partei „Radikale Venstre“ haben sie für eine sozialdemokratische Staatsministerin gestimmt. Aber man nimmt nicht teil an der Regierung und man stimmt nur für Regierungsvorschläge, die man als einen Fortschritt sieht. „Enhedslisten“ hat erklärt, dass man gegen alle Schritte nach rechts stimmen wird, auch wenn dann die Regierung stürzen würde.

Eine ähnliche Situation haben wir in Portugal, wo die Mitglieder der Vierten Internationale im Linksblock mitwirken. Die kommunistische Partei und der Linksblock verhalten sich zur Regierung der Sozialistischen Partei in Portugal auf die gleiche Art und Weise wie es „Enhedslisten“ gegenüber der sozialdemokratischen Regierung in Dänemark tut.

Auf diese Art kann man verhindern, dass die bürgerliche Rechte die Regierungsmacht übernimmt und man kann progressive Veränderungen vorantreiben. Es ist aber natürlich nicht unkompliziert. Die dänische Sozialdemokratie hat tief reaktionäre Positionen eingenommen. Wenn es zum Beispiel um die Einwanderung geht, arbeitet die Sozialdemokratie mit den bürgerlichen Parteien zusammen.

      
Mehr dazu
Anders Ekeland und Einar Braathen: Die Linke und die RegierungsfrageKritischer Vergleich der Erfahrungen in Norwegen und Europa, die internationale Nr. 5/2021 (September/Oktober 2021)
Interview mit Håkan Blomqvist: Leichenschmaus und Totgeburt – oder sozialistische Massenpartei?, die internationale Nr. 4/2020 (Juli/August 2020) (nur online)
Antoine Rabadan: Anticapitalistas – Schluss mit Podemos, die internationale Nr. 3/2020 (Mai/Juni 2020)
Internationalen: Die Krise rückt die Klassengesellschaft in den Fokus, die internationale Nr. 3/2020 (Mai/Juni 2020) (nur online)
Catarina Principe: Ein portugiesisches Märchen, die internationale Nr. 5/2018 (September/Oktober 2018)
Buchbesprechung: Nach Goldschätzen graben, Regenwürmer finden. Die Linke und das Regieren, SoZ, März 2017
Buchbesprechung: Harald Wolf: DIE LINKE und das Regieren, links-bewegt.de, 03.12.2021
Thies Gleiss: Ein neuer Anlauf: Die Linke in Berlin als Regierungspartei, die internationale Nr. 1/2017 (Januar/Februar 2017)
Michael Voss: Linksradikale Bürokraten?, Inprekorr Nr. 5/2014 (September/Oktober 2014)
François Sabado: Einige Anmerkungen zur Regierungsfrage, Inprekorr Nr. 3/2013 (Mai/Juni 2013)
Manuel Kellner: DIE LINKE NRW nach zwei Jahren Präsenz im Landtag, Inprekorr Nr. 4/2012 (Juli/August 2012)
Göte Kildén : Das Erntefest ist abgesagt, Inprekorr Nr. 6/2011 (November/Dezember 2011)
Fred Borras: Der Linksblock, Inprekorr Nr. 6/2011 (November/Dezember 2011)
Jakob Moneta: Historischer Exkurs über eine Arbeiterregierung, Inprekorr Nr. 337/338 (November/Dezember 1999)
Åge Skovrind: Gibt es jemals einen "guten Haushalt"?, Inprekorr Nr. 305 (März 1997)
 

Wo verläuft die Grenze für die „Enhedslisten“? Wann gleitet eine Unterstützung von progressiven Maßnahmen über in eine Garantie des sozialdemokratischen Regierungsbesitzes und wird zur Unterstützung einer Partei, die sich nicht nur an die Rahmenbedingungen der bürgerlichen Gesellschaft hält, sondern sich zudem noch nach rechts bewegt?

Das portugiesische und das dänische Beispiel stellen wie gesagt Kompromisse dar. Situationen, in denen eine sozialistische Linke stark genug ist, um eine Rolle bei der Regierungsbildung zu spielen, aber nicht stark genug ist, um eine antikapitalistische Arbeiterregierung zu erzwingen.


Arbeiterregierung


Eine antikapitalistische Arbeiterregierung muss unser strategisches Ziel sein. Der Weg dorthin erfordert sowohl Geschmeidigkeit und Prinzipientreue. Und der Weg ist voller Versuchungen und Fallgruben. Eine solche Fallgrube wäre für die schwedische „Vänsterpartiet“ – unter den jetzigen Kräfteverhältnissen – ein Regierungsbündnis mit der Sozialdemokratie einzugehen. Dies wäre eine Regierung, die nur Verwalter des Kapitalismus ist. Die Mitglieder der „Vänsterpartiet“ sollen sehr froh sein, dass ihre Partei nicht Teil hatte an der Regierung, die vor der letzten Wahl an der Macht war. Das Schicksal der „Miljöpartiet“ kann als warnendes Beispiel dienen. [3]

Die Arbeiterregierung, an der wir teilhaben könnten, muss nicht unser ganzes Programm umfassen. Aber sie muss sich in die richtige Richtung bewegen. Sie muss Schritte unternehmen in eine gesellschaftsverändernde sozialistische Richtung. Damit wir eine solche Regierung bekommen, müssen Gewerkschaften und Basisbewegungen mobilisiert werden. Die Gegner sind gut organisiert. Veränderte Kräfteverhältnisse auf Arbeitsplätzen, Straßen und Marktplätzen sind notwendig. Keine andere Regierung wird sich den ungeheuerlichen Ungerechtigkeiten, der Armut und der Klimakrise annehmen. Keine andere Regierung wird die erforderlichen sozialistischen Schritte unternehmen.

In der Arbeit des politischen Alltags haben wir dieses Ziel vor Augen.

Dieser Beitrag erschien am 28.5.2020 in der Rubrik „Meinung“ der schwedischen Zeitung Internationalen. Peter Widén ist Mitglied der Führung von „Socialistisk Politik“, der Organisation der Vierten Internationale in Schweden.
Übersetzung aus dem Schwedischen: Michael Brune



Dieser Artikel erschien in der Online-Ausgabe von die internationale Nr. 4/2020 (Juli/August 2020) (nur online). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] Siehe „Anticapitalistas – Schluss mit Podemos”, die internationale Nr. 3/2020 (Mai/Juni 2020), S 54. Im Original wird auf einen Artikel der schwedischen Internationalen verwiesen.

[2] Enhedslisten – De rød-grønne (Einheitsliste – Die Rot-Grünen) ist eine sozialistische und grüne Partei in Dänemark. Sie entstand 1989 zunächst als Wahlbündnis der Kommunistischen Partei (DKP), der Linkssozialisten (VS), der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP, dänische Sektion der Vierten Internationale) und parteiloser Linker; die ehemals maoistische und inzwischen aufgelöste Kommunistische Arbeiterpartei (KAP) kam 1991 hinzu, Inzwischen wurde das Wahlbündnis in eine eigenständige Partei umgewandelt.

[3] Miljöpartiet, in etwa mit „Umweltpartei“ zu übersetzen, bildete mit den Sozialdemokraten von 2014 bis 2018 eine Regierungskoalition und verlor danach bei der Wahl 2018 ein Drittel ihrer Wähler.