Vincent Gay
Das französische Klima-Aktionsnetzwerk «Réseau Action Climat (RAC)», Mitglied des internationalen Climate Action Network, verfasste anlässlich der Wahlen von 2007 ein recht schlüssiges Papier, das zehn Maßnahmen auflistet, die den Parteien zur Aufnahme in ihre Programme vorgeschlagen werden. [1] Es handelt sich dabei um eine Art Dringlichkeitsplan zur Herbeiführung einer Energiewende. Ziel ist, die Energie sparsamer und effizienter zu nutzen und die Entwicklung umweltfreundlicher Energien voranzutreiben. Die LCR führte über die Vorschläge des RAC eine Diskussion, die wir im Folgenden zusammenfassen, wobei wir die Forderungen der LCR vorstellen und gewisse Meinungsunterschiede zum RAC aufzeigen. Wir möchten damit einen Beitrag leisten, um gemeinsam mit anderen Teilen der Ökobewegung den Kampf für den Schutz von Klima und Umwelt zu unterstützen.
Betreffend Wärme- und Dämmvorschriften schätzt eine europäische Studie aus dem Jahr 2003, dass die Isolation bestehender Gebäude in der EU die Energiekosten und CO2-Emissionen um 42% senken könnte. Dies entspricht 353 Mt CO2-eq. pro Jahr. Frankreich ist diesbezüglich jedoch stark im Rückstand. Würde es die Normen Dänemarks übernehmen, könnte der Energieverbrauch in den Gebäuden um fast die Hälfte reduziert werden. Aus Sicht der LCR gilt es deshalb, zwei Ziele zu verfolgen:
Energie sparen in Gebäuden: Wir schlagen vor, dass bestehende Häuser renoviert werden müssen, wenn ein Wechsel stattfindet (Verkauf oder Neuvermietung). Dabei soll bei Wänden und Dachabdeckungen begonnen werden. Neubauten müssen die Wärmevorschriften erfüllen. Unter Umständen ist es nötig, diese Vorschriften zu verschärfen und ihre Einhaltung besser zu kontrollieren, als es heute der Fall ist. Außerdem ist ihr Geltungsbereich auf renovierte Gebäude auszudehnen. Die Energieetiketten für bestehende Gebäude liefern keine Garantie, dass greifende Normen eingeführt werden. Man müsste dies auch im Dienstleistungssektor und bei Gebäuden der öffentlichen Hand durchführen; besondere Anstrengungen sind zudem bei Sozialwohnungen nötig. Es gilt, einen Verbrauch von 50 kWh/m2/Jahr zu erreichen und mittelfristig 500 000 neue Sozialwohnungen zu bauen.
Gleichzeitig muss die Entwicklung erneuerbarer Energien auf die Wohnungspolitik abgestimmt werden. Neue Techniken zur Erzeugung von Heizwärme und Strom sollen systematischer eingesetzt werden: Holzverarbeitung, thermische und photovoltaische Solarenergie, Erdwärme … und Verfahren mit Kraft-Wärme-Kopplung. Wir empfehlen, Neubauten mit Solaranlagen auszustatten. Dazu bedarf es größerer Investitionen. Die Einrichtungen nehmen aber unterschiedliche Ausmaße an, vom einzelnen Haus bis zu großen Komplexen. Wir befürworten das Festlegen von Schwellenwerten, die dank der Gebäudeisolation nicht überschritten werden. Die Energie zur Deckung des laufenden Bedarfs soll mit der Zeit nicht mehr fossilen Ursprungs sein.
Solche Projekte funktionieren nur mit einer entsprechenden Stadt- und Wohnungspolitik. Im Wohnungswesen muss ein öffentlicher Dienst geschaffen werden, der fähig ist, Vorschriften aufzustellen und ihre Einhaltung durchzusetzen. Außerdem wird es nötig sein, die Ausbildung der ArbeitnehmerInnen neu auszurichten und mit einer umfangreichen und geplanten Produktion umweltfreundlicher Energietechniken zu beginnen. Schließlich müsste der Staat binnen kurzer Frist eine Informations- und Sensibilisierungskampagne zum Thema Energiesparen und umweltfreundliche Energien starten.
