Als Aktivist:innen können wir die anhaltende breite Solidaritätsbewegung des marokkanischen Volkes mit der palästinensischen Bevölkerung inmitten der ethnischen Säuberung nur begrüßen. Seit über einem Jahr ist diese Bewegung in verschiedenen Formen aktiv.
Al-Mounadil-a
In vielen marokkanischen Städten fanden Solidaritätskundgebungen statt, auf denen die zionistische Aggression gegen die trotz schwierigster Bedingungen entschlossen widerstehende Bevölkerung im Gazastreifen verurteilt wurde.
Allerdings muss man einräumen, dass die Solidaritätsbewegung weitaus verhaltener als noch vor Jahrzehnten ist. Damals sind viele Studenten und Schüler spontan und aufopferungsvoll auf die Straßen gegangen für die Solidarität mit dem palästinensischen Volk und zwangen die Regierung, ihre Beziehungen zum zionistischen Regime noch zu kaschieren. Gegenwärtig liegen die „normalen“ Beziehungen zu Israel offen auf der Hand, sowohl auf offizieller Ebene als auch von Teilen der „Zivilgesellschaft“ und von unabhängigen Persönlichkeiten aus dem kulturellen und künstlerischen Leben.
Dem herrschenden Regime ist es gelungen, die Kämpfe im Allgemeinen und die Solidaritätsbewegung mit dem palästinensischen Volk im Besonderen zurückzudrängen. Alle Kräfte, die für das Regime unbequem waren, wurden unterdrückt oder zerschlagen. Die historische liberale Opposition und auch manche religiösen Strömungen passten sich dem Regime an und verhielten sich ruhig, um eine Konfrontation mit dem Regime zu vermeiden.
Marokko unterstützt offiziell die „Zwei-Staaten-Lösung“ und verurteilt verbal die von Israel ausgehende Gewalt, doch es unterhält Beziehungen zu Israel, die seit dem Normalisierungsabkommen auch ganz offen stattfinden. Das Bayt Mal Al-Quds-Komitee führt Hilfsprojekte in Jerusalem und im Westjordanland durch, wie den Bau von Schulen und den Wiederaufbau von Häusern. Die Devise des Regimes lautet „Unsere Herzen sind mit Ali und unsere Schwerter sind mit Muawiyah“: d. h. die offizielle Unterstützung Palästinas soll über die wirtschaftliche und sicherheitspolitische Normalisierung mit Israel laufen.
Häufig entstehen lokale Solidaritätsnetzwerke wie die Komitees zur Unterstützung des palästinensischen Volkes, aus denen sich manchmal „Solidaritätsfronten“ entwickeln. An diesen sind Islamisten, linke oder unabhängige Aktivisten beteiligt, insbesondere bei größeren Krisen (wie den Gazakriegen 2021 und 2023).
Die Solidarität mit dem palästinensischen Volk geht heute von Bündnissen aus, an denen politische Kräfte, Gewerkschaften, Vereinigungen und unabhängige Persönlichkeiten unterschiedlicher Couleur beteiligt sind, die zumeist islamischen Bewegungen nahestehen, die unter der Bevölkerung aktiv sind. Diese dominieren die Solidaritätsinitiativen mit dem palästinensischen Volk aufgrund ihres politischen, ideologischen und organisatorischen Einflusses und ihrer Verankerung in der Bevölkerung. Sie nutzen ihre sozialen und propagandistischen Netzwerke, um die öffentliche Meinung zu mobilisieren, indem sie auf die religiöse Schiene setzen und die Solidarität der Bevölkerung mit einem berechtigten emanzipatorischen Anliegen zu einer Religionsfrage stilisieren, die die politischen und sozialen Dimensionen des aktuellen Konflikts in Palästina ignoriert.
Die wichtigste islamistische Bewegung „Justice et Spiritualité“ organisiert Märsche und Mahnwachen in Großstädten unter Parolen wie „Befreiung Palästinas“ und „Widerstand gegen die Normalisierung [der Beziehungen zu Israel]“. Sie führt mit ihren eigenen Methoden Aufklärungskampagnen in Moscheen und Arbeitervierteln durch und sammelt Spenden für die Unterstützung der Palästinenser:innen. Dabei verwendet sie einen Diskurs, der religiöse (Schutz der heiligen Stätten) und politische (Antizionismus oder gar Antisemitismus) Aspekte miteinander vermengt. Seit sie an der Spitze der Regierung steht, hat sich die Partei sichtbar gemäßigt.
Die Linke ist zu schwach, um in der Solidaritätsbewegung eine führende Rolle einzunehmen, und ein Teil von ihr hat sich bereits daraus zurückgezogen. Während sie in der Vergangenheit federführend im Kampf gegen Kolonialismus und Tyrannei war, hat sie an Einfluss und den Kontakt zu den Massen verloren und ist organisatorisch geschwächt und zersplittert. Ein Teil ringt um ihre organisatorische und intellektuelle Identität, während der andere aufgehört hat, links zu sein und sich stattdessen loyal zur herrschenden Macht verhält.
