Nahost

Trumps offene Agenda

Die Nahost-Berater von Donald Trump lassen keine Zweifel an ihren Vorhaben, was die Annexion weiterer palästinensischer Gebiete durch Israel und die künftige Stellung der UNRWA angeht. Widerstand durch die Demokratische Partei müssen sie dabei kaum befürchten. Interview von +972 Magazine mit Lara Friedman, Vorsitzende der Foundation for Middle East Peace und langjährige Expertin für Israel und den Nahen Osten über die Aussichten nach den US-Wahlen.

Interview mit Lara Friedman

 Welche Schlüsse ziehen Sie aus den Wahlergebnissen der letzten Woche?

Dies war offensichtlich eine Gelegenheit zur Abrechnung mit den Demokraten, und der Krieg in Gaza hat eine Rolle dabei gespielt. Wenn man sich zum Beispiel Senator Casey in Pennsylvania ansieht, der weniger Stimmen verloren hat, als auf den Kandidaten der Grünen Partei, einen palästinensischen Amerikaner, entfielen, dann ist allein dieses Wahlverhalten eindeutig von Gaza beeinflusst. Ganz offensichtlich hat sich die Zahl der Nichtwähler noch stärker ausgewirkt. Bei der sonst üblichen Wahlbeteiligung hätte [der Ärger über die Gazapolitik] wahrscheinlich keine Rolle gespielt. Der prozentuale Stimmenanteil der Grünen ist nicht größer als in den Vorjahren. Aber in diesem Jahr hatte es einen definitiven Einfluss.

 

Gegen die Annexion der Westbank

Demonstration in Tel Aviv (2020, Foto: TalmorYair)

Wir warten noch auf die endgültigen Zahlen, aber ich denke, die Wahlbeteiligung ist ein wichtiger Faktor. Die Demokratische Partei ging fälschlicherweise davon aus, dass die Wahlbeteiligung ähnlich hoch sein würde wie bei der letzten Biden-Wahl, als ihre Basis voller Energie steckte. Die Desillusionierung dieser Basis ist auch auf die Gaza-Politik zurückzuführen: der Zynismus, das Gefühl, dass „diese Partei sich nicht um uns kümmert und uns nicht vertritt“. Viele Menschen sind entweder nicht zur Wahl gegangen, haben einen Kandidaten einer anderen Partei gewählt oder haben für Trump gestimmt. Und wir haben klare Beweise dafür, wo die Demokraten bei den Wahlen besser abgeschnitten haben als Harris: [in Michigan], einem Bundesstaat, in dem Harris verlor, aber Rashida Tlaib gewann, oder [in Minnesota], wo Harris schlechter abschnitt als Ilhan Omar. […]

Sogar [die Abgeordnete Elissa] Slotkin, eine Jüdin, gewann einen Senatssitz in Michigan, während Harris dort verlor. Niemand kann also behaupten, dass es hier um Antisemitismus geht. Und Slotkin hat sich von Harris unterschieden: Sie hat in Worten ihr Mitgefühl, Empathie und Sorge für die Palästinenser zum Ausdruck gebracht. Auch wenn sie nicht so weit ging, wie einige von uns es sich gewünscht hätten, sagten sich die Wähler offensichtlich: „Ich glaube Ihnen, ich glaube, Sie sorgen sich wirklich.“ Und das macht einen Unterschied. […]

 Ich möchte von den Wahlergebnissen zu der Frage übergehen, was uns erwartet, wenn Trump im Januar sein Amt antritt. Könnten Sie zunächst die voraussichtlichen politischen Prioritäten einer zweiten Trump-Regierung gegenüber Israel-Palästina skizzieren?

Israel-Palästina war für Trump persönlich nie ein zentrales Thema, aber es ist ein zentrales Thema für eine Reihe von Menschen, denen er sich verantwortlich fühlt oder die ihm am Herzen liegen – angefangen bei Miriam Adelson, die eine seiner wichtigsten Spenderinnen war.

