1989

Die Widersprüche des „realen Sozialismus“

Catherine Samary

Nachdem sich in den Jahren 1930 bis 1940 die bürokratische Herrschaft in der Sowjetunion konsolidiert hatte, erklärte Stalin den Sozialismus auf der Grundlage einer staatlichen und zentralistischen Planwirtschaft und einer Zwangskollektivierung der Landwirtschaft für erreicht.

Der antifaschistische Bürgerkrieg innerhalb des Zweiten Weltkrieges führte zu einer „unorthodoxen“ und so nicht vorgesehenen Konstellation. Wollte Stalin die bestehenden antifaschistischen Bündnisse in seine Diplomatie und sein Konstrukt vom „Sozialismus in einem Land“ einbinden, entwickelte sich daraus vielmehr der Kalte Krieg zwischen den Systemen: Die USA verkündeten den Marshall-Plan und entfachten einen wütenden Antikommunismus, der in der McCarthy-Ära seinen Höhepunkt erreichte; in Jugoslawien, Albanien und China siegte die Revolution; in Prag kam es zum „Februar-Umsturz“, der zu einem kommunistischen Regime unter einer – freilich recht populären – Einheitspartei führte. Alle diese Ereignisse waren so im Abkommen von Jalta nicht vorgesehen.


Jugoslawiens Alleingang


Die erste große Spaltung innerhalb der kommunistischen Bewegung entstand aus der jugoslawischen Revolution, die auf eine sozialistische Konföderation des Balkans außerhalb der Kontrolle Stalins zusteuerte. Dies führte 1948 zur „Exkommunikation“ der „Titoisten“ durch den Kreml und zur Säuberung vieler kommunistischer Parteien in der Region. Unter Berufung auf Marx und die Pariser Kommune und gegen Stalin errichteten die jugoslawischen Führer per Gesetz Arbeiterräte in den Betrieben (Selbstverwaltung) und später in den öffentlichen Diensten und der Verwaltung und traten nach 1956 für die Blockfreiheit der antikolonialistischen Bewegungen ein. Nach Stalins Tod (1953) führte die „Entstalinisierung“ auf dem 20. Kongress 1956 zu einer „reformistischen“ Stabilisierung der Bürokratie, indem diese den Gulag und die zentralen stalinistischen Verbrechen kritisierte, eine stärkere Orientierung der Wirtschaft auf die Grundbedürfnisse vornahm und ein soziales Grundeinkommen und einen Arbeitsplatz garantierte, ohne jedoch die Einheitspartei infrage zu stellen.


Grenzen der bürokratischen Planwirtschaft


Bis in die 1970er Jahre hinein konnten durch das starke Wirtschaftswachstum die Entwicklungsunterschiede zu Westeuropa verringert werden. Zugleich hielten sich die „egalitären“ Merkmale, die davon zeugten, dass außerhalb und innerhalb des bürokratischen Apparats ein ideologischer Druck und eine „kommunistische“ Grundüberzeugung wirksam waren, die sich sowohl gegen die KP-Bürokraten als auch in den 1960er Jahren gegen den Imperialismus richteten. Aber in den 1960er Jahren versuchten alle sozialistischen Länder, Lösungen für die Probleme der bürokratischen Planwirtschaft zu entwickeln, die Qualität in der Produktion zu verbessern und deren Kosten zu senken.

      
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Der soziale Widerstand (durch einen Teil des Apparats und der Arbeiter*innen) gegen die marktwirtschaftlichen Reformen führte ohne ein kohärentes, demokratisch-sozialistisches Programm dazu, dass sie gestoppt wurden. Die Substitution durch Importe führte in den 1970er Jahren zur Auslandsverschuldung mehrerer osteuropäischer Länder (nicht aber der UdSSR, die bis zu ihrem Untergang dem US-Boykott unterlag): Rumänien, Polen, Ungarn, Jugoslawien und die DDR. Dies erhöhte den externen Druck des IWF auf deren Regierungen, während die UdSSR durch das von Reagan initiierte Wettrüsten unter Druck geriet.

Vor diesem Hintergrund kam es zur Wende unter Gorbatschow (1985), mit der versucht wurde, die Rüstungsausgaben zu senken und westliche Kredite und Technologien für die Binnenreformen zu erhalten. Seine Annäherung an die BRD kam einem „Abrücken“ vom Honecker-Regime in der DDR und letztlich der Hinnahme des Mauerfalls gleich. Das Ende des sowjetischen Interventionismus setzte letztlich bei einem Teil der bürokratischen Apparate auch die Tendenz frei, ihre Privilegien zu bewahren und in Eigentumsprivilegien auf kapitalistischer Basis zu überführen und somit eine neue bürgerliche Klasse zu bilden.


Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 6/2019 (November/Dezember 2019). | Startseite | Impressum | Datenschutz