Nahost

Israel als imperialistischer Stoßtrupp im Nahen Osten

Jahrzehntelang fungierte Israel als „Kettenhund des Imperialismus“ im Nahen Osten, wie es die israelische Zeitung Haaretz schon in den 1950er Jahren schrieb.

„Editorial“ zum Nahostkrieg

Mit der eigenen massiven militärischen Intervention der USA in der Region (2. Golfkrieg 1990/91 und Krieg gegen den Irak ab 2003) war die Bedeutung Israels für die imperialistische Kontrolle des Nahen Ostens zurückgegangen. Für die inzwischen wieder größer gewordene Rolle Israels in diesem Zusammenhang gibt es im Wesentlichen zwei Gründe:

Erstens ist die israelischeGesellschaft seit Jahren in einer tiefen politischen Krise, was dazu führt, dass Netanjahu sein Heil vor allem in der dramatischen Zuspitzung der ethnischen Säuberung Palästinas sucht. Hierfür bildete der 7. Oktober 2023 in gewisser Weise eine unerwartete, aber willkommene Gelegenheit. Im Gazastreifen hat diese Politik inzwischen das Ausmaß eines Völkermords angenommen. Aber auch die vorangegangenen Gazakriege (nicht zuletzt das brutale Abschlachten von friedlichen Demonstrierenden beim Großen Marsch der Rückkehr 2018 und 2019) sowie das immer härtere Vorgehen der Armee und der Siedler im Westjordanland belegen diese Politik der ethnischen Säuberung, und zwar schon lange vor dem 7. Oktober.

Der in dieser Logik nun gestartete Krieg gegen den Iran verfolgt die gleiche Absicht: eine „Neuordnung“ des Nahen Ostens durch die Etablierung Israels als vorherrschende Regionalmacht, die andere Regierungen und die Menschen in der ganzen Region das Fürchten lehrt. Wie sich diese rassistische Politik konkret für die palästinensische Bevölkerung auswirkt, ist in den folgenden Artikeln dieses Heftes zu lesen.

Zweitens ist es erklärtes Ziel der US-Politik der letzten Jahre – vor allem unter Trump 2.0 –, weniger selbst militärisch gegen andere Länder vorzugehen. Stattdessen soll dem Wirtschaftskrieg gegen die aufstrebende Großmacht China, den „Hauptfeind“, absoluter Vorrang eingeräumt werden.

Die konkrete Politik der Netanjahu-Regierung und die damit verbundene Dynamik (die auch neue Chancen für den US-Imperialismus eröffnet) führte allerdings dazu, dass die US-Regierung nun doch auch selbst direkt im Iran-Krieg interveniert. Der Angriff der USA vom 21.6. hat natürlich nichts mit dem Atomprogramm des Irans zu tun. Schließlich kommen die US-Geheimdienste nachlesbar zu dem Schluss, dass der Iran noch Jahre bräuchte, um Atombomben zu bauen. Verhandlungen waren zwischen dem Iran und Deutschland, Frankreich und Großbritannien wieder angelaufen. Es sind ausschließlich geopolitische Interessen, die die US-Regierung motiviert haben, allen möglichen Widersachern zu zeigen, wo der Hammer hängt. Indirekt waren die USA natürlich schon die ganz Zeit in die Vorbereitungen für Israels Krieg involviert, denn ohne die logistische Unterstützung mittels der US-Aufklärungssatelliten und Leitsysteme wäre das umfangreiche Bombardement des Irans durch Israel gar nicht möglich gewesen.