Man muss sich anschauen, was von der Agenda [der ersten Trump-Regierung] offen geblieben ist. Die Wahl von Mike Huckabee zum Botschafter in Israel [der leugnet, dass Israel das Westjordanland überhaupt besetzt] beweist, dass Trump die Träume messianisch-zionistischer Juden und evangelikaler Christen von einem „Groß-Israel“ vorantreiben und umsetzen will. Haaretz zitiert Hagit Ofran von Peace Now mit der Aussage, dass es noch vor der Amtseinführung neue Siedlungen in Gaza geben werde.

Ich glaube, dass „Groß-Israel“ jetzt auf der politischen Tagesordnung steht. Schon jetzt ist die Rede von Israels Recht, Gebiete zu annektieren, die zur Selbstverteidigung eingenommen wurden, was natürlich ein kompletter Verstoß gegen das internationale Recht ist. Mit dieser Argumentation erkannte [die erste Trump-Regierung] Israels Annexion der Golanhöhen an und ich denke, das wird auch auf Gaza zutreffen. Auch die Annexion des Westjordanlandes und von Teilen des Libanon stehen m. E. auf der Tagesordnung. Man muss ihnen nur zuhören …

Eugene Kontorovich [vom berüchtigten konservativen israelischen Think-Tank Kohelet Policy Forum] präsentierte seine Vorstellungen, was die Trump-Regierung tun sollte, um all die „Verfehlungen“ von Biden rückgängig zu machen – angefangen mit der Beendigung der Sanktionen gegen Siedler, die sie als eine Form von BDS betrachten. Da gibt man im Grunde dem Siedlerterrorismus grünes Licht. Außerdem fordert Kontorovich, dass Trump die ethnische Säuberung im Gazastreifen aktiv unterstützt, indem er ihnen hilft, aus dem Kriegsgebiet zu fliehen. Trump müsse die Grenze zum Gazastreifen genauso behandeln, wie Biden die Grenze zu Mexiko behandelt hat, nämlich als eine angeblich offene Grenze. Man sollte also Ägypten zwingen, die Grenze zum Gazastreifen zu öffnen, und dann Anreize schaffen oder die Menschen zwingen, die Grenze zu überqueren und ein für alle Mal fortzugehen.

Wenn man sich die jüdisch-amerikanischen Gruppen anschaut, steht auf fast allen ihren Wunschlisten die [gesetzliche Verankerung der] IHRA-Definition [von Antisemitismus] ganz oben. Ihnen geht es bekanntlich darum, Kritik an Israel und dem Zionismus zu kriminalisieren, insbesondere – aber nicht nur – an den Universitäten. Und dieser Punkt steht im Kongress bereits auf der Tagesordnung, und zwar weitgehend parteiübergreifend: Die Republikaner preschen vor, aber die Demokraten tun nichts, um dies zu verhindern. Sie tragen es meist sogar mit, denn wer will nicht für die Bekämpfung des Antisemitismus sein, selbst wenn das jetzt nur eine Umschreibung für die Unterdrückung der Rede-, Gedanken- und Wissenschaftsfreiheit ist.

Trump wird m. E. alles zurücknehmen, was in irgendeiner Weise als anti-israelisch an Bidens Politik verstanden werden könnte, was bedeutet, dass Israel alle gewünschten Waffen bekommt, Annexionen und die Fortsetzung des Krieges bis zum „Sieg“ anstelle eines Waffenstillstands. Man kann darüber spekulieren, ob es Grenzen geben wird, weil Trump die USA nicht in fremde Kriege verwickeln möchte, oder weil er sich über das Auftreten von Netanjahu ärgert. Das mag alles wahr sein, aber für mich wiegt schwerer, was seine Berater sagen, nämlich, dass „Israels Politik auch unsere Politik ist und es keinen Unterschied geben darf“.

Die große Frage für mich ist der Iran, nämlich ob ein Präsident, der auch darum gewählt wurde, um nicht in ausländische Kriege verwickelt zu werden, am Ende von seinen eigenen Beratern und von Netanjahu in einen Krieg mit dem Iran hineingezogen wird, was ich für sehr wahrscheinlich halte.

 Wie Sie gesagt haben, widerlegt die bedingungslose Unterstützung, die Israel unter Biden erhalten hat, all diese Argumente, mit denen Leute wie Kontorovich die Biden-Politik als irgendwie „anti-israelisch“ darstellen. Dient in Ihren Augen die bedingungslose Unterstützung Bidens für Israels Krieg in Gaza und jetzt im Libanon ohne irgendwelche „rote Linien“ als Wegbereiter für die Aushöhlung internationalen Rechts, der Institutionen und der Diplomatie durch die Trump-Regierung?