Der Verkehr ist nicht nur ein Schlüsselsektor der kapitalistischen Wirtschaft, sondern steht auch im Zentrum der Klimakrise. Es braucht also tief greifende Änderungen. Unsere unmittelbaren Forderungen müssen auf einen Bruch mit dem alles beherrschenden Straßenverkehr zielen. Das RAC konzentriert seine Vorschläge auf den Fahrzeugbau und auf Geschwindigkeitsbeschränkungen auf den Straßen. Solche Maßnahmen sind zweifellos nötig. Es dürfen keine Fahrzeuge auf den Markt gelangen, die mehr als 120 g CO2 pro Kilometer ausstoßen. Man muss sich aber vor allem mit der Frage der Transportflüsse auf den Straßen beschäftigen. Dabei gilt es, differenzierte Antworten zu geben, je nachdem, ob man vom Privatverkehr oder vom Warentransport spricht; in jedem Fall geht es aber um die Reduzierung der Fahrten. Eine ökologisch orientierte Regierung müsste einen umfassenden, mehrjährigen Investitionsplan auf nationaler und europäischer Ebene vorlegen, um Folgendes zu erreichen: Bau von Tram- oder Bahnverbindungen von Vorort zu Vorort in größeren Agglomerationen, bessere Erschließung von Vororten mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Schaffung inter- und überregionaler Bahnverbindungen zwischen mittleren Städten, starker Ausbau des Huckepackverkehrs (Rollende Landstraße) und folglich der Bahnfrachtkapazitäten, Entwicklung der Seekabotage und der Transporte via Wasserwege, Planung von Rad- und Fußwegen in Städten, aber auch in Arbeitszonen (Industrieareale, Schiffshäfen, Flughäfen usw.). Dank solcher Investitionen wird es denkbar,
überregionale und internationale Straßentransporte zu verbieten;
den Straßentransit durch Frankreich zu verbieten;
Kurzstreckenflüge zu verbieten, vonbesonderen Ausnahmen abgesehen;
den Autoverkehr in Städten und Agglomerationen radikal zu begrenzen;
keine weiteren Autobahnen zu bauen;
öffentliche Verkehrsmittel gratis zugänglich zu machen, wobei die umweltfreundlichsten erste Priorität genießen.
Manche dieser Maßnahmen, etwa der Stopp des Autobahnbaus oder ein kostenloser öffentlicher Verkehr, stehen in direkter Verantwortung der öffentlichen Hand und können sofort umgesetzt werden.
Für Haushaltgeräte müssen strenge Vorschriften gelten, wenn wir den Gesamtverbrauch an Energie senken wollen. Sobald der Markt sparsame und zugleich auch preisgünstige Geräte anbietet, wird sich die Lage bessern. Deshalb muss man die Geräteproduzenten dazu verpflichten, einen Mindeststandard an Energieeffizienz zu erreichen und die Preiserhöhungen zu begrenzen, damit sich die KonsumentInnen die Geräte leisten können.
In einem Staat, dessen Landwirtschaft etwa 19% der Treibhausgasemissionen verursacht, ist die Verminderung des Stickstoffeintrags eine der dringlichsten Aufgaben. Es geht dabei auch darum, den Gesamtenergieverbrauch zu senken und sich vom landwirtschaftlichen Produktivismus zu verabschieden, der zu diesem Verbrauch kräftig beigetragen hat. Betreffend Stickstoffeinsatz schlägt das RAC ein Abgabesystem vor, das nach einem Bonus-Malus-System funktioniert und sich nach der verwendeten Stickstoffmenge richtet. Doch wie weit wird die Abgabe die Produktion von Treibhausgasen senken? Können es sich die Großbauern, die am meisten Dünger einsetzen, nicht leisten, Abgaben zu zahlen und die Umwelt weiter zu belasten? Das System der Landwirtschaftssubventionen muss so geändert werden, dass eine umweltschonende und die Landwirte respektierende Landwirtschaft gefördert wird. Im Vordergrund stehen dabei vor allem Betriebe, die den Stickstoffeinsatz stark limitieren. Auf europäischer Ebene braucht es Vorschriften, die den Düngereinsatz je nach Anbaufläche und Kulturtyp begrenzen. Bei Überschreitung der festgelegten Höchstmenge sollen die Betriebe mit einer hohen, exponentiell steigenden Abgabe belastet werden. Schließlich müsste es sich das Landwirtschaftsministerium zur Aufgabe machen, andere Anbaumethoden zu fördern, sowohl zum Schutz des Bodens, als auch zur rationelleren Nutzung des Wassers: Schluss mit zerstörerischer Bodenbearbeitung, Übergang zur Methode der Direktsaat mit ökologischer Mulchschicht (ausgeglichene Feuchtigkeits- und Stickstoffverhältnisse), weniger Bewässerung dank Verwendung von lokal angepasstem Saatgut, starke Verminderung der Stoffeinträge, usw.