Die organisatorisch starken und mobilisierungsfähigen marokkanischen Gewerkschaften, für die der Konflikt in Palästina als „nationale Frage“ gilt, veröffentlichen zwar symbolische Solidaritätserklärungen, bleiben vor Ort aber weitgehend inaktiv und übernehmen keine zentrale Rolle. Die Gründe liegen darin, dass ihre Führung nicht in der Basis verankert ist und die Konfrontation mit dem Regime scheut. Ihre Hauptsorge ist, ja keinen Volksaufstand auszulösen.
Die Marokkanische Progressive Bewegung veröffentlicht Solidaritätserklärungen und nimmt an den Märschen teil, allerdings mit einer im Vergleich zu den islamistischen Kräften geringen Präsenz. Vorrangig ist für sie, die palästinensische Sache mit dem Kampf gegen den Imperialismus, die lokale Reaktion und den Zionismus zu verbinden. Menschenrechtsgruppen (wie die Association Marocaine des Droits de l‘Homme) dokumentieren die von der israelischen Besatzung begangenen Verstöße, organisieren intellektuelle Seminare, kritisieren die Normalisierung zwischen Marokko und Israel und fordern den Abbruch der Beziehungen. Die historische Studentengewerkschaft Union nationale des Étudiants du Maroc hat erheblich an Einfluss verloren und auch die spontanen Solidaritätsaktionen an den Gymnasien und Universitäten gibt es nicht mehr.
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Dieser Kreislauf muss durchbrochen werden: Die progressiven und säkularen Kräfte müssen wieder an führender Stelle in der Solidaritätsbewegung mit Palästina aktiv werden. Es müssen breite Koalitionen aufgebaut werden, und die militante Linke und die Gewerkschaften müssen entschlossener Position beziehen.
Unsere Aufgaben in diesem Kampf sind:
Die Zersplitterung der kämpferischen Linken und ihre intellektuellen Verirrungen beenden; progressive und säkulare Kräfte in einem breiten Bündnis vereinen, das die palästinensische Sache mit dem Kampf gegen den Imperialismus und die kapitalistische Ausbeutung auf lokaler und globaler Ebene verbindet; dauerhafte Kampagnen vor Ort (Märsche, Streiks, Sit-ins) führen, statt nur symbolische Erklärungen abzugeben und dabei die Jugend und die Arbeiterklasse einbeziehen; die palästinensische Frage als einen Kampf für nationale Befreiung und soziale Gerechtigkeit und nicht nur als einen religiösen oder ethnischen Konflikt darstellen, um dem Einfluss der Islamisten entgegenzuwirken.
Solidarität zu einer gewerkschaftlichen Aufgabe machen und die palästinensische Sache in den gewerkschaftlichen Forderungskatalog aufnehmen; beispielsweise muss der Zusammenhang zwischen der Ausbeutung durch Unternehmen, die in die israelische Besatzung verwickelt sind, und der Verletzung von Arbeiterrechten auf lokaler Ebene aufgezeigt werden; Boykottkampagnen wie die Kampagne Boykott Desinvestitionen Sanktionen (BDS) organisieren und in Zusammenarbeit mit internationalen Gewerkschaften durchführen; marokkanische Unternehmen, die mit dem zionistischen Regime kooperieren, anprangern und Druck auf den Staat ausüben: die taktischen Fähigkeiten der Gewerkschaften nutzen, um die sicherheitspolitische und wirtschaftliche Normalisierung mit Israel zu bekämpfen.
Überparteiliche Basisinitiativen unterstützen wie medizinische Hilfskomitees für Palästina oder kulturelle Kampagnen, die die Verbrechen der Besatzung anprangern, sowie die Kampagne zum Boykott des zionistischen Regimes (BDS) etc.
Die Versuche islamischer Gruppen kritisieren, die palästinensische Sache auf einen „islamischen Krieg gegen die Juden“ zu reduzieren, und stattdessen öffentlich an die Geschichte der jüdisch-arabischen Solidarität mit Palästina erinnern.
Die Widersprüche in der Position des Staates aufdecken, indem die Kluft zwischen der offiziellen Rhetorik zugunsten Palästinas und der realen Zusammenarbeit mit Israel in den Bereichen Sicherheit und Wirtschaft aufgezeigt wird.
Zum Abbruch der Beziehungen aufrufen, indem der Staat aufgefordert wird, das Normalisierungsabkommen von 2020 aufzuheben und jede Form der Koordination mit dem zionistischen Regime einzustellen, was die Voraussetzung für jede echte Solidarität ist.
Aus den „temporären Solidaritätsparolen“ während der Kriege eine dauerhafte Bewegung zur Unterstützung der Befreiung Palästinas machen, die mit sozialer Gerechtigkeit auf lokaler und globaler Ebene verbunden ist.
5. April 2025 |
Dieser Artikel erschien in die internationale Nr. 4/2025 (Juli/August 2025). | Startseite | Impressum | Datenschutz