Die Schuldigen sind auf drei Seiten


Folgt man der hiesigen Berichterstattung in den großen Medien, dann bekommt man den Eindruck, als würden im Iran (fast) ausschließlich militärische Ziele getroffen, so als ob dieser Krieg keine großen menschlichen Opfer verursacht. In Wirklichkeit ist die iranische Bevölkerung extrem in Mitleidenschaft gezogen. Schon nach 3 Tagen gingen die Opferzahlen in die Hunderte, andere Quellen sprechen von Tausenden, die Versorgung mit Lebensmitteln und Trinkwasser ist extrem eingeschränkt. Hunderttausende werden von den Raketeneinschlägen terrorisiert, Millionen sind auf der Flucht. Eine eh schon stark unter der wirtschaftlichen Krise leidende Bevölkerung wird mit diesem Krieg in noch größeres Elend gestürzt.

Der erste Verantwortliche und Schuldige für diese Lage ist die israelische Regierung. Sie hat – wie halbwegs neutrale Beobachter übereinstimmend erklären [1] - keineswegs in Selbstverteidigung gehandelt, eine Formulierung, die gerne von Invasoren genutzt wird, aber ganz besonders gerne vom zionistischen Staat, so etwa schon beim 6-Tage-Krieg 1967 (den er als Präventivkrieg bezeichnete).

Dass die israelische Bevölkerung auch nach Tagen mit eigenen Opfern den Irankrieg befürwortet, beruht auf einer jahrzehntelangen erfolgreichen Propaganda der israelischen Regierungen, die den Iran permanent als unmittelbare Bedrohung geißelte. Gerade heute ist diese Propaganda besonders grotesk, ist doch das iranische Regime seit der entscheidenden Schwächung der Hisbollah (im Libanon) und dem Sturz des Assad-Regimes heute außenpolitisch und militärisch recht schwach. Vor allem aber: Die Fähigkeit des Irans, Atombomben zu bauen und sie dann auch noch über Israel abzuwerfen ist überhaupt nicht bewiesen. Nicht nur hat der Iran – im Gegensatz zu Israel – den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet, eine solche Aktion gäbe für das Teheraner Regime überhaupt keinen Sinn. Schließlich würden damit auch Palästinenser:innen getroffen, als deren Beschützer es ja aufritt.

Der israelische Historiker und Iran-Spezialist Haggai Ram [2] erläutert in einem Interview mit Mediapart vom 15. Juni, dass alle israelischen Regierungen seit dem Sturz des Schah-Regimes im Iran eine obsessive Dämonisierung des Irans betrieben haben. Speziell Netanjahu hat ein großes Eigeninteresse daran, denn er möchte gern als der Besieger des Irans in die Geschichte eingehen. Das könnte ihn später vor juristischem Ungemach schützen (er ist wegen Korruption angeklagt).

      
Mehr dazu
Koordination der ISO: Stoppt den Krieg!, intersoz.org (30.06.2025)
Büro der Vierten Internationale: Israel jetzt stoppen!, die internationale Nr. 4/2025 (Juli/August 2025). Auch bei intersoz.org.
Erklärung aus der iranischen Opposition, die internationale Nr. 4/2025 (Juli/August 2025). Auch bei intersoz.org.
Samah Salaime: Die Rechte der Frauen sind teilbar, die internationale Nr. 4/2025 (Juli/August 2025).
Qassam Muaddi: Der Massenmord in Gaza, die internationale Nr. 4/2025 (Juli/August 2025).
Jodie Jones: Abschiebung wegen Palästinasolidarität, die internationale Nr. 4/2025 (Juli/August 2025).
Hermann Dierkes: Der Anfang vom Ende?, die internationale Nr. 4/2025 (Juli/August 2025).
Jakob Schäfer: Bankrott der „westlichen Wertegemeinschaft“, die internationale Nr. 4/2025 (Juli/August 2025).
Auszüge aus Reden vor dem Internationalen Gerichtshof, die internationale Nr. 4/2025 (Juli/August 2025).
Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus, die internationale Nr. 4/2025 (Juli/August 2025).
Al-Mounadil-a: Solidarität in Marokko, die internationale Nr. 4/2025 (Juli/August 2025).
Gideon Levy: Geschichte als Feigenblatt, die internationale Nr. 4/2025 (Juli/August 2025).
Büro der Vierten Internationale: Trump und Netanjahu: Todfeinde der Völker im Nahen Osten und weltweit! Hände weg vom Iran!, die internationale Nr. 4/2025 (Juli/August 2025) (nur online). Auch bei intersoz.org.
 