Projektfinanzierungen sind für die Wirtschaft von entscheidender Bedeutung, und sie sind eines der Werkzeuge, mit denen die Machthabenden die Länder der Peripherie unterdrücken. Würde man solche Finanzierungen von Umweltkriterien abhängig machen, könnte man an zwei Säulen des Kapitalismus rütteln:
an der Stellung des Erdöls in der Weltwirtschaft;
an der Rolle der internationalen Finanzinstitute, die immer mehr Autonomie genießen und nicht öffentlich kontrolliert werden.
Institutionen wie die Welthandelsorganisation (WTO) haben vor allem die Funktion, die Märkte zu deregulieren und lokale Märkte für den Welthandel zu öffnen. Solche Einrichtungen zu reformieren, ist nicht wirklich sinnvoll. Andere können vielleicht umorganisiert werden, indem man sie unter öffentliche Kontrolle stellt und von der Deregulierungslogik löst. Ein solches öffentliches Eingreifen soll unter Zusammenarbeit der Bevölkerungen von Industrie- und Entwicklungsländern geschehen und dazu dienen, Investitionen und Finanzierungen zugunsten klimaschonender Projekte zu tätigen, Subventionen für die Ölindustrie zu stoppen und den Kohleverbrauch zu senken – unter der Bedingung, dass die Menschen, die diese Energien nutzen müssen, keinen Einkommensverlust erleiden.
Ferner müssen die Länder des Nordens endlich ihre ökologische Schuld gegenüber den Ländern des Südens eingestehen. Die Anerkennung dieser Schuld muss dazu führen, dass die mächtigen Länder die Schulden des Südens erlassen und einen umfangreichen, kostenlosen Transfer umweltfreundlicher Technologien in die Wege leiten, so dass sich arme Länder auf ökologische Weise entwickeln können.
Bei allen Projekten, die mit Steuern oder Umweltabgaben zu tun haben, stößt man unweigerlich auf ein zentrales Problem: Wie lassen sich Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit miteinander in Einklang bringen? Ganz offensichtlich wird dies etwa bei den Verhandlungen über die CO2-Abgabe [2] oder den Subventionsstopp für Umweltverschmutzungen, namentlich für den Verkehr. Angesichts der strukturellen und sozialen Aspekte der Klimaveränderung gilt es, kollektive Mittel und Wege zu finden, die es den Menschen ermöglichen, sich klimaschonend zu verhalten. Es lohnt sich nicht, Maßnahmen zu ergreifen, die vor allem als Einschränkung erlebt werden und deshalb Gefahr laufen, den Klimaschutz zu delegitimieren.
Grundsätzlich glauben wir, dass die Umweltprobleme durch Ökosteuern (CO2-Abgabe usw.) nicht prinzipiell gelöst werden können. Steuerliche Maßnahmen sollen Teil einer globalen Politik bilden (neue sektorspezifische Politik, gesetzliche Vorschriften, umfassende Investitionsplanung usw.), die dafür sorgt, dass die notwendigen Umwälzungen nicht nur ohne Verschlechterungen für die Lohnabhängigen und die ärmsten Schichten stattfinden, sondern auch zu einer Verbesserung ihrer Lebensumstände führen. Dazu bedarf es einer allgemeinen Steuerreform, die mit sozialer Gerechtigkeit einhergeht (Einführung einer echt progressiven Einkommenssteuer, Abschaffung der Mehrwertsteuer, Besteuerung der Kapitalien und der Spekulation usw.).