Zweifellos. Die Demokraten sind – im Einklang mit den Republikanern – bereits dabei, den Internationalen Strafgerichtshof zu sanktionieren, die Mission des UNRWA zu beenden und Israel über das internationale Recht zu stellen, damit es nicht für seine Taten zur Rechenschaft gezogen werden kann. Vielleicht werden sich unter Trump mehr Demokraten dagegen stellen – was ihnen zu Recht seitens der Republikaner den Vorwurf der Heuchelei bescheren würde. Aber warum sollten Leute plötzlich Rückgrat zeigen, wenn sie bisher keines hatten?

[Ein aktuelles Beispiel für die verlogene Politik der Biden-Regierung: Sie hatte Israel Mitte Oktober aufgefordert, die humanitäre Lage im Gazastreifen innerhalb von 30 Tagen erheblich zu verbessern und bspw. die tägliche Einfahrt von mindestens 350 Lastwagen in den Gazastreifen und eine Kampfpause für die Lieferung von Hilfsgütern gefordert. Auch war die Aufhebung von Evakuierungsbefehlen für palästinensische Zivilisten Bedingung des Ultimatums. Andernfalls drohe ein Verstoß gegen US-Gesetze zur militärischen Unterstützung – was auch die amerikanische Militärhilfe für Israel gefährdet hätte. Keiner dieser Forderungen ist Israel nachgekommen und trotz der katastrophalen humanitären Lage im Gazastreifen will die US-Regierung weiterhin uneingeschränkte militärische Unterstützung an Israel leisten. (Anm. d. Übers.)]

Kontorovich fordert übrigens nicht nur die Beendigung der UNRWA-Mission, sondern auch, dass die US-Regierung die diplomatische Immunität des Hilfswerks aufhebt, so dass Israel UNRWA-Mitarbeiter wegen Terrorismus verklagen kann. Wenn Menschen, die für die UNO arbeiten, von einzelnen Staaten wegen Terrorismus verklagt werden können, weil sie die humanitäre Arbeit ihrer Organisation geleistet haben, ist dies das Ende des UN-Systems. Wenn Israel die Menschen in den UNRWA-Konvois nach Belieben bombardieren kann, kann dort niemand mehr arbeiten.

Am 4. November schrieben Senator Cruz und zehn weitere Republikaner im Senat, die alle im nächsten Jahr [im Kongress] sitzen werden, einen Brief als Reaktion auf die Bemühungen, Israel wegen systematischer Verletzung des Völkerrechts, Verletzung der Resolutionen des UN-Sicherheitsrats und Völkermordes von der UN-Generalversammlung auszuschließen. Sie sagen im Grunde, dass wir, wenn die Palästinenser dies verfolgen, alle möglichen Sanktionen gegen die Palästinenser und alle Staaten oder Organisationen, die mit ihnen zusammenarbeiten, zur Anwendung bringen werden. Im Grunde wird damit nicht nur das Osloer Abkommen getilgt, sondern werden wir in die Zeit vor Madrid [1991] zurückversetzt, als die USA jede Form von palästinensischer Organisation oder damit zusammenhängender politischer Aktivitäten als Terrorismus ansehen.

Und ich glaube nicht, dass die Demokraten im Senat sich dem widersetzen werden, wenn sie das Gesetz durchsetzen. Es ist fast ein Glaubensartikel in unserem Kongress, dass die UNO in allem, was mit Israel zu tun hat, illegitim und antisemitisch ist, und dass es die Pflicht der USA ist, dies zu verhindern, selbst wenn das möglicherweise bedeutet, die UNO zu Fall zu bringen. Wir haben eine Gesetzgebung, die Jahrzehnte vor Madrid und Oslo zurückreicht und immer noch in Kraft ist, die besagt, dass wir aus der UNO austreten und ihr die Mittel entziehen, wenn die Palästinenser als vollwertiger Staat zugelassen werden. Niemand, nicht einmal die Demokraten, sind jemals bereit, dieses Gesetz zu überprüfen. […] Angesichts der Arbeitsweise des Kongresses vermute ich, dass wir eine Anti-UNRWA-Gesetzgebung haben werden, die mit Konsequenzen verbunden ist: Wenn die UNO das UNRWA nicht auflöst, dann wird es Sanktionen geben.