Dass das Regime des „obersten Führers“ Chamenei zivile Ziele in Israel bombardiert und nicht militärische, liegt natürlich an der dafür viel zu schwachen Logistik des Irans.

Der zweite Hauptverantwortliche ist der westliche Imperialismus, allen voran die USA. Trump hatte schon in seiner ersten Amtszeit der zionistischen Regierung den Rücken gestärkt (Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem, Unterstützung der Siedlungspolitik, Anerkennung der Annexion der Golanhöhen …). Ohne die vom Imperialismus gelieferten Waffen (v. a. Flugzeuge und Bomben) wäre die ganze israelische Kriegspolitik (Gaza, Libanon, Syrien und jetzt Iran) gar nicht möglich. Die Hauptlieferanten sind nach wie vor die USA und Deutschland. Wie verlogen und politisch-moralisch bankrott die westliche Wertgemeinschaft agiert, zeigt sich daran, dass man sich noch nicht mal bereit erklärt, diesen Angriffskrieg zu verurteilen. Stattdessen wird immer nur über die zu verhindernde Atombewaffnung des Irans gesprochen. Kaum einer drückt es unverhohlener aus als Merz, wenn er von der „Drecksarbeit“ spricht, die Israel (er meint wohl für uns alle) tut. Die deutsche Regierung macht sich also nicht nur seit Jahren mitschuldig am Völkermord im Gazastreifen, sondern auch an diesem neuen Angriffskrieg. Einen Angriffskrieg zu verurteilen, geziemt sich für Imperialisten halt nur, wenn man damit den geopolitischen Gegner ins Visier nehmen kann.

Der dritte Schuldige allerdings an diesem Krieg ist das korrupte und mörderische Regime in Teheran, das nicht nur die eigene Bevölkerung unterdrückt und hungern lässt, sondern für seine Außenpolitik stark auf das Militär setzt. Verheerend dabei ist das Atomprogramm, vollkommen unabhängig davon, ob damit irgendwann einmal Atombomben gebaut werden können. Schließlich gibt es im Iran kein Energieproblem und ein solches Programm verschlingt unsäglich viele Mittel.

Entscheidend für diese Politik ist: Das Regime möchte zumindest potentiell Atommacht werden, um sich damit als regionaler Player zu behaupten. In Wirklichkeit aber liefert es damit dem Imperialismus – und gerade dem expansiven Israel – den idealen Vorwand, den Iran anzugreifen. Für Israel hat diese Konfrontation den Vorteil, dass die Regierung mit diesem äußeren Feind von den innenpolitischen – und zunehmend auch ökonomischen – Problemen ablenken kann. Vor allem: Mit einem solchen Krieg kann der gesamten Region Angst und Schrecken eingejagt werden. Das strategische Ziel des Zionismus ist es, sich so stark als Regionalmacht zu etablieren, dass niemand sich traut, seiner Politik der ethnischen Säuberung entgegenzutreten.

J. Schäfer, M. Weis, J. Herzog, B. Mertens (Mitglieder der Redaktion)
20.6.2025



Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 4/2025 (Juli/August 2025). | Startseite | Impressum | Datenschutz


[1] Siehe etwa: https://www.pressenza.com/de/2025/06/vom-recht-auf-angriffskrieg/

[2] https://www.europe-solidaire.org/spip.php?article75363. Haggai Ram ist Antizionist und lehrt an der Ben Gurion Universtität (Negev). Detailliert legte er seine Analyse schon vor 20 Jahren in seinem Buch: Iranophobia : The Logic of an Israeli Obsession (Stanford University Press) dar.