Umweltorganisationen und die LCR verfolgen beide das Ziel, die Treibhausgase um den Faktor 4 zu reduzieren. Unsere Differenzen betreffen einerseits die geringe Tragweite mancher Vorschläge und andererseits das Vertrauen, das einzelnen Abgabesystemen oder dem Handel mit Verschmutzungsrechten entgegengebracht wird. Solche Steuerungsmechanismen sind nicht nur aus sozialer Sicht fragwürdig, sondern sie sind auch für die Umwelt wenig wirksam. Sofortmaßnahmen sollten Ausdruck eines tief greifenden Wandels in den politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen sein, um Folgendes zu erreichen:
Wiederherstellung eines mehrstufigen Planungsprinzips für die Ressourcen, ihre Verwendung, die Raumplanung usw.;
Abkehr von Marktmechanismen und dem daraus folgenden liberalen Privatisierungsdruck;
Neuausrichtung und Ausweitung der öffentlichen Investitionen, zum Beispiel auf den Bereich der Bahninfrastruktur oder die Entwicklung erneuerbarer Energien.
Tatsächlich haben all diese dringend zu ergreifenden Maßnahmen nur einen Sinn, wenn sie Teil einer umfassenden Planung bzw. einer weltweiten Energie-Revolution bilden. Letztere wird unsere Art zu reisen, zu konsumieren, zu produzieren, zu heizen oder Raumplanung zu betreiben, verändern.
Die Vorschläge des RAC müssen zumindest in zwei Punkten ergänzt werden:
Vorschriften im Industriebereich: Grob gesagt, ist die französische Industrie für mehr als 30% der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Strenge Vorschriften werden in diesem Bereich zu Verbesserungen beim Energiesparen und bei der Energieeffizienz führen. Es muss verboten sein, einen gewissen Verbrauch an fossiler Energie zu überschreiten. Für die Emissionen der verschiedenen Industriebereiche sind Maximalquoten festzusetzen, die weder getauscht noch gehandelt werden können. Gleichzeitig kann man die Energiepreise für die Industriebetriebe erhöhen, damit sie einen Anstoß erhalten, ihren Strom mittels Kraft-Wärme-Kopplung selbst zu produzieren.
Saubere Energien: Der Anteil erneuerbarer Energien zur Deckung des globalen Energiebedarfs wächst nur im Schneckentempo. Eine Regierung, die sich ernsthaft um die Klimafrage kümmert, könnte sofort dafür sorgen, dass ein großer Teil der Gelder für die Nuklearforschung zu den erneuerbaren Energien verschoben wird. Im Rahmen der öffentlichen Energieversorgung könnte sie zudem den Bau von Solaranlagen, Windkraftanlagen usw. veranlassen. Eine solche öffentliche Energieversorgung hätte die Aufgabe, das Energiesparpotential abzuschätzen und erneuerbare Energie bereitzustellen. Dabei wäre es hilfreich, Energieberater anzustellen, die für öffentliche Einrichtungen und für Private arbeiten könnten, um diesen maßgeschneiderte Lösungen vorzuschlagen, entsprechend den jeweiligen Möglichkeiten und Bedürfnissen. Eine Zusammenarbeit auf europäischer Ebene (in Richtung eines europäischen Öffentlichen Dienstes …) müsste auch zu einem Austausch der Energieproduktion führen, um eine konstante Versorgung sicherzustellen (Windenergie im Ärmelkanal und in Südfrankreich, Geothermie [Erdwärme] in Nordeuropa, Sonnenenergie im Süden usw.).
Abschließend gilt es festzuhalten, dass man diese Vorschläge nicht weiterverfolgen kann, ohne gleichzeitig die internationalen Klimaverhandlungen zu analysieren und ihre momentanen und zukünftigen Folgen abzuschätzen. [3] Trotz vorhandener Mängel kommt dem Kyoto-Protokoll das Verdienst zu, das Prinzip der „gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung“ aufgestellt zu haben. Nach diesem sind es vor allem die Industrieländer, die den Ausstoß an Treibhausgasen reduzieren müssen. Wir befürchten, dass dieser Grundsatz durch die Ausweitung des «Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung» (Clean Development Mechanism, CDM) und durch die Einführung eines globalen CO2-Handels wieder in Frage gestellt wird.
Februar 2007 Vincent Gay ist Mitglied der nationalen Ökologie-Kommission der Ligue communiste révolutionnaire (LCR, französische Sektion der Vierten Internationale) Übersetzung: Alena Wehrli |
Dieser Artikel erschien in der Online-Ausgabe von Inprekorr Nr. 428/429 (Juli/August 2007) (nur online). | Startseite | Impressum | Datenschutz