Ich möchte sagen, dass eines der Dinge, die mich beunruhigen, ist, dass selbst unter den Demokraten, die sich für das UNRWA einsetzen, viele von ihnen Formulierungen wie „im Moment gibt es keine Alternative“ verwenden. Sie tun dies mit der Begründung, es handele sich um eine humanitäre Angelegenheit in Gaza, und sie verstehen nicht die politischen Gründe, warum man versucht, das UNRWA zu zerstören. Aber hier geht es nicht nur um humanitäre Hilfe.

      
Mehr dazu
Interview mit Uri Weltmann: „Ewiger Krieg oder Ende der Besatzung und Frieden“, die internationale Nr. 2/2025 (März/April 2025) (Online-Vorabdruck).
DOSSIER: Deutschland unterstützt den Krieg gegen Gaza, die internationale Nr. 1/2025 (Januar/Februar 2025).
Em Hilton: Vom Sünden­bock zum Liebling der Rechten, die internationale Nr. 1/2025 (Januar/Februar 2025).
Offener Brief an die deutsche Bundesregierung: Schluss mit der Unterstützung des Völkermords, die internationale Nr. 1/2025 (Januar/Februar 2025).
Anti*Capitalist Resistance: Trumps zweite Amtszeit – Zeit für globale Gegenwehr, die internationale Nr. 1/2025 (Januar/Februar 2025) (nur online). Auch bei intersoz.org.
Nationales Komitee von Solidarity: Erste Stellungnahme zum Sieg von Trump, die internationale Nr. 1/2025 (Januar/Februar 2025) (nur online). Auch bei intersoz.org.
 

Israel und die Trump-Regierung könnten die Demokraten erfolgreich [davon überzeugen], dass es einen anderen Weg gibt, humanitäre Hilfe [nach Gaza] zu bringen. Aber ich glaube nicht, dass sie das tun werden, denn [Israel] will dort keine humanitäre Hilfe, sondern will die Menschen aus dem Gazastreifen vertreiben; das wurde ganz klar gesagt. Und ich denke, die Trump-Regierung wäre mit dieser Politik vollkommen einverstanden.

Zu Beginn des Krieges haben die Israelis die Räumung des Gazastreifens als humanitäre Maßnahme dargestellt und angedeutet, dass sie in der Wüste Sinai Lager errichten würden, in denen die Menschen alle Hilfe bekommen könnten, die sie brauchen, sobald sie aus Gaza weg sind. Ich denke, darauf steuern wir zu: humanitäre Hilfe als Umschreibung für ethnische Säuberung.

Ich höre immer wieder, wie wohlmeinende Menschen versuchen, den politisch Verantwortlichen klarzumachen, dass das Ende der UNRWA-Mission, auch im Westjordanland und in Ostjerusalem, eine humanitäre Katastrophe bedeuten würde. Aber dies ist der springende Punkt. Die humanitäre Katastrophe ist ein Merkmal, kein Fehler. Sie ist ein Instrument der ethnischen Säuberung.

Wenn [die Lage in Gaza] so schlimm wird, dass die internationale Gemeinschaft schließlich einwilligt, [dass] alle Menschen den Gazastreifen verlassen müssen, um Hilfe zu erhalten, ist das ein Gewinn für Israel. Wenn die Situation im Flüchtlingslager Shuafat, die schon vorher schlimm war, wirklich unerträglich wird und wir eine Polio-Epidemie haben, die es erforderlich macht, die Menschen über die jordanische Grenze zu bringen, um ihnen die notwendige medizinische Versorgung zukommen zu lassen, ist das ein Gewinn für Israel. Israel würde das Flüchtlingslager gerne abreißen, denn rundherum gibt es Siedlungen, die sich gerne in diesem Gebiet ausbreiten würden. […]

Jonathan Adler ist Mitherausgeber des +972 Magazine
aus +972 Magazine vom 13.11.2024
Übersetzung (gekürzt): MiWe



Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 1/2025 (Januar/Februar 2025). | Startseite | Impressum | Datenschutz